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Veröffentlicht am 22.02.2023

Gen Z plätschert ins Erwachenenleben

Ohne mich
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Für eine Coming of Age Geschichte ist die namenlose Ich-Erzählerin aus "Ohne mich" von Esther Schüttpelz mit Mitte 20 bereits zu alt. Das Studium der Rechtswissenschaften steht vor dem Abschluss, die ...

Für eine Coming of Age Geschichte ist die namenlose Ich-Erzählerin aus "Ohne mich" von Esther Schüttpelz mit Mitte 20 bereits zu alt. Das Studium der Rechtswissenschaften steht vor dem Abschluss, die kurze, eher spontan eingegangene Ehe ist sehr schnell gescheitert. Die Protagonistin hadert mit ihrem Leben, kifft, kokst, feiert und geht die praktische Arbeit im Referendariat eher entspannt an. Das Leben muss nicht zu ernst genommen werden. Im Zweifelsfall geht es zur Herkunftsfamilie und lässt sich von Mama aufpäppeln, weil das Verwaltungspraktikum langweilig ist und man sich lieber krank meldet.

Ich gebe zu - mit diesem Buch und seiner Protagonistin wurde ich einfach nicht warm. Vermutlich gehöre ich auch nicht zur Zielgruppe, vielleicht ist es für Gen Z-Leserinnen eine Offenbarung. Ich sah da nur die Luxusprobleme unreifer Bürgerskinder, die nie um etwas kämpfen mussten - außer vielleicht um die Beziehung, aber auch da schien die Protagonistin nicht so wirklich zu wissen, was sie eigentlich wollte.

Ja, Erwachsen werden ist schwer. Für eine Menge Menschen beginnt dieser Prozess deutlich früher und ist wesentlich härter. Ich muss Buchfiguren nicht sympathisch finden, aber ich will sie interessant haben, und hier plätscherten Handlung, Persönlichkeitsentwicklung, Innensichten irgendwie vor sich hin. Meine Motivation, die Hauptfigur näher kennenzulernen, ist beim Lesen nicht gestiegen. Immerhin habe ich erkannt, dass sie eine Vorliebe für Kleidung mit Raubtierprint hat, stammte wohl noch aus der Femme fatale Phase.

Von den Figuren dieses Buches auf die Gen Z zu schließen, wäre jetzt natürlich unfair und gemein. Zum Glück gibt viele junge Menschen dieser Altersgruppe, die sich für das Klima, Gendergerechtigkeit oder Nachhaltigkeit engagieren. Wenn sie so tun, als seien sie die ersten, die diese Themen entdeckt haben, ist das zwar manchmal ein wenig nervig, aber sie plätschern nicht in gleichgültiger Beliebigkeit dahin.

Am Ende des Buches habe ich mich gefragt, was die Autorin eigentlich mitteilen wollte. Sinn- und Orientierungssuche? Die Schwierigkeit des Loslassens? Langer Weg zu mehr Selbsterkenntnis? Hier ist eine junge Frau, die irgendwie für überhaupt nichts zu brennen scheint. Und das finde ich schade.

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Veröffentlicht am 21.02.2023

Segeltörn mit toxischer Paardynamik

In blaukalter Tiefe
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Ein Kriminalroman ist "In blaukalter Tiefe" von Kristina Hauff nicht, spannend ist das Buch über zwei Paare und einen Skipper, aus wechselnden Perspektiven erzählt, dennoch. Denn der romantische Segeltörn ...

Ein Kriminalroman ist "In blaukalter Tiefe" von Kristina Hauff nicht, spannend ist das Buch über zwei Paare und einen Skipper, aus wechselnden Perspektiven erzählt, dennoch. Denn der romantische Segeltörn zum schwedischen Schärengarten wird zu einem handfesten Psychodrama. Sehr unterschiedliche Charaktere, Ambitionen und Träume prallen an Bord der Yacht mit all ihrem begrenzten Raum und fehlenden Rückzugsmöglichkeiten zusammen, der Sturm, der am Ende auch die Wetterlage eskalieren lässt, trägt das Seinige dazu bei.

Für das Powerpaar Caroline und Andreas ist der Törn ein langgehegter Traum. Caroline, Chefredakteurin eines Lifestyle Magazins, hat schon lange von einem Urlaub in den Scherengärten geträumt. Andreas, Wirtschaftsstrafverteidiger und ein typisches Alphatier, erhofft sich bei Segelromantik auch wieder harmonischeres Fahrwasser für die Ehe, denn zwischen dem Paar ist Entfremdung gewachsen. Eigentlich keine gute Idee, unter diesen Umständen die Reise auch noch für einen weiteren Zweck zu nutzen, denn auch der junge Anwalt Daniel und seine Freundin Tanja sind zu dem Törn eingeladen.

Daniel ist jung und ehrgeizig, die Reise ist auch ein Testlauf, ob er als Partner in die Kanzlei aufgenommen wird. Doch indem Daniel sich Andreas als Idealkandidat beweisen will, vernachlässigt er, wie unwohl sich seine Freundin Tanja fühlt. Die Altenpflegerin mit Kinderwunsch stellt sich immer häufiger die Frage, ob die Beziehung Zukunft hat, zumal Andreas derbe Flirtversuche startet.

Caroline wiederum fühlt sich zunehmend zu dem undurchschaubaren, mürrisch-distanzierten Skipper Eric hingezogen - auch, weil der Andreas buchstäblich auflaufen lässt. Das Bordklima scheint immer toxischer - keine guten Voraussetzungen, wenn die Elemente bedrohlicher werden.

Hauff bringt die klaustrophobische Atmosphäre gut zum Ausdruck. Die Segel- und Landschaftsbeschreibungen machen Lust auf das Abenteuer Segeln, verdeutlichen aber auch, dass der menschliche Faktor bei so einer Reise stimmen muss. Wenn alles einen doppelten Boden und unterschwellige Schwingungen hat wie bei dieser Reisegruppe, ist die toxische Gruppendynamik potentiell tödlich. Der Traum von der großen Freiheit unter den Segeln entpuppt sich als Alptraum scheiternder Beziehungen und offenbar werdenden Lebenslügen. Dass auch ein wichtiger Fall im fernen Frankfurt eskaliert, passt da zur stürmischen Dynamik dieser Reise, die für die beiden Paare nicht folgenlos bleiben wird.

Für Freunde psychologischer Beziehungsdramen und locked room Dramen.

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Veröffentlicht am 19.02.2023

Faszinierendes Frauenporträt

Das Porzellanzimmer
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Punjab im Jahr 1929 - in der britischen Kolonie Indien gärt es, die Unabhängigkeitsbewegung sucht nach Freiheitskämpfern, doch auch das Miteinander von Muslimen, Hindus und Sikhs ist nicht konfliktfrei. ...

Punjab im Jahr 1929 - in der britischen Kolonie Indien gärt es, die Unabhängigkeitsbewegung sucht nach Freiheitskämpfern, doch auch das Miteinander von Muslimen, Hindus und Sikhs ist nicht konfliktfrei. Vieles bleibt hingegen ganz traditionell, arrangierte Ehen etwa. Die junge Mehar wurde bereits im Alter von fünf Jahren verlobt, zehn Jahre später steht Hochzeit an. Wir würden heute von der Zwangsverheiratung eines Kindes sprechen.

In seinem Roman "Das Porzellanzimmer" verarbeitet der britische Schriftsteller Sunjeev Sahota, dessen Vorfahren aus dem Punjab stammen, ein Stück indischer Kolonialgeschichte, aber auch Erfahrungen des Aufwachsens als Kind der südasiatischen Minderheit in der weißen und oft feindseligen Mehrheitsgesemmschaft.

Wie wenig im Punjab des frühen 20. Jahrhunderts beim Thema Heirat irgendwelche Gefühle eine Rolle spielen, wird schon daraus ersichtlich, dass Mehars Schwiegermutter Mai alle ihre drei Söhne am gleichen Tag verheiratet - so lässt sich sparen. Und bis zuletzt bleibt Mehar und den anderen jungen Bräuten unklar, mit welchem der Brüder sie eigentlich verheiratet sind. Selbst am Tag der Hochzeit haben sie ihm, traditionell eng verschleiert, nicht ins Gesicht sehen können - und der eheliche Beischlaf wird wechselweise in einer Kammer des Hofs im Dunkeln vollzogen, meist wortlos und insbesondere für die jungen Ehefrauen auch freudlos.

Tagsüber müssen die jungen Frauen kochen, waschen oder auf dem Feld arbeiten, die Nächte verbingen sie gemeinsam im sogenannten Porzellanzimmer, wenn sie nicht an der Reihe für Pflicht-Sex mit dem Ehemann sind - es gilt schließlich, mit einem Sohn schwanger zu werden.

So ist es möglicherweise kein Wunder, dass Mehar einem Irrtum unterliegt, als sie in einem der drei Brüder ihren Ehemann zu erkennen glaubt und sich in ihn verliebt.

Eine Beziehung mit Folgen, die ihr Urenkel, der Ich-Erzähler eines zweiten, in der Gegenwart angesiedelten Erzählstrangs, nach und nach entdeckt. Der junge, in Großbritannien geborene und aufgewachsene Mann erlebt im Land seiner Vorfahren einen Kulturclash. Hier sieht es zwar aus wie die Menschen vor Ort, gilt ihnen aber als Engländer. Als seine eigenen Eltern in ein weißes Viertel zogen, in dem sie ihren Laden führten, wurden sie wiederum rassistisch angefeindet. Der junge Mann kommt nicht aus romantischen Gründen nach Indien, sondern hofft hier den Entzug aus seiner Heroinabhängigkeit zu schaffen, freundet sich mit einer Ärztin und einem Lehrer an und geht der Geschichte seiner Familie auf den Grund.

Während der kalte Entzug durchaus eindrücklich geschildert wird, wirkt dieser Teil des Buches etwas aus dem Zusammenhang gerissen und wäre meiner Meinung nach besser als Thema eines eigenen Romans geeignet gewesen. Die Geschichte von Mehar, die so vielen Zwängen ausgesetzt ist und trotzdem eine starke, eigenständige Persönlichkeit, reicht eigentlich völlig aus und hat mich voll überzeugt. Als Sittenbild einer Vergangenheit, die mancherorts noch Wirklichkeit für Frauen und Mädchen ist, hat mich das "Porzellanzimmer" beeindruckt. Das Buch ist so intensiv geschrieben, dass die Farben und Gerüche des kleinen Dorfs im Punjab beim Lesen erfahrbar werden.

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Veröffentlicht am 18.02.2023

Tod eines Skirennläufers

Eisjagd
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Hier wird viel gefroren: "Eisjagd" von Madita Winter spielt im nordschwedischen Jokkmokk am Polarkreis, sozuasagen zwischen Rentieren und sehr viel Eis und Schnee. Den Ort mit dem irgendwie lustigen Namen ...

Hier wird viel gefroren: "Eisjagd" von Madita Winter spielt im nordschwedischen Jokkmokk am Polarkreis, sozuasagen zwischen Rentieren und sehr viel Eis und Schnee. Den Ort mit dem irgendwie lustigen Namen gibt es tatsächlich und hier wohnt auch das Autorienehepaar Madita und Stefan Winter, das sich hinter dem Teil-Pseudonym verbirgt.

Polizistin Amelie hat sich eigentlich auf eine entspannte Woche Urlaub mit ihrem Freund Daniel gefreut. Nur das 200 Kilometer Langlaufrennen, das in Jokkmokk ausgetragen wird muss noch von der einzig am Ort verbliebenen Polizistin bewältigt werden. Und klar: Es muss natürlich etwas passieren. In der Gruppe der ehrgeizigen Amateure kämpt der örtliche Geschäftsmann Stig um den Sieg und hat sich wie ein Profi darauf vorbereitet. Doch er ist derjenige,der plötzlich tot im Schnee liegt. Hat ihn der Skistock seines Vordermanns im Auge erwischt und eine tödliche Verletzung zugefügt? Schnell stellt sich heraus: Es war Mord, doch sowohl die Mordwaffe wie auch das Motiv bleiben zunächst im Dunkeln.

Denn Stig lebte äußerst zurückgezogen, galt aber gleichzeitig als ausgesprochen großzügig, berichten etwa das thailändische Hauspersonal und das norwegische Trainerteam. Auch die deutsche Freundin des Toten wirkt am Boden zerstört.

Während Amelie und der junge Polizist Sigge aus Lulea, der eigentlich nur während des Skirennens aushelfen mussten, über dem Fall rätseln, hilft der eigentlich schon pensionierte Arne bei einem anderen Fall aus: Irgendjemand schießt auf die Rentiere der örtlichen Sami, lässt die Tiere dann elend verenden. Es könnte um Neuregelungen bei der Vergabe von Jagdlizenzen gehen, die nun in den Händen der Indigenen liegen.

So ist "Eisjagd" nicht nur eine Beschreibung des arktischen Winters, sondern auch des nicht immer konfliktfreien Zusammenlebens zwischen Sami und Schweden, zwischen Modernismus und traditioneller Lebensweise. Dass die Gier auf die Rohstoffvorkommen am Polarpreis längst die Naturidylle bedroht, wird dabei ebenfalls thematisiert. Den Beschreibungen der arktischen Winterlandschaft, der Fahrten mit dem Schneeskooter und der Erfahrung von Schnee und Kälte ist anzumerken, wie sehr die Autoren von ihrer Wahlheimat fasziniert sind.

Amelie und ihre Kollegen, unterstützt von Daniel und seiner Schwester Liv, die ein Computer und Hackergenie ist, müssen nicht nur ein ganzen Knäuel von Hinweisen entwirren, sondern auch der Chefin in Lulea Kontra geben, die den Fall schnellstmöglich abschließen will und das kleine Plizeibüro in Jokkmokk am liebsten wegrationalisieren würde.

Die Lösung des Falls ist spannend und der Plot mit etlichen Haken versehen, die immer wieder für neue Wendungen sorgen, wenn die Ermittler schon glauben, jetzt aber auf der richtigen Fährte zu sein. Für Skandinavien- und Winterfans bietet die Eisjagd viel Spannung und Atmosphäre.

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Veröffentlicht am 18.02.2023

Flirt mit dem Tod

Jetzt ist Sense
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Am 50.Geburtstag blickt man schon mal zurück auf ein ganzes Stück Leben und ahnt: fünf Jahrzehnte Lebenszeit bleiben nicht mehr. Aber muss deshalb gleich der Sensenmann an der Tür klopfen?`Die Berliner ...

Am 50.Geburtstag blickt man schon mal zurück auf ein ganzes Stück Leben und ahnt: fünf Jahrzehnte Lebenszeit bleiben nicht mehr. Aber muss deshalb gleich der Sensenmann an der Tür klopfen?`Die Berliner Psychotherapeutin Liv ist jedenfalls ziemlich irritiert angesichts des gutaussehenden Mannes, der mit Flattercape und Sense an ihrer Tür klopft. Falsche Adresse, er wollte zu der alten Dame ein paar Stockwerke über Livs Praxis - und die ist kurz darauf tot. Da kommt frau schon mal ins Grübeln, zumal der Mann auch wenig später in einem Biergarten ausgerechnet auftaucht, während ein Besucher einen tödlichen Schlaganfall erleidet.

Kein Zufall, versichert Zino, der nicht nur wie ein griechischer Gott aussieht, sondern auch einer ist. Hinter der Fassade des fröhlichen Griechen steckt eigentlich der Gott Thanatos, zuständig für einen leichten Tod und verwandt mit Hades und all den anderen für die antike Unterwelt zuständigen Göttern. Anfangs fällt es Liv schwer, seine Behauptungen ernst zu nehmen, dann wird sie besorgt: Was, wenn Zino/Thanatos sich bei seinem ersten Besuch gar nicht in der Tür geirrt hat? Was, wenn ihre Lebenszeit schneller abläuft, als sie gedacht hätte? Und wie lässt sich dem Tod beziehungsweise dem eigenen Schicksal ein Schnippchen schlagen?

In "Jetzt ist Sense" von Hans Rath geht es buchstäblich um Leben und Tod - mit Humor und einer Leichtigkeit, die bei diesem Thema eher selten ist, aber durchaus auch nachdenklich. Dass es bei aller Philosophie und dem Nachdenken über das Jenseits nicht doch noch schwer wid, dafür sorgt das Personenkarussell dieses Buches. Denn Livs beste Freundin Connie und die Familien der beiden, aber auch der eine oder andere von Livs Klienten müssen Lebens- und Liebeskrisen bewältigen, Öko-Hipster müssen sich in der Uckermark integrieren und Liv sich die Frage beantworten, ob irgendjemand denn wirklich den Tod verdient.

Selten wird in Büchern mit so leichter Hand dahingestorben, aber auch das Leben wird gefeiert. Dass der Tod als Charakter hohe Beliebtheitswerte erreichen kann, hat der Sensenmann in Terry Pratchetts Scheibenwelt-Romanen bereits vorgemacht. Zino ist mehr der Typ für das 21. Jahrhundert, bietet zudem mehr fürs Auge, hat aber ebenfalls den Hang zur Philosophie, der angesichts seiner Tätigkeit vielleicht unvermeidbar ist.

"Jetzt ist Sense" mag mit leichter Hand geschrieben werden, es gibt viel zu schmunzeln, doch niemals ist der Humor platt. Wann gibt es schon mal eine Chance, den Tod auf der Therapiecouch zu haben? Liv jedenfalls gewinnt nicht nur manche Erkenntnis über Leben und Tod, sondern auch Einsichten, die gewissermaßen für die Ewigkeit sind.

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