Geht unter die Haut
Bisher habe ich alle drei Spannungsromane von Ellen Sandberg aka Inge Löhnig gelesen. Am Besten hat mir ihr erstes Buch "Die Vergessenen" gefallen, aber "Die Schweigende" kommt gleich danach und hat mich ...
Bisher habe ich alle drei Spannungsromane von Ellen Sandberg aka Inge Löhnig gelesen. Am Besten hat mir ihr erstes Buch "Die Vergessenen" gefallen, aber "Die Schweigende" kommt gleich danach und hat mich begeistert. Die Geschichte war für mich ein Pageturner und eine richtig tolle Lektüre.
Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen. Im Gegenwartsstrang befinden wir uns in München im Jahre 2019. Der Tod von Jens Remy, liebender Ehemann und Vater, wirft seine Frau Karin und die drei Töchter, aus der Bahn. Während Karin für ihre Töchter Imke, Angelika und Anne immer die unnahbare und gefühlskalte Mutter geblieben ist, liebten die Mädchen den Vater sehr. Durch seinen Tod scheint die Familie langsam auseinanderzudriften und Karin lässt sich mehr und mehr gehen. Der geliebte Garten wirkt ungepflegt, genauso wie sie selbst. Von den drei erwachsenen Töchtern macht sich nur Imke Sorgen um ihre Mutter. Die mittlere Tochter ist die einzige Empathische der dreien Frauen. Sie ist zuverlässig und pflichtbewusst. Ihr Vater hat ihr zudem kurz vor seinem Tod eine Bitte mit auf den Weg gegeben: Sie soll Peter suchen und finden. Doch wer ist Peter? Weder Imke, noch Anne oder Angelika kennen einen Peter und Karin will nach Imkes Nachfrage keinen Peter kennen. Doch Imke erkennt sehr schnell, dass ihre Mutter nicht die Wahrheit spricht und beginnt zu recherchieren.
Im Vergangenheitsstrang erleben wir als Leser Karins Jugendzeit in den späten 50iger Jahren. Das junge Mädchen ist ein aufgeweckter und lebenslustiger Teenager, liebt Elvis und möchte gerne Ärztin werden. Ihre alleinerziehende Mutter arbeitet schwer, um ihr diesen Traum zu erfüllen. Doch sie rechnet nicht mit der Gehäßigkeit ihrer Mitmenschen. Karins Zukunft und die ihrer Familie wird mutwillig zerstört...
Während Imke sich immer mehr mit Karins Vergangenheit auseinandersetzt und herausfindet, dass ihre Mutter einige Zeit in einem Heim verbracht hat, sind ihre beiden Schwestern Angelika und Anne nicht daran interessiert. Vorallem die sehr selbstsüchtige Anne sieht nur sich selbst im Mittelpunkt und verachtet ihre "erfolglose" Schwester Imke und alle Menschen um sich herum, die es nicht zu Wohlstand und Ansehen gebracht haben. Als sie selbst ihren Job verliert, sind alle anderen daran Schuld und Anne ist blind vor Wut. Rücksichtslos verfolgt sie ihre Pläne. Auch Angelika lässt sich nach dem Tod ihres reichen Mannes von einer Affäre zur nächsten treiben und interessiert sich nicht für ihre Mutter und deren Verlust. Beide Frauen leben in ihrem eigenen Kokon, während Imke immer mehr furchtbare Wahrheiten wie körperliche Misshandlung, Gewalt und Missbrauch "zum Wohle des Kindes" aufdeckt, die ihre Mutter im Kinderheim durchleben musste.
Die Figuren sind zwar etwas schwarz-weiß gemalt, aber trotzdem vielschichtig.Man entdeckt immer wieder neue Facetten bei jedem der Charaktere. Die Autorin bleibt jedoch ihrem Schema treu, wobei sie immer eine sehr gutmütige, empathische Frau in den Mittelpunkt stellt und ihr gegenüber die intrigante und rücksichtlose Gegenspielerin.
Der Schreibstil ist fesselnd und bildhaft. Man fiebert mit den Figuren mit und vorallem im Vergangenheitsstrang hat man oftmals Angst weiterzulesen. Die Ereignisse schockieren dermaßen, dass man fassunglos vor der Geschichte sitzt.
Ellen Sandberg hat im Nachwort erzählt, dass sie "Die Nickel Boys" von Colson Whitehead gelesen und die Lektüre sie furchtbar mitgenommen hat. Sie dachte in Deutschland gäbe es keine derartigen Missstände, wie damals in den USA....doch sie hatte sich getäuscht. Sandberg begann mehr und mehr zu recherchieren und stieß auf Unglaubliches.
Die Autorin schreibt: "Ich wollte - stellvertretend für unzählige andere - das Schicksal eines Heimkindes lebendig werden lassen. Vor allem wollte ich zeigen, welche Auswirkungen diese Art von "Pädagogik" bis in die nächste und übernächste Generation haben kann, und ich hoffe, dass mir das gelungen ist."
Da ich bereits einige Romane zu diesem Thema gelesen habe, kenne ich schon diverse Erzählungen zum Thema Kinderheim oder auch Heime für schwangere Mädchen, wo es ähnlich brutal zuging. Besonders die Heime, die von Nonnen geführt wurden, waren ide Furchtbarsten. Und trotzdem bin ich immer wieder aufs Neue schockiert, wie Menschen mit anderen Menschen und vorallem mit Kindern umgehen und sie für ihr weiteres Leben unfähig machen zu lieben.
Fazit:
Eine sehr berührende und erschütternde Geschichte, die unter die Haut geht und fesselnd erzählt wird. Ein packendes Familiendrama, das ich gerne weiter empfehle!