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Veröffentlicht am 04.03.2024

Was ist das Subjekt?

Notizen zu einer Hinrichtung
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Ansel Packer ist ein zum Tode verurteilter Serienmörder, dessen Strafe in wenigen Stunden vollstreckt werden soll. "Notizen zu einer Hinrichtung" ist im wahrsten Sinne des Wortes kein Buch über seine Taten, ...

Ansel Packer ist ein zum Tode verurteilter Serienmörder, dessen Strafe in wenigen Stunden vollstreckt werden soll. "Notizen zu einer Hinrichtung" ist im wahrsten Sinne des Wortes kein Buch über seine Taten, sondern eine Auseinandersetzung mit all denjenigen, welche diese Taten beeinflussen. Vor allem aber mit den Frauen, deren Leben von Ansels Taten berührt werden.
Da sind jedoch nicht in erster Linie seine Opfer, sondern deren Angehörige, eine Polizistin oder Ansels Mutter.

"Notizen zu einer Hinrichtung" ist weit davon entfernt ein klassischer Thriller zu sein. Trotzdem ist das Buch packend, sogar ziemlich erschütternd. Für mich war es manchmal schwer auszuhalten - obwohl die Autorin im Groben auf Blutrünstigkeit verzichtet.
Es ist beeindruckend, wie es Kukafka gelingt, Packer als Mensch begreiflich zu machen. Das tut sie in einer Nüchternheit, die mir als Leserin zum Glück kein Mitleid abverlangt, die Dinge aber in Relation zueinander stellt. Ich würde ganz vorsichtig sagen, dass das Buch allen Beteiligten, eine jeweils angemessene Form der Empathie entgegenbringt. Die damit einhergehende Bearbeitung des Themas der Todesstrafe in den USA und ihrer Sinnhaftigkeit finde ich interessant und vielschichtig.

In unserer gegenwärtigen Popkultur werden Kriminalfälle auf unterschiedlichste Weise bearbeitet. Das sind die klassischen Thriller in Film und Literatur, aber auch Netflixdokus oder True Crime Podcasts. Es ist Gang und Gäbe, dass eine Auseinandersetzung nicht nur auf fiktionaler Ebene stattfindet, sondern auch in Form von Nacherzählungen wahrer Begebenheiten. US-amerikanische Serienmörder wie Bundy oder Dahmer, ihre Namen und Verbrechen sind weitreichend bekannt.
Danya Kukafka wirft mit ihrem Roman unweigerlich die Frage auf, welche und vor allem wessen Perspektive wir bei solchen Betrachtungen einnehmen sollten.
Wer soll das Subjekt sein?
Die die Verlagswerbung verspricht nicht zu viel, wenn es heißt, dass es sich bei diesem Buch auch um eine Auseinandersetzung mit dem True Crime Genre handelt.
Auf sprachlicher Ebene ist das "Notizen zu einer Hinrichtung" - entsprechend der Thematik und der agierenden Protagonisten - manchmal etwas derb, aber in seinem Tonfall fein austariert.
Inhaltlich hat es mir einiges abverlangt. Ich denke dennoch, dass es ein Paradebeispiel seiner Art ist und bin froh es gelesen zu haben.

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Veröffentlicht am 09.10.2023

Verzaubernd

The Magic Border
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Auf dieses Buch aufmerksam gemacht, hat mich die moderne und extrem ästhetische Gestaltung, die dem englischsprachigen Original nachempfunden ist. Selten wird die Aufmachung eines Buchs so übereinstimmend ...

Auf dieses Buch aufmerksam gemacht, hat mich die moderne und extrem ästhetische Gestaltung, die dem englischsprachigen Original nachempfunden ist. Selten wird die Aufmachung eines Buchs so übereinstimmend kopiert. Ich bin der Meinung, dass das viel öfter der Fall sein soll. Ähnlich gelungen ist ansonsten die Übersetzung von Arlo Parks lyrischen Texten in dieser zweisprachigen Ausgabe. Die britische Sängerin und Songwriterin war mir zuvor kein Begriff, hat mich jetzt aber mit ihren zärtlichen und intimen Betrachtungen umso mehr für sich eingenommen. In ihren Gedichten verarbeitet Parks Themen wie (queere) Liebe, Trauer und Traurigkeit, Rassismuserfahrungen oder Schmerz. Wie so oft in dieser Art von Texten steht vieles zwischen den Zeilen geschrieben. Die zweisprachige Ausgabe macht es besonders spannend diese Ebenen der Gedichte zu erkunden. Besonders gefallen haben mir auch die Fotografen, welche die Texte ergänzen. Diese verleihen dem Layrikband noch einmal eine andere künstlerische Dimension.
Ich lese allgemein sehr wenig Lyrik, aber selten hat mich eine Zusammenstellung so begeistert wie diese hier.

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Veröffentlicht am 16.07.2023

Wird niemals alt

Vom Ende der Nacht
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Im Kern ist "Vom Ende der Nacht", das, was man erwartet, wenn man den Klappentext liest. Eine Geschichte von der Art, wie man sie schon häufig gelesen oder auf der Leinwand gesehen hat. Good Girl aus strengem ...

Im Kern ist "Vom Ende der Nacht", das, was man erwartet, wenn man den Klappentext liest. Eine Geschichte von der Art, wie man sie schon häufig gelesen oder auf der Leinwand gesehen hat. Good Girl aus strengem Elternhaus trifft haltlosen Bad Boy. Es kann nicht funktionieren, weil das Leben dazwischen kommt, die emotionalen und sozialen Distanzen zu weit sind.
So ist das auch bei Will und Rosie, deren Beziehung immer wieder an Rosies Familie und den Erwartungen, die auf ihr lasten, scheitert. Nichtsdestotrotz erzählt Claire Waverley die Geschichte ihrer Protagonisten auf eine eindringlich tragische, schmerzvolle und romantische Weise. Es ist ein Roman fürs Herz, keine Frage. Eine dieser großen Sommererzählungen über Leben, Liebe und Schicksal. Ich persönlich kann solche Bücher immer wieder lese, mir kann man das immer neu erzählen, für mich werden sie niemals alt.
Nichtsdestotrotz kann ich nachvollziehen, wenn andere Leser das anders wahrnehmen. Wenn man aber generell eine Affinität für Romanzen hat, die tiefgründig und sprachlich anspruchsvoll erzählt werden, dann wird "Vom Ende der Nacht" nicht enttäuschen. Viele solcher Bücher scheitern in meinen Augen daran, dass sie nicht gut erzählt werden. Der emotionale und ausgereifte Schreibstil der Autorin trägt die Handlung.
Gut vergleichbar ist "Vom Ende der Nacht" in meinen Augen mit "Der Papierpalast". Das habe ich letzten Sommer gelesen und auch hier geht es um ein Paar und eine Liebe, die von verpassten Chancen und tragischen Schicksalsschlägen geprägt ist.
Ich liebe und brauche solche Bücher von Zeit zur Zeit in meiner Leseplanung. Sie sprechen eine melancholisch dramatische Seite in mir an. Der Teil meines Leserinnenherzens, der sich gerne in ein wenig Weltschmerz wälzt. All denjenigen, die sich auch so einen Teil in sich haben, kann ich dieses Buch wärmsten empfehlen!

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Veröffentlicht am 09.07.2023

Karibische Legenden

Als wir Vögel waren
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„Als wir Vögel waren“ ist die mystische und ganz und gar außergewöhnliche Liebesgeschichte von Darwin und Yejide. In poetischer und bildgewaltiger Sprache schreibt Ayanna Lloyd Banwo über die Liebe, das ...

„Als wir Vögel waren“ ist die mystische und ganz und gar außergewöhnliche Liebesgeschichte von Darwin und Yejide. In poetischer und bildgewaltiger Sprache schreibt Ayanna Lloyd Banwo über die Liebe, das Leben und den Tod. In einem Trinidad, das zwischen Realität und Sagenland divergiert, entscheidet sich der junge Rastafari Darwin Totengräber zu werden, obwohl dieser Beruf für Menschen seines Glaubens nicht vorgesehen ist. Yejide hingegen besitzt die Gabe mit Verstorbenen in Kontakt zu treten, ein Phänomen, das in ihrer Familie Tradition hat. Doch sie hadert mit ihrem Schicksal und der Beziehung zu ihrer Mutter. Die beiden finden Vertrauen und Trost ineinander. „Als wir Vögel waren“ ist nicht nur ein Liebesroman oder eine Legende, es ist ein fantasievolles Sozialporträt, in dieser Kombination einzigartig. Zwischen all der Poesie und Romantik, beschäftigt sich das Buch mit sozialen Ungerechtigkeiten, mit Armut, alten Traditionen und kulturellen Schwierigkeiten, mit dem Jungsein und Erwachsenwerden, dem Loslassen, Aufbrechen und Davonfliegen.
Es ist manchmal nicht ganz leicht sich in die Bildsprache der Geschichte hineinzudenken. Darwins Hintergrund ist für mich leichter zu greifen als der von Yejide. Ihre Geister und all das Vergangene haben mich herausgefordert. Nichtsdestotrotz schafft es der Roman mit seiner einzigartigen Ästhetik und der lebendigen karibischen Kultur, die hier kritisiert, aber auch gefeiert wird, zu begeistern. In diesem Buch steckt so viel: Es war für mich ein Fenster in eine Kultur, die mir fremd ist, eine Art Coming off Age Roman, in dem ich mich zuhause fühle und eine Erzählung über die Liebe, in all ihren Facetten, die mich berührt hat. Die Autorin hat ein wunderbares und sonderbares Geflecht aus Gedanken zu einer außerordentlich lesenswerten Geschichte verwoben.

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Veröffentlicht am 03.05.2023

Eiskaltes Herz

12 Grad unter Null
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Eine Dystopie auf weniger als 150 Seiten. Wer daran zweifelt, dass das möglich sein soll, wird von Anna Herzig mit "12 Grad unter Null" eines Besseren belehrt. Im kleinen Land Sandburg wird ein revolutionäres ...

Eine Dystopie auf weniger als 150 Seiten. Wer daran zweifelt, dass das möglich sein soll, wird von Anna Herzig mit "12 Grad unter Null" eines Besseren belehrt. Im kleinen Land Sandburg wird ein revolutionäres Gesetz verabschiedet. Männer dürfen nun von den Frauen in ihrem Leben, egal ob es die Mütter, Töchter, Ehefrauen oder Ex-Freundinnen sind, nach ihrem eigenen Gutdünken die Rückzahlung von Schulden fordern. Die schwangere Künstlerin Greta und ihre entfremdete Schwester Luise trifft diese Entscheidung ins Mark.

Die Erzählung erinnert an eine Parabel, weniger an einen Roman. Ein Gleichnis in "kafkaesker" Sprache, das sich einem Land und einer einzelnen Familie bedient, um verschiedene Aspekte eines modernen Patriarchats zu entlarven. Das sind die Frauen, die offensichtlich physisch erniedrigt werden, diejenigen, die nicht wertvoll genug sind und diejenigen, die instrumentalisiert und gegeneinander ausgespielt werden. Und da ist die allgegegnwärtige Lüge, die besagt, dass Mann das Recht auf seiner Seite hat.

Der Text liest sich wie ein düsteres Märchen. Die Metaphorik von Suppenlöffeln und Frauenknochen wird benutzt, um versteckte Wahrheiten in schneidende Bilder zu übersetzen. Anfangs liest sich das fremdartig. Man versteht nicht alle Details auf den ersten Blick. Während sich jedoch in Sandburg die Temperatur immer weiter dem Gefrierpunkt annähert, lichtet sich der Nebel und die einzelnen Fragmente der Geschichte, setzen sich langsam zu einem Mosaik zusammen. Diese Mosaik erschreckt und verstört gleichermaßen, verpasst es aber nicht, deutlich zu machen, dass zwischen all den Scherben, immer auch ein bisschen Hoffnung verborgen liegt. "12 Grad unter Null" ist eine scheinbar dystopische Geschichte, von der man sich fragen muss, inwiefern die Kategorisierung "dystopisch" tatsächlich zutreffend ist. Es handelt sich für mich nicht um eine ausgereifte Dystopie. Dazu bleiben innerhalb der Welt von Sandburg zu viele strukturelle Fragen offen. Das Szenario ist nicht vollständig ausgereift, bzw. zu Ende erzählt. Beim Lesen wird mir immer wieder eiskalt. Das Buch macht allerdings deutlich, dass ein starkes Herz selbst jenseits der Null-Grad-Marke noch schlägt.

Fazit:

"12 Grad unter Null" ist ein sehr eindrücklicher, eigenwilliger und mutiger Text, der seine Finger unerschrocken in zahlreiche Wunden legt. Es handelt sich um ein Buch, das zum Nachdenken anregt und im Gedächtnis bleibt, lange nachdem man es zur Seite gelegt hat. Der Autorin ist es gelungen, eine kluge und tiefgreifend durchdachte Geschichte zu schreiben, deren Bilder auf mehreren Ebenen funktionieren und die viel Raum zur Interpretation zulässt. Dabei bleibt diese Geschichte letztendlich keineswegs zu wage, sondern schiebt die Lesenden, ohne ihre Geheimnisse zu offensichtlich aufzudecken, mit der Nase voran genau dahin, wo es wehtut.

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