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Veröffentlicht am 24.01.2022

Geschickte Konstruktion mit einigen überraschenden Handlungsabläufen

Das Therapiezimmer
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„Das Therapiezimmer“ im gleichnamigen Thriller der US-Amerikanerin Aimee Molloy ist anders als nach dem Cover zu vermuten wäre, mit hochwertigen Möbeln eingerichtet. Weil der Psychotherapeut Dr. Sam Statler ...

„Das Therapiezimmer“ im gleichnamigen Thriller der US-Amerikanerin Aimee Molloy ist anders als nach dem Cover zu vermuten wäre, mit hochwertigen Möbeln eingerichtet. Weil der Psychotherapeut Dr. Sam Statler eine höhere Geldsumme erwartet, investiert er schon vorab in schöne, aber auch teure Dinge zu denen auch ein Sessel für seine Praxis gehört, die er vor kurzem erst neu angemietet hat. Er ahnt nicht, dass die Therapiestunden mit seinen Patienten von Jemandem belauscht werden, der nicht dazu berechtigt ist.

Um die Spannung von Beginn an aufzubauen, erzählt die Autorin im Prolog, dass Sam in einer Unwetternacht verschwunden ist. Danach folgt der erste von drei Buchabschnitten. Im Wechsel wird die Geschichte von einem allwissenden Erzählenden geschildert und einer unbenannten Figur, die aus der Ich-Perspektive heraus vom Geschehen berichtet.

Sam ist erst seit kurzem verheiratet und gemeinsam mit seiner Frau Annie in seine Heimat gezogen, die einige Kilometer entfernt von New York, wo die beiden bisher lebten, liegt. Dadurch ist er auch in der Nähe seiner dementen Mutter, die er dort im Pflegeheim untergebracht hat. In dem kleinen Ort hat er Praxisräume nach seiner Vorstellung gefunden. Die Anzahl seiner Patienten wächst und es bleibt dem jungen Glück genügend Zeit ihrem ganz persönlichen Spiel nachzukommen, bei der Annie sich eine Rolle mit amouröser Umsetzung ausdenkt. Dazu gibt Aimee Molloy im ersten Teil einige Beispiele.

Der Ich-Erzählende findet durch Zufall eine Möglichkeit, die Therapiegespräche zu belauschen. Während er zuhört bildet sich in seinen Gedanken jeweils ein Bild vom Patienten, den er nicht sehen kann. Bei mir bildete sich dagegen beim Lesen des ersten Buchabschnitts eine Vorstellung dieser Hauptfigur, was von der Autorin beabsichtigt ist, denn dadurch entsteht ein Katz- und Maus-Spiel mit dem Lesenden in Bezug auf die Identität der Person. Erst im zweiten und dritten Teil konnte ich mehr zu diesem Charakter erfahren und allmählich fügten sich wie bei einem Puzzle die erhaltenen Informationen zu einem Ganzen.

Obwohl der Einstieg in den Thriller verwirrend war, hat er mich doch bestens unterhalten. Die Spannungskurve blieb durch unerwartete Wendungen hoch, zunächst durch das Aufdecken der Persönlichkeit des Ich-Erzählenden und später aufgrund der Suche nach Sam, dessen Aufenthaltsort ich als Leserin früh erfuhr und daher mitfiebern konnte, ob er gefunden wird. Das Motiv für seine Entführung konnte mich allerdings nicht ganz überzeugen.

Aimee Molloy legt in ihrem Thriller „Das Therapiezimmer“ falsche Fährten aus, um den Lesenden in mehrfacher Sicht zu täuschen. Dank ihrer geschickten Konstruktion mit einigen überraschenden Handlungsabläufen blieb die Geschichte durchgehend auf einem hohen Spannungsniveau. Es war fesselnd der Entwicklung zu folgen. Gerne empfehle ich das Buch weiter.

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Veröffentlicht am 19.01.2022

Beste Unterhaltung für alle, die Politthriller mögen

Never - Die letzte Entscheidung
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Der Roman „Never – Die letzte Entscheidung“ von Ken Follett ist ein Thriller rund um Geheimdienste und die Erhaltung des Weltfriedens mit einem dystopischen Hintergrund. Wie die Steinchen auf dem Cover ...

Der Roman „Never – Die letzte Entscheidung“ von Ken Follett ist ein Thriller rund um Geheimdienste und die Erhaltung des Weltfriedens mit einem dystopischen Hintergrund. Wie die Steinchen auf dem Cover können kleine Störungen im Weltgeschehen die Eintracht wie im Dominoeffekt zum Umkippen bringen. Es würde dazu führen, dass die US-amerikanische Präsidentin Green die schwierigste Entscheidung in ihrer beruflichen Laufbahn eventuell zu treffen hätte. „Never“ hat sie damit gerechnet, niemals rechnet irgendjemand damit, dass es dazu kommen kann. Ken Follett beschreibt spannend eine Möglichkeit, die Steine zum Umfallen zu bringen.

Die Geschichte spielt an mehreren Handlungsschauplätzen in einer nahen Zukunft. Während Präsidentin Pauline Green ihren täglichen Geschäften zur Lenkung des Staates nachkommt, bahnt sich in ihrer Familie eine Krise an die damit beginnt, dass die Klassenlehrerin ihrer 14-jährigen Tochter sie zu einem Gespräch über deren Betragen in die Schule gebeten hat.

Im gleichen Zeitraum ist die US-amerikanische Geheimdienstagentin Tamara Levit im Tschad damit beauftragt, einen Terroristen zu finden. Sie arbeitet eng mit dem im Libanon geborenen und ebenfalls für die CIA arbeitenden Abdul John Haddad zusammen, der sich im Rahmen seines Auftrags auf eine gefährliche Reise bis zur Nordküste Afrikas begibt, bei der Drogen geschmuggelt werden.

Im fernen China sind die Aktivitäten der CIA nicht unerkannt geblieben. Chang Kai ist der Vizeminister für Internationale Information und dem Sicherheitsminister unterstellt. Er ist für die Lösung von Problemen zwischen China und anderen Staaten zuständig. Das Land gerät aufgrund seiner Waffengeschäfte mit einem afrikanischen Land in das Visier der Spionageabwehr der USA.

Ken Follett beginnt den Roman mit der Erzählung über einen gewöhnlichen Alltag im Leben der Präsidentin der USA und diversen Geheimdienstlern. Er vermittelte mir damit ein Gefühl, dass es zwar viel Unrecht und Leid auf der Erde gibt, aber aufrichtige Menschen damit beschäftigt sind, alles ins Lot zu bringen und dabei nach einer vorrangig friedlichen Lösung suchen. Weiter führt der Autor aber die Möglichkeit an, dass sich aus dem Kleinen heraus nach und nach eine ständig steigende Gefahr entwickelt.

Detailliert vermittelt der Autor ein Bild von den einzelnen Tätigkeiten im Beruf der Protagonisten. Er bindet jedoch auch das Privatleben von Pauline, Tamara, Abdul und Kai während der Zunahme der politischen Gefahr mit ein und lässt mich als Leserin daran teilhaben. Dadurch bringt er den Lesenden sehr nah an seine Figuren ran. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Handlungsplätze und ausführlicher Beschreibungen konnte ich mehr über die verschiedenen Kulturen erfahren.

Soweit sie für das Verständnis des Romans benötigt werden, erklärt Ken Follett die Strukturen der einzelnen Länder und den Machtaufbau der Geheimdienste. Dabei stellte ich fest, dass man auf einer unteren Ebene zwar einiges bewirken kann, aber der Verdienst oft einer oberen Position zugeordnet wird.

Der Autor gestaltet Szenen lebendig und lässt seine Figuren glaubhaft handeln. In seinen historischen Romanen hat er häufig über Ränke und Intrigen an Königshöfen geschrieben und zeigt nun, dass auch die Gegenwart voller Machenschaften und Hinterhältigkeit in der Gesellschaft ist. Die Politik muss darauf reagieren, damit der Staat einerseits nicht als leicht einnehmbar gilt und andererseits die eigene Bevölkerung nicht in Gefahr gebracht wird.

Zu Beginn war die Spannungskurve noch ansteigend, flachte dann aber aufgrund der kleinteiligen Darstellung des Taktierens der Staaten und der ausführlichen Darstellung des Tags der Protagonisten im Mittelteil ab um dann in einem furiosen Finale zu enden. Neben der großen Weltpolitik bindet der Autor auch mehrere Liebesgeschichten ein, mal im Verborgenen blühend, mal kräftig und innig.

Der Roman „Never – Die letzte Entscheidung“ von Ken Follett bietet Lesenden, die Politthriller mögen, beste Unterhaltung. Der Autor verdeutlicht in einem realistisch vorstellbaren und beunruhigenden Szenario wie kleine Probleme, die irgendwo auf der Welt von der dort herrschenden Regierung als störend angesehen werden zu einem international bedeutenden Affront führen können, der den Frieden in Frage stellt. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 09.01.2022

Geschickte Konstruktion, die manchmal an der Wirklichkeit vorbei geht, aber möglich ist

Playlist
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Der Titel des Psychothrillers „Playlist“ von Sebastian Fitzek nimmt Bezug auf eine Liste mit Audiodateien, die das Opfer eines Entführers zusammengestellt hat. Sie spielt im weiteren Verlauf eine wichtige ...

Der Titel des Psychothrillers „Playlist“ von Sebastian Fitzek nimmt Bezug auf eine Liste mit Audiodateien, die das Opfer eines Entführers zusammengestellt hat. Sie spielt im weiteren Verlauf eine wichtige Rolle. Das Cover des Buchs ist dazu passend und ansprechend gestaltet, der Eyecatcher in der Mitte zieht Blicke auf sich. Die Inhaltsangabe wurde kurz und knapp gehalten und macht neugierig darauf, wie Text und Songs zusammenhängen.

Die 15-jährige Feline Jagow wurde vor einigen Wochen entführt. Ihre Mutter Emilia, die das Verhalten ihres Mannes in einer bestimmten Situation merkwürdig vorkommt, wendet sich an den privaten Ermittler und ehemaligen Polizeireporter Alexander Zorbach. Alina Gregoriev, die Physiotherapeutin ihrer Tochter, hat ihr Zorbach empfohlen. Fans des Autors erinnern sich spätestens bei der Kombination der Namen Zorbach und Gregoriev an die beiden Thriller „Der Augensammler“ und „Der Augenjäger“, bei denen die beiden gemeinsam ermittelt haben. Ich kenne die beiden Bücher auch, konnte mich aber kaum an deren Inhalt erinnern. Sebastian Fitzek lässt an geeigneten Stellen entsprechende Informationen über die vergangenen Ermittlungen einfließen, so dass das Lesen ohne Verständnisprobleme möglich ist.

Zorbach und Gregoriev erkennen im weiteren Verlauf der Geschichte ein ähnliches Muster im Vorgehen des Entführers wie sie der Augensammler damals angewendet hat. Es sind kaum Spuren vorhanden, die zu Feline führen könnten. Einzig eine Playlist bei einem Musikdienst könnte ein Hinweis sein, denn sie wurde noch vor Kurzem geändert. Die beiden klammern sich an die Hoffnung, dass Feline ihnen damit eine Nachricht zukommen lassen will. Ihnen ist klar, dass eventuell das Leben des jungen Mädchens davon abhängt, wie schnell sie die Liste gedeutet haben.

Sebastian Fitzek hat auf einzigartige Weise Songs, die eigens für seinen Thriller von namhaften Künstlern komponiert wurden, mit dem Inhalt verbunden. Man muss jedoch nicht unbedingt die Lieder hören, um dem Inhalt folgen zu können, denn der Autor zitiert die Auszüge aus den Texten, die für die Handlung relevant sind. Dennoch finde ich es eine großartige Idee, die beiden Medien miteinander unmittelbar zu verknüpfen und das Hören beim Lesen sorgt für eine gewisse Atmosphäre durch schnelle Beats oder ruhigere Klänge.

Die Entschlüsselung der Playlist ist stark konstruiert, bringt aber die Ermittlungen weiter. Es gelingt Sebastian Fitzek, Fährten zu Tatverdächtigen zu legen, die nicht nur Zorbach und Gregoriev sondern auch den Lesenden täuschen und für weitere Spannung sorgen. Während das Ermittlerduo kooperiert, obwohl Gregoriev sich nur widerwillig auf eine Zusammenarbeit einlässt, wählt Emilia eine alleinige, eigenwillige Vorgehensweise, um Feline näher zu kommen. Dabei greift der Autor zu Mitteln, die eher unrealistisch sind, aber die Spannung hochhalten und zu weiteren Verwicklungen führen. Es sind Beschreibungen von grausamen Taten beinhaltet, die meist schon geschehen sind, weswegen ich den Thriller nicht für empfindsame Lesende geeignet finde.

Mit „Playlist“ gelingt es Sebastian Fitzek erneut, den Lesenden spannend zu unterhalten. Von Beginn an baut er Spannung auf und hält sie bis zum Ende. Durch eine geschickte Konstruktion, die zwar manchmal an der Wirklichkeit vorbei geht, aber dennoch im Bereich des Möglichen liegt, kommt es zu zahlreichen Wendungen, die mich als Leserin überraschten. Im Vergleich gesehen halte ich „Playlist“ nicht für den besten Thriller des Autors, aber er hat mir besser als das Buch „Der Heimweg“ gefallen, das ich von ihm gelesen habe. Definitiv ein Must-Read für diejenigen, die den Fall des „Augensammlers“ verfolgt haben, ein Muss für Fitzek-Fans und eine Empfehlung an alle Thrillerfreunde.

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Veröffentlicht am 19.12.2021

Ein Roman über den Zusammenhalt in der Familie

Der süße Himmel der Schwestern Lindholm
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Im Roman „Der süße Himmel der Schwestern Lindholm“ nimmt Andrea Russo die Lesenden mit nach Schweden. Dort befindet sich auf der Kulla-Halbinsel an der Küste des Öresunds das Café „Söta Himlen“, auf Deutsch ...

Im Roman „Der süße Himmel der Schwestern Lindholm“ nimmt Andrea Russo die Lesenden mit nach Schweden. Dort befindet sich auf der Kulla-Halbinsel an der Küste des Öresunds das Café „Söta Himlen“, auf Deutsch „Süßer Himmel“, das in den 1930ern von den Schwestern Lindholm gegründet wurde.

Inzwischen führt Britt das Café, das anfangs nur eine Bäckerei war, in der dritten Generation. Eines Tages trifft ein Brief aus Deutschland ein. Eine gewisse Julia hat den Brief geschrieben und behauptet, mit der Familie verwandt zu sein. Sie hat ein Notizbuch beigefügt, dass eine Rezeptsammlung aus den 1930er Jahren enthält. Britt weiß, dass es damals entwendet wurde und sie hat auch sogleich eine Vermutung darüber, wie Julia in den Besitz der Rezepte gekommen ist.

Im Folgenden wechselt die Autorin in die Vergangenheit und ich erfuhr mehr über die Familiengeschichte und die Gründung des Cafés. Im Jahr 1936 war das Leben für die fünf Geschwister Hannah, Ingrid, Mathilda, Ebba und Ulla Lindholm noch eher unbeschwert. Ihr Vater hatte zwar vor einiger Zeit seine Arbeitsstelle verlorenen und arbeitete seitdem in einem Erzbergwerk in seiner Geburtsstadt im Norden von Schweden, doch die Eltern hatten sich damit arrangiert. Das Geld, das der Vater schickte und die Einnahmen aus der Bäckerei reichten zum Leben aus.

Während die beiden ältesten Schwestern Hannah und Ingrid anfangs mit ihrem Zuhause stark verbunden sind und sich nicht vorstellen können, den kleinen Ort je zu verlassen, träumt Matilda von einer Schauspielkarriere. Die beiden Zwillinge Ebba und Ulla sind noch Schülerinnen und beneiden oft den Zusammenhalt ihrer drei ältesten Geschwister. Nebenan wohnen die Großeltern. Bereits die Großmutter hat die Bäckerei betrieben und hilft immer noch mit. Hannah und Ingrid haben sich in der Backstube und im Verkauf einen Platz gesucht. Für sie ist es nicht immer leicht sich zu behaupten, nicht nur untereinander, sondern auch gegenüber der Kritik von Mutter und Oma.

Als Hannah sich in Karl verliebt, der in Berlin beheimatet ist, ändern sich ihre Pläne und auch Ingrid und Matilda müssen für sich wichtige und schwierige Entscheidungen für die kommende Zeit treffen. Zur Absicherung ihrer Einnahmen beschließen alle gemeinsam, die Bäckerei um ein Gartencafé zu erweitern. Währenddessen befindet sich Deutschland politisch weiterhin in einem Umbruch, der seine langen Schatten aufgrund der Beziehung von Hannah zu Karl auch auf die Familie wirft.

Andrea Russo zeigt, wie nah sich Schwestern stehen können, auch wenn sie vom Charakter her verschieden sind. Trotz immer neuer Sorgen halten alle in der Familie zusammen und stehen, so gut es geht, füreinander ein. Das reicht soweit, dass sie auch in der Bäckerei mal die Arbeit einer anderen übernehmen bis hin zu konstruktiven gemeinsamen offenen Aussprachen.

Da die Perspektiven zwischen den Figuren wechseln, werden einige Ereignisse manchmal aus der Sicht von mehr als einer Person erzählt, was zu kleinen Längen führt. Bis zum Schluss hin erklären sich schließlich die Fragen, die im Prolog aufgeworfen wurden. Dennoch bleibt vieles offen, was in der Generation zwischen den Cafégründerinnen und der heutigen Inhaberin Britt geschehen sein mag und Thema in der Fortsetzung sein wird.

„Der süße Himmel der Schwestern Lindholm“ von Andrea Russo ist ein Roman über den Zusammenhalt in einer Familie in den 1930ern in Schweden. Die rundum sympathischen Figuren haben Verständnis füreinander, sind bereit zu vergeben und verhalten sich nach außen hin tolerant. Gerne vergebe ich ein Leseempfehlung für diese unterhaltsame Geschichte.

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Veröffentlicht am 05.12.2021

Faszinierend und erschreckend zugleich

Every (deutsche Ausgabe)
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Sieben Jahre nach dem Erfolg des Romans „Der Circle“ des US-Amerikaners Dave Eggers erscheint mit seinem Buch „Every“ die Fortsetzung. Auf dem Vortitel im Buch und der Inhaltsangabe auf dem Schutzumschlag ...

Sieben Jahre nach dem Erfolg des Romans „Der Circle“ des US-Amerikaners Dave Eggers erscheint mit seinem Buch „Every“ die Fortsetzung. Auf dem Vortitel im Buch und der Inhaltsangabe auf dem Schutzumschlag bietet der Autor die folgenden drei Untertitel an: „Endlich ein Gefühl von Ordnung“, „Die letzten Tage des freien Willens“ und „Grenzenlose Auswahl zerstört die Welt“. Die unterschiedlichen Aussagen zeigen, dass es verschiedene Auffassungen von ein und derselben Sache geben kann.

Im Buch dreht sich dabei alles um die digitalen Produkte des Unternehmens Every, das nach dem Aufkauf eines E-Commerce-Riesen durch den Circle entstanden ist. Auf dem Cover ist das neue Logo der Firma zu sehen, das aus drei Wellen um einen vollkommenen Kreis herum besteht, was mehr oder weniger unendliche Möglichkeiten zur sozialen Vernetzung durch Kommunikationssysteme darstellen soll.

Delaney Wells hat verschiedene Gründe, um das Unternehmen Every zu zerschlagen. Daher bewirbt sich die studierte Geisteswissenschaftlerin um eine Anstellung. Bereits in ihrer Abschlussarbeit am College hat sie sich mit der Auslegung des von ihr gewählten Themas auf die Seite von Every gestellt, was ihr jetzt zugutekommt und schon damals ihr Plan war, um Vertrauen zu wecken. Von ihrem weiteren Vorgehen hat sie noch keine genauen Vorstellungen, denn zunächst möchte sie in einer Jobrotation nach Schwachstellen suchen, die sie dann für ihren Zweck ausnutzen kann. Von ihrem Anliegen weiß nur noch ihr Mitbewohner Wes, der ihr bei der Programmierung ihrer Ideen zu neuen Apps hilft und auch eigene Vorschläge beisteuert.

Dave Eggers unterbreitet dem Lesenden ein wahres Feuerwerk an Einfällen für neue digitale Produkte, die von Every hergestellt werden. Auch für nichttechnische Angestellte wie Delaney gibt es genügend Arbeitsplätz im Betrieb. In der ersten Zeit scannt sie zum Beispiel Fotos und Gegenstände, die anschließend vernichtet werden und zukünftig nur noch digitalisiert existent sind. Als Mitarbeiterin merkt sie schnell, dass die Kontrollen der Angestellten bei weitem noch ausgedehnter und raffinierter sind, als sie im Vorfeld recherchiert hat. Dabei werden vom Unternehmen die Bewertungen und Anregungen immer nur als positiv zur Förderung des Miteinanders, der Gerechtigkeit und Klarheit dargestellt. Die Zeit jedes Einzelnen wird aufgrund diverser Apps, die jeder auf seinem Smartphone installiert haben sollte, durch Empfehlungen und Anweisungen permanent optimiert.

Schon kurze Zeit nach ihrer Arbeitsaufnahme kommt Delaney auf den Gedanken, dass sie Every am besten mit unmöglichen Ideen versorgen sollte, für deren Umsetzung das Unternehmen dann an Ansehen in der Öffentlichkeit verlieren wird bis es am Abgrund steht. Im Folgenden versorgt Dave Eggers den Lesenden mit allen möglichen skurril erscheinende Ideen. Er betrachtet sie von mehreren Seiten, so dass der zwiespältigen Anwendungssoftware immer auch Positives abzugewinnen ist. Entsprechende Apps finden sich auch heute schon in unserem Alltag, was mich sehr nachdenklich über die weitere reale Entwicklung stimmte. Natürlich zögert der Autor nicht, die Schattenseiten der Nutzung beispielhaft ausführlich zu belegen und auf die Spitze zu treiben.

Im Roman begegnet die Protagonistin vielen weiteren MitarbeiterInnen bei Every, doch nur für sie selbst und Wes beschreibt Dave Eggers einen ausführlicheren familiären Hintergrund, was ich schade fand. Die meisten der handelnden Personen wirkten recht statisch auf mich. Obwohl Delaney sich ein hohes Ziel gesetzt hatte, strebte sie mehr oder weniger arglos darauf zu. Im letzten Drittel des Buchs nimmt die Handlung dann Fahrt auf und sorgt noch für einige Überraschungen und unerwartete Wendungen.

Mit dem Roman „Every“ hat Dave Eggers die Fortsetzung seines Buchs „Der Circle“ geschrieben, in dem er erneut unsere Gesellschaft mit deren Problemen konfrontiert. In Form der Protagonistin Delaney stellt er sich gegen eine ständige Überwachung und Auswertung von Zahlen, die Applikationen aus unserem Alltag gewinnen, egal ob es körperliche Werte sind oder solche, die mit unserem Tun in Zusammenhang stehen. Gleichzeitig zeigt er aber auch die positiven Seiten solcher Anwendungssoftware. Viele der Ideen des Autors zu Apps wirken realisierbar, was die Erzählung faszinierend und erschreckend zugleich macht. Gerne empfehle ich das Buch an alle weiter, die einen (überspitzten) Blick auf eine mögliche Zukunft unserer Gesellschaft werfen wollen.

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