Ein ganz anderer Hoover
Es ist ja so: Seit Jahren lese ich schon keine Klappentexte von den neuesten Hoover-Büchern mehr. Ich werde sie eh kaufen – und lesen. Ich will mich immer komplett überraschen lassen. Alles, was ich mitbekomme, ...
Es ist ja so: Seit Jahren lese ich schon keine Klappentexte von den neuesten Hoover-Büchern mehr. Ich werde sie eh kaufen – und lesen. Ich will mich immer komplett überraschen lassen. Alles, was ich mitbekomme, sind Meinungsfetzen auf Instagram oder in der CoHorts-Gruppe auf Facebook. Und vor allem in der Facebook-Gruppe, einer Fan-Gruppe, wird jedes neue Buch überschwänglich bejubelt. Aber bei Verity war es extrem! Vor allem auch, weil sich Colleen Hoover in ein anderes Genre hineinwagt. „Das Buch hat mich verstört.“, las ich immer wieder und freute mich wie verrückt. Ich wollte auch verstört werden!
Der Einstieg des Buches war schon extrem blutig und versprach Großartiges. Und dann liest man in einem Thriller auch noch von einer verunfallten Thriller-Autorin. Ich war mit jeder Seite begeisterter. Tragischerweise habe ich mich in die Idee von Veritys Büchern – eine Buchreihe über die neun Tugenden, die aus der Sicht des Antagonisten geschrieben sind – verliebt und ich möchte diese Bücher nun unbedingt lesen.
Die Geschichte um Lowen, die die Bücher von Verity weiterschreiben soll, ist weder ein feingesponnenes Netz verzweigter Geheimnisse noch mit dem Holzhammer geschrieben. Die Story ist recht gradlinig und verliert sich nicht in nebensächlichen Details.
Damit liegt der Fokus voll und ganz zum einen auf den Geschehnissen in der Crawfordschen Villa, in der Lowen jetzt so lange leben darf, bis sie sich in die Materialien zu Veritys Buchreihe eingearbeitet hat, und zum anderen auf dem Manuskript, das die Jungautorin findet. Das Manuskript ist die Autobiografie von Verity. Und sie führt direkt hinab in deren dunkelsten Geheimisse – ungeschönt und unverklärt.
Bevor mich die Geschichte einnehmen konnte, hatte mich schon die Atmosphäre. Erst bedrückend und dann beängstigend mit hellen Lichtblicken. Wäre das Buch ein Musikstück, würden sich fröhliche, gezupfte Töne mit langsamen, tiefen Streichern abwechseln.
Das Haus, in dem der Tod in den Wänden hängt, gruselte nicht nur Lowen, sondern auch mich. Regelmäßig hatte ich Gänsehaut beim Lesen.
Generell fand ich das Buch einfach sehr, sehr spannend. Sowohl die Jetzt-Zeit als auch die Teile aus Veritys Autobiografie waren für mich absolute Pageturner – in jeglicher Hinsicht. Sowohl die positiven als auch die negativen Entwicklungen wollte ich schnell mitbekommen.
Was für mich dabei fast ein wenig hintenüber kippte, waren die Figuren. Sie waren nur soweit ausgearbeitet, wie es für die Geschichte notwendig war. Vor allem, weil die Liebesgeschichte hier zwar einiges an Raum, aber eben nicht übermäßig viel einnahm. Sie war ein Teil vom Ganzen, der zwar in hooverscher Manier sehr schnell vonstatten ging, aber nicht unbedingt unnatürlich wirkte.
In der Geschichte gab es jedoch zwei, drei mittel- bis sehr große Logiklöcher. Beim Lesen störte es mich nicht. Ich zählte es einfach mal zur künstlerischen Freiheit. Vor allem weil ohne eine der Löcher das ganze Buch nicht funktioniert hätte. Aber wer eine absolut hieb- und stichfeste Story haben möchte, könnte an der einen oder anderen Stelle zweifelnd aufstöhnen.
Tja, das war es also, das Buch, das alle Leute so verstört zurückgelassen hat. Die Details von Veritys Manuskript, ihre Gedanken, Gefühle und Taten können auf den einen oder anderen Leser tatsächlich so wirken. Selbst Lowen wird verstört. Vielleicht bin ich abgestumpft, vielleicht habe ich schon zu viele Thriller gelesen: Aber auch wenn vieles aus Veritys Geschichte für mich unverständlich war, so hat es mich nicht verstört. Und ich sehe in dem Buch noch so viel mehr. Es geht nicht nur um plumpe Gemeinheiten und psychopathisches Verhalten. Es geht auch um Schuld, Vertrauen, Liebe, Reue.
Und dann kam das Ende und ich wurde vollkommen überrumpelt. Ich verneige mich imaginär ein wenig vor Colleen Hoover, denn sie hat sich nicht nur in ein neues Genre vorgewagt, sondern dem Thriller auch ihren Stempel aufgedrückt. Für mich hat sie etwas geschaffen, was so noch nicht dagewesen ist.
Letztlich hätte es für mich gern noch eine Spur härter zugehen können, aber ich habe das Buch wirklich geliebt!