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23,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Kein & Aber
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: allgemein und literarisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Erzählende Literatur
  • Seitenzahl: 368
  • Ersterscheinung: 06.04.2021
  • ISBN: 9783036958415
Noa Yedlin

Leute wie wir

Markus Lemke (Übersetzer)

Als Osnat mit ihrem Mann Dror und ihren beiden Töchtern umzieht, ist sie überglücklich: endlich ein eigenes Haus, und in höchstens zehn Jahren ist dies das neue Trendviertel von Tel Aviv. Doch mit den Umzugskartons packt Osnat auch erste Zweifel aus. Wieso gibt der Alte von nebenan die Kuchenplatte nicht zurück? Was macht diese andere Familie eigentlich mit all den Kampfhunden? Und arbeitet Dror wirklich in seinem Zimmer, oder tut er nur so? Osnat muss sich entscheiden, ob es bloß eine neue Alarmanlage braucht oder gleich ein neues Leben.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.05.2021

Grandios!

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„Vielleicht werden die Leute so zu Aasgeiern: Man kauft alles um sich herum auf, aus Angst vor dem, was man nicht hat, nicht vor dem, was einem schon gehört. Also kauft man noch etwas dazu, wohl oder übel, ...

„Vielleicht werden die Leute so zu Aasgeiern: Man kauft alles um sich herum auf, aus Angst vor dem, was man nicht hat, nicht vor dem, was einem schon gehört. Also kauft man noch etwas dazu, wohl oder übel, gezwungenermaßen, kauft und kauft, denn immer gibt es einen Zaun und jemanden jenseits davon.“ (S. 359)

Zeit für Veränderung – das dachten sich Osnat und ihr Mann Dror, als sie gemeinsam mit den beiden Töchtern Hamutal und Hannah in ein äußerlich schäbiges, noch nicht gentrifiziertes Viertel Tel Avivs ziehen, das aber in den nächsten Jahren aller Voraussicht nach boomen wird. Es scheint ein Wink des Schicksals zu sein, dass sie schnell Freunde mit kleinen Kindern finden, die sie in die Geheimnisse des Lebens des Viertels einweihen – doch nicht alles scheint so zauberhaft, wie sie es sich vorgestellt hatten: ein mürrischer Nachbar, der grundlos unfreundlich ist, Sachbeschädigung, Einbrüche und Diebstahl. Übertreiben sie nur, angestachelt von Gerüchten der Nachbarn, den abwertenden Kommentaren ihrer Familien, oder was steckt hinter all dem?

Bissig und rasant, an der Grenze zwischen Wahnsinn und Genialität erzählt Noa Yedlin in „Leute wie wir“ von einer Mittelstandsfamilie, die der städtebaulichen Entwicklung einen Schritt voraus sein will, und sich doch irgendwie fehl am Platz fühlt. Doch es sind nicht nur die externen Scherereien der Nachbarschaft, des Viertels, die besonders Osnat zu schaffen machen: Seit ihrem Umzug werden die Abgründe der Familiendynamik immer sichtbarer, schweifen ihre Gedanken immer öfters um Sex und um vergangene Liebeleien. Sie macht sich Sorgen um ihre ältere Tochter Hamutal, zweifelt an der Ehrlichkeit ihres Mannes ihr Gegenüber, schwankt zwischen Neid gegenüber ihrer Schwester und deren scheinbar intakter, ach so perfekter Familie, und Frustration ob ihrer Situation.

Wie grandios Noa Yedlin all diese Themen sprachlich verpackt hat, beeindruckte mich von der ersten Seite an: Der zunächst dichte Schriftsatz schreckt auf den ersten Blick vielleicht ein wenig ab, doch schon auf den zweiten wurde ich eingesogen,

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Veröffentlicht am 11.04.2021

Noa Yedlin – Leute wie wir

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In Tel Aviv eine bezahlbare Wohnung zu finden, gleicht inzwischen einem Sechser im Lotto, ein ganzes Haus zu vertretbarem Preis kaufen zu können, einem Wunder. Osnat und Dror entscheiden sich daher für ...

In Tel Aviv eine bezahlbare Wohnung zu finden, gleicht inzwischen einem Sechser im Lotto, ein ganzes Haus zu vertretbarem Preis kaufen zu können, einem Wunder. Osnat und Dror entscheiden sich daher für ein nicht ganz so tolles Viertel, die Erfahrung der letzten Jahre zeigte, dass der Wohnungsmarkt sehr aktiv ist und auch vormals unattraktive Quartiere plötzlich zu trendigen Hotspots werden können. Schon vor dem Kauf hatten sie sich vergewissert, dass es dort normale Familie gibt, wie ihre mit den beiden Töchtern Hamutal und Hannah, und nicht nur seltsame Figuren wie ihr Nachbar, mit dem die erste Begegnung schon zu Streit führte. Doch auch nach dem Einzug bleibt immer ein seltsames Gefühl: sind sie wirklich sicher dort in der Gegend, war die Entscheidung richtig oder haben sie sich und die Mädchen direkt in die Katastrophe geführt?

Noa Yedlin ist in ihrem Heimatland eine erfolgreiche und bekannte Schriftstellerin, deren Romane auch regelmäßig verfilmt werden. In „Leute wie wir“ greift sie ein seit vielen Jahres hochaktuelles Thema der israelischen Hauptstadt auf: die Preise auf dem Immobilienmarkt sind explodiert und drängen gerade Familien immer mehr an den Rand der Stadt. Die Situation zehrt unweigerlich an den Nerven und selbst nachdem die Osnat und Dror ein passendes Haus gefunden haben, sind sie noch lange nicht wieder in ruhigen Gewässern, ganz im Gegenteil, das Drei-Fünf-Viertel mit seinen Bewohnern bringt auch ihre Beziehung an ihre Grenzen.

My home is my castle – was aber, wenn der ältere Nachbar von nebenan immer im Garten sitzt und alles Tun kritisch beäugt und kommentiert? Es dauert nicht lange, bis er zum roten Tuch wird und Osnat und Dror in ihm den Hauptverdächtigen bei allerlei seltsamen Vorkommnissen (Kakerlaken, der zerstörte Briefkasten, ein möglicher Einbruch) sehen. Doch er ist nicht der einzige, der bei ihnen gemischte Gefühle hervorruft. Michal und Jorge machten eigentlich einen sympathischen Eindruck, als sie sie bei ihrer Stadtteilerkundung kennenlernten. Doch ihre Ansichten und Vorurteile sind zweifelhaft, vor allen Dingen passt ihr Handeln und das, was sie sagen, so gar nicht zueinander. Auch Shani und Lior sind nicht die Freunde, die sie sich ausgesucht hätten, aber irgendwie werden sie sie nicht mehr los, vor allem, da die Töchter Freundschaft geschlossen haben. Ihre Kampfhunde und die zweifelhafte Einstellung gegenüber Behörden lassen bei Osnat immer wieder alle Alarmglocken läuten.

Sie wollen eigentlich mit ihrer kleinen Familie nur in Ruhe auf ausreichend Raum leben, aber nicht unbedingt mit Menschen aus dem falschen Milieu oder da, wo die Schulen nicht den besten Ruf haben. Als sie zum ersten Mal mit Gewalt konfrontiert werden, müssen sie akzeptieren, dass sich nicht alle Wünsche vereinbaren lassen. Aber die Alternative, ein kleines Appartement in einer besseren Gegend, ist auch nur bedingt attraktiv. Sie wollen sich abgrenzen von den Menschen, die in ihrem neuen Viertel leben und doch müssen sie immer wieder erkennen, dass sie eigentlich gar nicht so anders sind. Das, was ihnen an ihrem Nachbar und den beiden befreundeten Paaren missfällt, ist oft genau das, was sie sich selbst auch zuschreiben müssen.

Bei allen sozio-politischen Facetten, die angesprochen werden, ist für mich jedoch ganz klar die Beziehung zwischen Osnat und Dror und das, was der Dauerstress mit ihnen macht, der stärkste Aspekt des Romans. Sie raufen sich zusammen, prallen voneinander ab, bewegen sich wieder auf einander zu, kollidieren und finden keine wirkliche gemeinsame Richtung. Sie leben einen Alltag, wie viele, der sie gefangen hält und nur manchmal ein klein wenig eine Tür zu einem anderen Leben aufstößt.

Ein außergewöhnlicher Roman, der einerseits humorvoll bis absurd, zugleich aber auch verstörend wirkt.