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Veröffentlicht am 22.03.2025

Wieviel Vivaldi steckt in den „Vier Jahreszeiten“?

Die Melodie der Lagune
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Die Geschichte der Anna Maria della Pieta ist wahrscheinlich exemplarisch für das männlich bestimmte Erzählbild der Historie. Anna Maria war eine Ausnahme-Violinistin und während heute die Namen Anne-Sophie ...

Die Geschichte der Anna Maria della Pieta ist wahrscheinlich exemplarisch für das männlich bestimmte Erzählbild der Historie. Anna Maria war eine Ausnahme-Violinistin und während heute die Namen Anne-Sophie Mutter oder Vanessa Mae vielen Musikfreunden ein Begriff sind, wurden die großen Musikerinnen der Geschichte oft einfach vergessen… es gibt kaum Aufzeichnungen über sie und mit ihrer Generation starb üblicherweise auch die Erinnerung an sie.

 

In diesem Roman erzählt Harriet Constable anhand weniger, aber akribisch recherchierter Belege von einer außergewöhnlich begabten Frau. Anna Maria della Pieta war ein Waisenkind aus Venedig, das im dortigen Ospediale della Pieta aufwuchs. Ihr Glück: das Haus war gleichzeitig eine Musikschule und so erhielten begabte Mädchen eine besondere Förderung und hatten die Möglichkeit, Instrumente zu erlernen.

 

Anfang des 18. Jahrhunderts trafen hier zwei Menschen aufeinander und diese Begegnung hatte Folgen für die Musikwelt… ein junger Mann begann im Pieta seinen Lehrauftrag für Violine und eine junge Frau stellte sich als besonders talentierte Schülerin heraus. Ihre Namen: Antonio Vivaldi und Anna Maria della Pieta.

 

Vivaldi förderte Anna Maria und bezog sie und ihre Kolleginnen des Musikschul-Orchesters sogar immer wieder ein, wenn er an neuen Stücken oder Auftragswerken komponierte. Doch die fertigen Stücke trugen immer (nur) seinen Namen… Niemand kann sagen, wie viele Ideen oder Passagen seiner Werke tatsächlich von Vivaldi selbst stammen – auch bei seinem bekanntesten Werk muss man mittlerweile wohl zumindest für möglich erachten, dass es von den Kompositionen seiner Schülerinnen beeinflusst oder mit diesen angereichert wurde.

 

Nachdem Anna Maria im Erwachsenenalter mitbekommt, wie schamlos ihre Ideen ausgenutzt werden, entfernt sie sich von ihrem Mentor und wird selbst zur Musiklehrerin.

 

Die Autorin muss Anna Marias Geschichte an vielen Stellen ausschmücken oder fiktional gestalten, da nur sehr wenig über sie schriftlich festgehalten ist (wie das Nachwort verrät). Sicher ist jedoch, dass sie eine außergewöhnlich gute Musikerin und Komponistin war – und mit diesem Buch erfährt sie endlich die Aufmerksamkeit, die ihr seit Jahrhunderten gebühren würde.

 

Ich bin froh dieses Buch gelesen und Anna Maria „kennengelernt“ zu haben. Ich finde es sehr wichtig, dass zumindest in der jetzigen Zeit versucht wird, den „vergessenen“ Frauen der Geschichte eine Stimme zu geben. Daher kann ich nur jedem mit historischem Interesse empfehlen: lest dieses Buch.

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Veröffentlicht am 16.03.2025

Toller Historienschmöker

Die Brücke von London
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Wer das Abenteuer zwischen den Buchdeckeln sucht und abtauchen will in eine farbenprächtige historische Welt, der sollte unbedingt „Die Brücke von London“ zur Hand nehmen.


Die Zeile „London Bridge is ...

Wer das Abenteuer zwischen den Buchdeckeln sucht und abtauchen will in eine farbenprächtige historische Welt, der sollte unbedingt „Die Brücke von London“ zur Hand nehmen.


Die Zeile „London Bridge is falling down“ kennt man irgendwie, aber die wenigsten wissen wo dieses alte Lied herrührt. Die historische London Bridge muss in der damaligen Zeit ein gigantisches Bauwerk gewesen sein, eine riesige Brücke, die mit Häusern überbaut war. Sogar eine Art Kirche gab es mitten auf der Brücke – das sogenannte Kapellhaus. Es war ein Handelszentrum mit teuren Geschäften in den Brückenhäusern und gleichzeitig ein Nadelöhr, weil so ziemlich jeder, der trockenen Fußes über die Themse wollte, diese Verbindung nutzen musste. Die Verwaltung der Brückenhäuser war ein lukratives Geschäft und so könnte man sich gut vorstellen, dass hier – wie auch heute mit lukrativen Immobilien – der eine oder andere unsaubere Trick den Umsatz noch steigerte…

 

In diesem Spannungsfeld setzt Julius Arth mit seiner Geschichte an und erzählt eine Geschichte, die sich durchaus so oder ähnlich zugetragen haben könnte. Im Mittelpunkt: ein Angestellter der Brückenverwaltung, eine junge Witwe, die das Tuchgeschäft ihres verstorbenen Mannes weiterführt und eine Bande von Kindern und Jugendlichen, die sich als Taschendiebe in den Gassen von London über Wasser halten. Gute Zutaten für einen dichten und opulenten historischen Roman.

 

Ein zweiter, aber nicht so ausführlicher Zeitstrang setzt im Jahr 1202 an und erzählt von der Zeit, in der die London Bridge erbaut wurde.

 

Mich hat die Story sofort in ihren Bann gezogen, ich war mittendrin in der Geschichte und folgte Oliver, Juliana, Alder & seinen Freunden mit Vergnügen durch die engen Gassen, über die Brücke und ins aufstrebende Westminster, wo bereits an einer zweiten Brücke gebaut wurde. Die Hauptfiguren schließt man schnell ins Herz, besonders der gewitzte 14jährige Alder ist eine Figur, die man absolut lieb gewinnt.

 

Dem zweiten Zeitstrang konnte ich zunächst nicht so viel abgewinnen und fragte mich lange Zeit, welche Aussagekraft er für das Buch haben sollte. Ich dachte mir, das Buch wäre auch wunderbar ohne diesen zweiten Erzählstrang ausgekommen – erst ganz zum Schluss erschloss sich, warum es dem Autor wichtig war, dort anzusetzen und auch die Geschichte der esoterisch begabten Schwestern Estrid und Sibilla zu erzählen. Nur soviel: ganz am Ende macht alles wirklich Sinn.

 

Mich hat dieser Roman in eine Zeit entführt, die wir uns kaum noch vorstellen können und zu einem Bauwerk, das leider so nicht mehr existiert (es ist ein Jammer). Vor dem inneren Auge wird die historische London Bridge lebendig und ich konnte mein Wissen auf unterhaltsame Weise erweitern. So muss ein historischer Roman sein!

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Veröffentlicht am 13.03.2025

Wir brauchen mehr Natur in unserem Leben

Hase und ich
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Chloe Dalton berichtet in diesem Buch, wie sie zurück zur Natur gefunden hat, obwohl ihr Lebensentwurf davon meilenweit entfernt war. Als Beraterin für Persönlichkeiten aus der (politischen) Öffentlichkeit ...

Chloe Dalton berichtet in diesem Buch, wie sie zurück zur Natur gefunden hat, obwohl ihr Lebensentwurf davon meilenweit entfernt war. Als Beraterin für Persönlichkeiten aus der (politischen) Öffentlichkeit war sie permanent auf dem Sprung, in Hotelzimmern zu Hause und hat ihr persönliches Leben dem Job völlig untergeordnet. Bis Corona kam und die Welt gefühlt still stand.

 

Chloe zog sich in eine umgebaute Scheune auf dem Land zurück, mit nichts um sich herum als der englischen Hügellandschaft und Natur. Und völlig unverhofft stolperte sie im wahrsten Sinne des Wortes über ein Hasenkind, von dem sie vermutete, dass es Hilfe benötigt. Mit viel Enthusiasmus, aber zu diesem Zeitpunkt noch wenig Wissen über Feldhasen versuchte sie das kleine Wesen aufzupäppeln – und entgegen aller Unkenrufe aus ihrem Umfeld gelang das tatsächlich.

 

Der kleine Hase wurde zu ihrem täglichen Begleiter, ohne zum Haustier zu werden, nahm das Haus und den Garten in Beschlag und half der Autorin bei ihrer persönlichen Entschleunigung in der Corona-Zeit.

 

Über die Monate wurde Chloe zum wandelnden Lexikon, was Feldhasen betrifft und fing an, die Welt aus einem anderem Blickwinkel zu sehen – dem eines Fluchttieres, dem überall in der modernen Welt Gefahren drohen – und sei es nur durch das gut gemeinte Umsetzen eines Hasenbabys an einen vermeintlich sichereren Ort zwei Meter weiter.

 

Gemeinsam mit der Autorin erleben wir drei spannende Hasen- und Menschenjahre mit Übermut und Freude, aber auch Sorge und schlaflosen Nächten. Wie notwendig es auch in unserer modernen Welt (noch) ist, sich der Natur um sich herum bewusst zu werden und die Bedürfnisse aller lebenden Wesen zu respektieren, davon handelt dieses Buch.

 

Natürlich würde man nach dem Lesen am liebsten selbst sofort ein kleines Hasenbaby adoptieren. Warum das im Grunde das Falscheste ist, was man machen könnte, wird im Laufe der Lektüre ebenfalls deutlich. Und noch vieles mehr.

 

Unwillkürlich fängt man an, auch den Zustand vor der eigenen Haustür zu reflektieren und im besten Fall kommt man auf Ideen, was man den Lebewesen in seinem Umfeld mit kleinen Gesten Gutes tun könnte. Besonders auf den letzten Seiten hat die Autorin dafür auch einige Impulse parat. Für alle, die die Natur mögen und die eine ehrliche Erzählung ohne Vermenschlichung des vermeintlichen „Kuschelhasen“ schätzen, ist dieses Buch jetzt im Frühjahr eine sehr gute Wahl fürs Osternest 😊


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Veröffentlicht am 03.03.2025

Der Vergleich mit den „Flusskrebsen“ drängt sich auf…

Middletide – Was die Gezeiten verbergen
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Nach vielen Jahren kommt Elijah in seinen Heimatort zurück. Hier ließ er seinen alkoholsüchtigen Vater zurück, seine Kindheit und seine erste große Liebe, die indigene Nakita. Ein gefeierter Schriftsteller ...

Nach vielen Jahren kommt Elijah in seinen Heimatort zurück. Hier ließ er seinen alkoholsüchtigen Vater zurück, seine Kindheit und seine erste große Liebe, die indigene Nakita. Ein gefeierter Schriftsteller wollte er werden – doch er kommt zurück, nachdem sein Buch floppte und die Geldmittel nicht mehr reichen, um sein Leben in San Francisco zu finanzieren. Nach dem Tod des Vaters zieht er in dessen Hütte mitten in der Natur und baut sich ein bescheidenes, aber fast unabhängiges Leben auf. Doch dann wird auf seinem Grundstück die Ärztin des Ortes erhängt aufgefunden – und die Umstände ihres Todes gleichen haargenau dem Verbrechen, das Elijah in seinem Roman geschildert hatte. Für ihn beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, denn alle Indizien sprechen gegen ihn…

 

Sarah Crouch versucht in ihrem Roman dem Beispiel von „Der Gesang der Flusskrebse“ zu folgen. Das Buch lebt von ausladenden Naturbeschreibungen, der Protagonist versucht sich inmitten dieser Natur ein weitgehend autarkes Leben aufzubauen. Mit einem mysteriösen Todesfall kommt Spannung in den Roman und der Protagonist wird zum Verdächtigen. Die Zutaten sind also die gleichen, nur der Schauplatz – in diesem Fall die Westküste der USA nahe Seattle – ist ein anderer. Doch gelingt es Sarah Crouch genau so gut wie Delia Owens, diese Zutaten zu einem „perfekten Dinner“ zu verarbeiten? Aus meiner Sicht nicht ganz.

 

Eigentlich sollte man Bücher nicht vergleichend bewerten, aber da die Vergleichbarkeit hier scheinbar sehr bewusst gewählt wurde, muss das Buch dem auch standhalten... Während ich an Delia Owens Protagonistin Kya ganz nah dran war und mit ihr mitgefiebert und -gelitten habe, blieb ich zu Elijah aus irgendeinem Grund auf Distanz. Er hat mich einfach nicht so für sich einnehmen können. Die Nebenfigur der Nakita fand ich wiederum sehr gut getroffen – hier hätte ich mir gewünscht, noch mehr über das Leben indigener Personen in einem Reservat in den USA zu erfahren. Auch Elijahs väterlicher Freund Chitto war eine wunderbare Figur, die ich sehr gemocht habe. Umso mehr ärgert es mich, dass es mir nicht gelang, die gleiche Verbundenheit zu Elijah aufzubauen.

 

Spannendes Lesevergnügen stellte sich bei mir leider erst im letzten Drittel ein, als es um den Mordprozess gegen Elijah ging. Da nahm die Dramatik noch mal richtig Fahrt auf und hat für einen Abschluss des Buches gesorgt, der mich teilweise mit der etwas behäbigen Handlung zwischendurch versöhnt hat.

 

Als Leser sollte man noch wissen, dass der Roman viele Zeitsprünge beinhaltet, und zwar nicht nur in eine Richtung. Dieses Hin- und Herspringen innerhalb der Jahre 1988 bis 1994 könnte es Hörbuch-Hörern schwer machen, die Geschichte zu verfolgen. Ich würde daher zum Lesen, nicht zum Hören raten.

 

Insgesamt war es eine Geschichte, die von Inhalt und Aufbau sehr deutlich an „Der Gesang der Flusskrebse“ erinnert, ohne jedoch dessen grandioses Lesegefühl vermitteln zu können. Wer das Buch aber vorbehaltlos zur Hand nimmt und Nature Writing mit einem Hauch Spannung mag, wird an dem Buch sicher Freude haben.

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Veröffentlicht am 26.02.2025

Wieviel wusste sie?

Die Komplizin – Ihr Mann ist ein Serienkiller. Was ist sie – Täterin oder Opfer?
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Wer ist Carrie Miller? Die nichts ahnende Ehefrau, deren Welt plötzlich zusammenbricht als ihr Mann vom FBI als berüchtigter Serienmörder „Sandmann“ gesucht wird? Oder diejenige, die ihm die Flucht ermöglicht ...

Wer ist Carrie Miller? Die nichts ahnende Ehefrau, deren Welt plötzlich zusammenbricht als ihr Mann vom FBI als berüchtigter Serienmörder „Sandmann“ gesucht wird? Oder diejenige, die ihm die Flucht ermöglicht hat, weil sie seine Taten deckte? Sie soll als Mitwisserin vor Gericht kommen während der „Sandmann“ noch immer flüchtig ist, doch dann kommt alles anders…

 

Eddie Flynn entscheidet sich, Carrie zu vertreten, weil er tief in seinem Herzen an ihre Unschuld glaubt. Er versucht, ihr mit einer guten Strategie zu einem Freispruch zu verhelfen, doch vieles spricht gegen sie. Und dann erhält er plötzlich eine unmissverständliche Botschaft vom Sandmann: entweder meine Frau kommt frei, oder deine Kanzleipartnerin stirbt…

 

Der Prozess wird zu einem Katz-und-Maus-Spiel, bei dem Eddie plötzlich nicht mehr davon überzeugt ist, dass Carrie ebenso hinters Licht geführt wurde wie er. Welche Rolle spielt sie hier wirklich?

 

Steve Cavanagh gelingt es wie keinem anderen, seiner Leser genauso wie seine Hauptfiguren in Zwiespalt zu stürzen. Genauso wie Eddie ist man beim Lesen hin- und hergerissen, ob man Carrie glauben sollte oder nicht. Vieles spricht gegen, einiges für sie – doch in jeder Hinsicht bleiben Zweifel. Zweifel an ihrer Schuld, aber auch Zweifel an ihrer Unschuld.

 

Und so wird auch dieser Thriller zum atemlosen Lesevergnügen, das einen Seite für Seite hastig umblättern lässt. Cavanaghs Bücher sind einfach immer ein Garant für gute und unheimlich spannende Unterhaltung, und meistens wird – so wie hier – ein psychologisches oder moralisches Dilemma thematisiert. Und auch bei diesem Roman ist es ihm wieder gelungen, mich von Anfang bis Ende bei der Stange zu halten und mich selbst zu hinterfragen. Hätte ich ihr geglaubt? Wie hätte ich reagiert, wenn ich auf dieser Geschworenenbank gesessen hätte?

 

Ich liebe die Romane von Steve Cavanagh einfach und finde sie ragen aus der Masse der Justiz- und Gerichtsthriller ziemlich weit heraus. Selbst zwei Seiten vor dem Ende schafft er es mitunter, die Geschichte nochmal zu drehen und ihr einen völlig neuen Blickwinkel zu geben. Auch hier? Das müsst ihr unbedingt selbst lesen!

 

PS: Der Roman lässt sich problemlos ohne Vorkenntnisse der anderen Bände lesen – auch wenn man natürlich am besten alle Bücher des Autors gelesen haben sollte! 😉

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