Profilbild von Havers

Havers

Lesejury Star
offline

Havers ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Havers über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.08.2020

Mensch und Natur

Zugvögel
0

Das Verhältnis von Mensch und Natur, ein Thema, das seit Jahrzehnten Autoren beschäftigt. Man denke nur an Thoreaus „Walden“, Melvilles „Moby Dick“ oder Hemingways „Der alte Mann und das Meer“. Und in ...

Das Verhältnis von Mensch und Natur, ein Thema, das seit Jahrzehnten Autoren beschäftigt. Man denke nur an Thoreaus „Walden“, Melvilles „Moby Dick“ oder Hemingways „Der alte Mann und das Meer“. Und in dem Maße, in dem die Zerstörung unserer Umwelt voranschreitet, Lebensräume sich für Menschen und Tiere verändern, Bestände quer durch alle Spezies dezimiert werden, beschäftigen sich auch in der aktuellen Belletristik Autor*innen mit dieser Thematik. Man denke nur an die erfolgreichen Romane von Maja Lund. Nun also Charlotte McConaghy, die von ihrer Liebe zur Natur zu ihrem Debüt „Zugvögel“ inspiriert wurde.

In einer Welt, in der es kaum noch Vögel gibt, setzt sich Franny, eine Ornithologin, den Gefahren des Atlantiks aus und folgt der Wanderung der letzten Küstenseeschwalben von Grönland bis in die Antarktis. Aber es ist nur in geringem Maße das wissenschaftliche Interesse, das sie antreibt, es sind vor allem ihre inneren Dämonen. Die Vergangenheit, die sie nicht ruhen lässt und für ihre Unrast verantwortlich ist.

„Zugvögel“ bedient verschiedene Genres und ist eine Melange aus Love-Story, Krimi, Abenteuerroman und Klima-Fiktion. Letzeres passt natürlich thematisch gut in unsere Zeit und weckt mit Sicherheit Interesse, hat aber leider eine große Schwäche: Wenn es das Anliegen einer Autorin ist, auf die Umweltzerstörung und deren nachfolgende Problem für die Tierwelt aufmerksam zu machen, sollte sie über das bloße Jammern hinausgehen. McConaghy verzichtet leider auf die Benennung der Ursachen, sieht die Probleme nicht in ihrem gesellschaftspolitischen Zusammenhang, sondern überlagert ihr eigentlich brisantes Thema mit den persönlichen Schwierigkeiten der Protagonistin. Eine vertane Chance. Schade.

Veröffentlicht am 09.08.2020

Auftakt einer neuen Reihe

Old Bones - Tote lügen nie
0

„Old Bones“ ist der Auftakt einer neuen Reihe des Autorenduos Preston/Child. Und es ist gleichzeitig so etwas wie ein Spin Off, denn die beiden Protagonistinnen kennen wir bereits aus den Agent Pendergast-Büchern. ...

„Old Bones“ ist der Auftakt einer neuen Reihe des Autorenduos Preston/Child. Und es ist gleichzeitig so etwas wie ein Spin Off, denn die beiden Protagonistinnen kennen wir bereits aus den Agent Pendergast-Büchern. Nora Kelly, die Archäologin und Kuratorin in Santa Fe, und Corrie Swanson, das etwas schräge, ehemalige Mündel von Pendergast, mittlerweile FBI-Agentin.

Ausgangspunkt ist eine durch Tagebücher verbriefte tragische Geschichte: 1846 machen sich 87 Siedler, bekannt als die Donner Party, auf den Weg nach Westen, aber nur ein Teil von ihnen wird dort ankommen. Starke Schneefälle in der Sierra Nevada überraschen den Treck und verhindern das Weiterziehen, die Vorräte gehen zur Neige, 34 sterben. Die Übrigen überleben nur, weil sie sich ihre toten Reisegefährten einverleiben. Soweit die Fakten.

Nun zur Fiktion: Der kalifornische Historiker Clive Benton ist im Besitz eines solchen Tagebuch und glaubt, dass er anhand dessen den ehemaligen Lagerplatz der Gruppe bestimmen kann. Aber für den Feldeinsatz benötigt er Noras Hilfe, da es ihm an den nötigen Fähigkeiten für die Ausgrabung mangelt. Sie willigt ein, rechnet aber nicht mit den schrecklichen Ereignissen, die ihren Lauf nehmen, als das Gerücht auftaucht, dass in der Nähe des Lagers ein sagenhafter Goldschatz vergraben sei. Hier kommt dann Corrie ins Spiel, die die Mordermittlungen vor Ort leitet.

Ein interessanter Plot, leider stellenweise mit archäologischem Fachwissen überfrachtet und deshalb nicht unbedingt von Tempo geprägt. Aber die Überschneidungen, Verschränkungen zwischen damals und heute, haben für historisch interessierte Leser durchaus ihren Reiz. Obwohl die Geschichte der Donner-Party, ihres Überlebenskampfes, ihres Kannibalismus, bereits vielfach anhand verschiedenster Prämissen analysiert wurde, liefern Preston/Child mit diesem unterhaltsamen Roman einen verblüffenden Ansatz und eine neue Interpretation der damaligen Ereignisse. Vielleicht war es ja wirklich so, wer weiß?

Veröffentlicht am 07.08.2020

Ein Highlight der Reihe

Der Bluthund
0

Mit schöner Regelmäßigkeit erscheint jedes Jahr ein neuer Roman aus dem Reacher-Universum. Ob das zukünftig so bleiben wird sei dahin gestellt, hat Lee Child doch kürzlich bekanntgegeben, dass er nun seinen ...

Mit schöner Regelmäßigkeit erscheint jedes Jahr ein neuer Roman aus dem Reacher-Universum. Ob das zukünftig so bleiben wird sei dahin gestellt, hat Lee Child doch kürzlich bekanntgegeben, dass er nun seinen Ruhestand genießen möchte und deshalb den Staffelstab an seinen Bruder weiterreicht, der die Reihe fortführen soll. Zunächst mit ihm als Co-Autor, später allein.

„Der Bluthund“ stammt allerdings noch aus seiner Feder, obwohl er sich, zumindest inhaltlich, von den Vorgängern unterscheidet. Der einsame Wolf zeigt zu Beginn seine emotionale Seite, die wir so nicht von ihm kennen. Auch wenn sie nur von kurzer Dauer war, trauert er der Begegnung mit einer außergewöhnlichen Frau hinterher. Ja, richtig, er hat Liebeskummer, aber keine Angst, kurz nach der Eröffnungssequenz verfällt er wieder in alte Muster und schlägert, was das Zeug hält.

Wesentlich überraschender als Reachers Melancholie ist allerdings die eigentliche Storyline. In einem Kaff in Wisconsin entdeckt er in einer Pfandleihe einen Westpoint-Ring, Symbol für die erfolgreiche Absolvierung der Ausbildung an der renommierten Militärakademie. Die ehemalige Besitzerin - dass es eine Frau sein muss, schließt er aus der Größe des Rings - muss in einer großen finanziellen Notlage gewesen sein, wenn sie sich von ihm getrennt hat. Reacher, selbst hochdekorierter Ex-Militär, beschließt, den Ring der Eigentümerin zurückzugeben, aber das gestaltet sich schwieriger als erwartet.

Und da wären wir schon bei der zweiten Überraschung, mit der dieser Roman (im Original 2017 erschienen) aufwartet. Auch wenn er die alten Verhaltensmuster des Protagonisten beibehält, beschäftigt sich der Autor mit einem für die Vereinigten Staaten gesellschaftlich relevanten Thema, denn die im Irak-Einsatz schwerverletzte Veteranin ist abhängig von Schmerzmitteln und musste für deren Beschaffung den Ring versetzen.

Dass die Opioid-Krise ein großes, ein flächendeckendes Problem in den USA ist, dürfte mittlerweile bekannt sein. Ob Stadt oder Land, reich oder arm, die Schmerzmittel-Sucht zieht sich durch alle Schichten. Zur Information, zwischen 1999 und 2017 sind nach Behördenangaben fast 400.000 Menschen in den USA an den Folgen von Opioid-Missbrauch gestorben. Und das sind nur die offiziellen Zahlen, die Dunkelziffer dürfte weit höher sein.

Lee Child hat dieses wichtige Thema in eine gewohnt actionreiche Handlung gepackt, spannend und unterhaltsam inszeniert. Für mich ohne Frage ein Highlight der Reihe. Gerne mehr davon, Mr Child!

Veröffentlicht am 05.08.2020

Terror der Hoffnungslosigkeit

Zeiten der Heuchelei
0

Die griechische Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf die normalen Bürger sind seit 2011 ein wiederkehrendes Thema der Kostas Charitos-Krimis von Petros Markaris. So auch in „Zeiten der Heuchelei“, dem ...

Die griechische Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf die normalen Bürger sind seit 2011 ein wiederkehrendes Thema der Kostas Charitos-Krimis von Petros Markaris. So auch in „Zeiten der Heuchelei“, dem zwölften Band der Reihe, in dem der frischgebackene Großvater sich um besonders vertrackte Morde kümmern muss. Auf den ersten Blick erschließt sich die Wahl der Opfer nicht, handelt es sich doch um unbescholtene Bürger, um hochangesehene Stützen der Gesellschaft. Ein sozial engagierter Hotelier, der Stipendien an notleidende Studenten vergibt, ein Abteilungsleiter im Griechischen Statistikamt sowie zwei EU-Beamte plus ein Grieche, die bei einem Autounfall ums Leben kommen.

Die Gutmenschen-Profile von Opfer 1 und 2 bekommen Risse, als den Medien Bekennerschreiben zugespielt werden. Das „Heer der Nationalen Idioten“ übernimmt die Verantwortung für die Anschläge und bezichtigt die Opfer der Heuchelei. Die Ermittlungen ergeben, dass der Hotelier seinen Firmensitz auf die Kaiman-Inseln ausgelagert hat und so seine Gewinne am griechischen Fiskus vorbei schleust, der Beamte hingegen frisiert Statistiken für die EU. Offenbar wesentlich besser entlohnt, als das Einkommen, dass die „normalen“ Griechen, so sie denn überhaupt eine feste Arbeit haben, als Monatslohn erwarten können. Im Durchschnitt ca. 300 Euro, zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben. Rentenzahlungen, die die Bezeichnung nicht verdienen und die Bezugsberechtigten in die Obdachlosigkeit treiben. Und der Staat? Schaut zu.

Wie viel Frust und Ungerechtigkeit muss erduldet werden, bis sich die Opfer dieses Systems formieren? Bis sie die Öffentlichkeit suchen, die Missstände benennen wollen und dabei in der Wahl der Mittel nicht zimperlich sind?

Wieder einmal brisante Themen des griechischen Alltags, auf die Markaris unseren Blick richtet. Allerdings ist die Umsetzung nur in Teilen gelungen. Viel zu viel Baby-Eia, viel zu viel Großfamilien-Idyll, viel zu viel Bürokraten-Blabla. Dafür viel zu wenig zielgerichtete Ermittlungsarbeit, eher ein kollektives Stochern im Nebel von Kommissar Charitos samt Team und hinzugezogenen Experten. Und der Verzicht auf die gebetsmühlenhaften Wiederholungen der Ermittlungsergebnisse hätte dem Roman sicher nicht zum Nachteil gereicht.

Veröffentlicht am 04.08.2020

Auserzählt und mäßig spannend

Quälender Hass
0

Eine Großmutter geht mit ihren beiden Enkelinnen Nüsse sammeln. Sie wird ermordet, und ihre Verletzungen zeigen, dass der Täter in blindem Zorn getötet hat. Die behinderte Sechsjährige ist spurlos verschwunden, ...

Eine Großmutter geht mit ihren beiden Enkelinnen Nüsse sammeln. Sie wird ermordet, und ihre Verletzungen zeigen, dass der Täter in blindem Zorn getötet hat. Die behinderte Sechsjährige ist spurlos verschwunden, die Dreijährige bleibt allein zurück. Die Suche nach Täter und Motiv führt zu einer streng konservativen Gruppe der Amish und konfrontierten Kate Burkholder, die Polizeichefin von Painters Mill, und ihr Team einmal mehr mit einer Mauer des Schweigens. Dieser Fall führt die dunklen Seiten einer Religionsgemeinschaft vor Augen, der Kate selbst bis zu ihrem Ausschluss einst angehörte.

Ein solider Krimi, wie immer routiniert geschrieben, aber durchsichtig geplottet. Von daher für mich nur mäßig spannend. Aber er lässt mich mit ambivalenten Gefühlen zurück. Das fünfte Gebot scheint bei den Amish nicht besonders hoch im Kurs zu stehen, wenn man sich die Häufung der Gewalttaten in Painters Mill so anschaut. Aber es ist ein anderer Punkt, der mich ins Grübeln gebracht hat. Da gibt es die Anhänger der „Alten Ordnung“, die nach weit strengeren Gesetzen und Verhaltensvorschriften als die üblichen Amish leben. Das ist soweit ok, und kann ich stehen lassen. Aber ich habe ein Problem damit, dass diese Moralapostel die fundamentalen Gebote und Verhaltensvorschriften, an die sie sich eigentlich gebunden fühlen sollten, so mir nichts dir nichts außer Kraft setzen. Da wird ein Säugling der Mutter mit fadenscheinigen Begründungen entzogen, weil man deren Fähigkeiten und Verhalten gering schätzt. Mit Unterstützung des Bischofs (!). Und dann breitet man den Mantel des Schweigens über den Vorfall. Niemand muckt auf, keiner redet, selbst dann nicht, als klar wird, dass der Mord an der Großmutter und die Entführung des Kindes mit dieser Aktion aus der Vergangenheit zusammenhängen. Dieses Schweigegebot kann ich so nicht wirklich nachvollziehen, ist es doch eher typisch für Mafia-Clans oder Gangs und mit bloßer Scham nicht zu erklären.

Leider verstärkt sich mein Eindruck, dass Castillos Amish-Setting ziemlich ausgereizt ist. Die Beschreibungen des Alltags und der Regeln sind den Lesern der Reihe mittlerweile hinreichend bekannt und austauschbar. Es fehlen die neuen Aspekte, das Alleinstellungsmerkmal, auch bei Burkholders Fällen, denn diese Verbrechen könnten auch außerhalb der amischen Gemeinschaft verübt worden sein. Kurz gesagt, die Exotik ist verschwunden.