Profilbild von Leseclau

Leseclau

aktives Lesejury-Mitglied
offline

Leseclau ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Leseclau über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.08.2024

Biografisch-lexikalisches Werk

Seinetwegen
0

Zora del Buono ist noch sehr klein, als der Vater unverschuldet in einem Autounfall stirbt. Die Mutter lässt Gespräche über den Vater und den Unfall nicht zu. Und so gibt es in Buonos Leben eine Leerstelle, ...

Zora del Buono ist noch sehr klein, als der Vater unverschuldet in einem Autounfall stirbt. Die Mutter lässt Gespräche über den Vater und den Unfall nicht zu. Und so gibt es in Buonos Leben eine Leerstelle, die niemand mit Erinnerungen füllen kann. Gleichzeitig wächst ihre Wut auf den „Töter“ – so bezeichnet sie den Unfallverursacher. Mit dieser Wut wird der Leser zu Beginn des Buches intensiv konfrontiert.

Langsam, ganz langsam nähert sich del Buono dem tatsächlichen Unfallhergang. Doch zunächst folgen wir ihren Gedanken und düsteren Geschichten zum Tod, zum Unfalltod im Straßenverkehr, lesen Statistiken dazu, lauschen Kaffeehausgeschichten über Leerstellen, Tod und Verzweiflung. Dies alles muss man als Leser durchhalten. Ich brauchte viele Pausen und fremdelte während dieser Düsternis mit dem Buch.

Doch je mehr sich die Autorin mit dem Unfallverursacher auseinandersetzt, desto mehr wird auch er zum Menschen. Und plötzlich gibt es auch filmische Erinnerungen an den Vater. Wunderbar beschreibt del Buono die Entdeckungen dieses Lebens. Und wirft Fragen auf, die mich aus der Bahn werfen – wenn sie zum Beispiel philosophiert, wie lange man die Stimme eines geliebten Menschen wohl im Ohr behält.

Dieser Prozess der Annäherung und Erkenntnis ist spürbar schmerzhaft. Gleichzeitig verliert sie die Mutter immer mehr an die Demenz. Diese Passagen sind fürsorglich, mitfühlend und vielleicht auch auf eine Art emanzipierend, denn "Natürlich stellt sich mir die Frage, warum ich ausgerechnet jetzt, wo es in Mutters Kopf derart wirr zugeht, dass sie nicht einmal mehr mich erkennt, diese Recherche unternehme? Weil ich es endlich darf?".

Zora del Buono schafft ein Buch, das nachwirkt. Mit einem sehr speziellen Schreibstil und einer Härte in der Auseinandersetzung mit sich selbst, die mich beim Lesen bisweilen verstört.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.04.2024

Stimmiges Finale

Verraten
0

Das wars nun also mit dem Dezernat Q. Im 10. Band soll sich der Kreis um das außergewöhnliche Ermittlerteam schließen und alte Traumata sollen aufgelöst werden. Teilweise sehr geschickt bindet Jussi Adler ...

Das wars nun also mit dem Dezernat Q. Im 10. Band soll sich der Kreis um das außergewöhnliche Ermittlerteam schließen und alte Traumata sollen aufgelöst werden. Teilweise sehr geschickt bindet Jussi Adler Olsen alte Weggefährten in den aktuellen Fall ein, erinnert so an einzelne Fälle und stellt vor allem Carl in den Mittelpunkt des Geschehens. Durch alle Bücher zog sich ja die Frage, was ihm zu Beginn seiner Laufbahn widerfahren ist. Um das aufzudecken, muss Carl einen ziemlichen Leidensweg durchschreiten. Es ist förmlich spürbar, wie das Leben eines Polizisten im Gefängnis bedroht wird, in das er selbst etliche Insassen gebracht hat. Das ist für mich eine absolute Stärke des Buchs.
Der Fall selbst ist aus meiner Sicht verworren und ein bisschen an den Haaren herbeigezogen. In einigen Szenen hatte ich das Gefühl, dass der Autor eine Verfilmung direkt vor Augen hat. Die üblichen Interaktionen des Dezernat Q mit den wunderbaren Dialogen finden nur selten statt, da das Team im Grunde nie wirklich zusammen agieren kann. Erst am Schluss kommt hier wieder die Dynamik auf, die die vorigen Bücher auszeichnete. So habe ich das Dezernat Q eigentlich schon während des letzten Falls vermisst.
Dennoch ist es beeindruckend, wie Jussi Adler Olsen sich bis zur letzten Seite für seine Helden engagiert und für jeden einen stimmigen Abschluss sucht.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 13.04.2024

Unterhaltsamer Regionalkrimi

Mord unterm Reetdach
0

Sympathische Protagonisten, Sylt Feeling und ein stimmiger Fall – für mich ein gelungener Auftakt einer neuen Krimireihe
Der Immobilienmakler Kristan Dennermann will gerade ein zum Verkauf stehendes Haus ...

Sympathische Protagonisten, Sylt Feeling und ein stimmiger Fall – für mich ein gelungener Auftakt einer neuen Krimireihe
Der Immobilienmakler Kristan Dennermann will gerade ein zum Verkauf stehendes Haus prüfen, da stolpert er direkt über die Leiche des Besitzers. Von Neugier getrieben fängt er an, eigene Nachforschungen zu betreiben. Und ist plötzlich sowohl Verdächtigter als auch Zielscheibe der Intriganten.
Eingebettet ist das Ganze in eine Sylter Wohlfühlatmosphäre. Landschaften und Orte werden bildhaft beschrieben. Dies geschieht vor allem der Sicht eines überaus menschlichen und sympathischen Immobilienmaklers. Hierin liegt für mich gleichzeitig das Risiko des Buches: Die Geschichten aus dem Makleralltag sind fast zu präsent. Wenn aus dem Krimi eine Reihe wird, kann das schnell zu viel werden.
Der Krimi an sich ist schlüssig und macht Spaß zu lesen. Die einzelnen Personen könnten noch ein bisschen vielschichtiger ausgearbeitet sein. Sie sind doch sehr auf ihre für das Buch notwendigen Eigenschaften beschränkt. Die Hauptperson Kristan ist zum Glück als Charakter greifbarer. Da finde ich es tatsächlich schade, dass er ausgerechnet Kochen als Hobby hat. Es kommt mir so vor, als wolle man bewusst auf jeden Zug aufspringen, der gerade „in“ ist. Das hat das Buch eigentlich gar nicht nötig.
Alles in allem ist „Mord unterm Reetdach“ ein gelungener Regionalkrimi. Ich würde – sehr gerne direkt vor Ort – weitere Bücher rund um Kristan Dennermann lesen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 10.03.2024

Herzensprojekt

Der ehrliche Finder
0

Das kleine Büchlein ist ein absolutes optisches Highlight. Man spürt überhaupt, dass es ein Herzensprojekt der Autorin ist.
Jimmy und Tristan werden zufällig Freunde. Jimmy ist ein Außenseiter, der gerne ...

Das kleine Büchlein ist ein absolutes optisches Highlight. Man spürt überhaupt, dass es ein Herzensprojekt der Autorin ist.
Jimmy und Tristan werden zufällig Freunde. Jimmy ist ein Außenseiter, der gerne Dinge sammelt und einen geregelten Ablauf benötigt. Und plötzlich tritt Tristan in sein Leben. Ein geflüchtetes Kind, der die Sprache lernen und Fuß fassen will in der neuen Heimat.
An einem Tag wird die ganze Geschichte dieser Freundschaft erzählt. Tristans Schicksal wird vorsichtig angedeutet, seine Verletzungen und Ängste werden in Einzelsituationen sichtbar. Und Jimmy – der nimmt ihn so wie er ist. Endlich jemand, dem er seine Welt zeigen kann. Die beiden Jungen könnten unterschiedlicher nicht sein. Ihre Erfahrungen klaffen weit auseinander und trotzdem brauchen und helfen sie einander. Und dann kommt dieser Tag, der alles verändert….
Die Stärke des Buchs liegt im Grunde im Nicht-Ausgesprochenen. Wir erfahren das Schicksal von Tristans Familie aus kleinen Gegebenheiten und spüren die große Geschichte dahinter. Es sind einzelne Momente, die im Gedächtnis bleiben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.03.2024

Was Heimat für einen Menschen bedeutet

Das Jahr ohne Sommer
0

Das Buch lässt mich zwiegespalten zurück. Denn es besteht für mich gefühlt aus zwei sehr ungleichen Teilen.
Die Ich Erzählerin berichtet zunächst aus kindlicher Sicht, wie es ihr ergangen ist in zwei ...

Das Buch lässt mich zwiegespalten zurück. Denn es besteht für mich gefühlt aus zwei sehr ungleichen Teilen.
Die Ich Erzählerin berichtet zunächst aus kindlicher Sicht, wie es ihr ergangen ist in zwei Welten. Die Eltern sind Republikflüchtlinge, deren Flucht schief geht. Sie kommen ins Gefängnis und werden später in die BRD freigekauft. Das Kind verbleibt erst bei der Großmutter und zieht dann nach. Staunend lernt es gleichzeitig mit seinen Eltern, sich in der neuen Welt zurechtzufinden. Der Vater ist dabei überangepasst, die Mutter (gesundheitlich) überfordert. Die Stärke und gleichzeitig Schwäche dieses Teils ist dabei das reine dokumentieren des kindlichen Erlebens (und dies wirklich sehr genau – ich erkenne mich an vielen Stellen wieder!), selten jedoch seiner Gedanken. Das Mädchen wandelt zwischen den Welten, ist mal in Ost, mal in West. Hat hier die Eltern, die auf der Suche sind, da eine Großmutter, die ihr Halt und Geborgenheit gibt. Lebt den Alltag im Westen, die Ferien im Osten („Gleichzeitig passierte ich bei meinen Reisen nach Leipzig eine Grenze, die nach wie vor unüberwindlich war, …“). Und das alles sehr gleichmütig, wenig hinterfragend, eher ausweichend.
Was das bei ihr auslöst, erfahren wir erst im letzten Teil. Und das mit einer Wucht und Tiefe, die ich mir schon früher gewünscht hätte. Wir lesen von einer völlig entwurzelten Jugendlichen zur Wendezeit („Sprach ich in dieser Zeit mit Menschen aus dem Osten, hörte ich erste abschätzige Bemerkungen über Wessis. Sollte ich mich angesprochen fühlen?“). Einer Jugendlichen, deren Wertegerüst nie richtig wachsen konnte zwischen den Welten. Einer jungen Frau, die immer auf der Suche nach Heimat und Zugehörigkeit ist.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere