Halbes Leben, doppelte Sorgen
Halbe Leben"Ein Haushalt sind diejenigen, die den gleichen Rauch einatmen." S.5
Von hinten rollt der Roman die Geschichte um Klara und Paulina auf. Erstere ist erfolgreich in ihrem Beruf als Architektin, Mutter ...
"Ein Haushalt sind diejenigen, die den gleichen Rauch einatmen." S.5
Von hinten rollt der Roman die Geschichte um Klara und Paulina auf. Erstere ist erfolgreich in ihrem Beruf als Architektin, Mutter einer 11 jährigen Tochter, Ehefrau, jetzt abgestürzt bei einer Wanderung. Paulina - aus der Slowakei, alleinerziehend von 2 Söhnen, die Hälfte des Monats in Klaras Haushalt in Österreich lebend, um deren erkrankte Mutter zu pflegen - hat sie auf dieser Wanderung begleitet. Psychologisch sehr fein zeichnet der Roman die Entwicklung zwischen den beiden Frauen nach. Immer wieder musste ich innehalten, der Roman eröffnet neue Blickweisen und stellt Fragen. Wer ermöglicht denn die eigene berufliche Selbstverwirklichung bzw. schafft zeitlichen Raum, sich mit seinen Hobbies und Interessen zu beschäftigen? Wie gehen wir mit Angehörigen um, die unserer Pflege bedürfen (kleine Kinder, Kranke, Alte)? Zu welchem Preis? Was macht das mit den Pflegenden und ihrem "halbierten Privatleben"? Inwieweit kann Geld die emotionale Belastung kompensieren? Wie eingebunden sind Männer in unserer Gesellschaft in die Care-Arbeit? Sehr gut stellt Susanne Gregor den Egoismus und eine Naivität gegenüber dem Leben und Schicksal der Pflegepersonen dar, verborgen hinter einer vordergründigen "Gutmenschlichkeit" ("Wir haben sie immer gut behandelt [...] und Gefallen außerhalb des Vertrages immer großzügig kompensiert." S.177). Zwar atmen alle im Haushalt den gleichen Rauch ein, gleich sind sie damit noch lange nicht... Beide Frauen eint zwar gleichermaßen eine Zerrissenheit zwischen Beruf und Familie. Allerdings besitzt nur Klara die finanziellen Mittel sie hinreichend zu kompensieren, während Paulinas Familie mehr und mehr auseinanderdriftet. Glücklich sind dennoch beide Frauen nicht, erleben eine zunehmende Gereiztheit und Überforderung. Die Darstellung der männlichen Figuren spiegelt gleichzeitig die gesellschaftliche Realität wider, in der Männer noch wenig in die Care-Arbeit eingebunden sind - der Ex-Mann von Paulina, der die Betreuung der gemeinsamen Söhne in deren Abwesenheit der eigenen Mutter überlässt, um seine eigene Partnerschaft nicht zu belasten. Klaras Chef, der sich aus dem Vordergrundgeschäft zurückgezogen hat, an Wochenenden und nach Feierabend Klara dennoch dirigiert und mit Aufgaben zuschüttet. Klaras Ehemann, selbstständiger Fotograf und kaum ausgelastet mit seiner Arbeit, der sich weder regelmäßig um den Hund, die Tochter noch die Schwiegermutter kümmern kann und möchte. Mir hat sehr gefallen, wie komplex die Frauenfiguren gezeichnet wurden - z.B. Paulina mit ihrem unbewussten Wunsch als "Engel der Familie" Anerkennung zu finden, anhaltende Gefühle von Schuld und Sorgen, dem Neid gegenüber dem scheinbaren Glück - dabei immer realistisch und nachvollziehbar. Der Roman hat mich gleichermaßen berührt wie wütend gemacht. Ich empfehle den Buch gerne weiter an Menschen, die sich für aktuelle gesellschaftliche Themen interessieren.