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Veröffentlicht am 13.06.2023

Unerwartete Wendungen

Alegra - Das Mündel der Medici
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Alegra, Titelfigur des historischen Romans „Alegra, das Mündel der Medici, muss als Kind miterleben, wie ihr Vater von den fanciulli, der italienischen „Kinderpolizei“, abgeführt und hingerichtet wird. ...

Alegra, Titelfigur des historischen Romans „Alegra, das Mündel der Medici, muss als Kind miterleben, wie ihr Vater von den fanciulli, der italienischen „Kinderpolizei“, abgeführt und hingerichtet wird. Sie wächst lange im Verborgenen auf, im Hause des Malers Donatello, dessen Förderer Cosimo de Medici ist. Doch als junge Frau drängt es sie, die Welt um sie herum kennenzulernen. Aber nicht alles, was ihr widerfährt, gefällt ihr, auch wenn die Begegnung mit Fabrizio bei ihr bisher nicht gekannte Gefühle weckt. Dabei ist auch er einer der fanciulli.
Eigentlich sind die Voraussetzungen für einen opulenten historischen Roman gegeben: Liebe, Kunst, das stimmungsvolle Florenz, die Zeit der Ränke und Machtspiele unter den Medici und das spannende Phänomen der fanciulli: eine Bande Halbwüchsiger, denen es gestattet war, Menschen für ihre Sünden in dem Sinne zu bestrafen, dass sie z. B. in den Häusern Luxusgut und anrüchige Gegenstände wie die Porträts von Nackten zerstören durften oder diejenigen verprügeln konnten, die ihnen keine Almosen gaben oder zu guter Letzt Menschen, die sich wiederholt versündigten, zur Hinrichtung geleiteten.
Leider verliert sich der Roman zusehends mehr in melodramatischen Gefühlsausbrüchen, sodass bisweilen der historische Kontext ganz ins Hintertreffen gerät. Das Verhalten der Figuren ist dabei recht häufig gänzlich unmotiviert und wechselt innerhalb von Zeilen zwischen Zorn und Liebesbekundungen, Verachtungen und Verständnis usw. Im letzten Drittel wird die Verwicklung der Figurenkonstellationen immer abstruser: Totgeglaubte tauchen wieder auf, nur um kurz darauf wieder zu verschwinden, Liebesbeziehungen wechseln von hetero zu bi und auch darin mehrfach zwischen den Figuren, was total unglaubwürdig wirkt. Gerade noch vor Eifersucht rasend auf den Nebenbuhler um eine Frau, stellt sich heraus, dass der junge Mann gar nicht auf Frauen steht, sondern auf Männer. Und auch dies passiert nicht einmal, sondern öfter.
Ich war mit ganz anderen Leseerwartungen an das Buch herangetreten, sodass das Buch nicht meinem Geschmack entsprochen hat.

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Veröffentlicht am 20.11.2022

Babylon Kinderklinik Weißensee

Kinderklinik Weißensee – Tage des Lichts (Die Kinderärztin 3)
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Der dritte Band der „Kinderklinik Weißensee“ spielt in den Jahren 1929/30, die Jahre der Erfindung des Penicillin und der sich dem Ende zuneigenden Weimarer Republik, wie man auch dem lesenswerten Nachwort ...

Der dritte Band der „Kinderklinik Weißensee“ spielt in den Jahren 1929/30, die Jahre der Erfindung des Penicillin und der sich dem Ende zuneigenden Weimarer Republik, wie man auch dem lesenswerten Nachwort der Autorin entnehmen kann.
Darin kämpfen die Schwestern Emma, Kinderkrankenschwester, und Marlene, Kinderärztin in der Klinik Weißensee, um ihr berufliches und privates Glück sowie um das Leben ihrer kleinen Patienten. Der Klinik droht ob sich häufender Beschwerden von Eltern über das mangelnde Klinikmanagement die Schließung. Beide Ehen der Schwestern stehen vor dem Aus. Marlene hat sich so in ihre Arbeit gestürzt, dass keine Zeit für Kinder bleibt, und auch Emmas Kampf als neue Oberschwester lässt ihr wenig Zeit für ihre Kinder, sodass ihr Sohn auf die schiefe Bahn gerät. Und auch die Männer scheinen sich auf Abwegen in der Liebe zu befinden. Hinzukommt noch das plötzliche Auftauchen des Vaters von Emma und Marlene, der die Familie schon früh im Stich gelassen hat und dem die Schwestern nicht wirklich vertrauen können: Meint er es wirklich ernst?
Eigentlich beinhaltet die Geschichte viele spannende Erzählstränge, allerdings werden diese immer wieder mal aufgegriffen, wieder fallengelassen und irgendwann fortgesponnen, ohne dass sie sich wirklich zu einem Strang verknüpfen. Dabei bleibt alles ein wenig im Oberflächlichen, gerade die Geschichte der Erforschung des Penicillin, die auf dem Einband als Marlenes große Herausforderung thematisiert wird, aber letztlich nur ein paar Seiten als Nebendarstellerin bekommt. Es überwiegen die rührseligen, melodramatischen Schilderungen des Gefühlslebens der beiden Schwestern und ihrer Familien. Die Geschichte mit dem Vater, der unter mysteriösen Umständen immer wieder auftaucht und verschwindet, ist wenig glaubwürdig. Noch abstruser ist die Story um die Entgleisung der Klinik unter der Leitung der neuen Pflegeleiterin Marie Luise Fischer. Auf einmal tragen alle Schwesternschülerinnen Schminke, Schmuck, wiegen die Hüften, betrinken sich, feiern die Nächte durch und residieren in kleinen Luxuszimmern, um ihre Motivation zu fördern und den Pflegeberuf beliebter zu machen. Das wirkt schon eher komisch in seiner Lächerlichkeit. Etwas weniger Kitsch und Rührseligkeit hätten aus den Ideen eigentlich einen guten Roman werden lassen können, zumal der historische Hintergrund genügend Spannung bietet, dass es solcher überdrehten Einfälle nicht bedurft hätte.

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Veröffentlicht am 26.10.2022

Eine unsympathische Heldin

Ein Kind namens Hoffnung
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Elly ist Köchin in einem jüdischen Haushalt und rettet den Sohn der Familie spontan in einer Nacht, als die Eltern nach einer Razzia deportiert werden. Sie gibt ihn als ihren Sohn aus und flieht zunächst ...



Elly ist Köchin in einem jüdischen Haushalt und rettet den Sohn der Familie spontan in einer Nacht, als die Eltern nach einer Razzia deportiert werden. Sie gibt ihn als ihren Sohn aus und flieht zunächst zu ihrer Familie und dann aufs Land, wo sie hofft, den Krieg unbeschadet und unbemerkt zu überleben, um ihr Versprechen einhalten zu können: den Sohn der Mutter zurückzubringen.
Leider werde ich mit der Heldin überhaupt nicht warm. Es sind immer wieder einzelne Züge oder sprachliche Wendungen, die mich in Distanz zu ihr bringen: sie wirkt derb und plump, ihr Äußeres erscheint bisweilen abstoßend und sie hat Attitüden, die abschrecken: sie kratzt an den Türen ihrer Liebhaber und spuckt sich in die Hände, um sich dann das Haar glatt zu streichen. Sowohl die Figuren als auch die Handlung sind für mich nicht immer stimmig, sehr sprunghaft und oft ohne erkennbare Motivation. Die Geschichte hat viel Potential, aber es kommt immer wieder zu dramatischen Einzelszenen, die sich in Nichts auflösen: Elly flieht, trifft auf dem Bahnhof einen Eifelbauern, dem gleich die Idee kommt, die ihm unbekannte Frau mit dem Kind zum Ersatz für seine verstorbene Ehefrau zu machen. Ein Sohn des Bauern wird ins Kinderheim gegeben, weil das Essen für ihn nicht reicht, für Elly und „ihr“ Kind, dem Bauern völlig fremd, aber schon. Dann wird er später von Elly aus dem Heim gerettet, obwohl die Zeiten noch härter sind. Elly wird beim Hühnerklauen erwischt, aber die „Geflügelbaronin“ findet das ganz in Ordnung. Sie nimmt Flüchtlinge auf, die, weil sie hungern, handgreiflich werden. Der Bauer kommt, droht, Situation gelöst. Ich hatte mich sehr auf die Geschichte gefreut, gerade weil ich „die heimliche Heldin“ gemäß der Vorankündigung sehr sympathisch fand. Meine Vorerwartung fand ich beim Lesen enttäuscht.

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Veröffentlicht am 22.10.2022

Besser Furie als Euphorie

Euphorie
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Das letzte Jahr im nicht sehr glücklichen Leben der Sylvia Plath – es geht um ihr Ringen mit ihrem Leben als Frau, als Tochter, als Mutter, als Schriftstellerin, als Mensch, als gescheiterte Existenz.
Das ...

Das letzte Jahr im nicht sehr glücklichen Leben der Sylvia Plath – es geht um ihr Ringen mit ihrem Leben als Frau, als Tochter, als Mutter, als Schriftstellerin, als Mensch, als gescheiterte Existenz.
Das Buch ist ein 336seitiger Monolog der Anklage, des Selbstmitleides, der leidenschaftlichen Liebe, des Hasses, der Erniedrigung anderer, der Selbstüberhöhung und des Selbstzweifels. Etwas zu viel des Guten: immer wieder kreisen die Gedanken um dasselbe Problem: warum liebt mich keiner, warum kann ich nicht die sein, die ich bin oder die ich glaube zu sein, warum kann ich nicht schreiben? Was dabei fehlt ist die angekündigte, um nicht zu sagen schon im Titel versprochene Euphorie. Das Leben und auch das Schreiben der Erzählern findet meist im Konjunktiv statt. Sie ist eine Verhinderte, und zwar eine durch andere Verhinderte, aber „eigentlich“ durch sich selbst. Das kann dem Leser auf Dauer schon mal auf die Nerven gehen. Über das äußere Leben der Dichterin erfährt er wenig. Sie bezieht mit Mann und Kind ein englisches Pfarrhaus, sie gebirt ein weiteres Kind, sie richten sich ein, sie bestellen den Garten, sie versuchen zu schreiben und ein gesellschaftliches und familiäres Leben zu führen. Und scheitern. Die sprachlichen Bilder dabei sind zum Teil wirklich gewaltig. Gerade die Naturbilder schaffen eine intensive Atmosphäre. Zum Teil aber sind sie genau so drüber, so gekünstelt und bemüht wie das geschilderte Leben. Schriftsteller zu sein ist nicht einfach oder macht man sich nicht einfach. Für das Buch braucht es meiner Ansicht nach große Leidensfähigkeit oder eine tiefe Bewunderung für die Schriftsellerin oder einen Hang zum (Mit)leiden.

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Veröffentlicht am 17.10.2022

Der eingebildete Unzufriedene

Die Mauersegler
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Der Philosophielehrer Toni ist mit seinem Leben unzufrieden und nimmt sich vor, sich in genau 365 Tagen das Leben zu nehmen. Bis dahin will er jeden Tag aufschreiben, was er erlebt und was er überlegt. ...

Der Philosophielehrer Toni ist mit seinem Leben unzufrieden und nimmt sich vor, sich in genau 365 Tagen das Leben zu nehmen. Bis dahin will er jeden Tag aufschreiben, was er erlebt und was er überlegt.
Die Idee finde ich spannenden. Mich hat dabei weniger die Frage interessiert, was genau ihn zum Suizid führt und ob er ihn denn dann auch vollzieht. Letzteres nur bedingt, weil mich vielmehr die Frage umgetrieben hat, ob er ihm Leben in diesen 365 Tagen etwas findet, das ihm das Leben lebenswert erscheinen lässt. Stattdessen aber verliert man sich in den Nörgeleien eines chronisch Unzufriedenen, eines Unsympathen, der keine wirklichen Probleme und somit auch kaum Grund zum Selbstmord hat. Kann das wirklich Satire sein? Da sind mir die Molierschen Figuren deutlich lieber in ihrer krassen Überzeichnung, mit der der französische Meister sich über sie lustig macht. Der Held hier nimmt sich meiner Ansicht nach selbst viel zu wichtig. In seinen Aufzeichnungen dreht er sich nur um sich, springt hin und her. Es geht weniger um das Jetzt und Hier als viel mehr um das Einst und Irgendwo. Sicherlich ist die Sprache – in der Übersetzung – schön und das Buch klug geschrieben, aber wenn sich keine Beziehung zum Helden oder vielmehr Anti-Helden aufbauen lässt, könn(t)en 800 Seiten schon lang werden und der Suizid des Helden eine Erlösung sein.

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