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Veröffentlicht am 30.07.2023

Mal wieder hat mich Joelle Tourlonias zum Kauf verführt

Spiegel, das Kätzchen
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Spiegel ist ein Kater, der bei einer alten Dame lebt. Sein Fell ist so seidig, dass man sich darin wohl spiegeln könnte. Wohlbehütet kümmert sich die Frau um ihn und er sich um diejenigen Mäuse, die zur ...

Spiegel ist ein Kater, der bei einer alten Dame lebt. Sein Fell ist so seidig, dass man sich darin wohl spiegeln könnte. Wohlbehütet kümmert sich die Frau um ihn und er sich um diejenigen Mäuse, die zur Plage werden. Als die alte Dame stirbt, verkaufen die Erben das Haus und setzen den armen Spiegel vor die Tür. Der Kater ist fortan darauf angewiesen sich selbst zu versorgen. Er findet nur spärlich Essen, der Kater magert mehr und mehr ab und sein Fell ist zerzaust und schmuddelig.
Da läuft ihm der Stadthexenmeister Pineiß über den Weg, der die Gelegenheit beim Schopfe packt und dem Kater ein Geschäft anbietet. Pineiß will den Kater füttern mit allem, was ihm lieb ist, um ihm beim nächsten Vollmond den Schmerz abzunehmen. Der ausgehungerte Spiegel willigt ein und unterzeichnet den Vertrag und bekommt fortan Leckereien von sahniger Milch bis zu gebratenem Geflügel zu essen. Mit der Kraft kommen auch Spiegels Sinne wieder und er muss einsehen, dass das kein gescheites Geschäft ist, wenn er mit der Abnahme des Schmers auch sein Leben verliert. Fortan mäßigt er seine unersättliche Gier beim Essen, um nicht so massig zu werden, wie ihn der Herr Hexenmeister gerne hätte. Dieser bemerkt Spiegels Vorhaben, und weil er sich betrogen fühlt, sperrt er die Katze in einen Käfig, um sie zu mästen. In seiner Gefangenschaft erzählt der Kater Herrn Pineiß die Geschichte von einem Schatz, den seine alte Besitzerin in einem Brunnen versteckt hat und mit einer List gelingt es dem Kater aus seinem Vertrag herauszukommen.

Auf das Buch bin ich gestoßen, als ich eine Vorschau der Insel-Bücherei durchgeblättert habe, und mittlerweile ergibt es sich, dass jedesmal, wenn ich Bilder von Joelle Tourlonias sehe, ich mitten in der Bewegung innehalte, um zu schauen. Die Illustrationen sind mal wieder unglaublich schön, ich liebe einfach ihren Stil!
Tja, und die Geschichte? Es ist eine interessante Erzählung über Gier, Schröpferei und List, bei der ich am Ende aber gar nicht wusste, wer nun eigentlich wen übers Ohr haut. Der Hexenmeister versucht Spiegels missliche Lage auszunutzen, um am Ende selbst der Gelackmeierte zu sein.

Veröffentlicht am 30.07.2023

Tierische Gedichte!

Du bellst vor dem falschen Baum
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Nachdem ich in letzter Zeit oft mit „Wir sind Helden“ beschallt wurde, habe ich mich gefragt, was die Band eigentlich so treibt. Dabei bin ich auf die vorliegende Lyriksammlung von Frontfrau Judith Holofernes ...

Nachdem ich in letzter Zeit oft mit „Wir sind Helden“ beschallt wurde, habe ich mich gefragt, was die Band eigentlich so treibt. Dabei bin ich auf die vorliegende Lyriksammlung von Frontfrau Judith Holofernes gestoßen. Von ihren Texten immer schon beeindruckt, fiel mir der Kauf dieses Buches äußerst leicht.
Jedes Gedicht habe ich mit der charakteristischen Stimme Judiths im Ohr gelesen. Jedes ihrer Werke ist von einer zirkusgleichen Leichtigkeit, die Verse lesen sich überwiegend quirlig daher. Am besten gefiel mir die humoristische Kapitalismuskritik des Gedichts über das Rentier vom Weihnachtsmann.

Veröffentlicht am 30.07.2023

Es macht mich sprachlos. Ich möchte schreien.

Frauen und Macht
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Es hat schon in der Antike begonnen. Mary Beard beleuchtet das kulturelle Stummhalten der weiblichen Stimme, das bereits in Zeiten begann, als Cicero, Arestoteles & Co. brillierten, als man eine Frau nur ...

Es hat schon in der Antike begonnen. Mary Beard beleuchtet das kulturelle Stummhalten der weiblichen Stimme, das bereits in Zeiten begann, als Cicero, Arestoteles & Co. brillierten, als man eine Frau nur dann schätzte, wenn sie den Mund hielt. Das Recht, öffentlich zu sprechen, dies war den Männern vorbehalten. Frauen durften höchstens ihre eigenen Belange öffentlich kommunizieren und verkünden wie schwach sie seien, aber dass sie für die Gemeinheit sprachen (also Männer einbeziehend) war eine Anmaßung. Anhand von Drama und Prosa der Antike sowie Gemälden, die im Laufe der Jahrhunderte entstanden sind, zeigt sie auf wie systematisch Frauen untersagt wird ihr Wort in der Gesellschaft zu erheben.
Dieselben rhetorischen Mittel, die in der Antike ihren Ursprung fanden, werden heute noch verwendet, und mit der Überlieferung dieser Mittel geht auch weiterhin das systematische Stummhalten der Frau einher. Frauen, die ein öffentliches Rederecht beanspruchen, gelten selbst heute noch zu oft als verrückte Mannsweiber, die ihren Platz im Leben scheinbar nicht kennen.
Ganz so krass und offensichtlich, wie z.B. zu Zeiten vor dem Wahlrecht der Frau, läuft es heutzutage nicht mehr ab, Frauen öffentlich den Mund zu verbieten, und doch werden auch in unserer vermeintlich modernen Zeit Frauen nach wie vor derart diffamiert, dass ihren Worten jegliche Autorität und Kraft abgesprochen wird und das, was sie zu sagen haben, somit trivialisiert. Eine aktive Partizipation in höheren Positionen zu bekleiden wie Unternehmensvorständen, Politik und Männerdomänen wie Sport müssen Frauen noch immer zu hart erkämpfen. Dies zeigt sich insbesondere dann, wenn Frauen in "männliche" Territorien vordringen wie Claudia Neumann, Deutschlands erste Fußballkommentatorin (nahegelegt sei hier ihr Buch "Hat die überhaupt ne Erlaubnis, sich außerhalb der Küche aufzuhalten?"), denen keine Meinungsverschiedenheit sondern Dummheit attestiert wird, sobald eine andere Ansicht als die eigene männliche geäußert wird.
Es gibt kulturelle Muster, die Frauen von Machtpositionen fernhalten wollen, und wir befinden uns noch auf einer Stufe, auf der Frauen nicht für das akzeptiert werden, was sie sind, sondern sie sich einen Hosenanzug anziehen müssen, um in der Politik ernstgenommen zu werden.

Diese Zusammenfassung der mündlichen Vorträge von Mary Beard sind als eine harte kulturelle Wahrheit zunächst heftig zu lesen, wenn jedoch die geschilderten Machtstrukturen ins Bewusstsein dringen, ist es noch heftiger zu begreifen, dass unsere Gesellschaft ganz offensichtlich noch heute an bewussten wie unbewussten patriarchalen Strukturen festhält.
Da ich in letzter Zeit vermehrt feministische Bücher lese, ist es unglaublich erstaunlich wie sehr sich die einzelne und voneinander unabhängige Literatur zahnradgleich ineinander fügt und ein Bildnis der Gesellschaft aufzeigt, die es dringend zu optimieren gilt. Außerordentlich interessant ist dabei für mich der Aspekt, dass ein erheblicher Teil davon offensichtlich unbewusst schon seit Jahrhunderten in der Sozialisation der nächsten Generation weitergegeben wird – denn kaum jemand erzieht seine Söhne misogyn, und doch treiben wir weiterhin in diesem Strom, der Frauen ihre Stimme und Teilhabe versagt.

Veröffentlicht am 30.07.2023

Der alte Herr Rudi und die erste Liebe, die ihn einfach nicht loslassen will...

Herr Rudi
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Olivia, Livi, das ist die erste und einzige Liebe vom Herrn Rudi. Auch über 40 Jahre nach ihrem Tod denkt er kaum an etwas anderes als die Livi. Abgelenkt hat ihn seine Arbeit als Gerichtsvollzieher, bei ...

Olivia, Livi, das ist die erste und einzige Liebe vom Herrn Rudi. Auch über 40 Jahre nach ihrem Tod denkt er kaum an etwas anderes als die Livi. Abgelenkt hat ihn seine Arbeit als Gerichtsvollzieher, bei der hat er auch seinen besten und einzigen Freund, den Fritz, kennengelernt. Der Fritz versteht den Herrn Rudi, wenn das Herz mal wieder besonders schwer von der Olivia ist.
Jetzt, kurz vor seinem Ruhestand, bekommt Herr Rudi die Diagnose Krebs. Da hat ihn das Pech nochmal richtig an den Eiern erwischt! Dabei wollte er den Lebensabend doch in Salzburg verbringen, das Haus kaufen, in dem die Olivia früher gewohnt hat. Die Livi will ihn nicht in Ruhe lassen, und jetzt hat sich mittem im Badezimmer des Hotels auch noch ihr Geist auf seinen Rücken gesetzt, dieser schlimme Hexenschuss! Dabei ist der einzige Schuss, den er noch braucht, der aus der Pistole, die er dem Fritz entwendet hat.

Dass sich ein an Seiten so überschaubares Buch so sehr in mein Herz graben konnte, wer hätte das gedacht? Herr Rudi ist ein liebenswerter und gleichzeitig bedauernswerter Mensch. Auf den Seiten begleitet man die Stationen seines Lebens, bevor der Herr Rudi den Zug verlässt und in einem Salzburger Hotel dem Elend ein Ende machen will. Man spürt mit jedem Umblättern mehr den Verlust von Herrn Rudi, man fragt sich, ob die Geschichte nach so viel Vermissen noch ein gutes Ende nehmen kann, um sich unweigerlich danach direkt zu fragen, was für Rudi ein gutes Ende wäre.
In den letzten Wochen habe ich oft den Herrn Rudi in Rezensionen und Buchblogs an mir vorbeiziehen sehen, das Lob vernommen und sehnlichst den Moment erwartet, in dem ich die Bekanntschaft mit ihm machen kann. Nun war es endlich soweit, und die vielgelobten Stimmen haben mir nicht zu viel versprochen! Gespannt werde ich nun verfolgen, wann Weiteres von Anna Herzig kommt!

Veröffentlicht am 30.07.2023

Meine erste Erfahrung mit Clara Louise

Zurück zum alten Kirschbaum
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„Zurück zum alten Kirschbaum“ ist mein erster Gedichtband, den ich von der vielgelobten Clara Louise gelesen habe. Es handelt sich um eine Gedankensammlung aus Erinnerungen an die Vergangenheit, die entstanden ...

„Zurück zum alten Kirschbaum“ ist mein erster Gedichtband, den ich von der vielgelobten Clara Louise gelesen habe. Es handelt sich um eine Gedankensammlung aus Erinnerungen an die Vergangenheit, die entstanden ist, als Clara frei Tagebuch geführt hat, wie sie im Vorwort schreibt. Auf den namensgebenden Titel geht sie ein, denn ihre wärmsten Erinnerungen stammen aus dem blühenden Garten ihrer Großeltern. Ein Gedicht ist sogar ihrem Opa gewidmet. In den fast 100 Gedichten dieses Bandes sind Gedanken, in denen sich wohl jeder wiederfinden wird, der ein wenig in Erinnerungen geschwelgt und über sein bisheriges Leben reflektiert hat. Ihre Verse werden häufig begleitet von kleinen Zeichnungen, welche sie die Gedichte begleiten lässt.

Ich hatte beim Lesen des Gedichtbandes leider zu wenig das Gefühl, dass mich ihre Worte erreichen, sondern glaubte, den Punkt im Leben schon überschritten zu haben, an dem diese Zeilen mir etwas offenbart hätten. Vielleicht hätte ich dieses Buch besser in meinen Zwanzigern entdeckt. Für mich fühlte es sich mehr nach Gedanken als nach Gedichten an, vielleicht habe ich mich deshalb nicht so sehr darin wiedergefunden.
Ich möchte aber gerne Clara Louises ersten Gedichtband noch lesen, um sie möglicherweise noch auf eine andere Weise für mich zu erschließen.