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Veröffentlicht am 20.07.2020

Ausgezeichnet geschriebener Blick in eine DDR-Familie

Ab jetzt ist Ruhe
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„Ab jetzt ist Ruhe“ hat mich von der ersten Seite in seinen Bann gezogen, was an dem so lebendigen und gelungenen Schreibstil liegt. Ich hatte beim Lesen fast das Gefühl, bei Braschs im Wohnzimmer zu sitzen. ...

„Ab jetzt ist Ruhe“ hat mich von der ersten Seite in seinen Bann gezogen, was an dem so lebendigen und gelungenen Schreibstil liegt. Ich hatte beim Lesen fast das Gefühl, bei Braschs im Wohnzimmer zu sitzen. Marion Brasch erweckt ihre Familiengeschichte, ihre Eltern und Geschwister wirklich zum Leben. Ich muß gestehen, daß ich vor dem Buch noch nie von der Familie gehört habe, so daß ich recht unbedarft an die Geschichte heranging.
Der erste Teil des Buches findet während Marion Braschs Kindheit statt und der Familienverband spielt hier eine sehr starke Rolle. Ich fand gerade die Geschichten der Eltern faszinierend. Beide wurden während der Nazizeit von ihren jüdischen Eltern nach England geschickt, der Vater wurde im Laufe der Jahre zum überzeugten Kommunisten und ging nach dem Krieg in die DDR; seine Frau folgte ihm mit recht wenig Begeisterung und fühlte sich in dem bedrückenden, einengenden Land nie wohl. Diese Dynamik zwischen den Eltern und auch das Festhalten des Vaters an der herrschenden Ideologie, obwohl er deren dunkle Seiten immer wieder am eigenen Leib erlebt, sind ausgesprochen interessant. Die Lebenswege der Eltern sind so ungewöhnlich, so vielseitig und in vielem auch sehr tragisch. Auch kurze Rückblicke auf die Großeltern lesen sich spannend – gelebte Zeitgeschichte!

Ein Teil der Tragik ist das Verhältnis zu den drei Söhnen, Marion Braschs Brüdern, die sich alle gegen das System DDR wenden, obwohl sie das Land DDR durchaus lieben. Wenn der Vater den eigenen Sohn anzeigt und das Verhältnis des Vaters zu seinen Söhnen einem ständigen Auf und Ab unterliegt, weil er seine Söhne zwar liebt, aber diese Gefühle seiner Ideologie unterordnet, dann ist das tief berührend, oft schmerzhaft, gerade auch, wenn man dann den Lebensweg dieser drei Söhne betrachtet, die alle drei Alkohol- und teilweise Drogenmissbrauch betrieben und früh starben. Wir erfahren diese Konflikte durch Marion Braschs Augen, die all dies anfänglich als Kind wahrnimmt und uns deshalb auch entsprechend vage und oft unvollständig berichtet, manches klingt fast harmlos, weil sie als Kind die ganze Wucht nicht erfassen konnte. Das ist einerseits eine authentische Herangehensweise, andererseits fehlten mir dadurch einige Aspekte, war mir manches zu vage. Doch gelingt es der Autorin durchaus, uns tief in die Familiendynamik hineinzuführen und uns den Schmerz, das Unausgesprochene, den Konflikt zwischen Politik und familiärer Zuneigung spüren zu lassen. Das habe ich selten so gut gelesen. Die innerfamiliären Momente sind die stärksten Stellen dieses Buches.

Der Schreibstil ist, wie erwähnt, ansprechend, wechselt gekonnt zwischen Tragik und Humor; sogar in eigentlich herzzereißenden Situationen lockert eine trockene Bemerkung die Szene oft auf. Diese Familie wirkt eben so lebendig, weil wir sie in all ihren Facetten erleben. Das Buch liest sich leicht, fast wie im Plauderton, so, wie Marion Brasch ihre Geschichte vielleicht an einem Abend einigen Freunden erzählen würde. Ein wenig irritierend fand ich ihre Angewohnheit, Namen zu vermeiden. Das klappt bei den Brüdern (die hier nur als jüngster, mittlerer und ältester Bruder auftreten) gut, wirkt sonst aber oft verkrampft. So spielt die Ausbürgerung Biermanns eine durchaus wichtige Rolle, er wird aber beharrlich als „Sänger mit dem Schnurrbart“ bezeichnet, wie auch sonst Personen oft nur als „Gitarrist mit der großen Nase“, „Schauspielerin mit der kindlichen Stimme“ etc. bezeichnet werden. Auch Filme werden nie beim Namen genannt und das führt dort zu etwas verkrampften Formulierungen, z.B. wenn Katharina Thalbach davon berichtet, daß sie eine Rolle in „Die Blechtrommel“ gespielt hat, und sich das im Buch dann so liest: „Die Freundin meines Bruder (…) erzählte (…) mir von dem Film, in dem sie eine Hauptrolle gespielt hatte und der jetzt einen Preis nach dem anderen gewann. Der Preis erzählt die Geschichte (…). Der Junge hieß Oskar, genauso wie der Preis, für den der Film nominiert werden sollte.“ Ich weiß nicht, ob Marion Brasch um jeden Preis Namedropping vermeiden wollte oder es ihr darum ging, ihre kindliche Sichtweise zu schildern (obwohl sie bei vielen diesen Szenen schon längt erwachsen ist) oder ob es einen anderen Grund hatte, aber mir gingen diese Vermeidung von Namen und die damit einhergehenden umständlichen Formulierungen ein wenig auf die Nerven.

Während die erste Hälfte des Buches mich absolut gebannt hat, gab es in der zweiten Hälfte doch mehrere für mich langatmige Passagen. Die Autorin will auch ihre Geschichte erzählen, das ist verständlich, aber ihre Geschichte ist nicht sonderlich interessant, da sie sich nicht viel von denen anderer junger Leute unterscheidet. Erste Wohnung, Trampurlaube, Parties, Liebeleien – das wirkt im Vergleich zur faszinierenden Familiendynamik blass, oberflächlich und eben auch langatmig, insbesondere weil sie solche banalen Szenen minutiös berichtet. Auch ihre diversen Männergeschichten werden recht uninspiriert heruntererzählt, die jeweiligen Männer bleiben konturlos und tragen überhaupt nichts zur Geschichte bei. Da hätte ich mir viel mehr Raum für die Schilderung der Familienverhältnisse gewünscht, die an der Stelle ein wenig zurücktreten. Immer, wenn die Autorin zu Vater und Brüdern zurückkehrt, gewinnt das Buch die alte Eindringlichkeit zurück.

Bei einer Fokussierung auf diese Thematik wäre das Buch für mich ein 5-Sterne-Buch mit Sternchen geworden, denn die Autorin hat die ungemein interessante Thematik gekonnt umgesetzt. Aber auch so war es trotz einiger Längen eines der erfreulichsten Bücher, die ich dieses Jahr gelesen habe und das mir in herrlichem Schreibstil viele Informationen über das Leben einer solchen Familie, die Generations- und Ideologiekonflikte in der DDR gegeben hat.

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Veröffentlicht am 09.03.2020

Kaum in Worte fassbare besondere Geschichte

Die Glocke im See
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Aufgrund des Klappentextes hätte ich das Buch nie gelesen, denn er läßt das Buch wie eine kitschige Liebesgeschichte klingen, die es zum Glück überhaupt nicht ist. Allerdings ist es auch wirklich schwierig, ...

Aufgrund des Klappentextes hätte ich das Buch nie gelesen, denn er läßt das Buch wie eine kitschige Liebesgeschichte klingen, die es zum Glück überhaupt nicht ist. Allerdings ist es auch wirklich schwierig, der Geschichte in wenigen Sätzen gerecht zu werden. Das wundervolle Titelbild schafft das schon eher, kann die Atmosphäre des norwegischen Gudbrandstal wundervoll einfangen und zeigt vor dem fast einfarbigen Hintergrund als leuchtenden Farbfleck die Stabskirche, die für mich eigentlich der Hauptcharakter war.

Ich gebe zu, noch nie vorher von diesen Stabkirchen gehört zu haben und ich habe beim Lesen immer wieder auf das Titelbild geschaut, mir im Internet einiges zu dem Thema durchgelesen und werde mich auch weiter damit beschäftigen. Die Kirche im Buch hat zudem noch zwei riesige Glocken, die vor Jahrhunderten von der örtlichen Familie Hekne gestiftet wurden und die eine Legende umgibt. Mit dieser Legende beginnt das Buch auch und saugt den Leser sofort ein in diese ganz eigene Welt des abgelegenen Tals und diesen Ort, der von der Außenwelt nur unter großen Mühen erreicht werden kann und deshalb eine ganz eigene Art der Weltabgeschiedenheit pflegt. Hier ist das Leben hart, die Menschen bodenständig und in jahrhundertalten Gebräuchen tief verwurzelt. Legenden, Mythen und uralte Rituale, Glauben an manch Übersinnliches gehören aber ebenso zum Leben wie die knochenharte Hofarbeit, das Hungern im Winter, der endlose Reigen aus Geburten und Toden. Und dies vermittelt Lars Mytting ganz wundervoll. Er webt die unwirklichen, übersinnlichen Aspekte sparsam und völlig natürlich ein, läßt Stimmungen und Ahnungen neben den Alltag treten und bildet dadurch eine ganz andere Welt. Er kommt aus dieser Gegend und man merkt die intensive Vertrautheit mit den Gegebenheiten und den dortigen Menschen hervorragend.

Auch das historische Wissen und Informationen über die Stabskirchen werden gelungen eingewoben, ich habe unglaublich viel über zahlreiche Themen gelernt und dies auf unterhaltsame Weise. Es gibt eine farbige Vielfalt an Themen, ohne daß es je überladen wirkt. Ebenfalls hat mir gut gefallen, daß es fast durchweg spannend bleibt, obwohl gar nicht so viel passiert. Wenn man die Geschichte beschreiben müßte, klänge es banal: Dresdner Architekturstudent reist ins Gudbrandstal, um den Abbau der dortigen Stabskirche zu überwachen, welche nach Dresden gebracht und dort wieder aufgebaut werden soll. Örtlicher Pfarrer hat dies initiiert, die Kirche nach Dresden verkauft, weil die über 700 Jahre alte Kirche baufällig und zu klein ist, das Geld für eine neue Kirche aber fehlt. Örtliche junge Frau fühlt sich zu diesen beiden Männern hingezogen. Aus diesen Rahmenbedingungen webt Mytting aber eine komplexe Geschichte, in der es um Entwicklungen und Traditionen geht, um die Lebensart im Tal und die Frage, ob und in welchem Tempo Innovationen notwendig oder willkommen sind. Um Zugehörigkeit und Loyalität, um Rache und Reue. Das mag dramatisch klingen, wird aber herrlich unaufgeregt erzählt. Es sind auch humorvolle Momente darin, sehr viel Trauriges, und diese ganz eigene Atmosphäre, die mir eine Welt zeigte, von der ich bislang überhaupt nichts wußte und die ich sehr gerne entdeckt habe.

Nur zum Ende hin gab es ein paar etwas langatmige Passagen und ich war auch ein wenig enttäuscht, daß die Geschichte der sich zu Anfang so wichtigen Glocken etwas antiklimaktisch entwickelte, aber das sind Kleinigkeiten. Insgesamt hat mir dieses ungewöhnliche Buch unglaubliche Lesefreude bereitet, die in Worten schwer fassbar ist, da es dem Autor gelang, eine besondere Atmosphäre zu schaffen, wie ich sie selten so bemerkenswert gelesen habe.

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Veröffentlicht am 11.01.2020

Unterhaltsames gelungenes Kaleidoskop

Berlin 1936
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"Berlin 1936" ist ein unterhaltsames Kaleidoskop aus verschiedenen Schicksalen, die sich während der Olympiade jenes Jahres in Berlin abspielten. Jedem der 16 Olympiatage ist ein eigenes Kapitel gewidmet, ...

"Berlin 1936" ist ein unterhaltsames Kaleidoskop aus verschiedenen Schicksalen, die sich während der Olympiade jenes Jahres in Berlin abspielten. Jedem der 16 Olympiatage ist ein eigenes Kapitel gewidmet, das stets mit dem Wetterbericht und einer Fotografie beginnt. Dies sind die einzigen Konstanten, ansonsten erwartet uns in jedem Kapitel eine unterhaltsame, stetig wechselnde Mischung.

Der Text berichtet über eine Vielzahl von Menschen und dem, was sie an jenem Tag erlebten, verwebt dies mit Informationen über bekannte Berliner Hotels, Bars oder Restaurants und einem allgemeinen Stimmungsbild. Durchsetzt ist dieser Text von gelegentlichen Tagesmeldungen der Polizei, internen Anordnungen, Zitaten aus Zeitschriften- oder Zeitungsartikeln und anderem - diese originalen Wortlaute sind ausgesprochen erhellend. Ich fand die Mischung gut gelungen und unterhaltsam, weil auf diese Art so viele unterschiedliche Eindrücke aufeinandertrafen. Durch diese abwechslungsreiche Erzählweise und den eingängigen Schreibstil läßt sich das Buch gut lesen.

Auch die Personen, von denen wir hier erfahren, sind gänzlich unterschiedlich. Es sind die ganz normalen Bürger der Stadt, ausländische Gäste, Sportler, Naziprominenz, Personen des Nachtlebens. Ich hätte mich gefreut, wenn der Fokus etwas mehr auf den ganz normalen Menschen gelegen hätte, aber das ist wahrscheinlich auch eine Frage der vorhandenen Quellen. Ein wenig gestört hat mich allerdings, daß dem Schriftsteller Thomas Wolfe so unverhältnismäßig viel Platz gewidmet wurde. Sicher ist seine innere Reise vom unkritischen Touristen zu jemandem, der die Monstrosität der braunen Diktatur allmählich begreift, interessant. Aber es ist bei weitem nicht die interessanteste Geschichte in diesem Buch und sie wird zudem mit unnötiger Detailfreude und viel Nebensächlichem erzählt. Auch die Abstecher nach Spanien, wo die Nazis sich auf ihren brutalen Eingriff den dortigen Konflikt vorbereiten, hielten sich mit nebensächlichen Details auf und waren für ein sich auf Berlin konzentrierendes Buch unnötig. Die zahlreichen Empfänge und Feiern der Naziprominenz glichen sich ein wenig zu sehr, um so ausführlich beschrieben zu werden. So gab es also einige Abschnitte, die mich weniger fesselten, dafür aber sehr viele, die ich ausgesprochen interessant und unterhaltsam fand.

Oliver Hilmes gelingt eine gute Balance zwischen unterhaltsamen Betrachtungen, amüsanten Anekdoten und der dunklen Seite des Regimes. Auch die damaligen Aussagen über Geschehen und Leute sind aufschlußreich. So schüttelt es einen, wenn der massenmordende Diktator mehrfach als gütig aussehend beschrieben wird oder wenn Amerikaner, die vor der Olympiade untersuchen sollen, ob deutsche jüdische Athleten von der Olympiateilnahme ausgeschlossen werden, sich selbst als Antisemiten - und "nebenbei" noch Rassisten - erweisen und ihren Auftrag halbherzig bzw. gar nicht ausführen. Dann liest man das Lob der Berliner Zeitungen, die die olympischen Spiele als "die schönsten Spiele aller Zeiten" bejubeln und hat das Gefühl, gerade einen Tweet Trumps gelesen zu haben...

Man lernt in diesem unterhaltsamen Buch richtig viel über Berlin, über die so unterschiedlichen Menschen und Schicksale und auch über die Sorgfalt, mit der die menschenverachtende Diktatur sich von einer bewußt harmlosen Seite zeigte, um erfolgreiche Augenwischerei zu betreiben. Im Anhang wird über das weitere Schicksal der erwähnten Menschen berichtet, auch dies war ausgesprochen lesenswert. Jesse Owens, der vom amerikanischen Präsidenten für seine fulminanten Olympiaerfolge nicht mal ein lobendes Wort erhielt und aufgrund seiner Hautfarbe zu seinem eigenen Festbankett mit dem Lastenaufzug fahren mußte, berührt hier sehr. Thomas Wolfe nimmt leider auch in dieser Aufzählung viel mehr Raum ein als andere mit beeindruckenderen oder interessanteren Lebenswegen - dieses Ungleichgewicht ist doch ein Wermutstropfen.

Insgesamt ist "Berlin 1936" ein absolut lesenswertes, originelles Buch, das die Balance aus Unterhaltung und Wissensvermittlung ausgezeichnet meistert und uns zudem zeigt, was Verharmlosung und Propaganda anrichten können.

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Veröffentlicht am 22.12.2019

Wieder wird Geschichte lebendig

Schwert und Krone - Der junge Falke
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Diesen zweiten Teil der Schwert-und-Krone-Saga habe ich mit überwiegend großem Vergnügen gelesen. Hier stehen die Jahre 1147 – 1152 im Fokus, wir begleiten die Kreuzfahrer auf einen desaströsen Kreuzzug, ...

Diesen zweiten Teil der Schwert-und-Krone-Saga habe ich mit überwiegend großem Vergnügen gelesen. Hier stehen die Jahre 1147 – 1152 im Fokus, wir begleiten die Kreuzfahrer auf einen desaströsen Kreuzzug, ein paar gewitztere Burschen auf den Wendenkreuzzug und erleben dann, wie Friedrich „Barbarossa“ die höchste Macht erreicht. Viele spannende Ereignisse also und sie werden lebhaft geschildert.

Wieder einmal gelingt es Sabine Ebert, die historischen Charaktere zum Leben zu erwecken. Das ist schon sehr beeindruckend, wie man sie wirklich alle richtig vor sich sieht. Wenn man dazu noch bedenkt, welche Vielfalt an Charakteren hier auf den knapp 600 Seiten behandelt wird, kann man nur den Hut ziehen. Auch die Ereignisse steigen von den Seiten der Geschichtsbücher empor und entfalten sich farbig vor den Leseraugen. In jeder Zeile merkt man die akribische Recherche und geschickt eingestreute Details sorgen dafür, daß man die Szenerie vor sich sieht. Das kann so etwas Banales wie Regenfall sein; eine kleine historische Information, wie die Rückgabe eines erbeuteten Schwertes und die Bedeutung dieser Geste; oder die ausführliche Beschreibung eines byzantinischen Palastes. Weniger relevant fand ich, daß uns ständig mitgeteilt wurde, welche Farbe, welchen Besatz oder welche Stickerei die Kleidung der beteiligten Personen hatte und auch manche anderen Details wiederholten sich manchmal, aber das sind nur Kleinigkeiten.

Weniger erfreulich fand ich die Neigung der Autorin, uns manche Dinge mehrfach zu erklären. Das kam das ganze Buch hindurch vor und wurde manchmal doch entnervend. Ein Beispiel, weil es so schön kompakt ist. Friedrich wird beim Kreuzzug ins französische Lager geführt. „Natürlich vorbei am Lager der Templer, die gerade mit harten Waffenübungen beschäftigt waren. (…) Es war sicher kein Zufall, dass er an ihnen vorbeigeführt wurde. Die Franzosen wollten prahlen mit ihrer Eliteeinheit, Kraft und Stärke demonstrieren.“ Dreimal die gleiche Aussage. Man versteht es nach dem ersten Satz, dem „Natürlich“ schon. Trotzdem wird es uns noch einmal erklärt und im direkt folgenden Satz dann sicherheitshalber noch einmal.

Ähnlich ist es bei den Ereignissen um das weitere Schicksal einer kinderlosen Witwe. Daß eine solche Frau in jener Zeit keine gewinnbringende „gute“ Partie ist, wird uns auf etwa zehn Seiten etwa fünfmal erklärt. – Daß der während des Kreuzzuges als König fungierende Sohn des Königs gerade erst zehn (später elf) ist, wird uns auch unablässige Male mitgeteilt.

Ebenfalls anstrengend fand ich die Tendenz, die Namen all jener aufzuzählen, die im Raum waren, nicht im Raum waren, den Raum verließen oder betraten. Jedem Abschnitt ist schon vorangestellt, welche relevanten Charaktere uns begegnen werden, was völlig ausreicht. Wenn später fünf Zeilen lang Namen aufgezählt werden, trägt das nichts bei. Wenn das in einer Szene gleich wiederholt geschieht und dann zum Abschluß, nachdem wir die Namen der anwesenden Damen mehrfach erfahren haben, dem völlig ausreichenden „Die Damen (…) verließen die Kammer“ noch folgt: „Sophia mit der Gräfin von Hillersleben (…), Mathilde und die beiden jungen Piastinnen“, dann ist das eine unnötige Wiederholung.

Da sich die diversen Wiederholungen so häufen, hat es mein Lesevergnügen schon beeinträchtigt und war auch einer der Gründe dafür, daß ich bei der Bewertung fast zu vier Sternen tendierte.

Erfreulich dagegen ist, daß das ständige Dialog-Infodumping, das ich im Vorgängerband richtig ärgerlich fand, hier kaum noch stattfindet.

Die diversen Ereignisse sind ausgezeichnet verknüpft, durch die Vielzahl der Charaktere und Handlungsorte erleben wir ein vielfältiges Panorama jener Jahre. Manche Charaktere und Abschnitte fand ich nicht notwendig, manche überflüssig, manche Szenen sind sich zu ähnlich, aber überwiegend wird hier viel Spannendes erzählt. Den Großteil des Buches las ich sehr gebannt und mit Vergnügen.

Lobenswert ist auch die Ausstattung des Buches (Beschreibung bezieht sich auf das gebundene Buch). Vorne und hinten ist je eine farbige Karte des Reiches zu finden, die ich nützlich fand; der Auflistung der Personen folgt eine Karte des Kreuzfahrergebietes (die ich leider etwas spät entdeckte). Hinten im Buch vervollständigen ein Glossar und eine Zeittafel gelungen den informativen Teil und besonders gefreut habe ich mich über die Literaturliste. Umfangreiche Stammbäume schließen sich an. Diese hatten für mich nur ein kleines Manko: dadurch, daß Staufer und Welfen zusammengefaßt werden und Friedrich „Barbarossa“ der erste dort angezeigte Staufer ist, findet sich sein Vorgänger Konrad mit dessen Kindern auf keinem einzigen Stammbaum im Buch, obwohl er gerade in diesem Band eine größere Rolle spielt und die Vorgängergenerationen Barbarossas ohnehin hier ihren Platz verdient hätten. Für die Geschichte wesentlich unwichtigere Familien sind da detailreicher aufgeführt. Insgesamt aber sind die historischen Zusatzinformationen des Buches ausgezeichnet und angesichts der Komplexität des Geschehens hilfreich.

So ist es der Autorin also auch hier wieder gelungen, Geschichte auf spannende, unterhaltsame Weise aufleben zu lassen, historisch Gesichertes wunderbar wiederzugeben und historisch nicht Bekanntes (in einem Nachwort gibt sie dazu weitere Informationen) literarisch spannend auszufüllen. Ich bin auf den nächsten Band gespannt.

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Veröffentlicht am 01.12.2019

Bildgewaltiges Epos mit mitreißenden Charakteren

Das weiße Gold der Hanse
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In „Das Weisse Gold der Hanse“ führt uns Ruben Laurin auf bildgewaltige Weise ins 13. Jahrhundert und läßt uns an zahlreichen aufregenden Ereignissen teilhaben. Ich habe diesen Roman genossen. Schade ist ...

In „Das Weisse Gold der Hanse“ führt uns Ruben Laurin auf bildgewaltige Weise ins 13. Jahrhundert und läßt uns an zahlreichen aufregenden Ereignissen teilhaben. Ich habe diesen Roman genossen. Schade ist es, daß der Verlag dem Buch sowohl einen unpassenden Titel wie auch einen leicht irreführenden Klappentext verpaßt hat, so daß ich mich (mal wieder) fragte, ob die für diese Dinge verantwortlichen Verlagsmitarbeiter die betreffenden Bücher überhaupt vorher gelesen haben. Dafür ist die Ausstattung des Buches lobenswert, es ist eine Namensliste enthalten (auf der historische Personen gekennzeichnet sind), eine Landkarte, die häufig gute Dienste bot, eine Zeittafel und (hinten im Buch) ein Glossar. So ist man bestens gerüstet.

In zwei Handlungssträngen tauchen wir also in eine andere Zeit ein. Der größte Teil des Buches ist der Geschichte des Jungen Moses gewidmet, den wir von 1231 bis 1243 durch eine turbulente Kindheit und Jugend begleiten. Der zweite Handlungsstrang findet zwischen 1275 und 1286 statt und berichtet uns von dem (historisch verbürgten) Ratsherrn Bertram Morneweg und dem Bau des von ihm gestifteten Hospitals „Haus des Erbarmens“. Wie diese zwei Handlungsstränge zusammenhängen, findet man im Laufe des Buches heraus. Der „Ratsherr“-Strang ist vom Tempo her weitaus gemächlicher als der „Moses“-Strang, verweilt oft zu sehr in Details, verliert sich ein wenig in verschiedenen kleinen Geschehnissen. Es war viel Interessantes hier, aber er hätte für meinen Geschmack weitaus straffer sein und einige der kleineren Begebenheiten auslassen können. Dafür ist aber der „Moses“-Strang fast immer in ausgezeichnetem Erzähltempo gehalten. Nur im Mittelteil gibt es ein paar (kleinere) Längen und am Ende einen für meinen Geschmack übertriebenen Showdown. Ich war beeindruckt, wie lebhaft und eindringlich Ruben Laurin das Geschehen schildert. Ich sah alles vor mir, konnte ganz in der Geschichte versinken. Farbige Details reichern alles an und herrlich lebensechte Figuren berühren. Überhaupt sind die Charaktere eine weitere Freude des Buches. Sie sind vielschichtig, wir begegnen wohlhabenden Kaufleuten, Fürsten und skrupellosen Kirchenmännern ebenso wie einer jungen Frau, die durch ein Pogrom ihre Familie verlor und zur Sklavin wurde, einem etwas wunderlichen alten Herrn mit hinreißend schwäbischer Mundart und aufrechten Mönchen. Manche Charaktere entfalten erst im Laufe der Geschichte ihre ganze Größe, andere entwickeln dunkle Seiten. Kalt läßt einen fast niemand. Auch die Beziehungen zwischen den Charakteren sind ausgezeichnet geschildert und sind einfach echt, lebensnah. Nur in einem Fall konnte ich die plötzliche und ausgesprochen hingebungsvolle Zuneigung eines Mädchens für jemanden nicht nachvollziehen, sie wird auch nie hinreichend begründet. In einem anderen Fall war mir eine lebensverändernde monumentale Entscheidung ebenfalls nicht einleuchtend und ermangelte der Begründung. Angesichts der sonstigen Detailfreude und sorgfältigen Zeichnung von Charakteren und Beziehungen fand ich das sehr schade, aber es waren nur kleine Punkte in einem erfreulichen Ganzen. Ein Sonderlob gibt es dafür, daß wir hier keine kitschige Liebesgeschichte lesen müssen.

Der Schreibstil ist eingängig und erfreulich. Kleine Wermutstropfen waren nur die gelegentliche Neigung zu Wiederholungen und der Erklärungen des Offensichtlichen, aber auch hier waren es Einzelfälle, überwiegend war der Stil eine Freude. Ausgesprochen beeindruckend ist die historische Recherche, die dem Buch zugrunde liegt. Ich war begeistert und oft überrascht von den vielen historischen Details, die hier eingearbeitet wurden und kann mir gar nicht vorstellen, wie viel Arbeit da drinsteckt. Ich habe selten so viel aus einem historischen Roman gelernt und dies auch noch auf unterhaltsame Weise. Es wird eine solche Vielzahl an Themen behandelt und alles zeigt absolut akribische Recherche.

Das Ende ist stimmig und hat mir gut gefallen. Das Wesentliche der Geschichte wurde detailreich erzählt, das Nachfolgende wird angedeutet und zusammengefaßt. Ganz am Ende schließt sich der Kreis fast symbolhaft. Das ist gut gelungen und ließ mich zufrieden und ein wenig wehmütig zurück.