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Veröffentlicht am 23.12.2021

Außergewöhnlich, bildgewaltig, berührend und absolut lesenswert!

In der Ferne
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Mitte der 19. Jahrhundert
Auf ganz Nordeuropa herrscht Armut und Hungersnot. In Schweden bei Söderström's ist auch nicht anders. Durch ein Trick schafft der Vater Geld für zwei Schiffstickets nach New ...

Mitte der 19. Jahrhundert
Auf ganz Nordeuropa herrscht Armut und Hungersnot. In Schweden bei Söderström's ist auch nicht anders. Durch ein Trick schafft der Vater Geld für zwei Schiffstickets nach New York her und schickt seine Söhne Håkan und Linus weg, damit wenigstens die beiden eine bessere Zukunft haben. Doch schon in Portsmouth verlieren die Jungen einander. Håkan, noch ein Kind, der kein Wort Englisch beherrscht, stiegt ins falsche Schiff ein und landet, ohne seine großen Brüder, in San Francisco statt in New York. Es ist die Zeit des Goldrausches, viele Menschen mit Hab und Gut sind nach Amerika ausgewandert, um irgendwann ein besseres Leben zu haben. Nur Håkan hat kein Interesse an das Gold, dafür aber ein Ziel: Er muss sein Bruder wiederfinden, koste, was es wolle. So macht sich ein Junge auf den Weg nach Osten, ohne zu wissen, wie er dort hinzukommen soll, ohne Geld, teils zu Fuß, teils auf dem Pferd, ab und zu in der Gesellschaft, überwiegend allein. Auf seinem Weg stößt er viele verschiedene Menschen auf. Manche sind sehr lieb, helfen und bringen ihm einiges bei. Andere wiederum sehr Böse. So wurde aus einem Jungen aus Schweden eine Legende: Hawk der unbesiegbarer Riese...

Malerisch und eindringlich nimmt Hernan Diaz seine Leser nach „Wilden Westen“ mit und lässt die mit Håkan durch Amerika wandern. Stellenweise ungeschönt, immer wieder lehrreich und berührend erzählt Diaz über Einsamkeit, Entwurzelung, Fremdheit und Menschlichkeit. Ich habe Hawk teils mit Gänsehaut und das ganze Buch lang mit Erstaunen begleitet. Er war für mich irgendwie wie ein kleiner Bruder, welchen ich nicht habe, hab mit ihm gesucht, gelitten, gehofft, geträumt... Eine faszinierte Geschichte, die mich traurig, aber hoffnungsvoll zurückgelassen hat.

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Veröffentlicht am 19.12.2021

Sehr bewegend und macht nachdenklich.

Im Winter Schnee, nachts Sterne. Geschichte einer Heimkehr
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Vornweg: dieses Buch ist der Nachfolgeband von „Im Meer schwimmen Krokodile“. Man kann es zwar auch ohne Vorkenntnisse hervorragend lesen und verstehen, aber es ist natürlich viel bewegender, wenn man ...

Vornweg: dieses Buch ist der Nachfolgeband von „Im Meer schwimmen Krokodile“. Man kann es zwar auch ohne Vorkenntnisse hervorragend lesen und verstehen, aber es ist natürlich viel bewegender, wenn man bereits den ersten Teil gelesen hat.

„Drei Dinge darfst du nie im Leben tun, Enaiat, aus keinem Grund, niemals: Erstens, Drogen nehmen. Zweitens, zu den Waffen greifen. Versprich mir, dass deine Hand nicht einmal einen Holzlöffel halten wird, wenn er dazu dient, einen Menschen zu verletzen. Drittens, stehlen. Was dein ist, ist dein, was nicht dein ist, nicht. Und merke dir, dass es sich immer zu leben lohnt, wenn man einen Wunsch vor Augen hat.“

Mit diesem Versprächen hat seine Mutter Enaiatollah, damals 9-Jahre alt, von Afghanistan ins Pakistan geschmuggelt und dort ohne Schutz, ohne Geld allein gelassen. Wo er als 9-jähriger Arbeit finden konnte, arbeitete er hart, sparte seine ohnehin wenige Groschen für Schlepper. Großenteils zu Fuß, teilweise versteckt in LKWs durchquerte er Iran und Türkei und landet irgendwann in Griechenland. Mit fünfzehn kam er nach Italien und als er die Stimme seiner Mutter zum ersten mal hören konnte, sind schon sieben Jahre verstrichen, ohne Lebenszeichen von beiden Seiten. Als Enaiat den Schriftsteller Fabio Geda zufällig kennenlernte, nahm sein Leben eine Wendung. Mittlerweile ist er ein junger Mann, lebt in Italien, beherrscht die Sprache, arbeitet gern, studiert Politik, hat eine eigene Wohnung. Doch je mehr er in Sicherheit auf eigenen Beinen lebt, desto mehr macht er sich Sorgen um seine Familie in Afghanistan. Als ein Unglück passierte, reist Enaiatollah trotz der Gefahr nach Afghanistan und obwohl er inzwischen mehr Italiener als Afghane ist, findet er sein Glück in seiner Heimat...

Mit einer sehr leichte, ruhige und bildhafte Sprache erzählt Enaiat aus seinem Leben und lässt seine Leser mit vielen persönlichen Momente als Flüchtling teilnehmen. Wir erfahren auch, wie es seine Familie in Afghanistan geht und wie die Umstände dort sind. Einfühlsam, bewegend und sanft berichtet Enaiat, mithilfe der italienische Bestseller-Autor Fabio Geda über Heimat, Identität, Krieg, Armut, Integration und über die Beweggründe für Flucht.

Die beiden Bücher sind aktuell den je und ich kann die nur allen ans Herz legen.

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Veröffentlicht am 17.12.2021

Mein Lesehighlight 2021!

Gestapelte Frauen
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Triggerwarnung: Femizide, Misogynie, (sexuelle) Gewalt gegen Frauen

„Ihre Haut war schön wie die Blütenblätter einer weißen Rose, doch aus der Zeitung wissen wir, dass er sie im Streit als Drecksalbino ...

Triggerwarnung: Femizide, Misogynie, (sexuelle) Gewalt gegen Frauen

„Ihre Haut war schön wie die Blütenblätter einer weißen Rose, doch aus der Zeitung wissen wir, dass er sie im Streit als Drecksalbino bezeichnete. Die Polizei hat den Verdacht, dass Tatiana Spritznner, neunundzwanzig, Rechtsanwältin, keinen Selbstmord begangen hat, sondern von ihrem Ehemann aus dem vierten Stock geworfen wurde“ S.61

Die Namenlose Protagonistin, eine intelligente, junge Anwältin, war Hals über Kopf verliebt in den Charmanten, gebildeten Juristen Amir, bis er sie auf eine Silvesterparty beschimpft, beleidigt und Ohrfeigte. Sie trennt sich sofort von ihm und als ihre Chefin sie für ein Projekt zum Amazonasgebiet schicken möchte, willigt sie ohne Zögern ein. Hauptsache weg von Amir und weg von São Paulo. Sie soll in Acre die Gerichtsverhandlungen zu Frauenmorden verfolgen und darüber berichten. Doch je mehr, dass sie über die Schicksale die Frauen erfährt und deren Familien kennenlernt, desto mehr nehmen die grausamen Ermordungen sie. Denn sie ist nicht nur eine Anwältin mit Spezialgebiet Femizide, sondern auch eine Tochter von eigenem Ehemann ermordeten Frau...

Als ich dieses Buch im März 2021 gekauft hab, dachte ich mir, wegen dem Klappentext, dass es mich emotional mit nehmen würde, was ich ja auch mag! Doch dass es mich so umhauen würde, hätte ich nicht gerechnet. Ich habe diese Geschichte mit teilweise Gänsehaut, Übelkeit, tränennassen Augen und wutentbrannt inhaliert. Stellenweise konnte ich die Geschehnisse nicht verdauen, hab weggepackt um nach paar Minuten wieder einzugreifen. Immer wieder habe ich mir gewünscht, dass es eine Fiktive Geschichte ist, welche ich nach dem Lesen einfach wegpacken und irgendwann vielleicht wieder lesen werde, Pustekuchen! Die gestapelte, gelisteten Frauen sind aus dem Realem Leben.

Schnörkellos, direkt, ungeschönt, schonungslos berichtet Melo über die Frauenmorde, übt dabei Kritik an den Versagen von der brasilianische Politik und patriarchalische Gesellschaft und verbindet die ganze, auf die Tatsachen beruhende Story, mit einer Traumwelt nahtlos zusammen.

Dieses Buch hat mich mitten in meinem Herz getroffen, um mich mit all den Frauen ausbluten zu lassen. Es ist sehr mutig, sehr wichtig und einfach nur Grandios! Mein Lesehighlight 2021! Bitte unbedingt lesen!

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Veröffentlicht am 12.12.2021

Grandios!

Das Jahr des Dugong – Eine Geschichte für unsere Zeit
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Toby Markham... 60 Jahre alt, geschieden, Vater von einer Tochter, erfolgreicher Geschäftsinhaber von einer Londoner Investmentfirma. Neben seiner etlichen Jahren Jüngere Geliebte und sein 490-Ps Luxus-Sportwagen ...

Toby Markham... 60 Jahre alt, geschieden, Vater von einer Tochter, erfolgreicher Geschäftsinhaber von einer Londoner Investmentfirma. Neben seiner etlichen Jahren Jüngere Geliebte und sein 490-Ps Luxus-Sportwagen liebt er Fotografie und Abenteuer, wo er dafür rundum die Welt mit Privat-Jet reist. Doch nach seiner letzte Reise auf dem französischen Alpen wacht er mit großen Schmerzen in einem Raum auf, der ihm völlig fremd ist. Die Menschen, die um ihm sorgen, haben nicht nur komische Namen und reden die eine Sprache, die er nicht versteht, sondern verhalten sie sich auch sehr merkwürdig. Als er sich einigermaßen erholt hat, findet er sich auf der Anklagebank wieder. Denn er hat etwas getan, was man nie mehr rückgängig machen kann...

Jeder, der, „Der Wal und das Ende der Welt“ von John Ironmonger gelesen hat, weiß, dass er sehr bewegend, aber auch erschreckend und beängstigend über die Zukunft schreiben kann. Denn was er in sein „Wal“ geschrieben hat, hat uns nach einem Jahr der Veröffentlichung fast genauso mit Corona getroffen.

In seinem neuen Roman greift er auf die Thematik von Menschengemachte Klimawandeln und die darauffolgende Folgen auf. Spannend und berührend erzählt Ironmoger, in knapp 140 Seiten, über die Vielfältigkeit der Fauna und über die Schönheit von unserem Planeten. Mit diesem dünnen Büchlein hält er ein Riesengroßen Spiegel vor unsere Gesichtern und sagt: wacht auf! Denn nur können wir zusammen unsere Erde retten! Wusstest du, die 40 Prozent der Amphibien, wie Frösche und 34 Prozent der Nadelbäume, wie Tannen vom Aussterben bedroht sind? Denkt dran, ohne diese glitschige Frösche werden wir durch Mücken verbreitete Krankheiten leiden, sogar sterben und ohne Tannen gibt es wohl bald keine besinnliche Weihnachten! Musst du unbedingt ein süßes Brotaufstrich essen, für die Ölpalmenplantage die Urwälder abgeholzt wird? Oder deine Haut und Haare unbedient mit feinsten Shampoo waschen, in dem viele Chemikalien lauern, das unser Grundwasser scheucht? Erfahrungsmäßig kann ich sagen, auch die einfachste Seife reinigt genauso, sogar besser! Ohne all das Erdöl, das du normalerweise für deine Heizung und für dein Auto brauchst!

Es ist kein Sachbuch, wo wir über die bitteren Wahrheiten lesen! Es ist ein Roman, welches uns eher wachrütteln versucht und mich sehr nachdenklich zurückgelassen hat. Denn ich möchte meiner Tochter, irgendwann meinen Enkeln und Urenkeln ein Erde erben, in dem die Pestizide, Mikroplastik, Ozonloch usw. keine Bedeutung hat. Eine der besten Bücher die ich dieses Jahr gelesen und meine Tochter weitergegeben hab. Ich kann es nur weiterempfehlen!

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Veröffentlicht am 08.12.2021

Der Zusammenprall der Kulturen

Wo auch immer ihr seid
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Heimat und Identitätssuche steht in Vorderstelle im 39-jährige ZEIT-Redakteurin Khuê Phạm's Debütroman, dafür sie ihr ganze Familie interviewt hat. Es ist keine Autobiografie, aber der Roman basiert auf ...

Heimat und Identitätssuche steht in Vorderstelle im 39-jährige ZEIT-Redakteurin Khuê Phạm's Debütroman, dafür sie ihr ganze Familie interviewt hat. Es ist keine Autobiografie, aber der Roman basiert auf ihre eigene Familiengeschichte.

Khuê heißt es auch die Protagonistin von Pham. Sie ist 30 Jahre alt, geboren und gewachsen in West-Berlin, älteste Tochter von eines vietnamesisches Paares, welches zum Studieren Ende der 60'er Jahre nach Deutschland gekommen sind. Khuê nennt sich Kimm, nicht, dass ihr Name nicht gefällt, sondern sie kann kaum vietnamesisch, sodass sie ihren Namen nicht aussprechen kann. Eine junge Frau, die mitten im Leben in Berlin auf eigenen Beinen steht. Eine Journalistin, die bis jetzt über jegliche Themen recherchiert hat, aber ihre eigene Familiengeschichte nicht kennt. Es hat sie auch nicht interessiert, denn oft hat sie sich gewünscht, dass ihr Familie deutsch sind und nicht erst deutsch werden müssen. Bis sie eine Nachricht via Facebook von ihrem Onkel Son aus der USA bekommt und mit ihren Eltern nach Kalifornien fliegt...

“Wo auch immer ihr seid“ ist mehr als eine Familiengeschichte, eher geht es hier um Zusammenprall von zwei völlig verschieden Kulturen. Die Story fängt in Berlin an. Wir lernen die sympathische Protagonistin Khuê in ihrem Alltag kennen. Sie lebt mit ihrem Freund Dorian zusammen, genießt ihr Jungsein, in dem die vietnamesische Sitten gar kein Platzt hat. Im zweiten Erzählstrang begleiten wir Khuês Vater Minh. Minh ist der älteste Sohn von der siebenköpfigen Familie, die mit deren Schneiderei in Saigon einigermaßen gut leben. Doch als der Krieg spürbar wurde, schicken ihm seine Eltern um zu Medizin studieren nach Deutschland. In der dritten Handlung begleiten wir Khuês Onkel Son in kriegszerstörten Saigon und auf seinem Flucht nach USA. Der Wechsel der Perspektiven schmelzen miteinander und würzen die Story mit einer extra Prise Authentizität.

Pham hat eine unglaublich mutige, fesselnde, eindrucksvolle Geschichte über Kriegsschrecken, Identität, Entwurzelung und Migration erschaffen, welche ich sehr gerne gelesen hab und nur weiterempfehlen kann.

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