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Veröffentlicht am 19.08.2023

Nebulös

Belohnungssystem
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Julia erhält nach einigen Probearbeiten die Stelle als Köchin in einem gehobenen Lokal, verliebt sich in den dortigen Chef, der fast doppelt so alt ist wie sie. Ihr Ex-Freund Nick kann sich als Werbetexter ...

Julia erhält nach einigen Probearbeiten die Stelle als Köchin in einem gehobenen Lokal, verliebt sich in den dortigen Chef, der fast doppelt so alt ist wie sie. Ihr Ex-Freund Nick kann sich als Werbetexter nicht so recht etablieren und zieht mit 27 wieder zu seinen Eltern. Das Leben und Lieben der Millennials aus unterschiedlichen Perspektiven.

Als Erstes ins Auge fällt das stilisierte Symbol, das sich bei Internetrecherchen im Kreis dreht und hier jeder einzelnen Geschichte vorangestellt ist. Anders als bei der online-Suche, findet man hier weniger oft Erwartetes und Hilfreiches. Jem Calders Schreibstil ist sehr gewöhnungsbedürftig, wirft dem Leser teils umständlich formulierte, in sich verstrickte Satzkonstruktionen hin, dafür sind Kapitel, oder eher Abschnitte, oft auf extreme Kürze reduziert. Anfangs lernt man Julia kennen, eine junge, engagierte Köchin, die ihren Platz sucht, aber keine eigene Identität aufbaut, sondern ihre Vorgängerin nachahmt. Mit Ellery, ihrem Chef, beginnt sie eine unverbindliche Affäre, die aber ebenso wie alles andere in diesem Buch, nicht tiefgründig und nicht von Dauer ist. In weiteren kurzen Geschichten geht es um andere Figuren, Julia taucht als Nebenrolle wieder auf. Das Leben spielt sich ab auf Partys, mit verschwommenen, trotzdem abstoßenden Bettszenen und Drogenkonsumenten, die später an die Glaswand einer Busstation kotzen. Oder in tristen Büros, wo man nur noch Zeit absitzt und wartet. Hoffnungslos.

Ist das das Bild der jungen Menschen von heute, welches Jem Calder hier zeichnet? Identität und soziales Leben in Abhängigkeit von Internet und schnell veränderbaren Einblicken über digitale Plattformen, algorithmusgesteuerte Dating-Apps? Belohnungssystem folgt keiner Handlung im klassischen Sinn, einen gewissen roten Faden über zwischenmenschliche Beziehungen und die (Un)Möglichkeit, individuelle Handlungen zu setzten, scheint es aber doch zu geben. Trennt oder verbindet die virtuelle Welt?

Sämtliche Figuren in diesen aneinandergereihten Episoden bleiben ebenso verwaschen wie das bunte Gesicht am Titelbild. Nebulöse Zeilen, rasch wechselnde Szenen, oftmals gekürzt auf Momentaufnahmen, so präsentiert sich dieses Buch, welches mich leider in keiner Weise ansprechen kann. Für mich war das Lesen nicht „nice“, sondern eher anstrengend. Immer wieder neugierig auf Neues, gehöre ich wohl doch nicht zur Zielgruppe dieses Experiments, welches hier geboten wird, nämlich „neue Namen und Themen zumuten“, wie es Claassen wichtig ist (Quelle: amazon). Auch wenn ich diesmal noch nicht so recht weiß, was ich mit dem Gelesenen anfangen soll, so ist es trotz allem wichtig, dass jede Art von Literatur einen Platz findet und in ihrer Vielfalt präsentiert wird. Bestimmt wird auch „Belohnungssystem“ begeisterte Leser finden!


  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.01.2023

Trostloses Oberösterreich

Wilderer
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Jakob übernimmt schon in jungen Jahren viel Verantwortung für die elterliche Landwirtschaft, wird aber von seiner Familie und auch von den anderen Dorfbewohnern nicht für voll genommen. Der Grund dafür ...

Jakob übernimmt schon in jungen Jahren viel Verantwortung für die elterliche Landwirtschaft, wird aber von seiner Familie und auch von den anderen Dorfbewohnern nicht für voll genommen. Der Grund dafür ist wohl seine in sich gekehrte, wortkarge Art. Mit der Künstlerin Katja, die als Praktikantin auf den Hof zieht, scheint sich alles zum Besseren zu wenden. Die bisherigen Niederlagen etwa mit der Fischzucht soll ein Hof mit biologischer Tierhaltung und einem eigenen Hofladen ablösen.

Mit einer sehr nüchternen Sprache schafft Rainhard Kaiser-Mühlecker jene Distanz, welche Hauptfigur Jakob selber zu seinen Mitmenschen verspürt und einhält. Am liebsten geht er allen aus dem Weg und arbeitet für sich allein. Seine eigenbrötlerische Art bringt ihm Misstrauen und Ablehnung entgegen, lediglich sein handwerkliches Geschick ist gefragt im Dorf. Als Katja mittels Stipendium einige Zeit in Oberösterreich verbringt, nähert sie sich Jakob an, aber auch hier gibt es keine spürbaren Gefühle, keine Nähe, schon gar nicht Liebe im eigentlichen Sinn. Alles fühlt sich beim Lesen wie Zweckmäßigkeit an, später heißt es gar: „Katja war der einzige Mensch in seinem Leben, dessen Anwesenheit ihn nie störte, noch nie gestört hatte.“ (kindle, Pos. 3106). Und das über jene Frau, die er geheiratet hat.

Auch wenn Jakob gut auskommt mit seinen Tieren am Hof, so scheinen auch sie nur einen Zweck zu erfüllen. Ärgert er sich, dann schimpft er Mensch und Tier „scheißverdammte Zauk“. Irgendwie vermag auf keiner Seite dieses Romans etwas wie Freude aufzukommen, die Zeilen des Autors verbreiten Trostlosigkeit und ein Hineinfügen ins Schicksal, weil ER das so will. Obwohl Jakob immer wieder neu beginnt, ja mit Katja gemeinsam sogar Erfolg hat, so verspürt man beim Lesen über den jungen Landwirt keine Spur von Glück, Fröhlichkeit oder Leichtigkeit. Irgendwie scheint der Mann verbissen jeden Tag seines Lebens wegzukämpfen, scheint, ebenso wie alle anderen Figuren in diesem Schauspiel, eine Marionette seiner selbst zu sein, gefangen in einer starren Hülle. Zu allem Überdruss wird dann noch der unterschiedliche Umgang mit „der Seuche“ abgehandelt, was den letzten Funken Hoffnung auf eine positive Wendung an der Wurzel vertilgt.

Leider kann ich mit diesem Buch nichts anfangen, weder die sprachliche Umsetzung noch die szenenhafte Handlung mit leblos wirkenden Figuren lässt eine wirklichkeitsnahe Landwirtschaft vor meinem geistigen Auge erwachen. Lediglich die Vorstellung, dass eine reale Person Vorbild gewesen sein könnte für Jakob, jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken.


Titel Wilderer
Autor Reinhard Kaiser-Mühlecker
ASIN B09JVNK79Q
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Gebundenes Buch (352 Seiten)
Erscheinungsdatum 9. März 2022
Verlag Fischer

Veröffentlicht am 20.02.2022

Episoden aus Westjütland

Meter pro Sekunde
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Dolph kommt wegen ihres Mannes nach Westjütland und muss sich erst eingewöhnen. Ihr Leben in der Heimvolkshochschule, die Anforderungen als junge Mutter und die Führerscheinprüfung sind wesentliche Eckpunkte ...

Dolph kommt wegen ihres Mannes nach Westjütland und muss sich erst eingewöhnen. Ihr Leben in der Heimvolkshochschule, die Anforderungen als junge Mutter und die Führerscheinprüfung sind wesentliche Eckpunkte in diesem Buch.

Gewöhnungsbedürfnis auf beiden Seiten ist hier zentrales Thema. Die junge Protagonistin auf der einen, die Dorfbewohner mit ihren „kurzen Sätzen“ auf der anderen. Insbesondere die Leiterin der Heimvolkshochschule versucht vermittelnd einzugreifen, ist sie doch selber eine vor vielen Jahren „Zugereiste“, aber sehr gerne auf Dauer geblieben. Einfühlsam erklärt sie der Ich-Erzählerin die Eigenheiten der Hiesigen und wie sie ein Teil der Gemeinschaft werden könnte. Zuallererst braucht sie einen Job, und der ist bei der lokalen Zeitung rasch gefunden. Der Kummerkasten muss betreut werden, und so fließen die unterschiedlichsten Anfragen und Dolphs Antworten in diese Geschichte mit ein, erklären die Charaktere und zeigen, wie die junge Neue im Land mit all den Herausforderungen umgeht. Weiters sind zahlreiche Gedichte und Liedtexte abgedruckt, womit das Jahr der Eingewöhnung abgerundet wird.

Leider gibt es in Meter pro Sekunde keine kontinuierliche Handlung, keine Spannung, keinen Höhepunkt. Der Weg ist das Ziel, scheint hier das Motto zu sein. Einzelne Episoden reihen sich aneinander, der Name der Hauptfigur fällt ein einziges Mal bei einer Fahrstunde. Möglicherweise irre ich mich aber auch in diesem Punkt.

Selbst wenn das Leben in einer fremden Region zu Beginn schwierig und herausfordern ist, so verstehe ich viele Züge der Protagonistin nicht, alleine die Überlegungen zum Namen des Kindes gleich am Anfang, der übrigens auch sehr verwirrend zu lesen ist. So plätschern die Tage, Wochen, Monate dahin und irgendwann ist man am Ende angelangt.

Leider bleibt „Dänemarks erfolgreichster Roman der letzten Jahre“ weit hinter den Erwartungen zurück.



Titel Meter pro Sekunde

Autor Stine Pilgaard

ISBN 978-3-9856801-1-5

Sprache Deutsch

Ausgabe Fester Einband, 253 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook und Hörbuch

Erscheinungsdatum 16. Februar 2022

Verlag Kanon Verlag Berlin

Originaltitel Meter i sekundet

Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel

Veröffentlicht am 07.11.2021

p U re Enttäuschung

U
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Anke Lohm ist auf dem Weg zu ihrer besten Freundin. Mit ihrem ratternden Rollkoffer steigt sie in die U-Bahn, der nervende andere Fahrgast will den Zug zum Glück gleich verlassen – und dann wird sie nach ...

Anke Lohm ist auf dem Weg zu ihrer besten Freundin. Mit ihrem ratternden Rollkoffer steigt sie in die U-Bahn, der nervende andere Fahrgast will den Zug zum Glück gleich verlassen – und dann wird sie nach wenigen Stationen endlich ankommen. Sie freut sich auf die Dusche und ein frisch bezogenes Bett. Aber wo bleibt nur die Station? Fährt der Zug nicht schon viel zu lange? Unbehagen befällt die junge Dame…

Mit einem ansprechenden Titelbild und einer interessanten Inhaltsangabe lockt dieses Buch, das aber sofort nach dem Aufschlagen der ersten Seite einer tiefen Enttäuschung Raum gibt.

Kurze Sätze, zum Teil nur aus einem einzigen Wort gebildet, aneinandergereihte Gedankenfetzen. Textsplitter jagen einander durch die Geschichte, deren Handlung und Aussagekraft mir als Leser bis zum Schluss verborgen bleibt.

Es mag Kunst sein, es mag Literatur sein. Ein Lichtblick sind für mich nur das Titelbild und die Kürze der Geschichte, sodass man selber recht schnell wieder aussteigen kann. Zuklappen, vergessen. Nächstes Buch.



Titel U

Autor Timur Vermes

ISBN 978-3-492-07104-8

Sprache Deutsch

Ausgabe Flexibler Einband, 160 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook und Hörbuch

Erscheinungsdatum 28. Oktober 2021

Verlag Piper

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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.04.2021

Blaue Maus

Die vierte Schwester
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In einer heißen Sommernacht verschwindet die kleine Olivia, die jüngste von vier Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Als dreißig Jahre später Olivias Stoffspielzeug Blaue Maus gefunden ...

In einer heißen Sommernacht verschwindet die kleine Olivia, die jüngste von vier Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Als dreißig Jahre später Olivias Stoffspielzeug Blaue Maus gefunden wird, soll Privatdetektiv Jackson Nachforschungen anstellen. Allerdings ist dieses Unterfangen nicht ganz einfach und für alle Beteiligten von verlorenen Chancen, Träumen und Sehnsüchten geprägt.

Mit einer Rahmenhandlung von verschiedenen Vorgeschichten, die das Buch zu Beginn und am Ende umfassen, entwickelt sich im Hauptteil die Suche nach Vermissten. Nicht nur Olivias Drama, sondern auch andere Fälle werden zumindest gedanklich aufgerollt, verglichen und analysiert. Die Idee ist gut, allein die Umsetzung nicht recht geglückt.

So erfährt der Leser nicht nur von den Schwestern Land – Olivia, Sylvia, Amelia und Julia - sondern in den folgenden Kapiteln auch ganz andere Geschichten, die auf den ersten Blick keinen Zusammenhang erkennen lassen. Verbindungslos reiht sich eine Szene an die andere, eine Fülle von Namen prasselt auf den Leser ein, die Figuren dahinter bleiben oft vage und konturlos. Die Erzählungen schweifen immer weiter ab in Belanglosigkeiten, zu Randfiguren, die weder davor noch danach eine Rolle spielen.

Da jedes Kapitel den Schwerpunkt auf eine bestimmte Familie oder Person richtet, ist es schwierig, den Überblick zu behalten und in einem kontinuierlichen Lesefluss zu bleiben. Immer wieder fragt man sich: „Wer war das denn nun?“ Was ein gutes Stilmittel sein könnte, verhindert hier das Aufkommen jeglicher Spannung. Die Abschnitte sind langatmig, abrupte Szenenwechsel und Gedankensprünge führen nicht, wie man meinen könnte, zu einer erhöhten Dramatik, sondern nehmen jegliche Steigerung im Spannungsbogen schon wieder hinweg. Eine Trägheit wie die anfänglich beschriebene Hitzewelle legt sich bleischwer über das gesamte Buch und lässt schwerlich Euphorie zum Weiterlesen aufkommen. Nichtsdestotrotz war ich natürlich neugierig auf die Auflösung, die leider dann aber auch nur das bestätigte, was ich von Anfang an vermutet hatte.

Wer typisch britischen Humor mag, wird wohl von Atkinson begeistert sein, mich konnte dieses Buch leider gar nicht überzeugen.

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