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Veröffentlicht am 04.12.2020

eine Geschichte, die auch unsere Geschichte ist – so spannend, so erschütternd, immer noch aktuell

Verraten
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Ich bin froh und dankbar, dass ich „Verraten“ gelesen habe. Gerade, weil die Handlung nicht bequem ist, mich auch mal zur nächtlichen Stunde umgetrieben und mir ein Geschichts- und Gedankenfeld eröffnet ...

Ich bin froh und dankbar, dass ich „Verraten“ gelesen habe. Gerade, weil die Handlung nicht bequem ist, mich auch mal zur nächtlichen Stunde umgetrieben und mir ein Geschichts- und Gedankenfeld eröffnet hat, dem ich mich viel zu selten widme. Was ist Schuld? Wie verhält es sich mit der Frage nach der persönlichen Schuld? Und trägt jeder Mensch Verantwortung für sein Handeln – auch wenn es unter schier unerträglichem Druck, Zwang und überwältigender Angst um das eigene Leben und das seiner Liebsten geschieht?
All dies geht mir auch jetzt noch durch den Kopf, nachdem ich die letzte Zeile gelesen und das Buch nun zugeklappt habe. Es war ein sehr intensives Leseerlebnis, das mich bereits ab der ersten Seite in seinen Bann gezogen hat. Ein wenig ahnungslos und vielleicht auch ein wenig naiv mit Blick auf Geschichte und Leben in der DDR wurde ich als Leserin ganz unmittelbar in das Geschehen hineingestoßen – das klingt hart, und das ist es mit Blick auf die Geschehnisse auch. Der Alltag in dem Durchgangsheim, der menschenverachtende Umgang mit den Kindern und jungen Männern und Frauen, die Entrechtung und Entwürdigung haben mich eiskalt erwischt, sind mir unter die Haut gegangen, haben mich sprachlos gemacht. Was ist Fiktion, was war wohl tatsächlich in diesen Heimen möglich?
Sebastian und Katja haben mir diese Geschichte sehr nahegebracht, stehen sie für mich doch stellvertretend für das Schicksal vermutlich unzähliger Männer, Frauen und Jugendlicher in der DDR, die der Willkür einer Staatsmacht schutzlos ausgeliefert waren und damit um ein Leben in Freiheit und die Möglichkeit beraubt wurden, ihre private und auch berufliche Gegenwart und Zukunft selbst zu gestalten.
Was mich die Handlung lehrt: Freiheit, Schutz, Mitbestimmung – all dies ist nicht selbstverständlich, es ist eine große Errungenschaft, ein Privileg, das es zu schätzen und vor antidemokratischen Strömungen in unserer Gesellschaft zu schützen gilt. Und zwar von jedem einzelnen von uns, damit Entrechtung, Demütigung und ein Leben unter Druck und Zwang hoffentlich irgendwann für immer der Vergangenheit angehören.

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Veröffentlicht am 01.11.2020

Emotional tief und nah - wunderschön und so schmerzhaft

Die Sommer
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Tief bewegt hat mich das Buch zurückgelassen - und meinen Mann ebenso, denn ich habe ihm viele Stunden daraus laut vorgelesen. Und manchmal auch ganz leise. Und manchmal musste ich schlucken und die Stimme ...

Tief bewegt hat mich das Buch zurückgelassen - und meinen Mann ebenso, denn ich habe ihm viele Stunden daraus laut vorgelesen. Und manchmal auch ganz leise. Und manchmal musste ich schlucken und die Stimme versagte. Das passiert mir selten. Ronya Othmann beschreibt in einer wunderbar melodischen Sprache die Kindheit und Jugend der Kurdin und Ezidin Leyla, hier in Deutschland - dem Land ihrer Geburt -, dort in einem kleinen Dorf im Norden Syriens, gleich an der Grenze zur Türkei. Ihre scheinbar unbeschwerten Sommer bei ihren Großeltern, Tanten, Onkels, Cousins und Cousinen, nachts unter dem freien Sternenhimmel, tagsüber zum Schutz vor der Hitze geborgen hinter den dicken Mauern des Hauses. Und dann, für mich als Leserin ganz langsam, erhält das Grauen, der Schrecken des Krieges Einzug, Furcht, Angst und Vertreibung, die bereits seit vielen, vielen Generationen Teil der Geschichte des ezidischen Volkes sind. Leyla, ihr Vater und ihre Mutter in Deutschland sind Teil dieses Krieges, wenn auch räumlich ganz weit entfernt, emotional dagegen so nah. Was macht das mit ihrem eigenen Leben, wie viel eigenes Leben kann so überhaupt entstehen, wachsen und über die Jahre bleiben - Ronya Othmann schildert es eindrucksvoll und mit einer Intensität und Nähe, die ich manchmal nur schwer zulassen konnte. Dieses Leseerlebnis bleibt - und zwar deutlich länger als diesen "einen Sommer" in meinem Kopf. Und ich hoffe sehr, dass auch die Fragen, die dieses Buch in mir aufgeworfen hat, und all meine Neugier auf Antworten so schnell nicht zur Ruhe kommen werden.

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Veröffentlicht am 01.11.2020

Weltenspiel mit Tiefgang

Cryptos
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Von Ursula Poznanski erwarte ich beste Unterhaltung und Stunden voller Spannung, Abenteuer und Nervenkitzel bis mir der Atem stockt – und all das habe ich in „Cryptos“ gefunden.
Wir werden mit in ein dystopisches ...

Von Ursula Poznanski erwarte ich beste Unterhaltung und Stunden voller Spannung, Abenteuer und Nervenkitzel bis mir der Atem stockt – und all das habe ich in „Cryptos“ gefunden.
Wir werden mit in ein dystopisches Konzept unseres Lebens genommen, mit in eine Welt, die ihre Bewohner mit widrigsten Bedingungen und einem feindlichen Äußeren konfrontiert, eine Welt, frei von realen, tatsächlichen Freuden und Annehmlichkeiten – wenn, ja wenn nicht eine entsprechende Kompensation im Virtuellen geschaffen worden wäre. Eine unendliche Zahl an Zufluchten, alles ist erlaubt, alles ist möglich, auch für die Autorin, die für ihre überbordenden Fantasie so eine große Spielwiese geschaffen hat, mit der sie den Leser verzaubert und immer wieder aufs Neue zu überraschen vermag.
Zu erleben, wie Ursula Poznanski so selbst zu einer Weltendesignerin wird, war für mich ein großes Vergnügen, das gerne noch viele Seiten hätte andauern dürfen. Und dass ich als große Freundin von Monstern, Horror und allem Untoten dann auch noch mit auf einen Ausflug nach „Vampyrion“ genommen wurde, war für mich eine ganz besondere Freude und ein tolles Erlebnis. Hier hoffe ich sehr auf eine Fortsetzung!
Doch Poznanski wäre nicht Poznanski, gäbe sie sich mit unglaublich guter Unterhaltung und einem Leseerlebnis, das auch mal die Nacht zum Tag werden lässt, zufrieden. Sie will den Leser zum Nachdenken anregen und sein gewohntes Denken – vielleicht auch seine Bequemlichkeit – durchkreuzen. Umweltzerstörung, schwindende Ressourcen und ein Konzern, der unreguliert Geld und Macht vermehrt und seinen ganz eigenen Interessen nachgehen kann. Zum Glück ist das alles nur ein Gedankenexperiment und eine große Fiktion – oder etwa nicht?

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Veröffentlicht am 12.05.2023

Sprachwitz, Humor und so skurril und überraschend

Cult Classic
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Die Büchse der Pandora – das ist „Cult Classic“ für mich, wenn ich den Buchdeckel einmal geöffnet habe und die Geschichte Raum findet, sich zu entfalten. Und was entweicht, ist weit mehr als ich erwartet ...

Die Büchse der Pandora – das ist „Cult Classic“ für mich, wenn ich den Buchdeckel einmal geöffnet habe und die Geschichte Raum findet, sich zu entfalten. Und was entweicht, ist weit mehr als ich erwartet habe. Es ist Humor und Sprachwitz so wunderbar und originell, das er mich zum Lachen und zum laut Vorlesen gebracht hat – Letzteres mag schon etwas heißen! Es ist eine Geschichte mit unerwarteten Wendungen und vor allem skurrilen Einfällen und Entwicklungen, die sich einfach nicht voraussehen lassen. Und was „Cult Classic“ vor allem ist: ein Roman, der alles ist außer gewöhnlich!
Doch noch mal zurück und ganz von vorn: Lola ist eher sprunghaft – vor allem, wenn es um die Wahl ihrer Männer und Dauer ihrer Beziehungen geht. Ihre Ex-Freunde könnten ein ganzes Buch füllen. Und tun sie in diesem Fall auch. Denn Lola begegnet ihnen plötzlich und unverhofft auf den Straßen und in Restaurants, beim Einkaufen, vor der Haustür und damit auf Schritt und Schritt. Wieviel Zufälligkeit kann in diesen zufälligen Zusammentreffen liegen, und ab wann wird das Unerwartbare bereits erwartbar?
Und dann passiert es: Es wird skurril! Geradezu unglaublich! Und zwar in einer Form, die nun ich nicht erwartet hätte. Und das ist gut, sehr gut sogar, denn die ganz eigene Dynamik und Bedeutungsebene, die nun aufgemacht werden, sind originell und besonders, bringen mich zum Staunen und lassen alles Vorherige und auch das Folgende in einem neuen Licht erscheinen. Denn bisher erschien mir die Geschichte durchaus „irdisch“ und mit Bodenhaftung, in der realen Welt verankert und den Gesetzen der Wissenschaft verpflichtet. War ich eine Närrin!
Und bevor ich noch zu viel verrate, beschränke ich mich auf: Findet es selbst heraus! Und habt dabei ebenso viel Lesefreude wie ich! Lacht über die Schlagfertigkeit einer Ich-Erzählerin, die sich nicht nur in die Herzen unzähliger Freunde und Ex-Freunde gestohlen hat! Und haltet Euch fest, denn es kommt einiges auf Euch zu!

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Veröffentlicht am 20.01.2024

Erst die Message, dann die Geschichte

Eine Frage der Chemie
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Das Buch ist ein Plädoyer! Für Gleichberechtigung, die Stärken der Frau und deren Anerkennung in Beruf und Gesellschaft. Und auch, wenn die Geschichte in den sechziger Jahren der Vereinigten Staaten verortet ...

Das Buch ist ein Plädoyer! Für Gleichberechtigung, die Stärken der Frau und deren Anerkennung in Beruf und Gesellschaft. Und auch, wenn die Geschichte in den sechziger Jahren der Vereinigten Staaten verortet ist, ist ihre Botschaft ungebrochen aktuell.
Denn was einem aufgeklärten Menschen heute selbstverständlich erscheinen mag, ist es für Teile der Bevölkerung noch lange nicht: nicht in den westlichen Industriestaaten und nicht in vielen weiteren Ländern und Regionen. Intellekt hängt nicht von Geschlecht und Rasse ab! Bildungs- und Aufstiegschancen dürfen dies auch nicht. So die Theorie. Dagegen dann die Realität.
Für Elizabeth Zott ist es keine Frage: Sie ist Wissenschaftlerin. Chemikerin, um genau zu sein. Und als diese will sie auch arbeiten und forschen. Weil es ihre Berufung ist. Und sie ein Recht hierauf hat. Glaubt sie. Doch die sechziger Jahre legen ihr Hindernisse in den Weg. Ganze Felsblöcke. Granitberge.
Mit Calvin Evans scheint sich alles zum Besseren zu wenden. Privat, denn er ist ihre große Liebe. Ihr Seelenverwandter. Und in ihrer Forschung. Auch hier ergänzen sie sich hervorragend. Doch dann kommt alles anders. Und Elizabeth ist gezwungen, wieder alleine gegen eine Gesellschaft zu kämpfen, in welcher die Frauen eine Schürze und keinen Laborkittel zu tragen haben.
Doch um für sich und ihre kleine Tochter ihren Lebensunterhalt zu verdienen, wagt sie ein Experiment. Und stößt damit eine Revolution an, welche die Gesellschaft und damit die Rolle der Frau für immer verändert.
So wie Elizabeth ihre viele tausend Zuschauerinnen mit „Essen um sechs“ in ihren Bann zieht, so ging es mir auch mit der Geschichte. Die vergnüglich, traurig und stark in der Message ist. Und das ist auch mein einziger Kritikpunkt: Die Botschaft schiebt sich für mich vor die Handlung. Lenkt diese. Und wird damit plakativ. Aber kann Garmus es denn tatsächlich zu oft wiederholen? Frauen können alles erreichen, was sie wollen! Und ohne Frauen ist die Gesellschaft nichts. Und auch die Wissenschaft ein träger Dampfer mit nur einem Motor.

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