Cover-Bild Middle England
Band 148 der Reihe "Transfer Bibliothek"
25,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Folio
  • Themenbereich: Belletristik
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 480
  • Ersterscheinung: 11.02.2020
  • ISBN: 9783852568010
Jonathan Coe

Middle England

Cathrine Hornung (Übersetzer), Dieter Fuchs (Übersetzer)

Der Brexit spaltet die britische Gesellschaft und ganz Europa – Coes klug-ironische Komödie zeigt, wie es dazu kommen konnte.
Benjamin Trotter zieht in eine romantische Wassermühle in die Grafschaft Shropshire, ins Herz des ländlichen England, um seinen Roman, an dem er schon 30 Jahre arbeitet, zu beenden. Seine Nichte Sophie fühlt sich im multikulturellen London zu Hause, lebt aber nach der Heirat mit ihrem Mann in der Provinz und spürt ein zunehmendes Unbehagen; ist auch er so fremdenfeindlich wie seine Mutter? Doug, Journalist und Labour-Anhänger, schämt sich für sein luxuriöses Leben im reichen Chelsea, das sich kaum jemand noch leisten kann. In den vermeintlich idyllischen Midlands mit festen Werten und Traditionen kommt eine bizarre Sehnsucht nach Englishness auf, und eine tiefe Kluft zieht in diesem abgehängten Landesteil durch alle menschlichen Beziehungen. Ab wann lief alles schief? Dieser unterhaltsame und fein gesponnene Gesellschaftsroman blickt tief in die Seele des englischen Wesens.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.05.2020

Adieu to old England, adieu?

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In den vergangenen Monaten habe ich viele Bücher zum Thema Brexit gelesen, mich dabei aber selten so gut unterhalten gefühlt wie in Jonathan Coes „Middle England“ (prämiert mit dem Costa Novel Award 2019). ...

In den vergangenen Monaten habe ich viele Bücher zum Thema Brexit gelesen, mich dabei aber selten so gut unterhalten gefühlt wie in Jonathan Coes „Middle England“ (prämiert mit dem Costa Novel Award 2019). Am Beispiel der Familie Trotter (bekannt aus den Vorgängerbänden „Erste Riten“ und „Klassentreffen“ – Kenntnis nicht zwingend erforderlich) zeigt der Autor uns die Veränderungen auf, die das Vereinigte Königreich hin zu dem gespaltenen England dieser Tage durchlaufen hat.

Über einen Zeitraum von 2010 bis 2018 begleiten wir Ben, den Möchtegern-Schriftsteller, mittlerweile Privatier und Besitzer einer Wassermühle in den West Midlands und Doug, Bens Schulfreund und politisch links angesiedelter Journalist, der eine außereheliche Affäre mit einer Tory-Abgeordneten hat. Und dann ist da noch Sophie, die Kunsthistorikerin und Bens Nichte. Verheiratet mit einem Fahrlehrer, dessen Mutter die Stimme der derjenigen verkörpert, die in dem Zustrom der Einwanderer Englands Untergang kommen sieht, deren Dienste aber gerne in Anspruch nimmt. Dazu gesellt sich noch eine Vielzahl von Figuren, die jede in irgendeiner Weise mit diesen in Verbindung steht.

Neben diesen fiktiven Leben nehmen aber auch, wie könnte es anders sein, die politischen Veränderungen in England innerhalb dieser Zeit Raum ein. Die Olympischen Spiele, die Unruhen im Sommer 2011, die Wahlen und schlussendlich das Referendum, dessen Ausgang die Ängste, Vorurteile und Unzufriedenheit – gerade der älteren Generation - mit Englands Rolle in der Welt widerspiegelt und einfängt.

Und nicht zuletzt erfahren wir auch etwas über die mediale Landschaft und den Literaturbetrieb. Bens literarisches Projekt, das mittlerweile über 3000 Seiten umfasst, gewinnt den Booker Prize, nachdem er es auf Anraten seines Lektor-Freundes auf 200 Seiten zusammengestrichen hat.

Verpackt in individuelle Schicksale ist „Middle England“ zum einen ein faszinierendes, humorvolles Porträt vom Leben abseits der Metropolen, zum anderen aber auch die schonungslose Bestandsaufnahme der englischen Befindlichkeiten, deren Resultat im Brexit gipfelte. Nachdrückliche Leseempfehlung

Veröffentlicht am 27.12.2020

Very british

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Der Brexit ist gerade wieder in aller Munde und noch immer weiß man nicht, was wird passieren in den nächsten Jahren? Welche Probleme kommen noch hinzu? Ist die Bevölkerung wirklich mit dem Brexit einverstanden? ...

Der Brexit ist gerade wieder in aller Munde und noch immer weiß man nicht, was wird passieren in den nächsten Jahren? Welche Probleme kommen noch hinzu? Ist die Bevölkerung wirklich mit dem Brexit einverstanden? Es bleibt spannend.

Wer noch einmal nachlesen möchte, wie es begann, aber auf das Wälzen von Zeitungen und auf das Sachbuch nicht zurückgreifen will, nimmt das Buch von Jonathan Coe. Hier bekommt man eine feine Satire auf die britische Gesellschaft. Coe lässt nicht nur die Politik und die Presse über das Referendum diskutieren, sondern bohrt seine Finger auch in die anderen Wunden. Rebellion der Jugend, Rassismus, Aggressionen gegen alles, was anderer Meinung ist. Und immer stellt sich die Frage: Wie weit darf man gehen?

Der Ausbruch, der Umbruch und die Veränderungen werden von Jonathan Coe anhand verschiedener Familien bzw. Personen beschrieben. Er erzählt deren Geschichte, die sich mit den verschiedenen Themen auseinandersetzen müssen. Im Laufe des Buches werden ihre Leben auf interessante Art und Weise miteinander verknüpft. Der britische Humor springt dem Lesenden auf fast jeder Seite entgegen. Man sollte sich einfach darauf einlassen und die kleinen bösen Seitenhiebe aufnehmen. Vieles wird deutlicher, klarer und erschreckender, wenn man die Hintergründe etwas kennt. Einiges reißt der Autor nur an und überlässt es dem Lesenden, sind weiter darüber zu informieren, aber der Stachel ist gesetzt.

Ich habe mich sehr gut amüsiert, manches Mal herzlich gelacht, oft den Kopf geschüttelt und gestaunt. Das wird nicht mein letztes Buch von Jonathan Coe sein.

Veröffentlicht am 10.06.2020

Crisis? What Crisis?

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TochterAlice vor ein paar Sekunden

So hieß eine LP der britischen Band Supertramp, die 1975 veröffentlicht wurde - zwei Jahre nach dem Beitritt des Vereinigten Königreichs zur EU. ...

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TochterAlice vor ein paar Sekunden

So hieß eine LP der britischen Band Supertramp, die 1975 veröffentlicht wurde - zwei Jahre nach dem Beitritt des Vereinigten Königreichs zur EU. Dass diese Mitgliedschaft vergleichsweise kurz währen würde, war damals noch nicht vorauszusehen. Und so wähnte sich Großbritannien zu Beginn der 2010er Jahre zwar schwach regiert, aber dass es schon wenige Jahre später den Brexit geben würde: das hat wohl keiner vorausgesehen.

Vor allem nicht diejenigen, die im multikulturellen London unterwegs sind, wo auch eine große Mehrheit für "Remain" stimmte. Der Autor Jonathan Coe richtet seinen Blick daher auf eine andere Region, nämlich auf Mittelengland und hier die Gegend in und um Birmingham - seine Heimat.

Im Zentrum seines höchst unterhaltsamen und dabei klugen Romans steht die erweiterte Familie Trotter mitsamt Freunden und anderem Drumherum - ich möchte das Wort "Feinde" nicht unbedingt in den Mund nehmen. Benjamin Trotter verlässt London und zieht in eine alte Mühle, wo er sich als Schriftsteller versuchen will, seine Nichte Sophie, eine Wissenschaftlerin, nimmt sich vor, nur noch abseits ihres "Milieus" auf Partnersuche zu gehen und findet ihre große Liebe im Fahrlehrer Ian. Gleichzeitig begegnet sie in ihrer Schwiegermutter einem bislang nie gekannten Persönlichkeit: einer, die Vorurteile hat gegen alles, was ihr neu und unbekannt ist. So zum Beispiel gegen Sophie als Partnerin ihres Sohnes, aber auch gegen ihre litauische Haushaltshilfe Grete.

Der Roman führt uns durch die Jahre 2010 bis 2018 und es wird deutlich, dass es hier um Grundsätzliches geht - Sophie und ihr Mann Ian stehen bei der Abstimmung auf verschiedenen Seiten - ein Umstand, der nicht wenig zu ihrer Entfremdung voneinander beiträgt - auf einmal stehen sie vor dem aus.

Ein auf zurückhaltende Art sehr emotionaler Roman, in dem Jonathan Coe seine Landsleute schonungslos vorführt - so stellt der nach dem Brexit nach Frankreich umgesiedelte Benjamin erst nach vollzogenem "Break" mit seinem Heimatland fest, dass ihm zur Verwirklichung seiner Pläne im Ausland etwas ganz Entscheidendes fehlt - nämlich die Kenntnis der französischen Sprache.

Ein Roman, der mir manchmal Bauchschmerzen bereitete, den ich aber dennoch nicht aus der Hand legen mochte. Jetzt habe ich das Gefühl, ähnlich wie vor einigen Jahren bei der Lektüre von John Lanchesters "Kapital", den Briten ein wenig näher gekommen zu sein. Wobei ich befremdet bin wie nur was. Aber im Gegensatz zu vorher sind mir die Hintergründe, die Strukturen dazu nun wesentlich präsenter.

Auf jeden Fall ein lesenswertes, ein eindringliches Buch - eine literarische Dokumentation unserer Zeit.