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Veröffentlicht am 14.10.2023

Gute Familie, schwache Themen

Stolen Kisses
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Ich hatte das Buch angefordert, weil die Geschichte flott klang und weil es um Mode geht. Letztlich ist der Text gutes Handwerk mit ein paar Schwächen.

Rezi enthält Spoiler

Worum geht es?

Nach einem ...


Ich hatte das Buch angefordert, weil die Geschichte flott klang und weil es um Mode geht. Letztlich ist der Text gutes Handwerk mit ein paar Schwächen.

Rezi enthält Spoiler

Worum geht es?

Nach einem One-Night-Stand stellen Jannis und Kai fest, dass Ihre Familien Konkurrenten sind: Das Modeunternehmen von Jannis Vater und das Start-up Kais Mutter kämpfen um einen Kredit, damit beide Firmen weiter existieren können. Hinzu kommt, dass Kai in sein queeres Umfeld gut integriert ist, während Jannis seinem Vater eine Beziehung mit seiner besten Freundin vorspielt.

Cover und Titel

Leider hat der Titel gar keinen Bezug zum Inhalt, wirkt generisch und prägt sich nicht gut ein. Das ist schade, weil es im Buch einige Ansatzpunkte für einen interessanten Titel gibt.

Das Cover spricht mit seinem Altrosa junge Leute an, wirkt fröhlich und süß. Durch die großflächige Färbung hebt es sich ab, die Berlin-Zeichnung ist ein nettes Detail.


Wie hat mir das Buch gefallen?

Die Stärke des Textes ist das Umfeld. Jannis lebt mit Mutter und Zwillingsschwester in einer Hippie-WG, in der das Wort "Mutter" geächtet wird. Jannis Mutter kocht gern mysteriösen Lavendel-Tee und versucht, ihrem Sohn zu zeigen, dass er Grenzen übertreten darf. Auch Jannis Schwester Becks ist sehr locker. Hinzu kommen der nicht-queere Nico und der vor seinen Eltern nicht-geoutete Illyas. Zwischen diesen Figuren stimmt die Chemie, sie sorgt für viele Gags und man fühlt sich wohl darin.

Ganz anders die Hauptfiguren: Obwohl ich ihnen glaube, dass sie im Laufe der Handlung wachsen, gibt es kaum Berührungspunkte. Die Figuren haben wenig Profil. Ein wiederkehrender Witz ist, dass Jannis Kai als "versnobt" bezeichnet (keine neue Idee ...) und Jannis Vorliebe für StarTrek und Nutella. Im Gegensatz zum Erdnussriegel, den Kai mag. Die beiden reden viel über ihre Familie und ihre Situation als schwule Männer, aber wirklich tief wird es nicht. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl, ein Gleichklang entstand für mich nicht.

Auch die Liebesszene im letzten Drittel wirkte hölzern und nicht gekonnt. Wären die beiden lieber beim "kitzeln" geblieben - das machen sie gern.

Ansonsten haben wir auf der anderen Seite Kais konservatives Umfeld, aber auch hier wirkt alles schlimmer, als es ist.

Die Panikattacken sind ein nettes Extra, das es aber nicht gebraucht hätte. Sie werden klischeemäßig dargestellt, haben aber nur wenige Folgen für die Figur. Glücklicherweise gibt es auch hier ein Happy End.

Auch wenn die Geschichte überwiegend vorhersehbar ist und der Autor genügend Hinweise streut, damit man als Leser:in immer etwas voraus ist, ist sie gut komponiert. Die beiden treffen sich, die Handlung wird ausgelöst und bei 70 % haben wir den ersten Höhepunkt erreicht. Danach ist genügend Zeit für die Lösung des Konflikts.

Ein Highlight ist, dass die Geschichte aus zwei Zeitebenen erzählt wird - neben der Jetzt-Zeit blendet der Text immer zur ersten Nacht. Das passt besonders am Ende gut. Der Autor hat sich etwas dabei gedacht und das war schön.

Genre-typisch wird der Text aus den Perspektiven beider Figuren erzählt, die ich nicht auseinanderhalten konnte.

Thematisch steht die Familie im Mittelpunkt und der Gedanke, dass familiäre Probleme der Vergangenheit die Zukunft prägen. Über Mode lernt man fast nichts, obwohl mich das interessiert hätte.

Allerdings hatte ich mit der Grundgeschichte ein Problem: Beide Figuren kennen zufällig sehr gute Juristinnen, die alles lösen können. Aber komischerweise kommen sie nicht auf die Idee, das zentrale Problem am Anfang zu lösen.

Drag wird erwähnt, bleibt aber oberflächlich. Berlin spielt eine Rolle, aber ebenfalls nicht so tief.

Im Text gibt es zwei Zwangs-Outings, aber eine große Sache ist das nur für eine Figur. Bei der anderen wird immerhin (!) angedeutet, was das mit einem macht, wenn man auch öffentlich als queer geoutet wird. Dass man sich plötzlich selbst als queer und Teil der Gemeinschaft wahrnimmt, während man das vorher ein Stück verdrängt hat. Ich hätte davon gern mehr gelesen.


Sprachlich schwankt er Text zwischen normaler Sprache und einigen umgangssprachlichen Formulierungen - das passte nicht zusammen.

Fazit

Auf mich wirkt der Text wie eine Fingerübung eines Autors, der gut schreiben kann. Das Kollektiv um Jannis bleibt im Gedächtnis, aber viele Konflikte werden eröffnet und zu schnell und zu schön gelöst. Letztlich fehlt es dem Text an Biss.

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Veröffentlicht am 12.02.2023

Handlung ja, Logik nein

Das irrationale Vorkommnis der Liebe – Die deutsche Ausgabe von »Love on the Brain«
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Ich hatte den Vorgänger gelesen und dieser ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Daher war ich sehr gespannt auf den zweiten Band. Dieser war jedoch eine herbe Enttäuschung. Schon nach 5 % war die ...

Ich hatte den Vorgänger gelesen und dieser ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Daher war ich sehr gespannt auf den zweiten Band. Dieser war jedoch eine herbe Enttäuschung. Schon nach 5 % war die Geschichte vorhersehbar und nach 40 % zeichnete sich der Antagonist ab. Dazu eine Hauptfigur, die ständig vor sich hin philosophiert und dessen wichtigste Person sie selbst ist. Ich hatte mehrmals überlegt abzubrechen.

Rezi enthält (noch mehr) Spoiler.

Worum geht es?

Bee hat einen Doktortitel in Neurowissenschaften und soll für die NASA an einem Helm arbeiten, der die Leistung von Astronauten verbessern soll. Das Problem: Sie soll mit Erzfeind Levi zusammenarbeiten. Und seit der Trennung von ihrem Ex-Verlobten Tim hat sie Bindungsängste. Nebenbei führt sie eine Twitterkanal, in dem sie sich mit Problemen von Frauen im Wissenschaftsbetrieb auseinandersetzt.

Wie hat mir das Buch gefallen?

Die Menge an Erklärungen über den Helm fand ich genau richtig - ich hätte sogar gern noch etwas mehr gehabt. Denn leider wird nicht klar, wie genau der Helm funktioniert und ob man damit auch die Persönlichkeit der Astronauten verändert. Das sind auch ethische Fragen, die leider keine Rolle spielen.

Außerdem hat mir gefallen, dass Bee in vielen verschiedenen Ländern gelebt hat - das gab dem Buch eine besondere Atmosphäre und ich konnte gut verstehen, warum sie sich so haltlos fühlt. Später sind genau das die Passagen im Buch, die ich am stärksten fand - wenn Bee nicht mehr sich selbst betrachtet, sondern von anderen analysiert wird. Komisch war jedoch, dass das keine Auswirkungen auf ihre Sprache hat. Sie ist mit vielen verschiedenen Sprachen in Kontakt gekommen, spricht aber "normales" übersetztes Deutsch.

Positiv war auch, dass sich das Buch mit Frauen in der Wissenschaft beschäftigt, auch wenn scheinbar alle Männer in ihrem Arbeitsumfeld ignorant oder frauen-feindlich sind. Kern ist ein kostenpflichtiger Test, der den Zugang zur Promotion regelt. Aus dieser Thematik, die Ausgangspunkt des Romans war, macht die Autorin zwei Nebenhandlungsstränge. Der Bereich Liebe rund um ihre Assistentin wird dabei leider zu kurz behandelt, und der andere zu schnell und zu unlogisch beendet. Auch wenn er mich überrascht hat. Trotzdem leuchtet mir nicht ein, warum Bee so leicht gehackt werden konnte, wenn sie doch so auf ihre Anonymität achtet ...

Das große Problem waren Bee und ihre Betrachtungen. Ihre Gedanken sind frech, aber völlig überzeichnet. Ständig springt sie von einer Metapher zur nächsten und wirkt dabei so negativ. Außerdem beobachtet sie die Mimik und Gestik genau Levis genau, zieht aber die falschen Schlüsse. Es verwirrt mich, dass sie sich scheinbar nie damit beschäftigt hat, was Körper ausdrücken können.

Mein größtes Problem war, dass Bee Levi völlig miss-deutet. Sie interpretiert seine Schüchternheit als Ablehnung und sieht sich darin ständig bestätigt. Das wirkte auf mich extrem gekünstelt. Vielleicht bin ich auch einfach zu alt dafür. Levi greift Bee nie offen an, sondern vermeidet den Kontakt. In Liebesromanen wird das oft als Kritik am zukünftigen Paarungspartner gesehen, aber real bedeutet es oft, dass sich diese Menschen von anderen eingeschüchtert fühlen. Daraus muss aber keine Liebe entstehen, sondern oft hat man dann wirklich keinen Draht zueinander.

Und selbst wenn Bee Levi nicht versteht, hätte man das interessanter und vielseitiger zeigen können. An Komik mangelt es dem Buch oft und spritzige Dialoge sucht man vergebens. Es ist gut, wenn der Leser einen Vorsprung hat und Figuren manchmal anschreien will, weil er es besser weiß. Aber bei mir war das ständig der Fall. Und warum reden die beiden nicht miteinander - sie sind Ende 20 und sollten wissen, wie man Konflikte auflöst.

Auch die Erotikszenen fand ich wenig bemerkenswert. Levis ist ein Adonis von einem Mann und hat ein großes Gemächt. Außergewöhnliche Fähigkeiten als Liebhaber. Real, aber doch überzeichnet. Immerhin gibt's in den Szenen etwas Humor und dass bei den beiden nicht alles funktioniert, finde ich gut. Ich fand die Szenen aber weder sinnlich noch kreativ.

Fazit

Für mich hat das Buch kaum Spuren hinterlassen. Ich mochte das Thema Feminismus und die Figur hat interessante Anlagen. Die Liebesgeschichte bewegt sich jedoch auf ausgetretenen Pfaden und zieht die anderen Aspekte mit in den Abgrund. Dem Text fehlte einfach der Biss.

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Veröffentlicht am 12.02.2023

Gut angelegt, aber nicht rund

Match on Ice
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Abgesehen davon, dass ich noch nie ein Sportler:innen-Romanze gelesen habe, finde ich Eiskunstlaufen schön und wollte etwas darüber erfahren.

Rezi enthält Spoiler.

Worum geht es?

An einer Uni ärgern ...

Abgesehen davon, dass ich noch nie ein Sportler:innen-Romanze gelesen habe, finde ich Eiskunstlaufen schön und wollte etwas darüber erfahren.

Rezi enthält Spoiler.

Worum geht es?

An einer Uni ärgern sich die Eisläufer:innen und die Eishockeyspieler ständig, doch was als Witz beginnt, endet dramatisch: Paarläuferin Romy stürzt unglücklich und kann aus psychischen Gründen nicht mehr springen. Zur Strafe muss daher Captain Jack Zeit mit ihr verbringen, um ihr Trauma zu überwinden. Außerdem muss ihr Partner, Ex-Freund und Narzist Dan, dem Eismeister helfen.

Wie hat mir das Buch gefallen?

Das zentrale Thema Leistungssport hat die Autorin gut beleuchtet - vor allem, was das Innere der Figur betrifft. Ich habe selten eine Figur so verbissen und so fixiert auf den Sport erlebt. Das Thema zieht sich durch ihr ganzes Leben und ich fand es toll, das zu spüren. Allerdings fand der Wandel nicht statt. Durch die Stunden mit Jack merkt Romy, dass ihr der Spaß verloren gegangen ist. Sie erleben unbeschwerte Stunden auf dem Eis, aber am Ende wirkt Romy nicht, als hätte sie loslassen können. Es wäre klischeehaft gewesen, wenn Romy mit dem Sport aufgehört hätte, aber am Ende bietet ihr das Eis immer noch eher Sicherheit als Genuss.

Auch ist Romy ziemlich grob skizziert: Ihr Studium interessiert sie nicht wirklich, andere Hobbys hat sie nicht. Sie hat eine Schwester, zu der sie kaum einem Bezug hat. Und sie mag Cola light. Mehr nicht.

Außerdem fragte ich mich, ob sie zum Schluss nicht eine Anerkennung durch die andere ersetzt: Im Paarlauf war sie auf Dan angewiesen, allein kann sie erst sicher laufen, als Jack kommt.

Fiesling Dan ist als Figur toll. Er sagt Sätze, die (manche) toxische Menschen nutzen, um andere abzuwerten z.B. dass sie nicht gut genug ist, um von Jack geliebt zu werden. Das war hart, aber wahr.

Leider endet seine Storyline aprupt und besonders logisch ist sie auch nicht. Irgendwann ist er einfach weg.

Auch Romys Freundin, die ein interessantes Uniprojekt betreut, kommt zu kurz. Das war nur Deko.

Love-Interest Jack hat ein paar familiäre Besonderheiten und er ist der positive, erfrischende Teil der Beziehung. Hat mir gefallen.

Das Fachwissen über Eishockey ist gut eingeflochten und es hat mich nicht gestört. Ich habe einen guten Einblick in den Spielprozess, aber auch die Karriere bekommen.

Ein großes Manko waren die Bandwurmsätze, durch die ich manchmal den Überblick verloren habe, weil zuviele Infos binnen kurzer Zeit vermittelt wurden. Dafür gibt's keine Erotik.

Fazit

Die Figuren sind gut angelegt, die Atmosphäre da. Aber die Geschichte ist nicht rund und der Sprachstil anstrengend.

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Veröffentlicht am 04.09.2021

Interessante Struktur, aber etwas fade

Meteoriten
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Ich hatte das Buch angefordert, weil mich der Konflikt des schwulen Mannes, der eine Beziehung zu einer Frau beginnt, gereizt hat. Letztlich war das Buch anders, als ich es erwartet habe, aber das Grundmotiv ...

Ich hatte das Buch angefordert, weil mich der Konflikt des schwulen Mannes, der eine Beziehung zu einer Frau beginnt, gereizt hat. Letztlich war das Buch anders, als ich es erwartet habe, aber das Grundmotiv der Vergänglichkeit ist gut ins ganze Buch eingearbeitet.

Rezi enthält Spoiler

Worum geht es?

Journalistin Marianne trifft auf den Landschaftsarchitekten Virgile und was als Faszination beginnt, wächst zu einer Liebe mit tragischem Ausgang. Später treffen wir auf Florence, deren Mutter auf traurige Weise verstarb. Auch Florence spürt eine Anziehung zu Virgile, die sie letztlich von ihrer Familie entfernt. Und doch sind beide Frauen Meteoriten, die sich manchmal annähern, aber selten treffen.

Meine Meinung

Das Buch interessant macht seine Struktur: Wir folgen der Beziehung zwischen Marianne und Virgile im Schnelldurchlauf, bevor die Handlung von vorn beginnt, aber langsamer voranschreitet. Und dabei zwischen Marianne und Florence wechselt. Ich glaube, ich habe bis zum Schluss gehofft, dass es besser ausgeht.

Die Figuren selbst bleiben blass, sie wirken auf mich nicht prägnant, schwer greifbar, obwohl sie Potential haben, besonders Virgile. Stattdessen erzählt der Text viel über Beschreibungen der Umgebung und der Figuren. Wie in einem Wimmelbild pendelt er von einer Figur zur nächsten, sodass zu unseren Protagonist:innen noch weitere Figuren hinzukommen z.B. Mariannes Eltern. Diese leben alternativ und vegan, und zu beiden hat Marianne ein distanziertes Verhältnis. Der Text konzentriert sich vor allem auf Mariannes Vater, der eher schweigsam ist, und die Vergänglichkeit des Körpers und das Leben, das verwelkt, spürt. Und dadurch eine Nähe zu seiner Tochter fühlt.

Es ist ein Buch, das in sich ruht, um sein Thema kreist, aber für mich wenig hat, das mir im Gedächtnis bleibt.

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Veröffentlicht am 21.04.2021

Gutes Thema, lahme Umsetzung

Im Wasser sind wir schwerelos
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Nach vielen Liebesromanen mit Gay-Thematik habe ich mich an dieses Buch herangewagt. Es versprach einen melancholischen Klang mit einem ruhigen, durchdachten Problem. Dazu die Vorwende-Zeit in einem Land, ...

Nach vielen Liebesromanen mit Gay-Thematik habe ich mich an dieses Buch herangewagt. Es versprach einen melancholischen Klang mit einem ruhigen, durchdachten Problem. Dazu die Vorwende-Zeit in einem Land, das mir nah und fern gleichzeitig ist.

Letztlich hat mich das Buch mit seinen Schwerpunkten gefesselt. Aber mit Distanz betrachtet bleibt es eher eine Novelle, die einen Denkprozess anstößt, das Grundthema aber nicht in dem Umfang behandelt, wie ich mir das gewünscht hätte.

Rezi enthält Spoiler.

Worum geht es?

Ludwik weiß schon seit seit der Schulzeit, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt - er verliebt sich in einen Klassenkameraden. Doch das ist nicht das Hauptproblem. Sondern dass Ludwik tagtäglich erleben muss, wie sehr die Menschen in Polen an Rationierungen und Preissteigerungen im Sozialismus leiden. Verstärkt wird das Gefühl, als Ludwik über seinen Freund Kontakt zu einer Familie aus der Oberschicht findet - die mit Sekt und Lebensmitteln im Überfluss feiert. Im Gegensatz dazu steht Ludwiks Freund, der dem System mit Dankbarkeit gegen übersteht und hofft, sich mithilfe seiner Freunde durchschummeln zu können, damit seine Existenz gesichert ist.

Das Kollektiv

Ludwik ist kein Rebell - aber im Laufe seines Lebens ergeben sich immer mehr Punkte, die ihn am System zweifeln lassen. Der Antisemitismus, den er in den 60er Jahre erlebt - als der Klassenkamerad überraschend wegzieht, sind die Nachbarn froh, dass "die Juden" weg sind, weil sie so anders sind. Später erfährt er, dass seine Mutter und Großmutter hinter abgeschlossenen Türen und zugezogenen Vorhängen über ein Radio Nachrichten aus dem "Westen" empfangen, wie scheinbar viele andere auch. Später der Arbeitseinsatz auf dem Feld, sein Interesse für James Baldwin, eine Ikone der Schwulen-Literatur in Amerika. Dann die Anmeldung für die Doktorarbeit, deren Thema zurechtgestutzt wird, damit es ins System passt. Und schließlich seine Vermieterin, für die stundenlanges Anstehen zur Normalität gehört und die keinen Zugang zu Medikamenten hat, als sie schwer erkältet ist - denn es gibt nichts.

Und als Ludwik seine Entscheidung getroffen hat, soll er als Preis dafür, ausreisen zu dürfen, andere Schwule verraten. Ludwik findet eine Lösung, die mich überrascht hat, die aber gut passt.

Ludwiks beste Freundin spricht früh über eine Welt außerhalb der Mauern. Ich dachte, dass sie heimlich abhaut, aber das Blatt wendet sich: Ludwik trifft sie auf einer Party der Reichen und später verliebt sie sich. Was ist wichtiger: Dass man sich in einem Staat wohlfühlt oder dass man einen Lebenspartner findet? Erträgt man ein System besser, wenn man einen Partner hat, abgesehen davon, dass man als zukünftige Familie mehr Vorteile hat?

Ludwiks Freund, über dessen Charakter, Beruf und Position man lange im Unklaren gelassen wird - ich dachte sogar, dass er Ludwik bespitzelt - sieht das System positiv. Er empfindet Dankbarkeit. Ich weiß nicht, ob er dem Staat vorbehaltlos gegenüber steht oder Angst hat. Für ihn ist es normal, dass er Kompromisse eingeht, um nach oben zu kommen und dort ein besseres Leben zu haben. Ich konnte seine Ansichten nachvollziehen, stelle mir aber ein Leben mit sovielen Einschränkungen stressig vor.

Die Reichen sind gütig und ich glaube, dass sie den Luxus, in dem sie leben, zu schätzen wissen. Gleichzeitig fehlt ihnen der Blick dafür, wie sieht die anderen leiden.

Der Konflikt

Für mich war das Thema rund abgearbeitet, die Figuren stimmig. Aber beide Kernthemen - Homosexualität und Sozialismus - oberflächlich diskutiert. Ich konnte vieles mit meinem Wissen über die DDR abgleichen und das Buch hat Bilder erzeugt, die im Kopf bleiben. Aber es hat mich wenig zum Weiter-Denken angeregt, sondern entsprach genau meinem Wissensstand als Laie.

Fazit

Das Buch hat mich mitgerissen und die Atmosphäre hat mich hinein gezogen. Allerdings nur, weil mich ein Thema interessiert und ich mit dem anderen wenig Erfahrung habe. Jemand mit Vorkenntnissen wird darin wenig Neues entdecken. Es ist handwerklich und künstlerisch nicht so auffällig, dass ich es weiterempfehlen würde.

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