Profilbild von LisaJohannsen

LisaJohannsen

Lesejury-Mitglied
offline

LisaJohannsen ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit LisaJohannsen über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.09.2025

Entspannter Coming-of-Age-Roman, dem teilweise etwas Tiefe fehlt

Beste Zeiten
0

Sickan, die eigentlich Siv heißt, ist gerade erst für ihr Studium nach Stockholm gezogen. Hier möchte sie sich endlich neu erfinden – weg von der Schulzeit in der Kleinstadt, in der sie gemobbt wurde und ...

Sickan, die eigentlich Siv heißt, ist gerade erst für ihr Studium nach Stockholm gezogen. Hier möchte sie sich endlich neu erfinden – weg von der Schulzeit in der Kleinstadt, in der sie gemobbt wurde und auch von ihren Eltern wenig Liebe erfährt, mitten hinein ins Großstadtleben. Hier möchte sie von vorne anfangen, mit einer neuen Identität, möchte endlich echte Freunde finden und sich vielleicht auch verlieben.

Über lange Stecken plätschert das Buch geradezu dahin: Man ist schnell „drin“ in Sickans Studentenleben, mit günstigem Wohnheimzimmer, Instantnudeln, Partys im Park und Vorlesungen, die vorbereitet werden müssen – oder auch mal geschwänzt werden können. Schnell kommen dann aber auch ernstere Themen aus Sickans Vergangenheit zur Sprache, die in dem Buch, das sich sonst häufig nach Wohlfühlliteratur anfühlt, geradezu schockierend wirken.

Ich habe mich in der Welt, die Jenny Mustard hier zeichnet, schnell wohl gefühlt. Das Leben einer jungen Erwachsenen, die zum ersten Mal wirklich auf eigenen Füßen stehen muss, der die Welt offen steht, die sich aber gleichzeitig selbst erst finden muss, ist hier extrem gut gezeichnet. Alltagssituationen und Gespräche wirken so realistisch, dass man sie beim Lesen glasklar vor Augen hat.

Etwas negativ fiel mir leider auf, dass zwar sehr viele gesellschaftlich relevante Themen (wie Feminismus, Traumata und ihre Bewältigung, Mobbing, Gewalt, um nur einige zu nennen) angesprochen werden. Häufig geht die Autorin bei diesen aber nicht wirklich in die Tiefe. So gibt es im Buch für mich einige Widersprüche: Sowohl beim Plot, zwischen geradezu seichten Passagen und durchaus brutalen Themen, die angeschnitten werden – als auch charakterlich bei Sickan als Protagonistin. Ohne zu viel von der Handlung verraten zu wollen: Sie macht, wie bei einem Coming-of-Age-Roman zu erwarten, eine starke persönliche Wandlung durch. Einige Handlungen ihres „alten Ichs“ passen aber eher zu den sich neu entwickelnden, nicht zu ihren ursprünglichen Charakterzügen. In den Rückblenden wirken diese Handlungen dann eher unglaubwürdig.

Zusammenfassend kann ich sagen: Ich habe mich in der Welt des Buches sehr wohl gefühlt. Die häufigen Szenenwechsel und kurzen Kapitel haben für mich dazu beigetragen, dass das Buch nicht langweilig wurde und ich es zügig durchgelesen habe. Bei einigen Themen hätte ich mir aber etwas mehr Tiefe gewünscht. Bestimmte, durchaus relevante Themen quasi nur en passant zu erwähnen, fühlt etwas nach vertanen Chancen an.

Besonders hervorheben möchte ich hier die Übersetzung von Lisa Kögeböhn, die aus meiner Sicht ausgezeichnet gelungen ist.

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Themen
Veröffentlicht am 03.07.2025

Beeindruckendes Familienepos

Das achte Leben (Für Brilka)
0

Spätestens seit "100 Jahre Einsamkeit" bin ich ein großer Fan von Familiensagas, die reale historische Ereignisse anhand mehrerer Generationen einer Familie erzählen. "Das achte Leben" hat mir ganz neue ...

Spätestens seit "100 Jahre Einsamkeit" bin ich ein großer Fan von Familiensagas, die reale historische Ereignisse anhand mehrerer Generationen einer Familie erzählen. "Das achte Leben" hat mir ganz neue Perspektiven auf die sowjetische und vor allem die georgische Geschichte eröffnet. Tatsächlich war ich neben dem Lesen recht viel bei Wikipedia unterwegs, um die echten historischen Figuren hinter der Geschichte zu recherchieren.

Die Story hat mich auch über die fast 1300 Seiten gefesselt. Immer wieder gibt es Wendungen und Begnungen, die ich so nicht erwartet hätte. Auch sprachlich war ich in weiten Teilen begeistert: Selten habe ich mir beim Lesen so viele Zitate notiert. Einziger Wermutstropfen für mich ist, dass die Sprache manchmal recht inkonsistent wirkt: Neben vielen wirklich beeindruckenden Formulierungen und sprachlichen Bildern gibt es auch immer wieder Passagen, die eher simpel und abgedroschen wirken.

Alles in allem aber ein tolles Buch!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.07.2025

"Die Vegetarierin": Ein vielschichtiger Roman, den ich direkt ein zweites Mal gelesen habe

Die Vegetarierin
0

Han Kangs "Die Vegetarierin" hat mich nachhaltig beeindruckt. Die Erzählebene scheint auf den ersten Blick verwirrend, fast traumartig. Die Erlebnisse der Protagonistin werden konsequent nur aus der Perspektive ...

Han Kangs "Die Vegetarierin" hat mich nachhaltig beeindruckt. Die Erzählebene scheint auf den ersten Blick verwirrend, fast traumartig. Die Erlebnisse der Protagonistin werden konsequent nur aus der Perspektive anderer erzählt - nie durch sie selbst. Zwischen den Abschnitten gibt es Zeitsprünge, durch die man jedes Mal etwas hinausgeworfen, dann aber doch wieder tiefer in die Erzählung hineingesogen wird.

Als ich dieses Buch zum ersten Mal durchgelesen hatte, war ich beeindruckt. Sowohl sprachlich als auch inhaltlich bringt dieses Buch Impulse mit, die mir so bisher noch nie begegnet sind. Es fiel mir aber zu diesem Zeitpunkt sehr schwer, auch die methaphorische Ebene zu verstehen. Ich habe mich also dazu entschlossen, das Buch direkt ein zweites Mal zu lesen. Dabei habe ich ganz neue Aspekte entdeckt, die mir beim ersten Durchgang entgangen waren.

Diese methaphorische Ebene erschließt sich einem als westlich geprägter Leser nicht leicht. Ich bin sicher, auch mir wäre sie ohne tiefere Kenntnisse der koreanischen Kultur und der gesellschaftlichen Verhältnisse dort sicher entgangen. Aus meiner - zugegebenermaßen sehr persönlichen - Sicht kann ich aber nur feststellen, dass Han Kang der Nobelpreis zurecht verliehen wurde. "Die Vegetarierin" ist aus meiner Sicht wirklich ein Meisterwerk. Nie zuvor habe ich die Situation der Frau in Ostasien so brutal, aber auch so treffend beschrieben gesehen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere