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Veröffentlicht am 20.03.2023

Spannende Unterhaltung, intelligent geplottet

Das wahre Motiv
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1895, Faschingszeit in Schwabing, dem verruchten Viertel, das wegen seiner lockeren Sitten von den Einheimischen mit Argusaugen betrachtet wird. Kein Wunder, man weiß ja, das die dort ansässigen Künstler ...

1895, Faschingszeit in Schwabing, dem verruchten Viertel, das wegen seiner lockeren Sitten von den Einheimischen mit Argusaugen betrachtet wird. Kein Wunder, man weiß ja, das die dort ansässigen Künstler ein lockeres Völkchen mit eigener Moral sind. Diese Sichtweise teilt auch Wilhelm Freiherr von Gryszinski, Major der preußischen Armee und Königlich Bayerischer Sonderermittler, ein Zugereister, und ausgerechnet er muss im Zuge einer Mordermittlung in diesen Sündenpfuhl eintauchen.

Gryszinski wird von Polizeidirektor Welser zum Fundort einer Leiche beordert, wo ihn ein ungewöhnliches Arrangement erwartet. Es scheint, als ob der Tote, ein junger Mann, auffallend gutaussehend, sorgfältig hindrapiert wurde. Im Laufe der nachfolgenden Ermittlungen wird sich dieser Eindruck bestätigen, denn die Szene stellt ein mythologisches Motiv nach, das in der Malschule des slowenischen Künstlers Anton Ažbe, in der der Tote als Modell arbeitete, als Vorlage dient. Als kurz darauf eine zweite Leiche auftaucht, ebenfalls als Modell tätig und effektvoll in Szene gesetzt, wird die Vermutung laut, dass ein Serientäter im Künstlermilieu seine Opfer sucht. Die Zeit drängt, und Gryszinski muss sich unter Schwabings Bohème mischen, um weitere Tote zu verhindern.

Veränderung liegt im ausgehenden 19. Jahrhundert in der Luft. Es ist eine Zeit, die von gesellschaftlichem Wandel geprägt ist. So muss auch Gryszinski in diesem zweiten Band der Reihe sich mit Neuem auseinandersetzen und sein Wertesystem hinterfragen, wenn er in die Münchner Künstlerszene eintaucht, die von so illustren Persönlichkeiten wie den Malern Anton Ažbe und Franz von Lenbach, aber auch dem Schriftsteller Frank Wedekind geprägt wird.

Wie bereits in „Der falsche Preuße“ brilliert Uta Seeburg auch im zweiten Band der Reihe mit historischen Fakten, gekonnt verwoben mit passenden atmosphärischen Beschreibungen und den Einblicken in die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten, zu denen der Protagonist qua Herkunft und Beruf Zugang hat. Sehr interessant sind natürlich auch die Methoden zur Spurensicherung in der damaligen Zeit, aber auch hier kündigt sich langsam ein Wandel an, hat doch Gryszinski den Auftrag, diese neuen Erkenntnisse im Polizeialltag einzuführen und zu verankern. Und nicht zuletzt gibt es dann ja auch noch die Mentalitätsunterschiede zwischen Bayern und Preußen, die die Autorin mit liebevollem Augenzwinkern beschreibt.

Ein spannender, sehr unterhaltsamer und intelligent geplotteter Kriminalroman, der sowohl inhaltlich als auch sprachlich sämtliche Erwartungen erfüllt. Gerne mehr davon!

Veröffentlicht am 19.03.2023

Gelungener Mix von Fakten und Fiktion

Die Bibliothek der Hoffnung
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Während des Zweiten Weltkriegs hatte speziell das dichtbesiedelte Londoner East End unter den wiederholten Bombenangriffen der deutschen Luftwaffe zu leiden. Tausende Menschen kamen ums Leben, und die, ...

Während des Zweiten Weltkriegs hatte speziell das dichtbesiedelte Londoner East End unter den wiederholten Bombenangriffen der deutschen Luftwaffe zu leiden. Tausende Menschen kamen ums Leben, und die, die überlebten, verloren durch die Bombardierungen, bei denen unzählige Häuser dem Erdboden gleich gemacht wurden, das Dach über dem Kopf. Unter dem Druck der Bevölkerung beschloss die Regierung, U-Bahnstationen zu Luftschutzbunkern umzufunktionieren, und so suchten zwischen 1940 und 1945 ca. 63.000.000 Menschen Schutz in den Londoner U-Bahnhöfen. So auch in der noch im Bau befindlichen Station Bethnal Green, in deren Tunneln und Bunkern nach und nach eine Stadt unter der Stadt entstand, wo es neben 5000 Schlafplätzen und warmen Mahlzeiten auch ärztliche Versorgung, ein Theater, Kinderbetreuung und eine Bibliothek gab.

Soweit die historisch belegten Tatsachen, die den Hintergrund für Kate Thompsons 1944/45 zeitlich verorteten, warmherzigen und dennoch nie kitschigen Roman „Die Bibliothek der Hoffnung“ bieten.

Das Herz dieser Bücherei sind die Bibliothekarin Clare, eine junge Witwe, und ihre Assistentin Ruby, die seit dem Tod ihrer Schwester (bei der Massenpanik 1943, ebenfalls historisch verbürgt) mit Schuldgefühlen und Panikattacken kämpft. Diese beiden halten den Laden am Laufen, auch wenn ihnen ihr Vorgesetzter immer wieder Knüppel zwischen die Beine wirft. Die beiden Frauen verleihen nicht nur Bücher, sie sind nicht nur für die meist weiblichen Bewohner des Shelters mittlerweile ein unverzichtbarer Bestandteil ihres Alltags geworden und unterstützen sie bei ihren Problemen. Manches geschieht offiziell, wie beispielsweise die abendlichen Vorlesestunden für die Kinder und deren Betreuung unter Tag, oder der Lesekreis für die Erwachsenen, der Abwechslung in das triste Leben zwischen Fabrikarbeit und täglichen Pflichten bringt. Anderes läuft unter der Hand, wie beispielweise die Verteilung der Broschüren über Empfängnisverhütung oder die Ermunterung und Hilfe für die Frauen, die ihre prügelnden Männer verlassen wollen. Aber Clare hat auch ein Auge auf Kinder, die ihr Potential ohne Förderung nicht entwickeln können oder ohne elterliche Fürsorge auskommen müssen. Ihnen bietet sie Unterstützung im Alltag und kümmert sich rührend um sie. So weit, so gut. Aber natürlich kommt neben diversen dramatischen Ereignissen auch die Liebe nicht zu kurz, schiebt sich aber weder in den Vordergrund noch überlagert sie das eigentliche Thema.

Kate Thompson hat eingehend für diesen Roman recherchiert, was das Nachwort und die ausführliche Literaturliste am Ende des Romans belegt. Sie verbindet gekonnt Fakten und Fiktion und lässt uns in abwechselnden Kapiteln aus der Sicht von Clare und Ruby am täglichen Leben in dem vom Krieg gebeutelten East End teilhaben. Aber vor allem ruft sie uns die Bedeutung von Bibliotheken und Büchern in schweren Zeiten ins Gedächtnis, die Hoffnung und die Zuversicht, die sie verbreiten, ihre helfende und heilende Wirkung, wenn Verlust und Zerstörung den Alltag bestimmen.

Nachtrag: Vor vielen Jahren habe ich die Kanalinseln besucht, weshalb ich die Beschreibungen über das Leben auf Jersey nach der Invasion der deutschen Truppen sehr berührend fand. Von Churchill und dessen Regierung wurden sie im Stich gelassen, weil ihnen kein strategischer Wert zugemessen und sie deshalb nicht verteidigt und zur leichten Beute der Nationalsozialisten wurden. Was folgte waren fünf Jahre Leid, Bespitzelung, Terror, Konzentrationslager und Tod für viele Menschen.

Veröffentlicht am 15.03.2023

Anstrengende Lektüre

°C – Celsius
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Wir erinnern uns. Als vor einigen Wochen unbekannte Flugobjekte am Himmel über den Vereinigten Staaten auftauchten, war die Aufregung groß. Spekulationen über deren Sinn und Zweck schossen ins Kraut, von ...

Wir erinnern uns. Als vor einigen Wochen unbekannte Flugobjekte am Himmel über den Vereinigten Staaten auftauchten, war die Aufregung groß. Spekulationen über deren Sinn und Zweck schossen ins Kraut, von Wetter- bis Spionageballon war alles dabei.

Als hätte er vermutet, dass es kurz oder lang zu einem solchen Ereignis kommen könnte, nutzt Marc Elsberg eine ähnliche Ausgangssituation zum Einstieg in seinen neuen Wissenschaftsroman „°C – Celsius“. Ich schreibe bewusst Roman, denn auch wenn es Tote gibt, ein Thriller ist das nicht, denn es sind gewichtigere Themen, die diese Publikation bestimmen.

Elsberg zeigt die Möglichkeiten auf, die der heutige Stand der Forschung bietet, um gegen den Klimawandel vorzugehen, verzichtet aber auch nicht darauf, die Risiken zu benennen, wenn der Mensch der Natur ins Handwerk pfuscht. Wie wir es von ihm kennen, hat er auch zu diesem Thema gründlichst recherchiert und versorgt uns detailliert mit gefühlt sämtlichen Informationen, deren er habhaft werden konnte. Verpackt sind diese in eine komplexe Story mit unzähligen über den gesamten Erdball verteilten Personen und Organisationen (Präsidenten, Politiker, Experten, Aktivisten, Filmemacher und ein undurchsichtiger Tycoon) plus verschiedene Handlungsstränge, die anfangs parallel verlaufen und erst später zusammengeführt werden. Das ist auf die Dauer anstrengend, weil es die permanente Aufmerksamkeit des Lesers fordert und man sich immer vergewissern muss, wer warum wie reagiert, wie handelt und welche Ziele hat.

Keine Frage, das Thema ist wichtig, und die Möglichkeiten, die mittlerweile Geoengineering bzw. Climate Engineering bieten, sind interessant. Aber ab einem bestimmten Punkt war ich erschlagen von der Fülle an trocken vermittelten Informationen, die eher einem Vorlesungsskript als einen Roman ähnelten und weder Spannung noch Unterhaltung geboten haben. Kann man lesen, ist aber wenig unterhaltsam.

Veröffentlicht am 14.03.2023

Leider keine uneingeschränkte Empfehlung

The Veg Box
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Wer Wert auf Rezepte zu einer pflanzenbasierten Ernährung sucht, hat seit einiger Zeit die Qual der Wahl, da es mittlerweile eine Vielzahl von Kochbüchern gibt, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. ...

Wer Wert auf Rezepte zu einer pflanzenbasierten Ernährung sucht, hat seit einiger Zeit die Qual der Wahl, da es mittlerweile eine Vielzahl von Kochbüchern gibt, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Allerdings habe ich noch keines gefunden, in dem Regionalität und Nachhaltigkeit heimischer Produkte der Vorzug vor eingeflogenen Bio-Exoten gegeben wird. Das hatte ich mir von The Veg Box erhofft, dem neuen Kochbuch des Brüderpaars Stephen und David Flynn, einem Brüderpaar, das unter dem Label The Happy Pear dieses Konzept äußerst erfolgreich auf der irischen Insel vermarktet.

Schauen wir uns also dieses Kochbuch einmal genauer an. Die ersten 50 Seiten sind ein Theorieteil, der einen Einblick in die Philosophie der Flynns bietet. Es geht ihnen, wie erwartet, um umweltverträgliche Anbaumethoden, Regionalität, Nachhaltigkeit und bewussten Konsum. Dem kann ich zwar in allen Punkten zustimmen, aber Neues wurde mir hier nicht geboten, da ich mich schon sehr lange mit diesem Thema beschäftige, auch wenn ich mich nicht vegan ernähre.

Kommen wir zum Kernstück, nämlich zu den zehn Rezeptblöcken, in denen jeweils eine Hauptzutat im Mittelpunkt steht: Aubergine (In Irland? Wirklich?), Rote Bete, Brokkoli, Kohl, Karotten, Blumenkohl, Zucchini, Lauch, Pilze, Kartoffeln plus als Zugabe Saucen und Dips.

Und hier setzt meine Kritik an. Zum einen störe ich mich daran, dass manche Zutaten fast ausschließlich eingedost verwendet werden (z.B. gekochte Hülsenfrüchte wie Bohnen und Linsen sowie Tomaten), dass der Anbau von Avocados regional und nachhaltig ist, und zum anderen stelle ich mir natürlich die Frage, was vegane Ersatzprodukte (z.B. Cheddar und diese unsäglichen Sägemehlwürstchen) in durchaus fragwürdiger Zusammensetzung mit regionaler und nachhaltiger Ernährung zu tun haben. Dazu kommt, dass die Mengenangaben und die Zubereitungsanweisungen der Rezepte vorne und hinten nicht passen. Soßen sind generell zu gering bemessen und Backofenzeiten zu hoch angesetzt, was dazu führt, dass die Resultate entweder zu trocken oder komplett übergart sind.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zur Ausstattung. Natürlich ist diese hochwertig, aber leider gibt es nicht zu jedem Rezept das passende Foto. Und keine Frage, das erwarte ich einfach von einem guten Kochbuch.

Die Rezepte in The Veg Box bieten Anregungen und eignen sich prinzipiell, da detailliert beschrieben, auch für weniger geübte Hobbyköche und Hobbyköchinnen. Allerdings sollte man Garzeiten (lieber einmal mehr checken) und Mengenangaben mit einer gewissen Skepsis betrachten und sich nicht sklavisch an die Zutatenliste halten. Dann steht einem genussvollen und leckeren Ergebnis nichts im Wege.

Veröffentlicht am 12.03.2023

Gefangen zwischen Pflicht und Neigung

Die Bestatterin von Kilcross
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Jeanie Mastersons Weg ist vorgezeichnet, schließlich muss ja jemand das Bestattungsunternehmen der Familie übernehmen, wenn die Eltern beschließen, in den Ruhestand zu gehen. Und da sie, wie ihr Vater, ...

Jeanie Mastersons Weg ist vorgezeichnet, schließlich muss ja jemand das Bestattungsunternehmen der Familie übernehmen, wenn die Eltern beschließen, in den Ruhestand zu gehen. Und da sie, wie ihr Vater, die Stimmen der Toten hört, ist es keine Frage, dass die Wahl auf sie fällt. Widersetzen mag sie sich nicht, hat sie doch jeher genau das getan, was von ihr erwartet wurde. Zugehört und geschwiegen, zumindest dann, wenn es um ihre eigenen Bedürfnisse und Erwartungen an ihr Leben geht. 32 Jahre ein Leben voller Kompromisse gelebt, bestimmt von ihren Nächsten. Zuerst ihren Eltern und dann ihrem Ehemann. Aber nun scheint die Zeit gekommen, das zu ändern, nicht länger zu schweigen, die Stimme zu erheben und endlich für sich selbst einzustehen.

„Die Bestatterin von Kilcross“ ist eine Geschichte über verpasste Chancen und über das Bemühen der Protagonistin, ihrem Leben einen neuen Dreh zu geben. Auszubrechen aus Verpflichtungen und eigene Wege zu gehen, selbst dann, wenn sie dafür diejenigen zurücklassen muss, die sie bisher begleitet haben.

Der Wunsch nach Selbstverwirklichung und dem Ausbrechen aus alten Mustern ist ein Thema, das immer wieder in Romanen behandelt wird. Und auch wie die Autorin damit umgeht, bietet außer dem besonderen Talent ihrer Protagonistin wenig Neues, um Jeanies Geschichte, ihre inneren Konflikte und das daraus folgende Zaudern voranzutreiben. Natürlich steht sie im Zentrum, aber leider sind Anne Griffins Charakterisierungen der anderen Personen recht oberflächlich und wecken kein Interesse. Am gelungensten sind noch die Beschreibungen des irischen Kleinstadtlebens, aber auch das reicht leider nicht, um eine eher dünne Story zu tragen, die nur wenige überraschende Momente zu bieten hat.