Eine tolle Geschichtsstunde in Romanform!
Palais Heiligendamm - Ein neuer AnfangEin herzliches Dankeschön an den Bastei Lübbe Verlag dafür, dass ich den Roman "Palais Heiligendamm - Ein neuer Anfang" im Rahmen einer Leserunde der Lesejury lesen durfte. Außerdem möchte ich der Autorin ...
Ein herzliches Dankeschön an den Bastei Lübbe Verlag dafür, dass ich den Roman "Palais Heiligendamm - Ein neuer Anfang" im Rahmen einer Leserunde der Lesejury lesen durfte. Außerdem möchte ich der Autorin Michaela Grünig für den aktiven Austausch innerhalb der Leserunde danken. Meine Meinung in der folgenden Rezension bleibt von der Bereitstellung des Leseexemplares natürlich unbeeinflusst!
Ein Zitat:
"Sie haben einen geheimen Verehrer und wollen mit ihm an diesem Dinner teilnehmen?" Er blickte ernst auf sie herunter. "Hm, also ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen dieses Rendezvous ermöglichen soll. Das ginge ja gegen meine ureigenen Interessen." - Michaela Grünig in Palais Heiligendamm - Ein neuer Anfang
Der Inhalt:
Deutschland im Jahre 1912:
Die neunzehnjährige Elisabeth Kuhlmann hinterfragt bestehende gesellschaftliche Konventionen und zeigt mehr Interesse an dem Hotelgewerbe ihres Vaters, als an Stickarbeiten. Als Elisabeths Familie sich den Traum eines Luxushotels in Doberan erfüllt und kurz darauf gegen zahlreiche Krisen Bestand zeigen muss, scheint endlich die passende Zeit gekommen zu sein, um ihren Ehrgeiz zu zeigen. Das sich Elisabeth dabei ausgerechnet unter den wachsamen Augen des unverschämt direkten Julius Falkenhayns beweisen muss, scheint zunächst keinerlei Sympathien ihrerseits zu wecken.
Während das Palais noch um seine Existenz als Luxushotel kämpft, beginnt im Jahre 1914 der 1. Weltkrieg und setzt eine Reihe von verketteten Ereignissen in Gang...
Meine Meinung:
Der Roman spielt an einem Ort, der für mich mit einer Fülle von Kindheitserinnerungen verknüpft ist: Die Ostsee. Schon als zu Beginn des ersten Kapitels Elisabeths Eindrücke der Brise des Ostseestrands geschildert werden, habe ich augenblicklich das Gefühl bekommen, den salzigen Geruch selber zu empfinden.
Der Roman startet in dem spannenden Jahre 1912:
Ausbruch des Balkankriegs, politische Unruhen in Europa, der Aufbruch in eine neue Zeit oder auch der Untergang der Titanic, um an dieser Stelle nur ein paar wenige Punkte zu nennen.
Dementsprechend sind meine Erwartungen vor dem Lesen nicht gerade niedrig gewesen. Umso mehr freut es mich, mit welcher Leichtigkeit die Autorin den historischen Kontext immer wieder durch kurze Dialogschnipsel oder Ereignisse mit der Handlung verknüpft.
Der Generationenroman spielt also in einem historisch interessanten Jahr, dass perfekt mit der behandelten Thematik harmoniert: Gesellschaftliche Konflikte, Emanzipation der Frau und das Hinterfragen konventioneller Ansichten.
Den Schreibstil der Autorin empfinde ich als besonders angenehm und bildhaft. Der Leser begleitet die drei Protagonisten Elisabeth, Paul und Minna durch die gesamte Handlung hinweg.
Einen ersten Einblick in die Familienverhältnisse der Kuhlmanns – und somit einen Überblick der wichtigsten Charaktere - gibt ja schon das Personenverzeichnis, welches beim Lesen durchaus hilfreich dabei ist, die Übersicht zu bewahren.
Besonders gelungen ist die Einbindung des historischen Kontextes, denn nahezu jeder Charakter sieht sich persönlich mit einem Problem der damaligen Zeit konfrontiert:
Elisabeth strebt nach Emanzipation und hinterfragt beinahe störrisch, warum eine Frau andere Rechte und Pflichten haben sollte, als ein Mann. Es ist toll, dass man als Leser ganz automatisch einiges über das Hotelbusiness lernt, indem man von ihrer Neugierde profitiert. Zu Beginn des Romans weckt vor allem Elisabeth als Protagonistin das Interesse des Lesers. Insgesamt empfinde ich ihren Charakter bis zu einem gewissen Punkt der Handlung super sympathisch. Sie ist klug, einfühlsam und aufgeweckt. Gegen Ende des Romans trifft sie einige Entscheidungen, die ich persönlich nicht nachvollziehen kann.
Ottilie Kuhlmann - Elisabeths Mutter - verkörpert die überzeichnete Gestalt einer konventionellen Dame der damaligen Zeit. Unangebrachte rassistische Äußerungen sind aus ihrem Munde keine Seltenheit. Einem Wandel oder gar Fortschritt steht Frau Kuhlmann sehr skeptisch gegenüber. So trifft sie beispielsweise Entscheidungen, die ihre Töchter verletzten. Hauptsache das gesellschaftliche Korsett wird gewahrt.
Paul Kuhlmann - Elisabeths Bruder - ist homosexuell. Zur Zeit des Krieges ist Paul ein Charakter, der den Leser quasi hautnah mit an die Front nimmt. Durch den fabelhaften Schreibstil der Autorin hatte ich beim Lesen tatsächlich Tränen der Verzweiflung - wegen der unbeschreiblichen Vorkommnisse während des Krieges - in den Augen. An dieser Stelle möchte ich noch ein kurzes Zitat aus Pauls Zeit als Soldat einfügen: "Sie haben es immer noch nicht kapiert, Kuhlmann, nicht wahr? Sie sind ab jetzt kein Individuum mehr. Sie sind Soldat. Und als solcher nur ein winziges kleines Teilchen in der gut geölten Maschine des preußischen Militärs. Das Privatleben dieses Teilchens interessiert kein Schwein. Es geht nur darum, dass die Maschine anständig läuft. Verstanden?" "Jawohl, Herr Feldwebel." (S. 405)
Durch Minna - das Stubenmädchen - erhält der Leser noch einmal einen ganz anderen Einblick in die damalige Zeit. Minna ist eine der Angestellten in dem Luxushotel der Familie Kuhlmann. Sie stammt aus einer sozial schwächeren Familie der unteren Gesellschaftsschicht aus Berlin. Um eine möglichst große finanzielle Unterstützung zu sein, arbeitet Minna gewissenhaft und achtet auf ihren guten Ruf. Im Verlauf der Handlung ist sie mir immer stärker ans Herz gewachsen. Ich bin schon total gespannt, welche Entwicklungen Minna im zweiten Band durchlaufen wird und ob sie die Möglichkeit erhält ihre fantastischen Kochkünste noch weiter zu perfektionieren.
Julius Falkenhayn ist mysteriös, direkt, unkonventionell, weitsichtig und verliebt in Fräulein Elisabeth. Die Beschreibung von Julius als liberalen Hoffnungsschimmer in einer bewegten Zeit voller Misstrauen bringt seinen Charakter meiner Meinung nach kurz und prägnant auf den Punkt.
Viele Leser wünschen sich natürlich ein Happy End für die Protagonisten. Am Ende des Romans angekommen wissen wir, dass es (zumindest im ersten Band) keine glückliche Familienzusammenführung von Elisabeth, Julius und Julia gibt. So gerne ich mir ein Happy End für die beiden gewünscht habe, es würde sich an dieser Stelle einfach nicht richtig, sondern absolut künstlich anfühlen. Dies so direkt zum Ausdruck zu bringen tut mir leid, aber Elisabeths Verhalten sollte für Julius unverzeihlich sein und vor allem bleiben! Wenn man Julius Vergangenheit intensiv betrachtet, sollte klar sein wieso.
- Ende
Einen Bücherstapel oder auch Stern ziehe ich für die stellenweise schleppende Handlung ab. Am Ende des Romans wird dafür eine relativ große Zeitspanne innerhalb weniger Seiten beinahe künstlich gerafft abgearbeitet.
Mein Fazit:
Du suchst einen Roman mit spannenden Handlungsfäden? Eine leicht zu lesende Story, die gewissermaßen ganz beiläufig über historische Ereignisse zu Beginn des 20. Jahrhunderts informiert? Dann bist du im „Palais Heiligendamm“ bei Familie Kuhlmann genau richtig!
Ich kann es kaum erwarten herauszufinden, welche Entwicklungen die Charaktere in dem zweiten Band „Palais Heiligendamm – Stürmische Zeiten“ (erscheint 28.05.2021) durchlaufen werden und welche Rolle die historischen Ereignisse der damaligen Zeit dabei spielen werden.
Meine Bewertung:
von 5 möglichen Bücherstapeln.