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Veröffentlicht am 09.05.2025

Berührendes Märchen des Außergewöhnlichen

Für Polina
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Hannes wächst in einem besonderen Umfeld auf: gemeinsam mit seiner alleinerziehenden Mutter zieht er zu dem schrulligen, älteren Heinrich, der in einer Villa im Moor lebt. Der Junge, der schon immer schweigend ...

Hannes wächst in einem besonderen Umfeld auf: gemeinsam mit seiner alleinerziehenden Mutter zieht er zu dem schrulligen, älteren Heinrich, der in einer Villa im Moor lebt. Der Junge, der schon immer schweigend vor sich hin gelebt hat, entdeckt dort seine Liebe zur Musik. Er beginnt Klavier zu spielen und bald schon komponiert er besondere Stücke: er erfasst durch seine spezielle Sensitivität das Wesen von Menschen in seiner Musik. Für seine einzige Freundin, für die er bald romantische Gefühle entwickelt - Polina - erschafft er die schönste Sonate. Doch nach einem Schicksalsschlag, der die ungewöhnliche Wohngemeinschaft zerschlägt, endet sein Klavierspiel abrupt. Erst nach vielen Jahren findet er seine Leidenschaft wieder - und geht dabei viral.

"Für Polina" ist ein fast unbeschreiblich gutes Buch. Ich bin bei Hypes immer etwas skeptisch, aber selten hat mich eine solche Zurückhaltung so berührt. Die Geschichte plätschert vor sich hin und erst im Laufe der Zeit kommt die Erkenntnis, dass es sich hierbei um ein leises und wunderschönes, modernes Märchen handelt. Takis Würger zeichnet seine Figuren mit immenser Leidenschaft, sie sind alle besonders, etwas aus der Bahn geraten, aber so, dass man sie nur lieben kann. Speziell wenn er "normale" Menschen auftreten lässt, erkennt man die Außergewöhnlichkeit der Charaktere, an die man sich so schnell gewöhnt hat, dass man erst im Vergleich wieder darauf aufmerksam wird. Die Figuren haben mich emotional intensiv berührt, nicht immer nur im positiven, nein, ab und an nerven sie und man möchte sie packen und durchschütteln. Im Nachklang empfinde ich "Für Polina" wie "Die fabelhafte Welt der Amelie" in Buchform. Die Liebe zum Detail und zur Entschleunigung sind so fabelhaft konstruiert, dass Würger eine eigene Welt schafft, die parallel zu existieren scheint.

Zwischendurch, wie Hannes ins Erwachsenenalter kommt, hat das Buch seine Längen, die mich es für ein paar Tage zur Seite legen ließen. Nach kurzem Stottern wird die Geschichte aber wieder flüssig und zieht einen erneut in seinen Bann. Diese Mischung aus Schrulligkeit, Ehrlichkeit und aneinander-Vorbeireden, aber auch die tiefe Sehnsucht nach anderen Menschen, die feinen Nuancen von Beziehungen, die Takis schildert, die Leidenschaft und Zielstrebigkeit der Charaktere sind tief berührend, absolut fesselnd und einfach wunderschön. Und die Erkenntnis: ohne Literatur wie dieser, wäre das Leben nicht zu bewältigen!

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Veröffentlicht am 06.05.2025

Vom Sehen und Gesehen-werden

Wie du mich ansiehst
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Johanna ist Mitte vierzig und es trifft sie, dass sie nicht mehr gesehen wird. Grundsätzlich ist sie glücklich mit ihrem Leben - ihr Blumenladen floriert, seit sie die exzentrische und kreative Ruby eingestellt ...

Johanna ist Mitte vierzig und es trifft sie, dass sie nicht mehr gesehen wird. Grundsätzlich ist sie glücklich mit ihrem Leben - ihr Blumenladen floriert, seit sie die exzentrische und kreative Ruby eingestellt hat, ihre Ehe mit Hendrik läuft gut, ihre Tochter pubertiert altersgemäß. Nur der Tod ihres Vaters, der ihr einen kleinen Garten hinterlassen hat, macht ihr zu schaffen. Und: die tiefe Sorgenfalte auf ihrer Stirn. Als sie sich diese wegmachen lässt und es keiner bemerkt, gerät ihre Gedankenwelt ins Wanken...

Was für ein schöner Roman Eva Lohmann hier gelungen ist! Er ist ruhig und aufwühlend zu gleich, er regt enorm zur Selbstreflexion an, besonders, wenn man in einem ähnlichen Alter wie die Protagonistin ist. Durch die Hauptfigur, die sich auf die Selbstreflexion einlässt, erhalten auch die anderen Charaktere ihre Haltung, ihren Zeitgeist. Die Geschichte selbst ist alltäglich, sie behandelt unterschiedliche Beziehungen, beleuchtet wie das Miteinander funktioniert und wie auch das Getrennt-sein etwas heilbares hat. Die Emotionen Johannas sind so nachvollziehbar, ohne je ins kitschige zu geraden. Die Autorin schreibt mit Liebe zum Detail und schafft es, wunderbare Bilder in den Kopf zu zaubern.

"Wie du mich ansiehst" ist ein wunderbares, reflektiertes Buch über das Älterwerden, über das Tochter- und das Mutter-Sein, über Makel im Äußeren, im Inneren und in Beziehungen, über die Herausforderungen des Miteinanders. Vor allem aber geht es um das Sehen und Gesehen-werden und hinterlässt ein irrsinnig wohliges Gefühl im Brustkorb, weshalb ich ein Lesen dieses Kleinods nur jedem ans Herz legen kann.

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Veröffentlicht am 06.05.2025

Direkte Missbrauchsaufarbeitung

Das Lieben danach
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In "Das Lieben danach" nimmt uns die Autorin Helene Bracht (Pseudonym) mit in die Aufarbeitung ihrer eigenen Missbrauchserfahrungen. Im Alter von fünf bis acht Jahren wurde sie von einem Nachhilfelehrer ...

In "Das Lieben danach" nimmt uns die Autorin Helene Bracht (Pseudonym) mit in die Aufarbeitung ihrer eigenen Missbrauchserfahrungen. Im Alter von fünf bis acht Jahren wurde sie von einem Nachhilfelehrer sexuell missbraucht. Eindringlich beschreibt sie den Widerspruch zwischen enormen Schmerzen und dem Gefühl endlich geliebt und gesehen zu werden, etwas besonderes zu sein.

Dass eine solche traumatische Erfahrung nicht spurlos an ihr vorübergeht und sie ihr weiteres Leben auf die ein oder andere Weise begleitet, ist klar. Bracht reflektiert viel und eingehend, über den Missbrauch, ihren Umgang damit, aber auch über die Rolle ihrer Eltern. Und sie bleibt nicht dabei stehen, nimmt ihr weiteres Leben in den Blick. Beispielsweise berichtet sie über eine Beziehung mit einem Heiratsschwindler und wie sie auf ihn hereinfallen konnte, beleuchtet eine beinahe Vergewaltigung, die sie mit Worten abwenden konnte und schließlich erkennt sie auch, dass sie selbst Täterin war.

Ihre Lebensreflexion ist beeindruckend, ehrlich, hart und direkt. Oft blieb mir der Atem weg, oft war ich fasziniert von der Widersprüchlichkeit. Besonders zu denken gab mir, wie Bracht eine Begegnung mit einer Frau schildert, der sie in der Vergangenheit Gewalt angetan hatte, sie sich selbst aber an diese kaum mehr erinnern konnte. Wie oft es einem selbst wohl so ergeht, dass man einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, es selbst aber aus eigener Bedeutungslosigkeit - oder als Schrecken vor einem selbst - verdrängt?

Helene Bracht, die selbst als Psychotherapeutin arbeitet, ist mit "Das Lieben danach" eine tiefgründige Reflexion über ihre Missbrauchserfahrungen gelungen, die sich zwischen Essay, Sachbuch und philosophischer Abhandlung bewegt. Obwohl es zwischendurch seine Längen hat, ist es ein lesenswertes Buch für alle, die an der Thematik interessiert sind und sich von der Direktheit der Sprache nicht abschrecken lassen.

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Veröffentlicht am 26.04.2025

Heilung im Fjord

Die Frau und der Fjord
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Gro ist gefangen in ihrer Trauer - nachdem ihr Mann Nicklas unerwartet verstarb, weiß sie nichts mehr mit ihrem Leben anzufangen. Sie gibt ihre Arbeit als Geologin bei einem großen Erdölkonzern auf und ...

Gro ist gefangen in ihrer Trauer - nachdem ihr Mann Nicklas unerwartet verstarb, weiß sie nichts mehr mit ihrem Leben anzufangen. Sie gibt ihre Arbeit als Geologin bei einem großen Erdölkonzern auf und kauft sich ein Haus an einem einsamen Fjord in den Lofoten. In der Einsamkeit sucht sie nach Heilung. Nach und nach erkennt sie, dass die völlige Isolation unmöglich ist. Als eines Tages ehemalige Kollegen auftauchen, um in ihrem Fjord nach Öl zu suchen, werden neue Kampfesgeister in ihr geweckt.

"Die Frau und der Fjord" ist ein ruhiger, nachdenklicher Roman. Intensiv erleben wir das Innenleben der Protagonistin Gro, das zerrissen ist vor Trauer und Selbstmitleid. Die Sprache der Autorin Anette Strohmeyer ist einnehmend und kurzweilig, die umfangreichen Beschreibungen von Flora und Faune ermöglichen ein tiefes Eintauchen in die lofotische Landschaft. Die kurzen Kapitel ermöglichen ein rasches Vorankommen.

Nichtsdestotrotz ist der Roman nur oberflächlich tiefgründig. Gros Welt dreht sich nur um sich selbst und sie zerfließt in ihrem Selbstmitleid um das Schicksal ihres verstorbenen Mannes. Immer wieder wiederholen sich die selben Gedanken und die Selbstsüchtigkeit der Protagonistin nervt zusehends. Kategorisch stößt sie andere Menschen fort, will eigentlich gar nicht aus ihrem Selbstmitleid heraus. Aber erst durch den Kontakt mit anderen Menschen gelingt es ihr, ihre Situation zu reflektieren, auch wenn dies schier ewig dauert. Die Erkenntnis, dass es ohne andere Menschen nicht geht, ein glückliches Leben zu führen, dauert, kommt aber schließlich doch noch an.

Die Trauergeschichte basiert auf persönlichen Erlebnissen der Autorin. Deshalb ist dieses selbstgebaute, innere Gefängnis, das sich die Protagonistin Gro baut, auch authentisch und nachvollziehbar. Leider empfinde ich Gro und auch die anderen Charaktere als etwas einseitig - entweder gut oder böse. Schattierungen dazwischen blinken zwar kurz auf, werden aber nicht eingehender beleuchtet. "Die Frau und der Fjord" war ein netter Roman zum Zwischendurchlesen, der vor allem wegen seiner landschaftlichen Atmosphäre einnehmend ist, jedoch keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen wird.

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Veröffentlicht am 21.04.2025

Lehrhafter, klischeebedienender Historienroman

Im Wind der Freiheit
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In Tanja Kinkels neuem Historienroman "Im Wind der Freiheit" begleiten wir die beiden Frauen Susanne und Louise in ihrem Kampf um die Demokratie. Die Welt aus der sie stammen, könnte nicht unterschiedlicher ...

In Tanja Kinkels neuem Historienroman "Im Wind der Freiheit" begleiten wir die beiden Frauen Susanne und Louise in ihrem Kampf um die Demokratie. Die Welt aus der sie stammen, könnte nicht unterschiedlicher sein: während Louise eine erfolgreiche Schriftstellerin aus gutem Hause ist, ist Susanne Arbeiterin in einer Fabrik. Als sie bei einem Versuch Gerechtigkeit für eine Freundin zu erlangen ihre Arbeit verliert, ist sie gezwungen als Sexarbeiterin zu arbeiten. Von Anfang an ist ihr Schicksal miteinander verwoben und in den heißen Kämpfen im Jahr 1848 kommen sie ohne einander nicht aus, auch wenn ihre Beweggründe im Kampf nicht die gleichen sind...

Die Autorin verknüpft gekonnt tatsächlich existierende Frauen aus der Geschichte (wie Louise Otto) mit jenen, die aufgrund ihrer "geringen" Stellung nicht in die Geschichtsbücher eingegangen sind. Sehr detailliert lässt sie uns die historischen Geschehnisse von 1848 anhand ihrer Figuren miterleben, die in den deutschen Fürstentümern und in Österreich für eine Republik und ein allgemeines, wenn auch nur für Männer geltendes Wahlrecht kämpfen. Dass auch Frauen ein wichtiger Teil dieses Befreiungskampfes waren, gelingt der Autorin anschaulich aufzuzeigen.

Grundsätzlich ist die Sprache, in der der Roman verfasst wurde, einfach und kurzweilig zu lesen. Allerdings haben die einzelnen historischen Abhandlungen definitiv ihre Längen, was es nicht einfach macht, dem Roman in allen Teilen zu folgen. Zudem ist die Anzahl der unterschiedlichen Charaktere hoch, leider wurde verabsäumt eine Figurenliste anzufügen, an der man sich orientieren hätte können. So wird auch mit keinem Wort erwähnt, welche Charaktere auf wahren, welche auf fiktiven Begebenheiten beruhen. Lediglich eine kurze Quellenliste am Ende lässt die historischen Persönlichkeiten vermuten. Dieses vollkommene Fehlen von Aufklärungsarbeit - nicht einmal anhand eines Nachworts - überlässt es den Lesenden selbst, Fakten zu recherchieren. Das ist für meine Ansprüche an einen Historienroman sehr schwach.

Früher habe ich ganz viele historische Romane gelesen, in den letzten Jahren ist mir die Vorliebe dafür allerdings abhanden gekommen. Grund dafür ist, dass die Romane oft ähnlich aufgebaut sind: im Zentrum steht meistens eine Liebesgeschichte, die Protagonist:innen wollen allesamt einen gesellschaftlichen Fortschritt und haben oft Vorstellungen davon, die so von der Gegenwart geprägt sind, dass mir diese unglaubwürdig erscheinen. Trotzdem schafft es die Figur irgendwie, nach ihren Vorstellungen leben zu können, auch wenn das in der jeweiligen Zeit ziemlich unvorstellbar war. Als ich die Leseprobe zu diesem Buch gelesen habe, dachte ich mir, dass "Im Wind der Freiheit" einen anderen Weg gehen könnte. Leider war dem nicht so und oft ertappte ich mich dabei, gewisse Gedankengänge oder Taten der handelnden Personen als unglaubwürdig zu empfinden. Zudem waren die Liebensgeschichten viel zu vorhersehbar und hätten - für meinen Geschmack - bei den fiktiven Charakteren auch nicht unbedingt sein müssen. Hatte ich mir erhofft, dass vor allem die Frauenfiguren, die sich nach Anerkennung sehnen, Tiefe erhalten, wurde ich dahingehend leider enttäuscht und ihr Wunsch nach Gleichberechtigung wurde nur oberflächlich verfolgt. Letztendlich empfand ich das Lesen als ermüdend.

Mein Fazit: "Im Wind der Freiheit" ist ein klassischer Historienroman, der viel Aufklärungsarbeit über die Freiheitskämpfe des Jahres 1848 liefert, der für meinen Geschmack aber zu klischeebeladen und vorhersehbar ist. Leider fehlt eine Information über historische Persönlichkeiten genauso wie eine Figurenübersicht. Wer etwas über das wichtige Jahr 1848 lernen will, ist hier gut aufgehoben, wenn einem viele Längen, die üblichen Liebensgeschichten und kaum überraschende Charaktere nicht stören.

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