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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.05.2023

Ein wichtiges, erschütterndes Buch

Secondhand-Zeit
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Inhalt:
Dieses Buch ist eine tiefschürfende Reportage und beinhaltet Interwiews - Monologe - und einen ausführlichen Anhang. Es kommen Menschen zu Wort, welche die Sowjetunion und den Zerfall der Sowjetunion ...

Inhalt:
Dieses Buch ist eine tiefschürfende Reportage und beinhaltet Interwiews - Monologe - und einen ausführlichen Anhang. Es kommen Menschen zu Wort, welche die Sowjetunion und den Zerfall der Sowjetunion miterlebt haben und welche teilweise durch die Hölle gehen mussten, aber überlebt haben und nun erzählen können, was ihnen widerfahren ist.

Meine Meinung:
Vor allem während meines Bachelorstudiums (2011-2014) habe ich mich intensivst mit Komponist*innen der damaligen Sowjetunion (wenn auch zwar vor allem Georgiens) beschäftigt und das Thema hat mich nie wieder losgelassen. HIER habe ich dazu auch etwas geschrieben. Deshalb hat mir eine damalige Kommilitonin 2014 "Secondhand-Zeit" geschenkt. Ich habe sofort mit dem Lesen begonnen, das Buch aber dann wieder zur Seite gelegt. Der Reportageband hat es nämlich definitiv in sich. Nicht nur wirken die Texte oft schwerfällig und sogar teilweise wirr, sondern sind vor allem die Inhalte nichts für leichte Nerven. Die Nobelpreisträgerin Alexijewitsch hat nämlich mit zahlreichen Menschen Interviews geführt, respektive bei gemeinsamen Gesprächen ein Band mitlaufen lassen. Wir lesen also teilweise sehr lange, abgehackte, von der Autorin unkommentierte Monologe von Menschen, die in der Sowjetunion geboren worden sind und Revolutionen, Unterdrückung, Krieg und Folter erlebt haben. Die erlebt haben, wie Widerstände niedergeknüppelt, Verwandte in nassen Särgen zurückgebracht, Kinder an die Front gegangen und gefestigte Überzeugungen sowie der Glauben an das Gute im Menschen in den Grundfesten erschüttert worden sind.
Nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine habe ich das Buch wieder hervorgeholt und nun vor wenigen Tagen beendet. Es hat mich immer wieder zutiefst bewegt und ich musste zahlreiche Lesepausen einlegen. Teilweise, um den Inhalt sacken zu lassen, teilweise auch, um ein paar Ereignisse zu recherchieren. Das Buch fordert, da es wenige Informationen, sondern fast ausschliesslich Erfahrungsberichte beinhaltet. Es ist aber genau deshalb ein enorm wichtiges und starkes Buch, weil es betroffene Menschen zu Wort kommen lässt und lange nachhallt.

Meine Empfehlung:
"Secondhand-Zeit" ist ein enorm wichtiges Buch, ein Buch, das warnt, hinsieht, zu Wort kommen lässt. Aber auch ein Buch, das schmerzt und aufwühlt und für das ich sämtliche mögliche Triggerwarnungen aussprechen muss.

Veröffentlicht am 22.05.2023

Leider sind das Buch und ich keine Freundinnen geworden

Wir werden fliegen
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Inhalt:
Alan verschwindet. Schon wieder. Seine Schwester Miša will aber nicht tatenlos auf ihn warten, es wird Zeit, dass sie ihren eigenen Weg im Leben sucht. Schwierig, wenn man haltlos durch Beziehungen, ...

Inhalt:
Alan verschwindet. Schon wieder. Seine Schwester Miša will aber nicht tatenlos auf ihn warten, es wird Zeit, dass sie ihren eigenen Weg im Leben sucht. Schwierig, wenn man haltlos durch Beziehungen, Länder, Berufe und Freundschaften tingelt.

Meine Meinung:
Das Buch habe ich gemeinsam mit Ina (@literaturina) und aufgrund der dringenden Empfehlung von Jamie (librovore) gelesen, ohne sie wäre ich nicht auf das Buch aufmerksam geworden und hätte es wohl vor allem aufgrund des ein wenig lieblos wirkenden Covers auch keines zweiten Blick gewürdigt. Nach dem ersten, mich ratlos zurücklassenden Abschnitt, zeigte sich schon, dass ich wohl auf meinen Instinkt hätte hören sollen. Das Buch konnte mich nicht für sich einnehmen, die Figuren und ihre Geschichten haben mich nicht berührt und die Geschichte eines Bruders, der aus der gemeinsamen Heimat Žilina verschwindet, sich ein neues Leben im Westen aufbaut, nach einem Schicksalsschlag wieder mit der Familie vereint wird - diesmal in Wien - und dann erneut verschwindet, hätte vielleicht doch auch einfach danach verlangt, tiefer und mehr in eine Geschichte eintauchen zu können, als mit diesen kurzen, manchmal skizzenhaft wirkenden Abschnitten. Auch finde ich, dass die Geschwisterbeziehung - der eigentliche Aufhänger der Geschichte - nicht wirklich zum Tragen kommt. Vielmehr wird Mišas turbulentes Leben ins Zentrum gerückt, was mich immerhin mehr und mehr für sich einnehmen konnte.

Schreibstil und Aufbau:
Sprachlich hat Gregor nicht für Tiefgang und grosse Emotionen sorgen können, aber genau das habe ich erwartet. Dafür hat sie immer wieder gekonnt aufgezeigt, wie sich ihre Figuren stets wieder neu finden wollen und müssen und wie schmerzhaft es sein kann, rastlos auf der Suche nach Wurzeln, Zugehörigkeit und Lebenswegen zu sein.
Die Geschichte ist in vier ähnlich grosse Abschnitte unterteilt und erzählt abwechslungsweise aus Alans und Mišas Leben. Ich hätte mir Jahreszahlen gewünscht, um das Gelesene besser einordnen zu können und ausserdem hatte ich Mühe, einzelne Figuren auseinanderzuhalten, obwohl mir dies sonst keine Schwierigkeiten bereitet. Aber weil ich mich keiner Figuren (mit Ausnahme von einzelnen Szenen mit Miša) emotional verbunden fühlte, verschwammen die irgendwie ein wenig miteinander.

Fazit:
Ich weiss, dass Susanne Gregor erzählen kann, sie hat das in diesem Buch immer wieder bewiesen, aber "Wir werden fliegen" hat mich einfach sehr enttäuscht, weil ich enorme Erwartungen hatte und weil grosse Gefühle, Tiefgang und ein tieferes Eintauchen in die Regionen, Orte und historischen Hintergründe wohl aufgrund des eher oberflächlichen Stils und der knappen Beschreibungen nicht möglich waren. Nachhallen wird die Geschichte bei mir sicher nicht, ich möchte aber gerne erwähnen, dass ich schon einige sehr begeisterte Rezensionen gesehen habe. Also macht euch doch gerne selber ein Bild.

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Veröffentlicht am 15.05.2023

Sehr unterhaltsam, tolle Figuren

Rory Shy, der schüchterne Detektiv - Das Verschwinden der Amanda Kent (Rory Shy, der schüchterne Detektiv, Bd. 4)
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Inhalt:
Matilda liebt Amanda Kents Krimis und ist schockiert, als die berühmte Autorin nach einem denkwürdigen Abendessen bei ihrem Verleger verschwindet. Böse Zungen unterstellen ihr, das Verschwinden ...

Inhalt:
Matilda liebt Amanda Kents Krimis und ist schockiert, als die berühmte Autorin nach einem denkwürdigen Abendessen bei ihrem Verleger verschwindet. Böse Zungen unterstellen ihr, das Verschwinden inszeniert zu haben, um auf das Erscheinen ihres neuesten Krimis aufmerksam zu machen. Doch Matilda und Rory Shy glauben nicht an diese Erklärung. Bei ihren Ermittlungen stossen sie nämlich auf viele Lügen und noch mehr Tatmotive.

Meine Meinung:
Die Reihe um Rory Shy und seine Assistentin Matilda - die Die Reihe um Rory Shy und seine Assistentin Matilda - die eigentliche Hauptfigur der Serie - hat es mir seit dem ersten Band angetan und auch beim Lesen des vierten Bandes der Reihe bin ich voll auf meine Kosten gekommen. Das Buch ist wieder aussergewöhnlich leicht und lustig erzählt, die Figuren sind gewohnt und gekonnt überspitzt skizziert und sorgen definitiv für einige Lacher. Auch sehr gut haben mir die Verhöre und Matildas Interaktion mit ihrem Hund Dr. Herkenrath gefallen. Der Fall an sich war in meinen Augen tatsächlich weniger spektakulär als in den Vorgängerbänden und eigentlich dann doch ziemlich schnell aufgeklärt, dafür wurde ich beim Lesen mit äusserst amüsanten "Entwürfen" aus der Feder zweier Tatverdächtiger unterhalten. Diese versuchen sich nämlich im Verlauf des Buches an einem Krimi über einen schüchternen Ermittler.

Fazit:
Vielleicht ist dieser Fall ein wenig gar einfach gestrickt, die Wege, die zum Ziel führen, sind aber um so unterhaltsamer und die Figuren in diesem Buch haben mir wohl bisher am besten gefallen. Natürlich empfehle ich euch auch diesen vierten Band der Reihe weiter.

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Veröffentlicht am 10.05.2023

Ein wichtiger, faszinierender Text

Kindheit
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Meine Meinung:
Nachdem die Buchhändlerin und Bookfluencerin Maria-Christina Piwowarski anfangs 2021 unter dem Hashtag #tovelesen die neu übersetzte Kopenhagen-Trilogie ins Bewusstsein der ganzen deutschsprachigen ...

Meine Meinung:
Nachdem die Buchhändlerin und Bookfluencerin Maria-Christina Piwowarski anfangs 2021 unter dem Hashtag #tovelesen die neu übersetzte Kopenhagen-Trilogie ins Bewusstsein der ganzen deutschsprachigen Buchbubble gebracht hat, sind die Bücher mittlerweile aus keinem Instagram-Feed und Buchblog wegzudenken. Endlich habe ich den ersten Band der Trilogie gebraucht kaufen können. Es ist absolut schade, dass diese Bücher nicht viel früher mehr Aufmerksamkeit begonnen haben und ich bin um so glücklicher, die packende, aus dem Leben gegriffene und ungeschönte Erzählsprache der dänischen Autorin entdeckt zu haben.

Spannend: Ditlevsen erzählt autofiktional aus einer/ihrer Kindheit im Kopenhagen der 1920er Jahren. Klingelt das bei jemandem? Erst gerade habe ich "Das Mädchen auf der Himmelsbrücke" von Eeva-Liisa Manner gelesen, das im Finnland der 1920er/1930er spielt. Ich lese immer parallel und normalerweise bringe ich auch noch so ähnliche Geschichten nicht durcheinander. Bei diesen beiden Büchern ist es mir auf den ersten paar Seiten wirklich schwer gefallen, sie auseinanderzuhalten, weil die Zeit, die Lebensumstände der jeweiligen Protagonistin und vor allem auch die Sprache der Autorinnen sich so ähnlich sind. Manner ist viel lyrischer und Ditlevsen erzählt direkter und auch schonungsloser und nach einigen Kapiteln entwickelt sich die Geschichte der jungen Protagonistin ganz anders, aber man bemerkt doch, dass die beiden Geschichten zu einer ähnlichen Zeit spielen

Die Protagonistin will unbedingt schreiben, aber der Vater sagt ihr, dass Mädchen keine Dichter sein können. Um keine negative Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, stellt sie sich unwissend, träumt vor sich hin und geht unbeirrbar ihren Weg. Die Umstände sind schwierig, der Vater ist ohne Arbeit, die Mutter scheint ohne Liebe und der Bruder ist krampfhaft dabei, sich von der Familie abzunabeln.
Ich habe einige Kritik an der Sprache und dem starken autobiographischen Part gelesen und ja, das kann man mögen oder nicht und ja, ich wüsste nichts über Ditlevsens Leben, wenn Piwowarski deren Werk nicht pausenlos in die Kamera gehalten hätte...aber: Ditlevsen konnte schreiben. Ein Text aus weiblicher Feder, der vor etwa siebzig Jahren enstanden ist und so packend erzählt und so viel Freiheitsdrang und Unabhängigkeit ausstrahlt, ist wirklich aussergewöhnlich und mir hat er auch noch sehr gut gefallen.

Meine Empfehlung:
Die ersten paar Seiten haben mich gefordert, weil ich mich auf die Sprache und die Geschichte einlassen musste, aber ich habe diesen Text sehr gerne gelesen und freue mich sehr auf die Folgebände. Und vor allem anerkenne ich, wie aussergewöhnlich und ihrer Zeit voraus Ditlevsen geschrieben und erzählt hat und bin froh, dass die Autorin mehr Aufmerksamkeit bekommt und dass vielleicht dadurch auch generell vermehrt nach weiblichen Texten aus den letzten Jahrhunderten gegriffen wird.

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Veröffentlicht am 07.05.2023

Grau und bunt zugleich

Das Mädchen auf der Himmelsbrücke
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Inhalt:
Leena ist immer wieder unaufmerksam und in Gedanken versunken und wird dafür in der Schule blossgestellt. Auch ihre Oma, bei der sie nach dem Tod ihrer Mutter und dem Verschwinden ihres Vaters ...

Inhalt:
Leena ist immer wieder unaufmerksam und in Gedanken versunken und wird dafür in der Schule blossgestellt. Auch ihre Oma, bei der sie nach dem Tod ihrer Mutter und dem Verschwinden ihres Vaters lebt, kann sich nicht auf das neunjährige Kind mit der blühenden Fantasie einlassen. Nachdem Leena bei einem ihrer Streifzüge zusammenbricht, steht die Diagnose Fallsucht (von Leena liebevoll Pepilepsie genannt) im Raum. Die Grossmutter glaubt nicht an die Diagnose, in der Schule steht die selbe Strenge auf dem Programm, wie zuvor und nur eine Begegnung mit einer katholischen Schwester und einem blinden Organisten sowie mit der Musik von Johann Sebastian Bach zeigt Leena auf, dass es noch andere Menschen, Welten, Farben und Wahrheiten in ihrem sonst so grauen Leben gibt.

Meine Meinung:
Eigentlich sind 134 Seiten ganz schmal bedruckte Buchseiten (und ein sehr lesenswertes Nachwort) zu wenig, um so eine grosse Geschichte zu erzählen. Leenas Gedankenwelt ist bunt und voller Musik und eine Flucht aus dem tristen, von Strafen und Blossstellungen geprägten Alltag. Sie trägt die Bürde eines ganzen Lebens auf ihren Schultern und dabei verschwimmen manchmal auch die Grenzen der der Sprache einer Neunjährigen und der Erzählsprache der Autorin. Was ist Leena, was ist Eeva-Liisa Manner? Und ist es relevant, dies zu durchschauen? Manner war Lyrikerin, ihre Gedichte haben die Literaturgeschichte Finnlands des zwanzigsten Jahrhunderts massgeblich mitgeprägt. So erstaunt es nicht, dass auch ihr erster Roman nur so vor sprachlichen Bildern strotzt. Schade finde ich, dass die Weltanschauungen (und die Gesellschaftskritik) des blinden Organisten Filemon so viel Raum im Mittelteil der Geschichte einnimmt und trotzdem wird dabei und vor allem bei der Szene, als die Oma darauf reagiert, dass Leena eine katholische und nicht eine evangelische Kirche besucht hat, klar, dass es in diesem Buch um weit mehr geht als um die Traumwelt eines Mädchens. Religionskonflikte, aber auch der Antisemitismus der Zeit sind zwischen den Zeilen klar erkennbar. Wie Armut und Schicksalsschläge eine Familie zerrütten können und wie dunkel eine Kindheit unter diesen Umständen ist, wird klar erkennbar. Und so düster und tragisch dieses Buch doch ist, so bunt und hoffnungsvoll ist auch das Gefühl, das nach dem Lesen bleibt und definitiv Lust auf mehr Texte aus Manners Feder macht.

Meine Empfehlung:
Dieser aussergewöhnlich bunte, klangvolle und bildhaft erzählte Text macht Lust auf mehr und auch wenn immer wieder vergessen geht, dass die Protagonistin ein neunjähriges Kind ist, weil die Sprache der Autorin ihr so sehr übergestülpt wird, ist dieses Buch sehr faszinierend und lesenswert.

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