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Veröffentlicht am 19.02.2018

Persönlichkeitsveränderung

Ich schwöre!
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Das Cover des Buches "Ich schwöre" von Marc Hudek vermittelt dem Betrachter schon auf den ersten Blick, welches Thema in diesem Buch angesprochen wird: Salafismus. Deshalb ist anzunehmen, der Autor schreibt ...

Das Cover des Buches "Ich schwöre" von Marc Hudek vermittelt dem Betrachter schon auf den ersten Blick, welches Thema in diesem Buch angesprochen wird: Salafismus. Deshalb ist anzunehmen, der Autor schreibt aus gutem Grund unter einem Pseudonym.

Dabei liest sich das Buch sehr gut und ist in einer saloppen und jungen Sprache verfasst. Es fängt alles recht harmlos an. Wir lernen den Protagonisten Lenny, ein etwas gehemmter Sportstudent, kennen. Er stammt aus einem ganz normalen Elternhaus der unteren Einkommensklasse. Wie viele tausend andere junge Männer auch. Seine besten Freunde sind Yussuf, der in der Philosophie beheimatet ist und immer denkt, sowie der einfach gestickte Faris, der den Mädchen gerne auf den Po schaut und es sich auch sonst gut gehen lässt. Dass sie Muslime sind, war in ihrer ganzen, bisherigen Freundschaft kein großes Thema, nahmen alle eine Glaubenszugehörigkeit nicht sonderlich wichtig. Doch plötzlich wird alles anders. Yussuf und Faris verkehren in angeblichen Literaturkreisen, in denen Lenny ausgeschlossen bleibt. Doch das ist nicht was Lenny besorgt. Es sind die veränderten Verhaltensweisen seiner Freunde. Sie entgleiten ihm, werden ihm fremd.

Dem Autor gelingt es sehr gut zu beschreiben, wie sich das Wesen, die Sprache und Ausdrucksweise der beiden muslimischen Freunde wandelt. Anfangs ist es nur ein Gefühlt von Lenny und es dauert eine ganze Zeit bis er sich sicher ist, was mit seinen Freunden passiert. Doch da sind diese schon mitten drin in der Szene, keinem Gegenargument mehr zugänglich. Wie kommt es, dass junge Männer, die in einer freien Welt aufgewachsen sind sich dazu entscheiden, Kämpfer des IS zu werden? Was fasziniert einen jungen Mann, der bisher nie gewaltbereit auftrat daran, in einen Glaubenskrieg zu ziehen? Selbst die Eltern der beiden jungen Männer sind fassungslos und haben keine Erklärungen dafür. Lenny versucht mit allen Mitteln - auch als verkleideter Muslime - seine beiden Freunde von ihrem Vorhaben abzubringen. Dieses Kapitel ist urkomisch.

Wie anfangs gesagt, der Roman ist in einem lockeren Ton geschrieben und wird gleichzeitig dem tödlichen Ernst des Themas gerecht. Dass zur Auflockerung auch noch eine Liebesgeschichte mit Lenny und Anna eingeflochten wurde, verleiht dem Buch bei der ganzen Dramatik auch noch etwas Romantik.

Mich hat das vorliegende Werk sehr angesprochen.

Veröffentlicht am 08.11.2022

Nachdem die Träume zerplatzten

Revolution der Träume
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Um es vorweg zu sagen, bei diesem Buch sollte man erst gar nicht versuchen, den Roman mal so eben nebenbei zu lesen wie ein banaler Krimi. Der Autor hat gute Recherche betrieben und einen Roman verfasst, ...

Um es vorweg zu sagen, bei diesem Buch sollte man erst gar nicht versuchen, den Roman mal so eben nebenbei zu lesen wie ein banaler Krimi. Der Autor hat gute Recherche betrieben und einen Roman verfasst, bei dem wahre geschichtliche Ereignisse mit Phantasie gepaart wurden. Ich kann nur sagen: Gelungen.

Die drei Protagonisten Isi, Artur und Carl kennen wir schon aus dem ersten Band "Schatten der Welt". Das vorliegende Werk ist der 2. Band der Trilogie.

Man kann "Revolution der Träume" lesen, ohne den ersten Band zu kennen, da diese Geschichte ist in sich abgeschlossen ist. Natürlich ist es von Vorteil, den Werdegang der drei Freunde - der manchmal schon etwas chaotisch und auch kriminell war - in ihren jungen Jahren zu kennen. Die einzelnen Charaktereigenschaften sind dem Leser schon bekannt und im 2. Band hat man das Gefühl, wieder alte Freunde zu treffen.

Doch nun zum Inhalt: Der erste Weltkrieg ist verloren und vorbei. Der Kaiser abgesetzt. Doch von politischer Ruhe gibt es keine Spur. Das Volk erstürmt das Berliner Schloss und Plünderungen sind vorprogrammiert. Die unterschiedlichsten politischen Kräfte treffen in Berlin aufeinander und jede Gruppierung will das Sagen haben. Es beginnt eine wilde Zeit mit viel krimineller Energie.

Hier hat der Autor richtig gute Arbeit bei den Recherchen geleistet. Man hat zwar von den Unruhen dieser Zeit gehört, mit viel Glück im Geschichtsunterricht in der Schule auch Wichtiges darüber gelernt, doch im Laufe der Jahre etliches wieder vergessen. Im Rahmen dieses Buches gibt es eine Auffrischung des Geschichtswissens. Das passiert übrigens ganz nebenbei und ohne Leistungsdruck, eingebettet in die Handlungen eines fesselnden Romans.

Wie man schon im ersten Band lesen konnte, so war Artur der Draufgänger, gewitzt und ließ Gesetz schon mal Gesetz sein. Isi die Aufmüpfige und Carl der Ruhige, ein Künstlertyp. Durch die Kriegsereignisse kristallisierten sich die Persönlichkeiten der drei Freunde noch stärker heraus. Als sie sich in Berlin wieder trafen, war da Artur mit der Maske, die sein verstümmeltes Gesicht verbergen sollte, eine Größe der Berliner Halbwelt. Isi, die Kämpferin klaut einem Soldaten mit ihrer kecken Art einen LKW voller Waffen und Carl war mit seiner Kamera unterwegs um viele wichtige Ereignisse abzulichten. Dass er Zeuge der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wurde, deren verlorenen Schuh er auf dem Pflaster ablichtete, nachdem man Rosa Luxemburg ins Auto zerrte, ließ ihn lange nicht zur Ruhe kommen. .

Jeder der drei Freunde geht seinen Weg und obwohl sie so unterschiedlich sind, gehen sie trotzdem zusammen, aber jeder in seine Richtung. Carl, aus dessen Sicht erzählt wird, landet in den Filmstudios, lernt Filmgrößen wie Pola Negri und Ernst Lubitsch kennen und macht so die ersten Schritte hinter die Kamera des Filmgeschäfts.

Was mir durch dieses Buch erst so richtig vor Augen geführt wurde war, dass diese Zeit nach dem Krieg voller Gewalt und Kriminalität war. Erst dachte ich, dem Autor sei da ab und zu die Phantasie durchgegangen. Doch dann beschäftigte ich mich mit anderen Quellen und irgendwann kam ich zu dem Ergebnis, dass es sich tatsächlich damals in etwa so abspielte, wie in diesem Roman beschrieben. Welch eine unruhige und aufregende Epoche. Würde ich mir wünschen, damals gelebt zu haben - auf keinen Fall.

Während der Lektüre bekommt man ein Gefühl dafür, wie all das Schreckliche, das sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte, langsam an die Oberfläche driften konnte.

Ich glaube, das ist einer der Vorzüge dieses Romans, dass man rückblickend versteht, was den Boden bereitete, für das, was noch kommen sollte.

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Veröffentlicht am 24.08.2021

Das Gestern fließt immer ins Heute

Als wir uns die Welt versprachen
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"Als wir uns die Welt versprachen" ist eine fiktive Geschichte, wie sie sich zum größten Teil tatsächlich hätte abspielen können. Das traurige Schicksal der Schwabenkinder wurde viele Jahre lang nicht ...

"Als wir uns die Welt versprachen" ist eine fiktive Geschichte, wie sie sich zum größten Teil tatsächlich hätte abspielen können. Das traurige Schicksal der Schwabenkinder wurde viele Jahre lang nicht wahr genommen. Es war zu unrühmlich, als dass man daran erinnert werden wollte.

Die Autorin hat sich dieses Themas angenommen und einen Roman daraus gemacht, der sowohl im Gestern als auch im Heute spielt.

Heute: Die 90jährige Südtirolerin Edna macht sich in Begleitung ihres Papageis auf den Weg, ein vor mehreren Jahrzehnten gegebenes Versprechen einzulösen. Edna entspricht so gar nicht der betagten alten Frau, wie man diese Generation sowohl in TV-Filmen, als auch in den Medien üblicherweise darstellt. Zwar sagen auch die Menschen im Umfeld über Edna, sie sei alt und tatterig, brauchte Pflege usw. - im Grunde um selbst nicht belästigt zu werden und das eigene Gewissen zu beruhigen - doch Edna ist ganz und gar nicht damit einverstanden, in ein Pflegeheim abgeschoben zu werden. Würde ich nicht selbst Senioren dieses Alters kennen, die noch fit genug sind (manchmal fitter als 40jährige) ausgiebige Wanderungen oder im eigenen Camper Urlaub zu machen, ich hätte wohl den Kopf geschüttelt und der Autorin zu viel Phantasie bescheinigt.

Die Autorin nahm sich viel künstlerische Freiheit in ihren Schilderungen. Trotzdem fand ich es erfrischend zu lesen, wie sich Edna diesem Klischee "der Alten" widersetzt.

Gestern: Als kleines Mädchen wurde sie als Schwabenkind zu einem reichen Bauern in Dienst gegeben. Es war eine Möglichkeit armer Eltern einen Esser weniger am Tisch zu haben, wenn sie sich nicht in der Lage sahen, ihre Kinder zu ernähren. Soweit die grobe Kurzfassung.

Mein Tipp wäre, dass sich der Leser schon vor Beginn der Lektüre über das Schicksal der "Schwabenkinder" informiert, damit er die Zusammenhänge und Abläufe besser versteht. Es gibt einen sehr guten Film mit T. Moretti, der auch "Schwabenkinder" heißt und das Schicksal dieser Kinder zum Thema hatte. Dass Ausbeutung durch die wohlhabende Herrschaft, brutale Gewalt und auch sex. Missbrauch Tür und Tor geöffnet wurden, versteht sich von selbst. Doch die Knechte (S. 154/158) waren nicht besser. Hier kam die berühmte Hackordnung zum Tragen. Mitleid war für viele ein Fremdwort. Auch sie wurden ausgebeutet, mussten für geringen Lohn viel arbeiten. Da kamen diese schutzlosen Kinder gerade recht, waren oftmals Freiwild. Es waren "Esser", kosteten also Geld und das mussten sie wieder einbringen. Die Not der Schwächeren wurde schon zu allen Zeiten von den Stärkeren ausgenützt.

Doch Edna war auf dem Hof nicht allein. Sie fand einen Freund, Jacob, der sie beschützte - wenn es ihm möglich war. Gemeinsam schmiedeten sie Pläne, aus diesem unerträglichen Dasein zu fliehen. Zusammen bereiteten sie alles für ihre Flucht vor. Mehr will ich über deren Zeit als Schwabenkinder nicht verraten. Ich glaube, diese eindrücklichen Schilderungen lassen niemanden unberührt. In dem Roman ist es Fiktion, doch so oder so ähnlich hat es sich unzählig oft abgespielt.

Zurück zu der Edna von heute. Natürlich war es eine abenteuerliche Reise, auf die sie sich begab. Nachdem sie ihr Geld verloren hatte, musste sie ihren Weg sogar zu Fuß fortsetzen und traf dabei die skurrilsten Menschen, die ihr weiter halfen. Manchmal verstanden sie sich auf Anhieb.

Natürlich kann man sagen, der Autorin sei die Phantasie durch gegangen und es sei von allem etwas zu viel und zu dick aufgetragen. Doch wer schon mal auf Reisen war - ich meine nicht in einem Pauschalurlaub oder in einer Ferienwohnung, sondern mit einem Campingbus - der weiß, solche kunterbunten Leute wie in dem Roman beschrieben, gibt es tatsächlich. Derart ungeplante Begegnungen können außergewöhnlich und auch spannend sein, wenn man den Mut hat, sich darauf einzulassen. Edna hatte keine Berührungsängste. Sie ist ganz und gar keine alltägliche Person. Sie ist eher der Gattung "unbequeme Alte" zuzuordnen. Ein Hauch von später Freiheit durchweht diesen Roman von Anfang bis Ende.

Wie schon am Anfang erwähnt, mir gefiel dieses Buch mit der alten Dame als Protagonistin. Die Autorin wählte eine angenehm zu lesende Sprache. Flickte in den Text immer wieder Lebensweisheiten ein, wie z B. "Denn Menschen verschwinden nie vollständig". (S. 343) oder ...."Der Junge zuckte mit den Schultern. Keine Ahnung.... Dass jedes Ende irgendwie der Anfang von etwas anderem ist. Wie bei einem Kreis, glaube ich." (S. 439)

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Veröffentlicht am 18.02.2021

Rückblick

Ganz oben Ganz unten
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"Ganz oben ganz unten" von Christian Wulff vermittelt dem interessierten Leser einen guten Einblick, wie es hinter den Kulissen der Politik zuging - vielleicht noch immer zugeht. Wahrscheinlich hätte ...

"Ganz oben ganz unten" von Christian Wulff vermittelt dem interessierten Leser einen guten Einblick, wie es hinter den Kulissen der Politik zuging - vielleicht noch immer zugeht. Wahrscheinlich hätte dieses Buch gut 500 Seiten dick sein können und es wäre trotzdem nicht alles gesagt worden, was von Bedeutung war. Vor allem nicht über die Rolle der Medien/Journalisten. Inzwischen haben ja auch schon bekannte Journalisten öffentlich zugegeben, dass sie sich für das, was sie damals schrieben, heute zutiefst schämten. Hinterher ist man eben immer schlauer.

Natürlich schreibt Herr Wulff dieses Buch aus seiner Sicht, so wie die jeweiligen Journalisten damals aus ihrer Sicht berichteten. Ich denke, von niemandem kann man eine völlige Objektivität erwarten.

Zu Beginn geht Herr Wulff auf seinen Werdegang in der CDU, als auch die Vorbereitungen zur Wahl des Bundespräsidenten ein. Er war der Wunschkandidat von Frau Merkel. Ich habe mir zig aussagekräftige Sätze notiert, doch es würde den Rahmen sprengen, wollte ich diese komplett hier aufführen.

Christian Wulff war der bisher jüngste Bundespräsident. Sein Pech, Herr Gauck war der Favorit des Hauses Springer (S.44). Ch. W. geht zu Beginn des Buches auf die Medien und deren Berichterstattung ein. Auf S. 46 können wir lesen:"...Was den Spiegel und das Haus Springer jenseits aller Links-Rechts-Kategorie einte, war der Wunsch, Politik zu machen. Sie wollten nicht mehr über Stärken und Schwächen nominierter Kandidaten berichten, sondern selbst nominieren und Einfluss nehmen auf den Ausgang der Wahl. ...." Auf Seite 48 wird Frank Schirrmacher (FAZ) zitiert, "...Es fällt nicht schwer, in der aktuellen, völlig unpolitischen Debatte Züge des Selbshasses eines bürgerlichen Milieus zu sehen, dessen größtes Abenteuer das Bungee-Springen in Australien war". "Für dieses Publikum, das nach Unterhaltung lechze, sei Joachim Gauck der ideale Kandidat: Wie ein Romanheld lenke er das Publikum ab von seiner eigenen Bequemlichkeit: Der Selbstbetrug der Gesellschaft ist abenteuerlich".

Als Präsident war Ch. W. die Außenpolitik und ein gutes Miteinander der Staaten wichtig. Viele seiner Begegnungen mit anderen Staatsmännern kommen in dem Buch zur Sprache. Im Mai 2011, im Rahmen einer Informationsreise mit dem Diplomatischen Korps auf das Hambacher Schloss machte er auf einige Parallelen zwischen dem arabischen Frühling und dem langen beschwerlichen Weg Deutschlands zur Einheit in Freiheit und Frieden aufmerksam. " Deutschland ist eine junge Nation, die auf dem Weg zur Demokratie viele Rückschläge hinnehmen musste. Wir vergessen das gelegentlich, wenn wir draußen in der Welt mit erhobenem Zeigefinger aufteten". (S. 104)

Sehr interessant und verbindend seine Worte zu den Religionen. Ch. W. weist auf S. 154 des Buches darauf hin, "...dass Joseph Kardinal Frings 1965 türkischen Arbeitsmigranten die Seitenschiffe des Kölner Doms für ihre Gottesdienste zur Verfügung stellte. Damals gab es nicht genügend Moscheen in Köln, und so breiteten hunderte Muslime Ihre Gebetsteppiche im Kölner Dom aus, um das Ende des Fastenmonats Ramadan mit einem Gottesdienst zu feiern...." Ich glaube, den meisten Menschen in diesem Land war dies - genau wie mir - bis dato unbekannt.

Mit großem Interesse las ich seine Sicht auf die damalige Wirtschaftskrise. Vieles hat Ch. Wulff als Bundespräsident angestoßen, was von den Nachfolgern in diesem Amt vollendet wurde. Vielleicht war er dem Denken der damaligen Zeit einfach schon voraus.

Spannend wie ein Krimi lesen sich die Kapitel "Die Jagd" als auch "Die letzte Kugel". Es wird (S.177) eine überlieferte Anekdote des verstorbenen Spiegereporters Jürgen Leinemann zitiert, die das Verhältnis Journalisten - Politiker aufzeigt. Interessant auf der gleichen Seite:"....Als Hans Leyendecker im Namen der Redaktion der Süddeutschen Zeitung im Mai 2012 den Henri-Nannen-Preis für investigativen Journalismus ablehnte, um so gegen die gleichzeitige Auszeichnung der Bild-Zeitung für ihre angebliche Rechercheleistung in meinem Fall zu protestieren - eine Auszeichnung, die nach Meinung der Süddeutschen allen journalistischen Standdards Hohn sprach -, wurde dies von der Zunft als unsolidarisch gebrandmarkt. Die Jury sah sich mit der grundsätzlichen Frage konfrontiert, wie man eine journalistische Leistung bewertet und was mehr zählt: Die Solidarität der Recherche oder die beabsichtigte Wirkung."

Wie heißt es allgemein, "später ist man immer schlauer". So auch Ch. W., der auch seine eigenen Fehler darlegt, zu späte erkannte, dass er Situationen falsch einschätzte und in einigen Fällen auch falsch reagierte.

Inzwischen weiß man, dass Herr Wulff in langwierigen Prozessen völlig rehabilitiert wurde. Siehe das Kapitel "Das Recht". Auf Seite 256 findet dieser Polit-Krimi ein Ende und im letzten Absatz dankt Christian Wulff von ganzem Herzen allen Menschen, die ihm in dieser schwierigen Zeit beigestanden haben Christian Wulff hat inzwischen neue Betätigungsfelder gefunden. U. a. ist er im Auftrag der Kanzlerin für die Bundesrepublik Deutschland im Ausland unterwegs.

Ein Bildteil in der Mitte des Buches zeigt viele seiner politischen Stationen. Das letzte Bild wurde nach dem Freispruch am 27. Februar 2014 aufgenommen.

Während des Lesens dieses fesselnden Buches kam mir immer wieder ein altes deutsches Sprichwort in den Sinn, welches mein Opa - ein politisch interessierter und begeisterter Tageszeitung-Leser - sehr oft im Munde führte: "Einer ist dem Anderen sein Teufel".



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Veröffentlicht am 06.02.2021

Weder Kitsch noch Klischee

Miss Bensons Reise
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Das Buch "Miss Bensons Reise" von Rachel Joyce beginnt in einem englischen Pfarrhaus - mit einem lauten Knall. 1914 war Margery Benson 10 Jahre alt, ihre vier Brüder waren alle im Krieg, als sie von ihrem ...

Das Buch "Miss Bensons Reise" von Rachel Joyce beginnt in einem englischen Pfarrhaus - mit einem lauten Knall. 1914 war Margery Benson 10 Jahre alt, ihre vier Brüder waren alle im Krieg, als sie von ihrem Vater in dessen Arbeitszimmer gerufen wurde und erstmals von dem goldenen Käfer in Neukaledonien hörte. Sofort war ihre Neugierde geweckt. Kurze Zeit später klingelt es an der Haustür und ein Bote brachte ihrem Vater die Schreckensnachricht. (Seite 13) > "Alle?", sagte er. "Wie? Alle vier?" Er nahm etwas aus der Schublade und ging durch die Terrassentür hinaus, und bevor Margery begriff, was passiert war, hatte er sich erschossen.<

Beim Lesen dieses Buch hatte ich die Empfindung, dass diese ganz lapidar erzählte Episode im Hintergrund Margerys Leben mitbestimmte. Bei allem was sie in ihrem Leben antrieb, führte dieses Erlebnis auf eine hintergründige Art Regie.

Der Roman beginnt 38 Jahre später. Margery ist Hauswirtschaftslehrerin - ein Beruf, den sie im Grunde gar nicht mochte. Ihr tatsächliches Interesse gehörte seit diesem denkwürdigen Tag im Pfarrhaus ausschließlich den Insekten.

Unter ihren Schülern kursierte an diesem Morgen eine Karikatur von ihr, die so präzise ihr skurriles Wesen und ihre verschrobene Persönlichkeit abbildete, dass sie selbst über das was sie sah, erschrak. So sahen ihre Schüler also Margery Benson! Es war einer dieser Aha-Momente, die ein ganzes Leben verändern können. Margery beschloss, ihr bisheriges Leben zu verlassen und den goldenen Käfer in Neukaledonien zu suchen. Ein wenig erinnert mich das an Mundus in "Nachtzug nach Lissabon", der auch von einem Moment zum anderen aus seinem Leben ausstieg.

Ganz gezielt ging Margery von nun an vor. Ihr war klar, allein konnte sie diese Expedition nicht schaffen. Also suchte sie mit einer Annonce eine Begleitung für ihre Reise. Am Tag der Abreise hat Margery keine andere Wahl als Enid Pretty mitzunehmen, die in ihrem Hütchen und dem engen, pinkfarbenen Kostüm eher einer Sexbombe gleicht als einer Abenteurerin.

Marge und Enid - gegensätzlicher können zwei Frauen gar nicht sein. Und doch sind sie sich in ihrem Innersten sehr ähnlich. Allerdings entspinnt sich dies erst im Laufe des Romans, als die beiden Frauen Freundinnen werden und sich gegenseitig sowohl traurige als auch glückliche Momente ihres Lebens anvertrauen. Man sollte als Leser eine Faible für skurrilen, englischen Humor mitbringt, damit man diesen - in einigen Passagen - völlig überzogenen Roman genießen kann.

In Neukaledonien zeigt sich Enids Organisationstalent als es gilt, auf sehr unkonventionelle und nicht legale Art die Ausrüstung für die Expedition zu beschaffen. Das Rechtsbewusstsein von Marge bekommt gewaltige Risse.

Hier, am anderen Ende der Welt finden wir uns auf Partys der snobistischen Kolonialherren, der Upperclass von Neukaledonien wieder. Deren gelangweilte Gattinnen müssen irgendwie die Zeit totschlagen, dabei gleichzeitig die Hoffnung hegen, ihrem öden Alltag einen Kick verpassen zu können. Detektiv spielen bietet sich da geradezu an. Und da ist auch Mundic, ein Kriegsveteran aus England, der in den geheimsten Winkeln seines Hirns noch immer glaubt in einem Gefecht in Burma zu kämpfen. Mundic ist das Paradebeispiel des vom Militär vergessenen Kriegsteilnehmers, für den das Land keine Verwendung mehr hatte und um dessen Probleme die Regierungsseite glaubte, sich auch nicht mehr kümmern zu müssen. Anfangs war mir nicht klar, wie dieser durchgeknallte Mann in das gesamte Geschehen passen sollte. Immer wieder taucht er wie ein Schatten von Enid und Marge auf und gibt sich seinen skurrilen Gedankengängen hin, entwickelte Strategien, die nur er verstand. Doch für das Ende dieses Romans ist Mundic unverzichtbar.

Das Buch beinhaltet viele kluge Sätze, wie z. B. auf Seite 247: "Was immer an vernichtender Traurigkeit in einem steckte, reiste mit."

Ach ja, das Ende! Irgendwie gefiel es mir als Leser nicht sonderlich. Doch wäre es anders, würde ich von Kitsch oder Klischee reden. Beides wäre in diesem Buch fehlt am Platz. Versöhnlich dagegen das letzte Kapitel als Anhang.

Dies ist ein Buch für Leser die das Abenteuer lieben. Nichts ist alltäglich was hier geschieht. Der ganze Roman ist auf seine spezielle Art außergewöhnlich. Wäre dieses Buch - insbesondere gegen Ende zu - nicht diesen Touch zu stark überzogen, ich würde 5 Sterne dafür geben. So sind es 4,5.

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