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Veröffentlicht am 19.09.2017

Drei Tage und ein Leben

Drei Tage und ein Leben
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"Sein Leben war nichts anderes als die riesige Niederlage, zu der ihn seine Kindheit, ein einziges Leid, bestimmt hatte." (93%)

Weihnachten 1999. Manch einer erinnert sich noch an die heftigen Stürme ...

"Sein Leben war nichts anderes als die riesige Niederlage, zu der ihn seine Kindheit, ein einziges Leid, bestimmt hatte." (93%)

Weihnachten 1999. Manch einer erinnert sich noch an die heftigen Stürme Lothar und Martin, die über West- und Mitteleuropa hinwegzogen und großes Unheil anrichteten.
Drei Tage zuvor verschwindet der sechsjährige Remi aus dem kleinen französischen Ort Beauval. Er ist dem Nachbarsjungen Antoine in den Wald gefolgt, der dort eine Hütte gebaut hatte. Antoine, selbst gerade einmal zwölf Jahre alt und an der Schwelle zum Erwachsenwerden, durchlebt gerade eine schwierige Zeit. Seine Eltern haben sich getrennt. Der Vater ist sehr gleichgültig und abwesend. Die Mutter - und das ist vielleicht noch schlimmer - ist zwar anwesend, aber auch gleichgültig den Sorgen ihres Sohnes gegenüber. Dieser plagt sich mit Einsamkeit, buhlt um die Anerkennung seiner Altersgenossen und ist irritiert durch seine aufkeimende Sexualität.
Eine Lebenssituation, in der dem Heranwachsenden feinfühlig begegnet werden sollte. Aber in dem kleinen Dorf Beauval werden die Kinder mit ihren Sorgen und Ängsten allein gelassen. Und noch zusätzlich mit Problemen und Taten der Erwachsenen konfrontiert, die sie erschüttern.
So muss Antoine mit ansehen, wie sein Nachbar, Remis Vater kurzerhand, seinen von einem Auto angefahrenen Hund erschlägt. Dieser Hund war Antoines einziger Freund und Begleiter.
Völlig aufgebracht zieht er sich in den Wald zurück, wohin Remi ihm folgt. Antoine projiziert seine Wut auf den kleinen Jungen und schlägt auf ihn ein.

"Das Ausmaß der Katastrophe hat ihn niedergeschmettert. Innerhalb weniger Minuten hat sein Leben die Richtung geändert. Er ist ein Mörder." (8%)

Pierre Lemaitre nimmt sich nicht vor, die Schuldfrage zu klären; Antoines Tat wird als Mord bezeichnet, nie als Unfall. Viel mehr geht es darum, was diese Tat aus Antoine macht.
Auch wie es zu dem Mord kam, spielt natürlich am Rande eine Rolle, doch es kommt nie zu einer Aufklärung und Reflexion der Umstände, da wir alles aus Antoines Perspektive erfahren. Und der bleibt auch in seinem weiteren Leben der selbstbezogene und verängstigte Zwölfjährige, der seine Tat nie verarbeiten wird.

So fühlt man als Leser mit dem jungen Antoine drei Tage lang mit, obwohl er einen Mord begangen hat. Doch den erwachsenen Antoine kann man nicht mögen. Er ist ein gebrochener Mann, dessen Leben von der Angst vor dem Entdecktwerden bestimmt wird.

Ein so bewegendes Buch wie "Drei Tage und ein Leben" habe ich selten gelesen. Es lässt den Leser verzweifelt und zerrissen zurück.

Veröffentlicht am 27.07.2017

Bücher, die ein Kinderleben prägen

Die Romantherapie für Kinder
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„Zwischen ‚Es war einmal‘ und ‚glücklich bis ans Ende ihrer Tage‘ liegt ein Land, in dem wir alle schon waren. Ein Land, in dem merkwürdige und wundervolle Dinge passieren.“ (9)

Es handelt sich um ein ...

„Zwischen ‚Es war einmal‘ und ‚glücklich bis ans Ende ihrer Tage‘ liegt ein Land, in dem wir alle schon waren. Ein Land, in dem merkwürdige und wundervolle Dinge passieren.“ (9)

Es handelt sich um ein Land zwischen zwei Buchdeckeln, das man jedem Kind zeigen sollte.
Doch welche Bücher sollte man seinem Kind unbedingt nahelegen? Was könnte das eigene Kind in seiner Situation und seinem Alter interessieren? Die Auswahl an Büchern ist riesengroß und man sucht manchmal lange nach den besten und passendsten Büchern zu einer bestimmten Thematik.

Die beiden Autorinnen Ella Berthoud und Susan Elderkin stellen als Romantherapeutinnen eine Auswahl an Bilder-, Kinder- und Jugendbüchern zusammen, die den Kindern in bestimmten Lebenssituationen gefallen und vielleicht sogar helfen kann.

Dieser Ansatz ist sehr originell und witzig. Statt „normale“ Lesempfehlungen zu geben, werden sie thematisch nach den Problemen abgehandelt, die im Leben eines Kindes und Jugendlichen irgendwann einmal eine Rolle spielen können und dringend einer Roman-Therapie bedürfen. Darunter finden sich ernste Themen wie „Depressionen“, „Vergewaltigung“, „Tod“ oder Krankheiten, aber auch eher banale Probleme und Wehwehchen im ganz normalen Alltag eines Kindes. Die empfohlenen Bücher werden für verschiedene Altersstufen gegeben und sind entsprechend gekennzeichnet. Hinzu kommen viele Listen der zehn besten Bücher, z.B. „Die zehn besten Fühlbücher“ (52).

Irgendwo findet sich jeder wieder! Und wenn nicht, kann man das Buch auch einfach von vorne nach hinten komplett durchlesen, statt es als Nachschlagewerk zu nutzen. Denn zu jedem Thema gibt es einen einleitenden und beschreibenden Text, der teilweise in einem sarkastischen, immer aber in einem humorvollen Ton daherkommt.

Die Autorinnen vertreten den Ansatz, dass Kinder eigensinnige, selbstbewusste Persönlichkeiten sein und werden dürfen („Eigensinn“). Sie dürfen sich auch mal schmutzig machen. (Hier gibt es sogar ein Kapitel für diejenigen unter den Kindern, die das nicht wollen: „Schmutzig, es nicht werden wollen“.) Und z.B. das Thema „Bestrafung“ handeln sie leicht sarkastisch, aber auch auf robuste Art ab.

„Die Romantherapie für Kinder“ ist ein sehr empfehlenswertes Buch für Erwachsene, die auf der Suche nach schönen Kinderbüchern sind. Es verschafft einen tollen Überblick und unterhält dabei auch noch gut. Außerdem kommt die gebundene Ausgabe in einer wunderschönen Aufmachung daher.



P.S.: Interessanterweise handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Englischen. Vermutlich hat die Übersetzerin Trudl Bünger einige Empfehlungen für den deutschsprachigen Raum ergänzt, immerhin wird sie auch als Mitherausgeber auf dem Cover genannt. Allerdings gibt es zur Übersetzung keine editorischen Anmerkungen im Buch. - Das fehlt mir persönlich.

Veröffentlicht am 12.07.2017

Poetisch, kunstvoll, bezaubernd

Kein anderes Meer
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"Poetisch und farbenprächtig: Eine märchenhafte Reise in eine fremde Welt." (Klappentext)

Ein armer, verwitweter Fischer, der sich gezwungen sieht, seine kleine Tochter Claire in fremde Hände zu geben. ...

"Poetisch und farbenprächtig: Eine märchenhafte Reise in eine fremde Welt." (Klappentext)

Ein armer, verwitweter Fischer, der sich gezwungen sieht, seine kleine Tochter Claire in fremde Hände zu geben. Eine Stoffhändlerin, die Mann und Kind unter tragischen Umständen verliert. Ein junger, ebenfalls sehr armer Mann, der einen Lebenstraum verwirklichen möchte. Und ein Radiosender, bei dem die Schicksale der unterschiedlichsten Menschen zusammenzulaufen scheinen.

Über einen Zeitraum von zehn Jahren begleiten wir einige der Bewohner Ville de Roses auf Haiti und alle Erzählstränge führen an Claires siebtem Geburtstag zueinander. Die Einzelschicksale sind in anachronistischer Erzählweise miteinander verwoben. So führt eine Geschichte thematisch zur nächsten und am Ende ergeben sie ein stimmiges und sehr kunstvolles Ganzes.

Liest man den Klappentext könnte man zunächst vermuten, dass es nur um das Schicksal der kleinen Claire geht. Das Mädchen ist in der Tat Dreh- und Angelpunkt des ganzen Romans, aber die Geschichte entfaltet sich in so vielschichtiger Weise, dass sie durch diese Beschreibung zu kurz gefasst wäre.

Für mich ist „Kein anderes Meer“ eine kleine Perle. Ein kurzweiliges Lesevergnügen, das durch die wunderschöne Sprache und die faszinierende Erzählweise überzeugt. Edwidge Danticat hat den Blick fürs Detail und die Sonderbarkeiten des Lebens.

Der Schauplatz Haiti ist ein ganz besonderer. Da ist die Schönheit der Natur und aber auch die Armut der meisten Bewohner von Ville de Rose. Auch sind viele der beschriebenen Schicksale sehr tragisch, aber das tut der bezaubernden Schönheit des Romans keinen Abbruch.

Dieses Buch ist eines meiner Lesehighlights.

Veröffentlicht am 06.06.2017

Die Tollschönen

Das Haus der schwarzen Schwäne
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„Du musst dein Schicksal lieben. Dann ist es schön.“

Falka wird als blutjunges Mädchen von ihrem Onkel nach Tondern gebracht, wo sie sich als Spitzenklöpplerin verdingen soll. Die Zustände in der Spitzenfabrik ...

„Du musst dein Schicksal lieben. Dann ist es schön.“

Falka wird als blutjunges Mädchen von ihrem Onkel nach Tondern gebracht, wo sie sich als Spitzenklöpplerin verdingen soll. Die Zustände in der Spitzenfabrik sind furchtbar; das Schicksal der jungen Mädchen dort ist ein grausames, häufig dem baldigen Tod geweihtes. Einzig die Heirat mit einem Mann kann sie aus der Fabrik holen und retten.
Falkas engste Gefährtinnen schmieden andere Pläne: Ihr kollektiver Selbstmord soll auf das Leben der Spitzenklöpplerinnen aufmerksam machen und der Bevölkerung von Tondern ein Mahnmal und Fluch sein.

So nimmt auch Falkas Schicksal ihren Lauf. Eines, das sie beschlossen hat zu lieben - wo auch immer es sie hinführt. Wir begleiten sie sieben Jahre ihres Lebens, in denen wir glauben, sie zu kennen und zu verstehen. Doch ihre Schicksalsergebenheit scheint grenzen- und gewissenlos. Das macht sie immer wieder zur Antiheldin und wir müssen unser Bild von ihr häufig korrigieren.
Gleichzeitig wächst in Falka der Gedanke, dass eine Welt, in der die Männer herrschen, immer auch eine ist, in der die Mädchen und Frauen unterdrückt werden. Mit ihren Trauerschleiern vermag sie die Menschen zu beeinflussen und damit ihrem Schicksal nachzuhelfen. Falka strebt nun ein Mädchenreich an.

Wer ist hier gut und wer ist böse? Es ist kaum möglich Partei für einen Protagonisten oder eine Seite zu ergreifen. Die Spitzenklöpplerinnen leben unter schrecklichen Bedingungen - keine Frage. Aber ist deshalb jeder Mann schlecht?
Keine der Figuren kann eindeutig das eine oder andere sein. Jede ist getrieben von persönlichen Fehden und Gedanken. Von ihrer Persönlichkeit und ihrem Bildungsgrad, aber auch von den Gedanken der Gesellschaft und den Umständen der Zeit (Mystisches, Glaube, Politik…).

Der Leser wird in diesem Roman also vor die unlösbare Aufgabe gestellt zu ergründen, was Gut und Böse ist. Und darüber nachzudenken, was genau eigentlich Schicksal ist und inwieweit es beeinflussbar ist.

„Das Haus der schwarzen Schwäne“ ist eines der besten Bücher, die ich in der letzten Zeit gelesen habe. Hochgradig spannend, genial geschrieben und sehr tiefgründig. Es spielt in einer finsteren Zeit, die Stimmung ist jedoch nicht erdrückend oder depressiv.
Aber Geschichte und Figuren wollen nicht gefallen. Sie machen es dem Leser nicht einfach, sondern lassen ihn in Nachdenklichkeit zurück.

„Das Schicksal war der Meister über den Menschen.“ (418)

Veröffentlicht am 08.04.2017

Zauberhafte Frühlingsmotive auf Postkarten

Blütenpracht und Schmetterlingszauber
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"So kann man seiner Familie und seinen Freunden ganz leicht eine Freude machen!"

Nämlich indem man eine der Postkarten aus diesem Malbuch für Erwachsene ausmalt und verschickt oder verschenkt.
In dem ...

"So kann man seiner Familie und seinen Freunden ganz leicht eine Freude machen!"

Nämlich indem man eine der Postkarten aus diesem Malbuch für Erwachsene ausmalt und verschickt oder verschenkt.
In dem Buch befinden sich vierundzwanzig Karten und dazu gibt es die passenden Briefumschläge, die nach dem Ausmalen nur noch gefaltet und mit einem der beiliegenden Sticker versiegelt werden müssen.

Gezeichnet sind die frühlingshaften Motive mit Blumen, Vögeln und Schmetterlingen von der Illustratorin Rebecca Jones, die sich offenbar sehr gut auf filigrane Designs versteht.

Bis auf zwei Motive auf den Karten, die an jeweils einer Seite angeschnitten und dadurch irgendwie "unrund" wirken, sind die Drucke sehr gut.
Die Postkartenmotive sind auf Pappe gedruckt, die Umschläge auf dickem Papier, das sogar noch beidseitig bedruckt ist. So kann auch die Innenseite nach Wunsch ausgemalt werden. Auf jeden Fall ziert den Umschlag so noch eine hübsch gestaltete Innenansicht.
Papier und Pappe sind so dick, dass auch Filzstifte und Fineliner nicht durchdrücken.

Mir gefällt dieses Malbuch sehr gut. Es kommt von der Qualität der Motive an die von Johanna Basford heran, die Zeichnungen hier sind noch etwas zarter und floraler. Außerdem hat es einen eindeutigen Mehrwert dadurch, dass die Bilder gleichzeitig als Postkarten benutzt werden können, sodass die eigenen kleinen Kunstwerke nicht zuhause verstauben müssen.

https://drawnbyrebeccajones.com