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Nilchen

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Veröffentlicht am 03.11.2022

Wind, Wetter, Schicksal

Zur See
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Klappe die dritte für Dörte Hansen. Dieses Mal nimmt sie uns mit auf eine fiktive friesische Nordseeinsel und erkunden das Innenleben und die Verletzungen der Familie Sander. Eine alteingesessene Familie, ...

Klappe die dritte für Dörte Hansen. Dieses Mal nimmt sie uns mit auf eine fiktive friesische Nordseeinsel und erkunden das Innenleben und die Verletzungen der Familie Sander. Eine alteingesessene Familie, die Jahrhunderte zur See gefahren ist und nun wie so viele andere die Richtung ihres Lebens wechseln müssen. Brüche, Veränderungen, genau das zeigt uns Dörte Hansen und was eine Heimat und deren Prägung mit uns macht. Wenn da die Tochter der Familie zwar eine Liebschaft auf dem Festland hat, aber die Insel nicht loslassen kann. Verlust an Identität und wie man mit Traumata umgeht, so schauen wir beim ältesten in die Seele, der „nur noch“ die Fähre zum Festland betreut. Der kleinste im Bunde Henrik ist nie so recht erwachsen geworden, aber mit seiner Kunst aus Treibgut hat er sich einen Namen und eine Nische erfunden. Tja und dann sind da natürlich auch die Eltern Hanne und Jens. Er mittlerweile Vogelwart um sich zu beschäftigen. Dörte Hansen lässt tief blicken.
Es ist unglaublich sprachgewaltig was Dörte Hansen hier wieder zu Papier gebracht hat. Beeindruckend wie jeder Satz am rechten Fleck sitzt, alles passt genau. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Schon alleine der Sprache wegen ein lesenswerter Roman. Das einzige was fehlt: Plattdeutsch. Aber da ist ja so viel mehr, wenn sie das Leben und deren Veränderungen in den Blick nimmt wie die immer stärkeren und zahlreichen Stürme, der Tourismus der einige auf der Insel ernährt und auch die Fangquoten. Alles drin und doch passiert oberflächlich nicht all zu viel. Wobei, es strandet ein Wal und auch hier wieder sehr metaphorisch, wenn die alten Walfängerfamilien das Wissen verloren haben wie man solch ein Tier nutzbar auseinander nimmt.
Ja, der dritte Roman nach zwei Bestsellern. Besser oder schlechter als die anderen beiden? Weder noch, alle drei von herausragender Qualität!
Fazit: Ein klingender Roman, der nachhallt.

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Veröffentlicht am 03.11.2022

Marokko in einer neuen Zeitrechnung

Schaut, wie wir tanzen
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Leïla Slimani sagte bei einer ihrer Lesungen, dass sie nur ein Volk kennt: Ihre Leserschaft. Sie interessiert sich nicht für Religionen und erzwungene Identitäten. Das sie nicht für die marokkanische Tourismusbehörde ...

Leïla Slimani sagte bei einer ihrer Lesungen, dass sie nur ein Volk kennt: Ihre Leserschaft. Sie interessiert sich nicht für Religionen und erzwungene Identitäten. Das sie nicht für die marokkanische Tourismusbehörde arbeitet wird deutlich. Sie hat sich wieder ganz ihren Figuren verschrieben in dem zweiten Teil ihrer Trilogie „Schaut, wie wir tanzen“. Den Schutzumschlag ziert übrigens ein Foto aus ihrer privaten Sammlung.
Dieses Mal beleuchtet Leïla Slimani das Leben von Aїcha, der Tochter von Mathilde und Amine, deren Leben stand im ersten Band „Das Land der Anderen“ im Fokus. Es setzt im Jahr 1968 ein und beleuchtet dann anhand Aїchas Leben die 60er und 70er Jahre im postkolonialen Marokko. Es verzahnt auf eine großartige Weise die politischen und soziologischen Dynamiken zur damaligen Zeit in Marokko. Es spiegelt in der Familienkonstellation mit seinen Figuren die verschiedenen Ebenen wieder. Aїcha kommt aus Strasbourg zurück nach ihrem Medizinstudium und muss sich als Gynäkologin in einem männerdominierten Beruf behaupten und trifft den smarten Ökonomen Mehdi Daoud, der auch Karl Marx genannt wird. Sie heiraten 1972 und der zweite Job einer Mutter kommt on top. Ihr Bruder Selim entzieht sich den Erwartungen der Eltern und flieht nach Essaouira, die Hippikommune am Strand in der wilden Natur und entflieht dem Land dann komplett.
Es ist eine leichte und flüssige Lektüre in bester Prosa gegossen. Mir hat das Buch viel Freude beim Lesen bereitet, weil es mich bereichert hat und mir die historischen Gegebenheiten in Marokko deutlicher gemacht hat. Leïla Slimani arbeitet gekonnt die Gegensätze heraus: Arm vs reich, Bildungsniveaus und natürlich Fortschritt vs Tradition. Natürlich sollte man vorher schon „Das Land der Anderen“ gelesen haben um die Familie zu kennen, aber es ist auch alleinstehend lesbar. Übrigens bestens aus dem Französischen von Amelie Thoma übersetzt.
Da dieser zweite Teil sehr neugierig macht wie es in den nächsten Jahrzehnten weitergeht, bin ich nun natürlich auf Band 3 gespannt!

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Veröffentlicht am 01.11.2022

Charakterstark!

Eine Frage der Chemie
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Der Roman um die starke Feministin Elisabeth Zott spielt zu Beginn der 60er Jahre, könnte aber sich aber in so mancher Hinsicht noch heute so abspielen. Großartig inszeniert die Autorin Bonnie Garmus die ...

Der Roman um die starke Feministin Elisabeth Zott spielt zu Beginn der 60er Jahre, könnte aber sich aber in so mancher Hinsicht noch heute so abspielen. Großartig inszeniert die Autorin Bonnie Garmus die Inkompetenz und die vermeintliche Überlegenheit der Männer. Gar muten viele Szenen und flotte Wortwechsel wie eine gelungene französische Komödie. Witzig mit Augenzwinkern, aber doch in der Kritik ernst gemeint.
„Kein Wunder. Idioten schaffen es in jedes Unternehmen. Sie können sich in Bewerbungsgesprächen meist einfach gut verkaufen.“ (S. 139)

Wir begleiten Elisabeth Zott durch ihr Leben mit all ihren Höhen und Tiefen. Die Chemikerin, die um einiges intelligenter ist als viele ihrer Kollegen und Vorgesetzen, spricht die Wahrheiten aus wie sie sind ohne auf die Konsequenzen zu achten und verbrennt sich dabei so manches Mal die Finger, aber steht immer wieder mit erhobenem Haupte auf. Wir verfolgen die Geschichte von der Seitenlinie und hoffen immer auf ein Happy End.
»Ich meine, durch künstliche kulturelle und religiöse Normen, die Männer in die extrem unnatürliche Rolle einer allein auf ihrem Geschlecht basierenden Führungsposition gedrängt haben. Schon ein simples Verständnis der Chemie macht die Gefahr einer solch einseitigen Betrachtungsweise deutlich.« (S 391)

Ein Buch voller spritzigem Witz, genialen Dialogen und einfach eine gute Geschichte. Selten habe ich mich so gut unterhalten gefühlt mit gesellschaftlichem Anspruch! Man sieht Elisabeth Zott förmlich vor sich wie sie mit ihrer Intelligenz und ihrer Unerschrockenheit durch reinste Logik die Männer in Verlegenheit bringt und das System wackelt.

„Genial zu sein ist eine Sache, aber genial zu sein, ohne gefördert zu werden - das war etwas völlig anderes. Wenn Mozart in einer armen Familie in Bombay zur Welt gekommen wäre statt in einer kultivierten in Salzburg, hätte er dann je die Sinfonie Nr. 36 in C-Dur komponiert? Ausgeschlossen.“ (S. 49)

Unbedingt lesen – zu gut um es zu verpassen!

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Veröffentlicht am 20.10.2022

Manege auf!

Das neue Zuhause
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Wer ein unaufgeregtes Vorlesebuch sucht, dass für Vorschüler:innen geeignet ist, wird bei den Petrellis fündig. Die Zirkusfamilie erbt eine Villa und zieht vom engen Zirkuswohnwagen in eine biedere Nachbarschaft. ...

Wer ein unaufgeregtes Vorlesebuch sucht, dass für Vorschüler:innen geeignet ist, wird bei den Petrellis fündig. Die Zirkusfamilie erbt eine Villa und zieht vom engen Zirkuswohnwagen in eine biedere Nachbarschaft. Aber Familie Petrelli wäre keine Zirkusfamilie, wenn sie nicht vieles mit Humor nehmen könnten und vor allem immer gut improvisieren könnte und vor allem: alle so nehmen wie sie sind. Da liegt die große Stärke in diesem doch recht unaufgeregten Kinderbuch. Im Grunde geht es um das Fremde, dass einem Nahe kommt und man diesem eher mit Neugier als mit Abstoß begegnen sollte.
Im Mittelpunkt stehen dabei Jonas, der die Nachmittage bei seinem Großvater verbringt und deren neue Nachbarn, die Petrellis. Eignet sich besonders gut für Vorschüler:innen, denn es klingt so manches Mal an, dass Jonas bald in die Schule kommt genauso wie Elisa Petrelli.
Nett zum Vorlesen und reichlich bunt und schön bebildert von Christian & Fabian Jeremies. Ich war ja in der Tat schockverliebt in die tollen Illustrationen und wirklich super wie zahlreich und passend sie sind. Der Text ist gut strukturiert und hat auch eine gewisse Vokabularbreite was ich bei Vorschul-Vorlesebüchern immer sehr gut finde. Hier hat Maren von Klitzing sehr gute Arbeit geleistet!
Es ist ein Auftaktband und wird im kommenden Jahr (2023) mit der Einschulung von Jonas und Elisa weitergeführt!

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Veröffentlicht am 06.10.2022

Weiblichkeit in der Gegenwart Südkoreas

Miss Kim weiß Bescheid
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Oft ist die Leserschaft enttäuscht, wenn nach einem Knallerroman ein neues Buch folgt und die Erwartungen nicht erfüllt werden. Hier bei, Cho Nam-Joo, ist es überraschend anders herum. Ich war begeistert ...

Oft ist die Leserschaft enttäuscht, wenn nach einem Knallerroman ein neues Buch folgt und die Erwartungen nicht erfüllt werden. Hier bei, Cho Nam-Joo, ist es überraschend anders herum. Ich war begeistert von ihrem Debüt ‚Kim Jiyoung’ geboren 1982’und finde die Kurzgeschichtensammlung ist qualitativ besser. Klar, ein Roman ist schlecht mit einer Kurzgeschichtensammlung vergleichbar, aber die Geschichten sind einfach gut auf den Punkt!
In ‚Miss Kim weiss Bescheid‘ sind 8 Kurzgeschichten versammelt, die allesamt weibliche Protagonistinnen haben, unterschiedlichen Alters von jung bis alt, in den verschiedensten Situationen, seinen es Teenager, Mütter oder gar Großmütter. Alle spielen in der Gegenwart Südkoreas und beleuchten den Alltag der Mädchen & Frauen dieser sehr traditionellen Gesellschaft. Ein Einblick der unverstellt ist und offenlegt wie sich Weiblichkeit in Südkorea anfühlt.
Diese Geschichten sind sehr individuell und erzählen jeweils ein Einzelschicksal, aber sie stehen stellvertretend für den Aufschrei der Feministinnen in Südkorea. Es geht um den Blick der einzelnen Frauen auf die Situationen und der gesellschaftliche Umgang mit ihnen. Es bedrückend einen wie sturr hier in anachronistischen Verhaltensweisen verharrt wird, nur der eigenen Dominanz willen. Hier werden Themen wir Cybermobbing durchdekliniert, Carearbeit, unterdrückte Frauen, mentale Gewalt, Frauen die sich nicht Verwirklichen können und am Ende bleibt die große Frage nach dem Lebensglück und wie sie zu erzielen ist.
Es hört sich alles schwerer an als es geschrieben ist. Der Ton ist fast leise, sehr asiatisch und mitdenken hilft. Eine tolle Art der Erzählkunst mit der uns Cho Nam-Joo beglückt! Natürlich großartig aus dem Koreanischen übersetzt von Inwon Park. Das macht das Lesevergnügen auf Deutsch noch besser!

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