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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.03.2024

Toller Erfahrungsbericht aber schlechte Informationsquelle

Die Autistinnen
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Gut fand ich hier die Erfahrungsberichte der Autorin und anderer Frauen und die Geschichte der Autismus-Forschung. Man hört ganz verschiedene Lebensgeschichten und sieht, wie unterschiedlich Autismus sich ...

Gut fand ich hier die Erfahrungsberichte der Autorin und anderer Frauen und die Geschichte der Autismus-Forschung. Man hört ganz verschiedene Lebensgeschichten und sieht, wie unterschiedlich Autismus sich ausprägen kann. Allerdings geht es hier ausschließlich um hochfunktionalen Autismus, der erst spät erkannt wurde. Ich hätte mir zum besseren Veständnis wenigstens einmal den Abgleich mit anderen Autismusformen gewünscht, um den Unterschied deutlich zu machen. Ansonsten fand ich auch den Hintergrund zur Forschung spannend, wie es dazu kam, dass weiblicher Autismus regelrecht unter den Tisch gefallen ist.

Ansonsten hat mich das Buch leider sehr wütend gemacht! Hier werden wilde Spekulationen als Fakten verkauft und leider werden viele Leser*innen das nicht erkennen können. Völlig unwissenschaftlich, katastrophal an den Haaren herbeigezogen zum Teil. Ausgesetzte Kinder in früheren Jahrhunderten? Alle Autisten! Motive von arbeitenden Menschen in der französischen Kunst des 18. Jahrhunderts? Alle Autisten! Ein Mönch auf einem Wandfresko mit etwas größerem Zehenabstand? Auch Autist! Dazu dichtet die Autorin auch diversen bekannten Persönlichkeiten Autismus an, entweder ganz ohne alternative Erklärungen zu berücksichtigen, oder sie sagt ganz einfach: Es gibt auch diese andere Theorie, aber die Leute haben einfach keine Ahnung! ICH weiß, dass diese Person in Wahrheit Autismus hatte! Finde ich extrem schwierig. Niemand kann posthum eine Diagnose für irgendwas stellen. Nicht einmal bei Personen, zu denen es viele Zeitzeugenberichte gibt. Und ganz im Ernst: Lewis Caroll? Gibt es eigentlich noch irgendeine psychische oder psychiatrische Diagnose, die ihm noch nicht zugeschrieben wurde? Was der nicht alles gehabt haben soll, jetzt also auch noch Autismus... Weil er seinen Tee gerne eine bestimmte Zeit lang ziehen ließ. Oh ja, SEHR ungewöhnlich für einen BRITEN. Ich höre jetzt auf. Man merkt, ich war wütend. Diese vollkommen unwissenschaftliche Spekulation und Zuschreibung ohne jegliche Grundlage, geht für mich GAR NICHT! Die Autorin möchte einfach gerne, das all diese Menschen Autisten waren. Und ich sage ja nicht mal, dass das alles falsch sein muss, aber Fakt ist: niemand kann das wissen! Und dann kann man das nicht einfach behaupten.

Fazit: Als Erfahrungsbericht: Super! Als Informationsquelle: Im besten Fall unbrauchbar.

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Veröffentlicht am 02.03.2024

Träume und Realität, Absurdität und Tragik

Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah
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Mani wächst in einem armen Viertel von Seoul auf. Ihre größten Wünsche sind eine Spültoilette und Turnen. Sie träumt davon, eines Tages so berühmt und erfolgreich zu sein wie Nadia Comaneci. Ihre Mutter ...

Mani wächst in einem armen Viertel von Seoul auf. Ihre größten Wünsche sind eine Spültoilette und Turnen. Sie träumt davon, eines Tages so berühmt und erfolgreich zu sein wie Nadia Comaneci. Ihre Mutter möchte diesen Traum unterstützen und meldet sie... in einem Aerobicstudio an, weil sie den Unterschied nicht kennt. Jahre später, als Erwachsene, lebt Mani noch immer mit ihren Eltern zusammen, hat gerade ihren Job verloren und dann soll auch noch das Viertel saniert und alle Häuser abgerissen werden.

Das Buch ist oft ziemlich witzig, dabei bin ich mir aber nicht mal sicher, ob es das überhaupt sein will. Denn, wenn man genauer darüber nachdenkt, sind die entsprechenden Szenen alles andere als lustig. Manis Mutter hat eine Lernschwäche und begreift vieles, was sie tut, gar nicht richtig. Der Vater war für mich die spannendste Person, über die ich gerne noch mehr erfahren hätte. Er erträgt relativ geduldig alles, was seine Frau und Tochter verzapfen, nur manchmal bricht es dann umso gewaltiger aus ihm heraus.

Mani wirkt auf mich so, als wäre das ganze Leben eine Nummer zu groß für sie. Sie wird in der Schule erst gemobbt, später ist sie einsam. Allerdings geht auch von ihr nie ein Kontaktversuch aus. Sie würde gerne richtig turnen lernen, aber das liegt für ihre Eltern einfach außerhalb der finanziellen Reichweite. Aus als Erwachsene trauert sie dieser Phase nach und schämt sich dafür, diesen Traum jemals für möglich gehalten zu haben. Sie fühlt sich unzulänglich und strengt sich deshalb auch nicht besonders an.

Dagegen hat Manis Mutter ihren Traum von der Hochhauswohnung nie aufgegeben und unterstützt auch die Schnapsideen ihrer Tochter. Sie treibt Mani dazu an, weiterzumachen und mäkelt deshalb auch an ihr herum, weil sie sich keinen neuen Job sucht. Aufgrund ihrer Lernschwäche verursacht sie oft Schwierigkeiten, weil sie die Tragweite ihres Handelns nicht erkennen kann - aber, sie ist die Einzige in der Familie, die sich für Träume und Verbesserung anstrengt, so absurd das manchmal auch wirken mag.

Insgesamt war es ein interessanter Einblick in das Leben der armen Bevölkerung von Seoul. Oftmals witzig geschrieben, zeigt es doch die Perspektivlosigkeit und den Mangel der Möglichkeiten. Ich habe es aber als schwächer empfunden, als die anderen zwei Bücher der Autorin.

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Veröffentlicht am 01.03.2024

Reise zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Wodka mit Grasgeschmack
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In diesem Buch begleiten wir eine Familie nach Schlesien. Die Eltern erlebten als Kinder die Besatzung und anschließende Vertreibung, die beiden Söhne sind bereits erwachsen. Die Reise nach Polen ist zugleich ...

In diesem Buch begleiten wir eine Familie nach Schlesien. Die Eltern erlebten als Kinder die Besatzung und anschließende Vertreibung, die beiden Söhne sind bereits erwachsen. Die Reise nach Polen ist zugleich eine Reise in die Erinnerung, es kommen viele noch nie erzählte Anekdoten an die Oberfläche und ebenso viele philosophische Fragen. Was ist Heimat? Wo ist die Heimat? Und wie geht man damit um, wenn man eigentlich gar keine richtige Heimat hat, da es die alte Heimat nicht mehr gibt und der neue Wohnort niemals Heimat wurde?

Der Schreibstil ist bisweilen poetisch und untermalt alles mit einer gewissen melancholischen Grundstimmung, die sehr gut zum Thema des Buches passt. Die Momente der Erinnerung sind sehr emotional. Allgemein wirkt die ganze Geschichte sehr echt.

Für mich persönlich gibt es ein paar Abzüge in der B-Note: Einmal für das sprunghafte Wechseln von Abschnitten (Ort, Zeit, Personen) auf den ersten 50 Seiten, womit ich leider gar nicht zurecht kam, was dann aber nachlässt. Außerdem ist nicht alles in dem Buch selbsterklärend oder auf Anhieb verständlich und ich habe an ein Buch den Anspruch, dass ich es verstehen kann, ohne parallel nachrecherchieren zu müssen. Vor allem der titelgebende Wodka mit Grasgeschmack kommt nur einmal kurz vor und wird leider nicht näher erklärt, das fand ich schade. Vielleicht wäre "Die Mohmühle" ein passenderer Titel gewesen, denn die ist wirklich in der Familiengeschichte präsent, kommt wiederholt vor und hat eine Bedeutung für die Familie. Insgesamt richtet sich das Buch aus meiner Sicht an eine sehr schmale Zielgruppe, nämlich an Menschen, die ebenfalls Vertriebene aus Schlesien sind oder deren Nachfahren und die daher das Buch mit ihren eigenen Erfahrungen und Erinnerungen komplettieren können. Diese Menschen werden hier sicherlich sehr vieles finden, das ihnen bekannt vorkommt. Menschen wie ich, die bisher noch keine Berührung mit dieser Region und der Geschichte dort hatten, finden diesen Zugang nicht ganz so leicht.

Trotz dieser Kritikpunkte ist es ein sehr gutes Buch, das einem vieles aus der Nachkriegszeit und die Mentalität der Leute damals näherbringen kann. Vieles kann man danach besser nachvollziehen. Insofern ist das Buch eine Empfehlung meinerseits!

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Veröffentlicht am 01.03.2024

Ehrlicher Einblick in den Leistungssport

45 Sekunden. Meine Leidenschaft fürs Turnen – und warum es nicht alles im Leben ist
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Ich interessiere mich erst ein paar Jahre für den Turnsport und verfolge ihn auch eher im amerikanischen Raum, dennoch war für mich sofort klar, dass ich dieses Buch lesen möchte. Kim Bui hat so lange ...

Ich interessiere mich erst ein paar Jahre für den Turnsport und verfolge ihn auch eher im amerikanischen Raum, dennoch war für mich sofort klar, dass ich dieses Buch lesen möchte. Kim Bui hat so lange für die deutsche Nationalmannschaft gewonnen wie niemand sonst und sie teilt in diesem Buch ganz unverblümt ihre Erfahrungen. Vieles davon sind Tabuthemen, die sonst nie offen angesprochen werden, deshalb halte ich dieses Buch auch für wichtig. Sie als Person erscheint mir wahnsinnig sympathisch und ich habe ihr in diesem Buch gerne zugehört.

Der Schreibstil ist relativ simpel und in einem entspannten Plauderton gehalten. Er passt aber absolut zum Buch, denn so kann man Themen und Probleme direkt adressieren ohne sie hinter den Schnörkeln einer poetischen Sprache zu verbergen.

Über viele der Trainingsmethoden und auch der Anmaßung mancher Trainer war ich immer wieder entsetzt. Leider sind diese Umstände im Turnen überall auf der Welt relativ normal, erfreulicherweise scheint hier aber neuerdings ein Umdenken stattzufinden. Besonders das Thema Ernährung und Essstörungen empfinde ich als sehr wichtig. Öffentliches Wiegen und Diskriminierung für angeblich zu viel Gewicht können bei jungen Menschen massiv Schaden anrichten und ich frage mich, wie man so unempathisch und rücksichtslos sein kann. Und wie man überhaupt auf die Idee kommt, eine Leistungssportlerin mit 30 Stunden Training in der Woche könnte Gefahr laufen zu dick zu werden.

Insgesamt habe ich das Buch als sehr traurig empfunden. Kim Bui kam vor allem zum Turnen, da sie sich hier die Anerkennung und Aufmerksam erhofft, die sie zuhause nicht gefunden hat und nimmt dafür einige Qualen in Kauf. Auch wenn ich einerseits Respekt vor so viel Ehrgeiz habe, hat es mich sehr betroffen gemacht und ich habe mich gefragt, ob sie sich das Turnen so lange angetan hätte, wenn sie ein liebevolleres Umfeld gehabt hätte.

Richtig mitgerissen hat mich dann das Ende des Buches, als sie nach der EM ihre Karriere beendet hat. Das war so toll geschrieben, als wäre ich in diesem Moment mit ihr in der Halle, sehr emotional und man hatte das Gefühl, dass sie in diesem Augenblick alles gefunden hat, was sie sich immer gewünscht hat.

Ich wünsche Kim alles Gute für ihr Leben außerhalb des Turnens und hoffe sehr, dass sie ihr persönlich Glück und Erfüllung finden wird.

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Veröffentlicht am 01.03.2024

Gelungenes Werk!

Idol in Flammen
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Ich habe das Buch an einem Stück durchgelesen (es ist ja auch nicht allzu lang) und muss sagen, dass es mir gut gefallen. Akari identifiziert sich als Fan von Masaki, ihr ganzes Leben dreht sich um ihn ...

Ich habe das Buch an einem Stück durchgelesen (es ist ja auch nicht allzu lang) und muss sagen, dass es mir gut gefallen. Akari identifiziert sich als Fan von Masaki, ihr ganzes Leben dreht sich um ihn und sie verbringt Stunden damit, Material über ihn zu sammeln und in Ordnern und ihrem Blog zusammenzutragen. Im realen Leben findet sie sich nur schwer zurecht und so flüchtet sie sich in eine Traumwelt. Dabei finde ich sie aber sehr reflektiert, denn sie kann sehr klar benennen, was das Fan-Sein für sie bedeutet und ist sich auch bewusst darüber, dass es sich im Endeffekt um Realitätsflucht handelt. Gleichzeitig bekommt sie Bestätigung von anderen Fans - noch etwas, das ihr im echten Leben fehlt. Je mehr ihr das wirkliche Leben entgleitet, desto mehr zieht sie sich in die Fankultur zurück.

Ich finde das Buch sehr gelungen. Man bekommt einen guten Einblick in Akaris Kopf, ihre Gedanken und Gefühle, man hat Mitleid mit ihr und selbst ich, die diese Art von Personenkult nie nachvollziehen konnte, kann mich in sie hineinversetzen und sie verstehen. Von mir eine Empfehlung!

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