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Veröffentlicht am 22.03.2024

Eine überaus gut gemachte Geschichte

Heilung
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Er ist im wohl temperierten Außenbecken, um ihn herum meterhoch Schnee. Seine Frau Imogen hat ihn in nach Südtirol geschickt zu Professor Trinkl. Hier bieten sie ihm einen Cocktail aus Naturheilkunde und ...

Er ist im wohl temperierten Außenbecken, um ihn herum meterhoch Schnee. Seine Frau Imogen hat ihn in nach Südtirol geschickt zu Professor Trinkl. Hier bieten sie ihm einen Cocktail aus Naturheilkunde und Spitzenmedizin. Mehrere Besuche bei Spezialisten ergaben zwar, dass er nicht krank ist aber Imogen bestand auf diesem Versuch. Ihr Wunsch ihm zu helfen weckt seinen Trotz.

Der Somnologe im Schlaflabor hatte festgestellt, dass er keinen Tiefschlaf findet.

Er wird alle 10-15 Minuten wach, reißt die Augen auf, nervöser Wechsel der Bettseite, die ganze Nacht, eine einzige Raserei. S.14

Er hat einfach nur eine Schlafblockade und auch selbst schon einiges unternommen, Sport, Ernährungsumstellung. Imogen macht ihn aggressiv. Lieber würde er die Probleme aussitzen. Irgendwann wird sich schon alles wieder richten und wenn nicht, gewöhnt er sich daran und arrangiert sich damit. Er wehrt sich innerlich dagegen, der Professor könne in ihn eindringen.

Im Verlauf seiner Behandlung kommt es dann noch schlimmer, als er befürchtet hatte. Imogen hatte den Professor vorab informiert, auch über ihre Unfägigkeit ein Kind zu empfangen, oder seine eines zu zeugen. Der Trinkl nutzt sein Wissen, um ihn vorzuführen. Hatte ihn im Dampfbad beobachtet und unterstellt ihm jetzt, dass er verkrampft sei, also alles seine Schuld, also bitte! Vor Wut schäumend drückt er die Spitze des Füllfederhalters ins Papier, schreibt Imogen diverse Unflätigkeiten, auch über den Trinkl und wirft den Brief in die zimmereigene Hauspost. Ach aber Moment. Was wenn seine Leute das lesen bevor es an Imogen geht. Er muss den Brief zurückholen, stochert mit allem, was er finden kann, immer tiefer in dem Rohr herum und als es dann kurz vor dem Auseinanderfallen ist, stellt er fest, dass der Brief schon abgeholt wurde. Jetzt geht er dem Trinkl aus dem Weg, so gut er kann.

Fazit: Herrlich, wie der Autor erzählt. Sein tollpatschiger Protagonist ist eine schizoide Persönlichkeit, die sich von allen bevormundet fühlt. Um nicht aufzufallen kontrolliert er sich permanent. Ein blasser, unscheinbarer Charakter, der nur sich selbst gegenüber Farbe bekennt, Wut zum Beispiel. Weil er nicht gelernt hat Nein zu sagen und seine Grenzen einzig durch unterschwellige Aggression zeigt, schlittert er in die dümmsten Situationen. Am Ende zeigt sich überraschenderweise, wie überaus anpassungsfähig er ist. Der Weg, den er bis dahin wählt, ist kompliziert und beschwerlich. Und bis zuletzt übernimmt er keinerlei Verantwortung. Eine überaus gut gemachte Geschichte.

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Veröffentlicht am 22.03.2024

Lana Lux hat mich gefesselt

Geordnete Verhältnisse
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Philipp ist zehn als er die dritte Klasse wiederholt. Er ist ein Sonderling mit knatschroten Haaren und unzähligen Sommersprossen. Die “Mitgefangenen” seiner katholischen Grundschule nennen ihn Feuerwanze, ...

Philipp ist zehn als er die dritte Klasse wiederholt. Er ist ein Sonderling mit knatschroten Haaren und unzähligen Sommersprossen. Die “Mitgefangenen” seiner katholischen Grundschule nennen ihn Feuerwanze, Streichholz, Pumuckl und, was ihn wirklich demütigt Pipi Langstrumpf. Er ist meistens mies drauf, hat schon im Kindergarten nach den anderen gespuckt und getreten. Seine Mama holte ihn bei Tante Martha und Onkel Peter wieder ab, als er sechs war. Solange brauchte sie, um regelmäßig nüchtern zu sein.

Philipp schaut regelmäßig auf seine Uhr, damit er alle drei Stunden zur Toilette geht, sonst geht wieder was daneben. Frau Steinmeier stellt ihn deswegen vor seinen “Mitgefangenen” bloß, die lachen und er tut so, als wolle er sie nicht töten.

Und dann kommt der Morgen, an dem Frau Steinmeier ein Mädchen, mit schulterlangen, leuchtend roten Locken an der Hand hält. Sie heißt Faina, erfährt er und kommt aus Russland, denkt er. Obwohl seine Familie der Überzeugung ist, dass die Ausländer zu laut sind, nie den Müll trennen, nach Knoblauch stinken und nur auf Sozialleistungen aus sind, werden Philipp und Faina beste Freunde.

Philipp bringt Faina alles bei, Deutsch, gute Manieren und Rollschuhlaufen. Sie fahren zelten und haben Sex, aber das ist nichts für ihn. Körperkontakt mag er nicht und Intimität ekelt ihn. Faina hält ihn auch sonst für ziemlich speziell, weil er Tiere lieber mag als Menschen. Er vertraut niemandem, außer Faina, das macht sie stolz. Er ist brutal ehrlich und kann sich nicht in andere hineinversetzen. Seit er ihren alten Hund einschläfern ließ, weil er glaubte, es sei das beste für ihn, weiß sie, dass er übergriffig ist. Danach meidet sie ihn, will nie wieder etwas mit ihm zu tun haben. Doch fünfzehn Jahre danach ändert sie folgenschwer ihre Meinung.

Fazit: Lana Lux hat mich von der ersten Seite an gepackt und nicht mehr losgelassen. Die Wortwahl gefiel mir sehr, sie erzählt sehr detailliert und es ist, als stünde ich mittendrin, erlebte alles mit. Die Charaktere sind absolut überzeugend und nicht überzeichnet. Der Konflikt ist nachvollziehbar, weil klar wird, wie die beiden aufgewachsen sind. Zuerst dachte ich, Philipp sei autistisch, doch dann erkannte ich das, worauf die Autorin hinarbeitete und, dass es nur so enden konnte. Die Thematiken waren vielleicht etwas gewagt in ihrer Menge, Demütigungen durch Eltern und Mitschüler, Mobbing, Asexualität, Bisexualität, Alkoholmissbrauch, Narzissmus, Bipolarität, Religionszugehörigkeit, Antisemitismus, Rassismus, aber Lana Lux hat alles ineinanderfließen lassen ohne mich zu erschlagen. Dieses Buch hat mir größtes Vergnügen bereitet.

Ein wenig betrübt haben mich kleine Patzer, Philipp wurde anfangs am 3. März geboren und später beim Zahlenschloss das Geburtsdatum 13.3 angegeben. Der kleine Emryo, der als Junge zur Welt kommen und traditionell beschnitten werden sollte, war dann tatsächlich ein Mädchen, ohne Erklärung, was ein leichtes gewesen wäre, hätte das Lektorat aufmerksamer gearbeitet, das fand ich schlampig und unnötig.

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Veröffentlicht am 21.03.2024

Die Sprache hat mich nicht abgeholt

Wir sitzen im Dickicht und weinen
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Darf ich mich vielleicht einfachmal schlecht fühlen? schreit Mama plötzlich los. Hälst du das echt nicht aus, wenn es einmal um mich geht und nicht um dich? S. 7

Christine Kerner, Mutter von Valerie ...

Darf ich mich vielleicht einfachmal schlecht fühlen? schreit Mama plötzlich los. Hälst du das echt nicht aus, wenn es einmal um mich geht und nicht um dich? S. 7

Christine Kerner, Mutter von Valerie Steinberg, nahm nach der Scheidung von Valeries Vater Roman, ihren Mädchennamen an. Valerie war mit Christine weitestgehend alleine aufgewachsen. Ihre Mama holte ihr Studium nach, das sie wegen ihrer Schwangerschaft aufgeben musste. An den Wochenenden fuhr Valerie allein mit Bahn und Zug zur Omi, seit sie zehn Jahre war. Sie Machte sich ihr Frühstück selbst, weil Christine ausschlafen musste, tröstete Mama, wenn die Liebeskummer hatte und sorgte allgemein für gute Laune.

Jetzt hat Christine Krebs, leidet unter der Diagnose und Valeries Kälte. Valerie, selbst alleinerziehend hat eigene Sorgen. Sie kümmert sich zwanghaft um ihren sechzehnjährigen Sohn Tobi, vergeht fast vor Sorge um ihn und ist die einzige, die ihn versteht. Das Tobi für ein Jahr als Austauschschüler nach England geht kommt überhaupt nicht in Frage.

Valerie besucht ihre Mutter in der Klinik, wo sie sich gekonnt dem Spiel “Schmerzgrenze” hingeben.

Ein Spiel für Mutter und Tochter mit einfachen Regeln. Wenn die Mutter weinen kann, weil die Tochter sie schlecht behandelt, ist das Ziel des Spiels erreicht. S. 71

Fazit: Die Autorin hat ihre Protagonistinnen Valerie und Christine gut abgebildet. Valerie ist die sorgenvolle überbehütende Mutter, als Konsequenz des laissez fairen Erziehungsstil ihrer eigenen Mutter, die sich eher für sich selbst interessierte, als Valerie ihre Unterstützung und Konstanz gebraucht hätte. Um die Geschichte zu verdichten nutzt die Autorin, die Technik des Rückblicks und nimmt mich immer wieder mit, in die Vergangenheit, so dass ich Christines und Romans Eltern kennenlerne. Damit wird die Geschichte generationsübergreifend. Eigentlich eine gute Idee, die im letzten Jahr viele andere Autorinnen auch hatten. Mich hat die Sprache der Autorin nicht abgeholt. In mir konnte sie keine empathischen Gefühle wecken. Was mich wundert, denn ich kenne diesen Mutter-Tochter-Konflikt bestens. Doch leider haben mich die Worte Felicitas Prokopetz nicht berührt, deshalb fand ich dieses Debüt weniger gelungen, als andere.

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Veröffentlicht am 19.03.2024

Die Geschichte tut weh

An Rändern
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Es ist windig. Dunkelheit legt sich über den Ort seiner Herkunft. Er fährt mit dem Fahrrad, lauscht den verstummenden Vogelstimmen, Regen klatscht in sein Gesicht. Fährt vorbei an den alten Gewächshäusern ...

Es ist windig. Dunkelheit legt sich über den Ort seiner Herkunft. Er fährt mit dem Fahrrad, lauscht den verstummenden Vogelstimmen, Regen klatscht in sein Gesicht. Fährt vorbei an den alten Gewächshäusern des Gartencenters, sieht durch geborstene Fenster Dunkelheit. Der Imbiss liegt verlassen da, ein Schild bietet den Verkauf an. In der alten Turnhalle erinnert er sich, konnte man Blut spenden, außer die Schwulen, weil deren Blut andere Menschen krank machen konnte. Nur noch wenige Meter, dann kommt er bei seinem Haus an. Ob er sich verändert hat? Sie haben sich lange nicht gesehen.

Dieser empfängt ihn im Kaputzenshirt, sein Gesicht liegt im Schatten, lächelt er?

Er folgt ihm in sein Haus, kann endlich sein Gesicht sehen. S. 18

Sie trinken Rotwein, erinnern sich, an die Brüder, die sich nicht ähnlich sahen, mit den unterschiedlichen Akzenten. Sie stachen in See, brachten ihr Muscheln oder Perlenketten mit. Sie schrie sie an, dass sie wisse, dass sie keine Brüder seien, sondern schwul und schmiss die Perlenkette von sich.

Damals, in der Waschküche seiner Eltern bat jener ihn, vor diesem auf die Knie zu gehen. Danach hatte der nichts mehr mit Männern und hatte es auch niemandem erzählt. Er selbst hatte ständig Sex mit Männern, ausschließlich mit ihnen. Mit denen, mit den Familienfotos an der Wand, denen, mit dem kalten Blick, denen, die in seinen Schoß weinten.

Hatte er jenem erzählt, wie sie ihn die Treppe heruntergerufen hatte? Er wußte, dass sie es ernst meinte. Er rannte nach unten, raus, sah seine Burg in Teilen, sein Musikheft, die Schrift vom Regen verschwommen. Sie fluchte in der Küche und zündete sich eine Zigarette an, während er im nassen Kies kniete.

Fazit: Die Geschichte beginnt vor einer düsteren Kulisse. Alles wirkt verlassen und hoffnungslos. Der Autor tastet sich langsam an die Vergangenheit des namenlosen Ich – Erzählers heran. Angelo Tijssens holt den wichtigsten Part seiner Kindheit und Jugend, den, den er verehrt hat, in die Gegenwart und lässt sie sich treffen. Lässt seinen Protagonisten zurückdenken. Immer wieder blitzen scharfkantige Szenen auf, in denen er von seiner Mutter misshandelt wird. Er ist ganz allein mit ihr, niemand sieht seine Narben oder blauen Flecken, hilft ihm. Die Geschichte tut weh, sein Schmerz und seine Resignation sind so spürbar, wie seine Wertlosigkeit. Er lässt sich von allen Menschen, denen er begegnet, benutzen. Eine extrem unangenehm berührende Geschichte, einfach gut gemacht, weil es so stark zeigt, wie jemand sich fühlt, der nirgendwo hingehört und die schwere Last des Erlebten mit sich herumschleppt.

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Veröffentlicht am 18.03.2024

Toxische Beziehung einmal anders erzählt

Wie man mit einem Mann unglücklich wird
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Die namenlose Ich – Erzählerin hat sich, nächtlich durch die Kneipen treiben lassen und ist dabei auf ihn gestoßen. Nach ein paar Drinks sind sie gleich zu ihr und was soll sie sagen? Das war, mit Abstand, ...

Die namenlose Ich – Erzählerin hat sich, nächtlich durch die Kneipen treiben lassen und ist dabei auf ihn gestoßen. Nach ein paar Drinks sind sie gleich zu ihr und was soll sie sagen? Das war, mit Abstand, der beste Sex, den sie je hatte. Es war gigantisch.

Er meldet sich nicht und eine Zeitlang hat sie das auch nicht, aber letzte Nacht hat sie ihn einige Male angerufen, aber er ist nicht drangegangen. Gut, er arbeitet auch wirklich viel.

Es war wieder gigantisch. Ganz zufällig sind sie wieder zusammengetroffen, er hatte sie aus Versehen angerempelt, dann wenige Drinks später, sind sie zu ihm. Es passt so gut. Sie kann sich gar keinen anderen mehr vorstellen. So weit ist es schon mit ihr gekommen.

Er meldet sich wieder nicht, antwortet nicht auf ihre SMS. Jetzt zieht sie wieder durch die Bars, sieht ihn nirgendwo. Gut sie könnte auch mit einem anderen, aber eigentlich will sie ja ihn. Ist sie ihm zur Monogamie verpflichtet? Sie haben da nicht drüber gesprochen.

Sie schwebt, hat ihm am Nachmittag ganz easy geschrieben, nicht wie sonst um drei vier Uhr in der Früh und er hat SOFORT geantwortet, läuft.

Es war wider gigantisch.

Meldet sich wieder nicht. Alle Gedanken kreisen um ihr Objekt der Begierde. Sie stalkt ihn auf Facebook.

Er lobt ihre Texte, könnte sie managen, so streetartmäßig. Kann sein, dass sie so starke Liebe empfindet, weil sie ihn so gut findet, weil er sie so gut findet.

Zweifelt an sich selbst, attestiert sich Dachschaden, den er bemerkt habe, deshalb wieder Funkstille.

Sie kann nicht viel

Du bist wie die dritte WElt, hat ein Kumpel neulich zu mir gesagt. Du tauchst einfach unter der Moderne durch. Autos werden sowieso demnächst abgeschafft und dann kommst du und kannst Fahrradfahren und steckst sie alle ein. S.30

Aber er kann alles.

Fazit: Das ist mal eine völlig andere Herangehensweise, an das Thema “Toxische Beziehung” Ruth Herzberger erzählt einfach, wie es ist. Beide Mitstreiter dieser Spielart einer Liebesbeziehung, haben einen schwachen Selbstwert. Er schenkt ihr Aufmerksamkeit und Bewunderung, sie braucht immer mehr von diesem vermeintlich Guten. Dann entzieht er sich ihr und sie entwickelt eine obsessive Sucht nach ihm, was ihm wiederum guttut. Ihr Gefühl der Wertlosigkeit verstärkt sich mit jedem Mal, das er sich ihr entzieht und wird wieder kleiner, wenn er sich zuwendet. Die Autorin zeigt die Bedürftigkeit auf beiden Seiten und warum es nur, mit zwei würdigen Teilnehmern gespielt werden kann. Großartig! Empfehlenswert für alle, die sich nicht an explizit pornografischen Darstellungen stoßen. Und so ist es auch ein Roman über weibliches Begehren.

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