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Veröffentlicht am 19.11.2025

Ein sehr persönlicher Fall für Liv Jensen

Schwelbrand
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In ihrem Roman "Schwelbrand" lässt Katrine Engberg ihre Kopenhagener Privatdetektivin Liv Jensen ihren persönlichsten Fall erleben. Jensens neuester Klient, ein ehemaliger Rechtsanwalt, wird ermordet ...

In ihrem Roman "Schwelbrand" lässt Katrine Engberg ihre Kopenhagener Privatdetektivin Liv Jensen ihren persönlichsten Fall erleben. Jensens neuester Klient, ein ehemaliger Rechtsanwalt, wird ermordet - und sie findet heraus, dass er ein alter Bekannter ihres geliebten Großvaters war. Hat der Jahrzehnte zurückliegende Tod des drogensüchtigen Sohnes des damaligen Generalstaatsanwalts in der Freistadt Christiana etwas mit dem Mord zu tun?

Denn damals lebte der Anwalt in Christiana, gehörte dem sogenannten Rat an, der eine Art interne Rechtsprechung übte. Ihr Großvater, dem sie später in den Polizeiberuf folgte, ermittelte in der Angelegenheit - und die Witwe seines damaligen Partners macht Andeutungen, die den Ruf des Großvaters trüben könnten. Zudem ahnt Jensen, dass in ihrer Kindheit etwas in Christiana geschehen sein könnte, als sie dort einige Tage mit ihrem Opa verbrachte. Etwas Belastendes, das sie verdrängte - doch allein beim Gedanken an Christiana fühlt sie sich unwohl.

Wie schon in den beiden vorangegangenen Romanen geht es nicht allein um Jensen, ihre Bemühungen, wieder in den Polizeidienst zurückzukehren und das Verhältnis zu ihrem väterlichen Kollegen, der seine frühe Demenz so gut wie möglich vor den Kollegen zu verbergen versucht - auch mit Jensens Hilfe.

In Nebensträngen geht es um Jensens Vermieterin Hannah, die als Psychologin dem verdrängten Trauma auf die Spur zu kommen versucht, ihren frisch verliebten Vater und um den Mechaniker Nima, Hannahs On-Off-Liebhaber, dessen Nichte gefährliche "Freunde" gefunden hat. Diese verschiedenen Erzählstränge wie auch die beiden Zeitebenen von Gegenwart und der Zeit der Ermittlungen von Jensens Großvater sorgen für ein komplexes Erzählgewebe, das mehr Aufmerksamkeit erfordert als ein schnell durcherzählter Krimi. Gerade diese Komplexität macht die Geschichte aber auch reizvoll.

Engberg entwickelt ihre Romanfiguren konsequent weiter und konzentriert sich dabei nicht allein auf ihre Protagonistin Jensen. Auch ihre detailreichen Beschreibungen führen die Leser*innen durch Kopenhagen und sind von atmosphärischer Dichte. Mit der Freistadt Christiana wird dabei diesmal der Blick auf eine alternative Welt zwischen Utopie und Drogen gesetzt. Einmal mehr ein spannender und rundum gelungener Roman mit der einen oder anderen Überraschung.

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Veröffentlicht am 18.11.2025

Hausfrau im Zentrum einer tödlichen Verschwörung

Down Cemetery Road
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Ich kenne und schätze Mick Herron als Autor der Geheimdienstserie um die "Slow Horses" des MI5. Da war ich natürlich neugierig auf seine Reihe um die Privatdetektivin Zoe Boehm und wurde nicht enttäuscht: ...

Ich kenne und schätze Mick Herron als Autor der Geheimdienstserie um die "Slow Horses" des MI5. Da war ich natürlich neugierig auf seine Reihe um die Privatdetektivin Zoe Boehm und wurde nicht enttäuscht: Auch hier findet sich die unwiderstehliche Mischung aus Spannung, Geheimnissen und einer ordentlichen Prise britischen Humors, dazu Protagonisten, die eher unfreiwillig in Verschwörungen und finstere Machenschaften stolpern. Zoe Boehm ist allerdings - bis jetzt - eine Nebenfigur, die erst spät in der Handlung Profil entwickelt.

Vor allem geht es um die Hausfrau Sarah, die weder beruflich noch privat gerade viel Freude an ihrem Leben hat. Ehemann Mark ist in der Finanzwelt tätig und verlässt sich darauf, dass sie ihm den Rücken freihält, ohne sie umgekehrt in ihren fast schon vergessenen Ambitionen zu unterstützen. Nun soll sie auch noch als Gastgeberin eines Dinners für einen wichtigen Kunden brillieren, den sie schon sehr schnell nervig und abscheulich findet. Dann allerdings eskaliert der Abend auf ganz andere Weise, denn in der Nachbarschaft explodiert ein Haus, es gibt zwei Tote, was Sara verwundert, denn dort lebte doch eine alleinstehende Frau mit ihrer Tochter, die als gerettet gilt, dann aber unauffindbar ist.

Sara macht sich auf die Suche nach dem kleinen Mädchen, sucht die Hilfe eines Privatdetektivs und erkennt viel zu spät, dass sie plötzlich selber Gejagte in einer Verschwörung ist, die sie - anders als die Leser*innen, denen Herron nach und nach Informationsbrocken serviert - erst viel zu spät erkennt. Ein geheimnisvoller Fremder könnte Freund oder Feind sein, Ehemann Mark führt ein Doppelleben, von dem sie nichts ahnt, und ein durchgeknallter Killer macht Jagd auf sie.

Sehr viel mehr soll hier keinesfalls verraten werden, doch langweilig wird es in "Down Cemetery Road" nie. Einmal mehr hat Mick Herron liebenswerte Protagonisten mit Macken und Schwächen geschaffen, die in der Krise über sich herauswachsen müssen, und als Gegenspieler Machtmenschen, die buchstäblich über Leichen gehen. Das macht neugierig auf den nächsten Band dieser Serie, auch wenn die Slow Horses für mich noch eine Nummer größer sind. Mick Herron enttäuscht nie.

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Veröffentlicht am 18.11.2025

Die neuen Leiden des Robert Kett

Die Spuren, die sich verlieren
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In Alex Smith´s nunmehr fünften Band seiner Krimiserie, "Die Spuren, die sich verlieren", sieht es einmal mehr düster für Detective Inspector Robert Kett aus. Denn die von ihm überführten Kriminellen ...

In Alex Smith´s nunmehr fünften Band seiner Krimiserie, "Die Spuren, die sich verlieren", sieht es einmal mehr düster für Detective Inspector Robert Kett aus. Denn die von ihm überführten Kriminellen werden ermordet - und es gibt starke Hinweise, die auf Kett als Täter beziehungsweise Anstifter deuten.

So deutlich sind dieses Hinweise, dass selbst sein altes Team ins Zweifeln gerät. Eine weitere Schwierigkeit - Kett ist aus dem Polizeidienst entlassen worden. Um seinen Namen rein zu waschen, unterstützt er DCI Clare und die übrigen Kolleginnen und Kollegen bei ihren Ermittlungen. Doch denen fällt es immer schwerer, ihm noch zu vertrauen. Dass alle ihre Namen, nicht aber Ketts, auf einer Todesliste auftauchen, macht es nicht leichter.

Doch vermutlich hätte es angesichts Ketts Vorgehen in den vorangegangenen Bänden ohnehin keinen Unterschied gemacht - er versucht einmal mehr im Alleingang, seinen Namen rein zu waschen und den oder die eigentlichen Täter zu finden. Kett vermutet, dass der Verbrecherring noch viel mächtigere Hintermänner hat, die nun alle Mitwisser und Zeugen verschwinden lassen wollen. Dabei soll er als Sündenbock dienen.

Smith präsentiert einmal mehr einen spannenden Thriller, aber das Strickmuster wird langsam alt: Der einsame (Ex-)Polizist, der allein gegen das Böse vorgeht und dabei furchtbar leiden muss. Das hat irgendwie etwas masochistisches an sich, vor allem, da Kett eigentlich auf wohlwollende Ermittler-Kolleg*innen bauen könnte. Aber nein, es muss ganz dramatisch für Kett werden, der einfach nicht lernen kann, dass Teamwork keine schlechte Sache ist. Also neue Blessuren, neues Leid. Vielleicht mag ja der Autor seinen Protagonisten quälen, aber zum fünften Mal in Folge ist es einfach zu vorhersehbar und man ahnt schon - es gibt einen sechsten Band, in dem es wieder knüppeldick für Kett kommen dürfte.

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Veröffentlicht am 18.11.2025

Vermisstenfall statt Familenurlaub

Die Stimmen, die dich rufen
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In drei Büchern hat Alex Smith seinen Detective Inspector Robert Kett nach seiner entführten Frau Billie suchen und das Leben als alleinerziehender Vater dreier ausgesprochen lebhafter Töchter meistern ...

In drei Büchern hat Alex Smith seinen Detective Inspector Robert Kett nach seiner entführten Frau Billie suchen und das Leben als alleinerziehender Vater dreier ausgesprochen lebhafter Töchter meistern lassen. In "Die Stimmen, die die dich rufen" ist die Familie wiedervereint, doch die äußeren und inneren Narben bei allen Beteiligten müssen noch verheilen.

Kett ist vom Dienst suspendiert, er fragt sich, ob seine Frau nach dem Erlebten ihm jemals wieder voll vertrauen wird, doch immerhin: sie lebt. Der geplante Urlaub der Familie im Wohnwagen des raubeinigen aber väterlichen DCI Clare soll die Familie wieder näher zusammenbringen, hofft Klett. Doch natürlich kommt alles mal wieder ganz anders, denn mehrere vermisste Teenager sorgen für Aufregung in der Wohnwagensiedlung.

Schnell wird klar: Die Jugendlichen, die eine Clique bildeten, sind nicht ausgerissen. Sie wurden mit Hilfe eines Kassettenrekorders aus ihrem Zuhause gelockt. Der mutmaßliche Entführer wird gefunden - doch er ist tot. Und Kett und den Ermittlern läuft die Zeit davon.

Nachdem die vorangegangenen drei Bände der Reihe Kett auch ganz persönlich betrafen, kann er sich diesmal stärker auf den Vermisstenfall konzentrieren, auch wenn die Suche der Familie nach einer Rückkehr zu Normalität für die Rahmenhandlung weiterhin eine Rolle spielt. Hatte der Detective Inspector zuvor mit Serienmördern und Entführern zu tun, hat sein neuer Fall einen besonderen Twist, der hier nicht verraten werden soll.

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Veröffentlicht am 15.11.2025

Suche nach internationaler Gerechtigkeit

Vor Gericht
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Steve Crawshaw hat als Journalist gearbeitet, unter anderem im ehemaligen Jugoslawien während des Bürgerkriegs. Später engagierte er sich bei verschiedenen Menschenrechtsorganisationen. Sein Buch "Vor ...

Steve Crawshaw hat als Journalist gearbeitet, unter anderem im ehemaligen Jugoslawien während des Bürgerkriegs. Später engagierte er sich bei verschiedenen Menschenrechtsorganisationen. Sein Buch "Vor Gericht" über internationale Justiz zur Ahndung von Menschenrechts- und Kriegsverbrechen ist ein bißchen mit beiden dieser Berufsfelder verbunden - einerseits sachlicher Report, andererseits durchaus Aktivismus für mehr Gerechtigkeit für Menschen wie Folteropfer oder Überlebende von Kriegsverbrechen, die in ihren eigenen Ländern auf keine Verfahren hoffen können.

"Vor Gericht" liefert einerseits historischen Hintergrund zur Entstehung des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und den Internationalen Gerichtshof, erläutert das Weltstrafprinzip. das es etwa erlaubt hat, Kriegsverbrecher in Deutschland vor Gericht zu bringen, auch wenn es keinen deutschen Tatort und keine deutschen Opfer oder Täter gibt.

Zugleich ist das Buch höchst aktuell, geht es doch um die internationalen Haftbefehle gegen Wladimir Putin und Benjamin Netanjahu und die politisch-diplomatischen Fragen, die diese Ermittlungen neben den rein juristischen aufwerfen. Crawshaw beschreibt gute Absichten, um Gerechtigkeit wiederherzustellen, aber auch die Widerstände, mit denen mächtige Staaten zwar Verbrechen ahnden, wenn es ihnen opportun erscheint, bei sich selbst oder politischen Verbündeten die internationale Justiz behindern.

Von den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen bis zur Völkermorde-Klage Südafrikas gegen Israel spannt der Autor den Bogen, zeigt Erfolge und Niederlagen beim Versuch, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ahnden, aber auch die Herausforderungen, wie etwa im Fall Ruandas den Begriff Völkermord - und damit die Notwendigkeit des Handelns - überhaupt auf die Agenda der UN zu bringen.

Auch für juristische Laien ist "Vor Gericht" interessant, verdeutlicht die Dilemma, die bei internationaler Strafverfolgung auftreten und die Widerstände, mit denen Ermittler und Kläger zu kämpfen haben. Gleichzeitig zeigt Crawshaw, wie der Wunsch nach Gerechtigkeit viel zu oft Geopolitik und politischen Interessen geopfert wird. Ein gut lesbares Sachbuch zu einem gar nicht spröden Thema.