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Veröffentlicht am 26.01.2017

Ein zeithistorisches literarisches Feuerwerk eines brillanten Autors!

Der Turm der Welt
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"Der Turm der Welt" von Benjamin Monferat erschien (HC, gebunden) im Wunderlich-Verlag (Rowohlt) 2016 und ist nach dem Début "Welt in Flammen" der zweite Roman des Autors, der sich als Schriftsteller der ...

"Der Turm der Welt" von Benjamin Monferat erschien (HC, gebunden) im Wunderlich-Verlag (Rowohlt) 2016 und ist nach dem Début "Welt in Flammen" der zweite Roman des Autors, der sich als Schriftsteller der Geschichte verschrieben hat und dessen Romanaufbau und -handlung auch hier als brillant beschrieben werden kann:

"Oktober 1889: Die Pariser Weltausstellung nähert sich ihrem großen Finale. Millionen von Menschen strömen in die Lichterstadt, um Zeuge des Spektakels zu werden. Die brisante internationale Lage scheint für einen Augenblick vergessen. Und doch würde, im bunten Gewimmel der Nationen, ein Funke genügen, um das Pulverfass zur Explosion zu bringen" (.....)
(Quelle: Buchrückentext, Auszug)

Zu diesen Millionen Besuchern zählt auch der illustre Kreis der Hauptprotagonisten: In einer Schlüsselrolle Friedrich von Straten, Angehöriger einer preußischen Geheimdienstabteilung mit 'besonderem Auftrag', der zur Weltausstellung beordert wird; Madeleine Royal, ihres Zeichens Königin der Kurtisanen von Paris; Basil Fitz-Edwards (der auch in "Welt in Flammen" zum Personal zählt) und hier Begleiter des britischen Thronfolgers Edward, genannt Eddy, Duke of Clarence and Avondale ist (letzterer neben Henri Toulouse-Lautrec, dem weltberühmten Maler die einzige historisch authentische Figur); Monsieur Longueville, ein französischer Staatssekretär; Albertine de Roquefort mit Tochter und Nichte, die aus der Picardie zum Pariser Stadtpalais aufbrechen, um auf Einladung von Tourteuil die Weltausstellung zu besuchen; Berneau, dem genialen Erfinder und der geheimnisvollen "Frau über den Dächern von Paris", die hier ebenso wie Friedrich von Straten eine Schlüsselrolle inne hat sowie der legendäre Agent des Deuxième Bureau (eine Sektion des französischen Geheimdienstes) Alain Marais und Pierre Trebut, die im Verlaufe des Romans versuchen werden, aufzuklären, wer hinter dem Attentat steckt, dem zwei weitere Agenten des Deuxième Bureau auf brutale Weise zum Opfer fielen....

Vor dem Auge des Lesers lässt Benjamin Monferat sehr geschickt die Zeit der Exposition Universelle 1889 in Paris wieder aufleben, die als Machtdemonstration Frankreichs in einer Zeit 'gegenseitiger Belauerung' stattfand und zu einer Zeit zahlreicher industrieller Erfindungen und technischen Neuerungen, wo man sich suchte, gegenseitig zu überbieten. Die Anspannung dieses Zeitgeistes ist von der ersten bis zur letzten Seite nacherlebbar, was ich persönlich als fantastisch gelungen erachte.

Die zahlreichen Hauptprotagonisten sind sehr gut ausgeleuchtet, das Geflecht der Beziehungen untereinander, das Misstrauen gegenüber anderen Nationen sehr gekonnt dargestellt; der Autor wählt stilistisch relativ kurze Abschnitte: Es entsteht ein Personenwechsel und dadurch ein Perspektivwechsel in kurzer Abfolge, der dem Leser eine hohe Konzentration (durch die Personaldichte) abverlangt. Hierin liegt ein kleines Manko dieses ansonsten genialen Romans, der fiktiv angelegt ist, jedoch einem für heutige Begriffe realistischen Maßstab nicht entbehrt: Durch die sehr zahlreichen Hauptfiguren, die durch den Romanverlauf führen, ist der Leser gezwungen, eine hohe Konzentration aufzubringen; es ist vergleichsweise wie bei einem 15-fädigen Zopf, dessen lose Enden zum Romanende hin sich zwar finden, jedoch durch die sehr kurzen Perspektiv- und Personenwechsel etwas anstrengend nachzuverfolgen sind: Geduld und Ausdauer, besonders im ersten Drittel, sollte der Leser daher neben dem Interesse an der Historie schon mitbringen.
Letztendlich geht es auch um den Segen und den Fluch jeglicher menschlicher Erfindung, die sich durchaus, wie wir alle wissen und teils (mit)erleben mussten, auch gegen den Menschen richten kann, das 21. Jahrhundert im digitalen Zeitalter zeigt dies bestens auf....

Fazit:

Ein zeithistorischer Roman, ja eigentlich ein Schmöker, der an Umfang und Inhalt sowie sprachlicher Versiertheit und Virtuosität seinesgleichen sucht. Auch wenn ich mir hier und da ein wenig gewünscht hätte, dass 'wenig auch mehr' sein kann, gelingt es m.E. dem Autor, das Zeitgefühl dieser politisch unruhigen Zeit sehr gut widerzuspiegeln. Dafür und für die Romanidee sowie deren Umsetzung ein großes chapeau von meiner Seite!
Im Nachwort (das sehr berührt, besonders auf der letzten Seite) merkt der Autor an,"dass es ein ziemlich ekliges Gefühl sein kann, wenn die Geschichte einen einholt". Gemeint sind die Terroranschläge des IS im November 2015 in Paris, denen 130 Menschen zum Opfer gefallen sind: Hier ergibt dieser sehr lesenswerte Roman (mit Geduld und Ausdauer des Lesers) auch eine aktuelle, leider zeitlos gewordene politische Brisanz wieder, deren letzten vier Worten des Autors ich mich nur anschließen kann:
"Ihr-werdet-nicht-gewinnen". Mit einem großen Dank an den Autor und den Verlag vergebe ich 4,5 Sterne und eine klare Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 26.01.2017

Kreativ, mit tollen Salatrezept-Ideen und Dressings to go - TOPP!

Shaking Salad Low Carb
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"Shaking Salad" von Karin Stöttinger ist ein Low-Carb-Kochbuch mit Fotografien von Eisenhut & Mayer sowie Reportage-Fotografien von Silvia Wittmann, das im Brandstätter-Verlag, Wien, 2017 in handlichem ...

"Shaking Salad" von Karin Stöttinger ist ein Low-Carb-Kochbuch mit Fotografien von Eisenhut & Mayer sowie Reportage-Fotografien von Silvia Wittmann, das im Brandstätter-Verlag, Wien, 2017 in handlichem Format erschienen ist (152 Seiten Umfang). Das Cover in frischem 'Salatgrün' gehalten, die Autorin lacht sehr herzlich mit den kreierten geschichteten Salatideen ... - es wirkt sehr frisch, authentisch und positiv - was sich auch im Inhalt fortsetzt:

"Keep on shaking!" Low carb to go: Shaking Salads für alle Jahreszeiten und jede Gelegenheit. Rasch geschichtet, schnell geschüttelt, fertig sind die köstlich-knackigen Hingucker ob als Lunch im Büro, für ein Picknick im Park oder den Ausflug zum See".(Quelle: Buchrückentext)
Die sympathische Autorin verrät in der Einleitung, wie sie zum Schreiben dieses außergewöhnlichen Kochbuchs kam: Will man nicht auf leckeres Essen verzichten, ist kein Fan von Diäten oder Kalorienzählereien, mag jedoch Genuss und gute, gesunde Kost, die vitaminreich ist, bietet sich das Zubereiten aller möglichen Salatvarianten geradezu an:Die würzige Vielfalt und die Schlüsselrolle zu den leckeren Salatrezepten liegt in den Dressings, die in übersichtlich gestalteten und sehr gut zuzubereiteten Rezepten natürlich nicht fehlen. Karin Stöttinger regt hier auch die Kreativität nach eigenem Gusto an.
Der Clou dieses tollen Kochbuchs ist das Salat-Baukastensystem: Die Salate, die geschichtet bereits ein Augenschmaus darstellen (z.B. der Tafelspitzsalat) werden von Dressings in z.B. Schraubgläsern begleitet, die kurz vor dem Verzehr mit dem Salat gemüscht oder übergossen werden können; damit ist Frische und Genuss gewährleistet und das Zusammenfallen der Salatblätter entfällt vollkommen.
Ein Register, das in Rezeptideen von vegetarisch und vegan über Fisch, Fleisch, cheat meals bis zu süßen Salaten reicht, ermöglicht es im Buchanhang auf einen Blick, das gewünschte Salatrezept zu finden.
Ein rundum ernährungsbewusstes, gesundes und ausgewogenes spezielles Low Car-Kochbuch, das in keiner Küche fehlen sollte. Am besten gefällt mir, dass man diese knackigen Salate z.B. bei Ausflügen oder Radtouren sehr gut mitnehmen kann und sie kurz vor dem Aufessen erst mischen kann; auch als 'mitfahrender Mittagstisch' zum Mitnehmen zum Arbeitsplatz oder zur Uni sind die vielen tollen Salatrezepte bestens geeignet und werden Nachahmer finden ;) Die Fotografien tragen ihr Übriges dazu bei, sofort nachzuschauen, ob man die Zutaten für den Lieblingssalat auch wirklich zu Hause vorrätig hat ;)

Fazit:


"Gutes, vitaminreiches frisches Essen to go"; sehr gut beschrieben, leicht zuzubereiten (step by step) und kreativ sowie individuell abzuwandeln oder zu erweitern: Für Genuss- und GesundesserInnen die klare Empfehlung und volle Punktzahl von mir! 5*

Veröffentlicht am 12.01.2017

Spannender Krimi-/Thriller aus Schottland mit Mystery-Elementen

Der dunkle Ort der Seele
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Mein zweiter Oswald-Thriller:
Nach heftiger Ermittlungsarbeit, die zugegebenermaßen während der ersten Hälfte des Thrillers meist die Oberhand behält und den üblichen Problemen mit geistig minderbemittelten ...

Mein zweiter Oswald-Thriller:
Nach heftiger Ermittlungsarbeit, die zugegebenermaßen während der ersten Hälfte des Thrillers meist die Oberhand behält und den üblichen Problemen mit geistig minderbemittelten Vorgesetzten nimmt Spannung und auch Handlung in der 2. Hälfte doch sehr an Fahrt auf:
Im Grunde sind es zwei Kriminalfälle, die aufzuklären sind: Einer im Team des SCU, der sog. "Sitte" und der andere im absichtlich von Diguid in alle Winde verstreuten (und dennoch prächtig zusammenarbeitenden) Team von McLean: Einige junge Menschen fanden ihren Tod durch Erhängen - aber war es wirklich Selbstmord?
Um das herauszufinden: Selber lesen! Ich habe mich dank der stimmigen Plots und der Mystery-Elemente, die hier wiederum vorhanden sind, bestens unterhalten gefühlt und vergebe 4,5 Sterne sowie 94° an den schottischen Autor - die beiden nächsten Fälle von Tony McLean, den ich sehr menschlich und sehr sympathisch finde, stehen schon auf meiner Krimi- bzw. Thrillerliste!

Veröffentlicht am 05.01.2017

Fesselnd, spannend - ein Stück sehr lesenswerter Zeitgeschichte!

Trümmerkind
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Vorausschicken will ich, dass "Trümmerkind" von Mechtild Borrmann (erschienen bei Droemer-Knaur, 2016, gebunden) mein 3. Buch ist, das ich von dieser herausragenden Autorin lese: "Der Geiger" hat mir bereits ...

Vorausschicken will ich, dass "Trümmerkind" von Mechtild Borrmann (erschienen bei Droemer-Knaur, 2016, gebunden) mein 3. Buch ist, das ich von dieser herausragenden Autorin lese: "Der Geiger" hat mir bereits sehr gefallen, aber "Trümmerkind" hat meine Erwartungen noch bei Weitem übertreffen können:

Durch die klare, brillant formulierte und sehr gut zu lesende Sprache der Autorin ist man bereits nach wenigen Zeilen an der Seite der Protagonisten im Jahrhundertwinter Hamburg's des Jahres 1946/47...

Der Roman spielt auf mehreren Zeitebenen und mit unterschiedlichen Personen, die inhaltlich alle miteinander zu tun haben und teils miteinander verwandt sind:
Da ist Heinrich Anquist, Tochter Clara, Sohn Ferdinand und dessen Frau Isabell sowie die Kinder Margareta und Konrad auf Gut Anquist in Templin (Uckermark) 1945 - kurz vor Kriegsende; Agnes Dietz mit Sohn Hanno und Tochter Wiebke in Hamburg, die eines Tages bei 'Überlebensstreifzügen' durch das zerbombte Hamburg einen kleinen Jungen (3) mit nach Hause bringen, den sie fortan Joost nennen und ihn - so gut es möglich ist - mit "durchfüttern": Ein sehr menschlicher Akt inmitten der Verzweiflung, der Not, des Elends, der Kälte, des Hungers, denen viele Menschen anheimfallen und die sehr transparent dargestellt werden. Eine für heutige Verhältnisse grauenhafte, harte Zeit, von der mancher Leser noch evtl. von den Eltern oder Großeltern hörten: Lebensmittelkarten, Schwarzmarkt, kaum Essen oder Brennmaterial..., Kinder wie Hanno (15), die wie Erwachsene helfen, dass die Familie überlebt. Besonders Hanno in der Übernahme der väterlichen Verantwortung für Mutter und Schwester (und in Abwesenheit des Vaters) schnürt einem das Herz zu, wenn man ihn, den intelligenten Jugendlichen, bei seinen Streifzügen mit Freund Peter begleitet - immer in Sorge, dass er erwischt wird, da Plünderungen verboten (aber an der Tagesordnung) waren. Auch die Mutter, Agnes ist eine starke Frau und bringt ihre Kinder und den kleinen Joost mit Näharbeiten durch.

Und da ist Anna Meerbaum, eine Lehrerin Mitte 30, deren Mutter Clara auf Gut Anquist aufwuchs, die Tochter jedoch immer ausbremst, wenn diese aus dieser Zeit etwas von der Mutter erfahren möchte. Daher beschließt Anna Anfang der 90er Jahre, das Gut in Templin zu besuchen. Durch Josef, einst Knecht auf dem Gut, erfährt sie erstmals in ihrem Leben von Verwandten: Von Ferdinand, Isabell, Margareta und dem kleinen Konrad; wieder zu Hause, stellt sie ihre Mutter zur Rede.... Weshalb weigert sich diese strikt, aus ihrer Vergangenheit zu erzählen? Aus welchem Grund lädt sie ihrer Tochter schon seit deren Kindheit Schuldgefühle auf?

Im Verlaufe der Handlung, die äußerst spannend zu lesen ist und es schier unmöglich ist, diese Geschichte aus der Nachkriegszeit - und damit ein Stück Zeitgeschichte - beiseite zu legen, tauchen Fotos auf, die Anna Rätsel aufgeben - und nicht nur ihr... Sie setzt sich eines Tages mit Joost Dietz in Verbindung, der seinerseits 24 Jahre lang glaubte, dass Gustav und Agnes Dietz seine leiblichen Eltern seien; Er versteht sich sehr gut mit Hanno, der ihm ein Bruder war und beide sprechen sehr viel später über den Tag, an dem Joost von Wiebke entdeckt wurde; für mich ist dieses Zitat eines der aussagekräftigsten Sätze des Romans:

"Das war eine andere Zeit, (könnte er, Hanno, noch sagen), da denkt man nicht über Tage und Wochen hinaus, sondern nur daran, ob es am Abend etwas zu essen gibt und ob im Ofen ein Feuer brennt. Da muss man die Dinge vergessen. Sonst ist man verloren." (Seite 223)


Eben diese Stimmung ist auf jeder Seite spürbar, nacherlebbar und in meisterhafter, brillant erzählter Sprache von Mechtild Borrmann umgesetzt.

Das letzte Drittel des Romans nimmt dann nochmals an Fahrt und Dramatik auf; es ist kaum möglich, den Roman aus der Hand zu legen, zumal es um "Trümmermorde" in Hamburg geht, wobei der Leser durchaus eigene Schlüsse ziehen kann, wer an den grauenvollen Taten beteiligt sein könnte... Mich beschlich beim Lesen mehr und mehr das untrügliche Gefühl, dass sich dies genau so - oder ganz ähnlich wirklich abgespielt haben könnte - und zwar nicht nur ein einziges Mal!

Fazit:

Ein Roman aus den letzten Kriegstagen und der Nachkriegszeit, der erschüttert, der die Realität der damaligen Zeit projeziert, in der menschliche Verhaltensweisen außer Kraft gesetzt wurden, egoistische Motive auch Gewaltbereitschaft schürten. Er lässt den Leser etwas sprach- und fassungslos zurück: Für mich ist "Trümmerkind" durch die klare, fesselnd geschriebene und prägnante Sprache, die Bilder erstehen lässt und den Leser in jene Zeit zurückkatapultiert, ein literarisches Meisterwerk auf 300 Seiten mit großer atmosphärischer Dichte und überzeugenden Protagonisten.

Ein Roman über Verbrechen in Kriegs- und Nachkriegszeiten, Familiendramen, Identitätssuche, Schuldgefühle, Verantwortung und Schuld, aber auch Flucht, Vertreibung, Enteignung, Entrechtung von Gutsbesitzern im ehemaligen Ostpreußen, Böhmen und Mähren, der seinesgleichen sucht! Eine ganz klare Leseempfehlung von mir sowie 5 * und volle Punktzahl auf der "Histo-Couch" von mir mit herzlichem Dank an die Autorin und den Droemer-Knaur Verlag! Ich freue mich schon jetzt auf den nächsten Roman von Mechtild Borrmann!

Veröffentlicht am 28.12.2016

Nusschale

Nussschale
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"Nussschale" von Ian McEwan erschien (gebunden) im Diogenes Verlag (2016). Das Cover wird von Frauenbeinen geziert, die sich lasziv in die Kissen recken; allerdings ist der Romaninhalt ein anderer...
Es ...

"Nussschale" von Ian McEwan erschien (gebunden) im Diogenes Verlag (2016). Das Cover wird von Frauenbeinen geziert, die sich lasziv in die Kissen recken; allerdings ist der Romaninhalt ein anderer...
Es handelt sich um anspruchsvolle, intelligent geschriebene Literatur mit ausgewählten, prägnanten Formulierungen, die kritisch auf den Punkt gebracht wurden. Übersetzt wurde "Nutshell" im Original aus dem Englischen von Bernhard Robben.
Als Ich-Erzähler macht sich ein UNGEBORENER (Junge) von Beginn seiner Entstehung im Mutterleib an Gedanken über das, was ihn wohl 'draußen' erwartet: Die Mutter (Trudy) hört gerne Radio, besonders gerne mag sie podcasts, Biografien und Moderation, die ER immer mithört, worin bereits der erste trockene britische Humor im wahrsten Sinne des Wortes 'keimt'.Beide, also ER , der Ungeborene und seine Mutter Trudy bewohnen ein altes Haus in einem vornehmeren Stadtteil Londons, das dem leiblichen Vater (John) gehört: Da Trudy "Raum braucht", trennte sie sich von John, hat jedoch einen Liebhaber, der hier eine stupide, einfalls- und farblose Rolle spielt (Claude); zudem kommt er IHM, dem Ungeborenen, in seiner Schutzhülle zuweilen gefährlich nahe...
Ian McEwan benutzt eine unglaubliche Perspektive des Erzählens 'aus dem Bauch heraus', die er trotz einiger sozialkritischer Themen und realen Bezügen zu diesem Planeten gekonnt in stakkatohaftem Stil mit herrlich britisch-trockenem Humor zum Ausdruck bringt.ER, der Ungeborene überlegt also, ob er schon einmal die Nabelschnur mit Betperlen vergleichen sollte in der Hoffnung, dass trotz dem Zustand der Welt (und dem, was womöglich auf ihn wartet) alles noch irgendwie gut ausgehen könnte...
Da der leibliche Vater im Wege ist, beschließen Trudy und Claude, sich dessen zu entledigen und schmieden ein Mordkomplott, was im Ungeborenen noch mehr Fragen aufwirft: Die Gespräche, die er mitanhört, haben eindeutig kriminellen Charakter (und ihm entgeht nichts). Wie sich herausstellt, ist John doch nicht so naiv, wie er sich seinen leiblichen Vater vorstellte und der aus dem Haus geworfene singt gar ein Loblied auf die zu Ende gegangene Liebe zwischen ihm und Trudy, woraufhin Claude und Trudy zurecht verdattert reagieren. Nun ist Eile geboten: Ob das Vorhaben, ihn aus dem Weg zu räumen, gelingen wird?
Der Ungeborene ist solcherart entsetzt über das skrupellose Vorhaben der beiden, dass er überlegt, mittels der Nabelschnur seinem noch nicht begonnenen Leben selbst ein Ende zu setzen; entscheidet sich letztendlich jedoch für sein Anrecht auf Leben, will er doch 2099 mit einem Tanz ins neue Jahrhundert swingen: Die philosophischen, aber auch realen Betrachtungen, wie sich die Welt und die Menschheit bis zum 22. Jhd. weiterentwickeln wird, sind sehr aktuell und geben zu denken...
Wie sich später herausstellt, ist es wie im Leben: Nicht alles ist, wie es scheint und einige Äußerungen Trudys entbehren jeglicher Grundlage, bringen sie jedoch in 'vermeintliche' Sicherheit. Währenddessen sinniert ER, der Ungeborene, was womöglich am besten für ihn sei und ihm das Liebste; zur gleichen Zeit läuft eine Radiosendung, die er zum alten Europa beeindruckend klar und kritisch überdenkt - köstlich!
Während zwei Hauptprotagonisten schleunigst ihre Koffer packen, kündigt sich indessen das Wunder der Geburt an - etwas zu früh, oder gerade zum richtigen Zeitpunkt? ;)

Fazit:
Ein eindringlicher, brillant geschriebener Roman, in dem sich trockener britischer Humor zuweilen Bahn bricht und der eine witzige Idee, die Ich-Erzählung eines Ungeborenen, fabelhaft umsetzt: Ein unglaublicher Roman, philosophisch, bissig, witzig, zuweilen sehr gesellschaftskritisch und eine Reflexion über die Spezies "Mensch" aus ungewöhnlicher Sicht eines Fötus. Mir hat der Stil sowie der Romaninhalt des renommierten britischen Autors sehr gut gefallen, daher vergebe ich 5 Sterne und eine absolute Leseempfehlung.