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Veröffentlicht am 29.05.2021

Abgefahrener und makabrer Manga-Horror mit Lovecraftscher Atmosphäre!

Uzumaki Deluxe
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In Kurouzu geschieht Seltsames: Ein Einwohner nach dem anderen dreht durch. Schuld daran scheinen die Spiralen zu sein... Kirie glaubt anfangs nicht an die düsteren Theorien ihres Freundes Shuichi, doch ...

In Kurouzu geschieht Seltsames: Ein Einwohner nach dem anderen dreht durch. Schuld daran scheinen die Spiralen zu sein... Kirie glaubt anfangs nicht an die düsteren Theorien ihres Freundes Shuichi, doch logische Erklärungen gibt es nicht. Der Horror zieht seine Kreise! ... (Klappentext)


">>Das liegt an dieser Stadt. Sie ist mit Spiralen verseucht! Verlass Kurouzu, so schnell Du kannst.<<"
(S. 91)



Kurouzu ist ein kleines und beschauliches Städtchen in dem Kirie und ihr Freund Shuichi leben. Shuichi fällt als Erstes auf, dass mit dem Städtchen etwas nicht stimmt und das nicht nur weil er nun auswärts zur Schule geht, sondern sein Vater sich äußerst seltsam benimmt.
Shuichis Vater ist nämlich seit Kurzem von Spiralen besessen. Alles was eine Spiralform hat fasziniert ihn und er starrt stundenlang darauf. Dann beginnt er diese Dinge zu sammeln und lässt sich Dinge mit Spiralformen herstellen, anschließend ist er von Spiralen so besessen, dass er darauf besteht nur noch Lebensmittel zu sich zu nehmen, die wie eine Spirale aussehen. Dies steigert sich immer mehr, bis es auch zu körperlichen Veränderungen und schließlich zu seinem Tod unter äußerst schaurigen Umständen führt.
Während Kirie und Shuichi nun denken, dass das nun endlich vorbei ist, beginnt der wahre Horror nun erst so richtig. Der Wahnsinn hat nun nämlich auf Shuichis Mutter übergegriffen, jedoch auf ganz andere Art und Weise. Seine Mutter leidet nämlich seit dem Tod ihres Mannes an Spiralphobie, die zu besonders makabren Selbstverletzungen führt. Nun ist selbst Kirie klar, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht, doch es scheint schon zu spät zu sein, denn plötzlich scheinen Menschen nicht nur dem Wahnsinn zu verfallen, sondern verändern sich auch körperlich - die Spirale des Horrors beginnt sich zu drehen und wird immer schneller.


"An dem Tag, an dem sie starb und ihr Körper verbrannt wurde, bildete sich eine weitere schwarze Spirale am Himmel über unserer Stadt."
(S. 74)



Der Horror beginnt langsam, steigert sich jedoch rasch und nach nur wenigen Seiten steckt man in einer Horrorwelt voller archimedischer und logarithmischer Spiralen. Spiralen, die sich drehen und so die Figuren in den Wahnsinn treiben. Spiralen, die die Figuren herumwirbeln, ein- oder aussaugen und in jedem und allem vorhanden sind.
Es wird hier nicht nur gruselig, sondern vor allem brutal, makaber und grausam, während einem gleichzeitig eine psychedelisch anmutende und lovecraftsche Atmosphäre umgibt.


"Was war das bloß auf ihrer Stirn?! Als ob sich eine Spirale in ihren Schädel bohrte..."
(S. 96)



Dabei hält sich Junji Ito auch zeichnerisch nicht zurück und schafft es auf intensive Weise all den Horror, all die Atmosphäre an die LeserInnen zu transportieren.
Die Illustrationen sind, bis auf wenige Ausnahmen, in schwarz-weiß gehalten und stecken voller Liebe zum Detail. Diese lassen den Horror dadurch erst so richtig bei einem einziehen und einem in den Kopf des Autors blicken.

Die Handlung ist in der Deluxe-Gesamtausgabe in 19 Kapitel unterteilt und jedes Kapitel enthält eine mehr oder weniger in sich abgeschlossene Story, die jedoch alle aufeinander aufbauen und zusammen eine große Gesamtstory ergeben.
So enthält dieser Manga, unter anderem, eine Story über Menschenschnecken, Schwangere, die sich wie Moskitos benehmen und nach Blut gieren, oder eine Story in der sich eine Hauterkrankung ausbreitet, die Hörner aus einem wachsen lassen, ein aufgelassener Leuchtturm plötzlich wieder zu leuchten beginnt und vieles mehr ... vor allem viele Wirbelstürme.


">>Es war einfach sensationell in seinem Schneckenhaus ... seine Weichteile zu verspeisen ... meinen ganzen Körper in seine feuchten, wundervollen Windungen hineinzupressen ...<<"
(S. 553)



Doch die Storys enthalten nicht nur makabren und brutalen Horror, sondern auch durchaus Tiefe. Es werden zum Beispiel Mobbing, Hass, Geltungssucht und krankhafte Besessenheit thematisiert, die die Figuren in eine ganz eigene Spirale des Abgrundes hinabziehen.


">>Spiralen saugen alles in sich ein. Das Auge folgt dem Muster bis ins Zentrum. Alle, die von der Spirale besessen sind, wollen die Aufmerksamkeit anderer.<<"
(S. 175)



Die Aufmachung darf hier nicht unerwähnt bleiben.
Die Deluxe-Gesamtausgabe kommt nämlich in einer qualitativ hochwertigen Hardcover-Ausgabe daher.
Ich habe sowohl die englische, als auch die deutsche Ausgabe gelesen und empfehle eindeutig die deutsche Ausgabe. Diese enthält, im Gegensatz zur englischen Ausgabe, nicht nur ein Nachwort des Autors zur Entstehung der Geschichte, sondern gleich drei und zusätzlich noch eine bisher unveröffentlichte Story, welche mit "Verschollenes Kapitel" betitelt ist.

Fazit:
"Abgefahrener geiler und kranker Scheiß" war das Erste, was mir durch den Kopf ging, aber das kann man ja schlecht als Fazit einfach so stehen lassen.
Dieses Buch war mein erster Manga überhaupt und für mich somit der Einstieg in die Manga-Welt ... und was für einer!
Ich liebe komplexen Horror, dabei kann es gerne auch durchaus brutal und makaber zur Sache gehen, und ich bin auch ein Fan der Werke von H.P. Lovecraft. Junji Ito hat dies alles in diesen fantastischen Manga gepackt und das in einem tollen Zeichenstil (zum Glück alles andere als lieblich). Danach wird man seinen Kaffee mit ganz anderen Augen umrühren.
Nicht nur, dass dies nicht mein letzter Manga war, sondern auch mit Sicherheit nicht mein letzter Ito.

© Pink Anemone (auf dem Blog mit vielen Bildern aus dem Manga, Autoren-Info, Leseprobe und Rezept zum Manga)

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Veröffentlicht am 13.05.2021

Nach all der Lobhudelei für mich leider nur eine Enttäuschung.

Meine Schwester, die Serienmörderin
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Zwei Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Ayoola ist das Lieblingskind, unglaublich schön -- und sie hat die Angewohnheit, ihre Männer umzubringen.
Korede ist eher praktisch veranlagt ...

Zwei Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Ayoola ist das Lieblingskind, unglaublich schön -- und sie hat die Angewohnheit, ihre Männer umzubringen.
Korede ist eher praktisch veranlagt und dafür zuständig hinter ihrer Schwester aufzuräumen: die Krankenschwester kennt die besten Tricks, um Blut zu entfernen, und ihr Kofferraum ist groß genug für eine Leiche. Dann verknallt sich natürlich auch Tade, der hübsche Arzt aus dem Krankenhaus, in Ayoola, der doch eigentlich für Korede bestimmt ist. Jetzt muss die sich fragen, wie gefährlich ihr Schwester wirklich ist -- und wen sie hier eigentlich vor wem beschützt. Dieser euphorisch gefeierte Roman aus Nigeria ist so beiläufig feministisch wie abgründig, er ist "fiebrig heiß" (Paula Hawkins) und verdammt cool zugleich...
(Klappentext)

✵✵✵✵✵✵✵✵✵✵

"Ein normaler Mensch wäre vielleicht sauer, aber ich verspüre in diesem Augenblick nur das dringende Bedürfnis, diese Leiche loszuwerden.
Als ich ankam, trugen wir ihn als Erstes in den Kofferraum meines Wagens, damit ich schrubben und wischen konnte, ohne dabei sein kaltes Starren ertragen zu müssen."
(S. 9)



Die beiden Schwestern Korede und Ayoola sind nicht nur äußerlich völlig verschieden, sondern auch in allen anderen Dingen.
Korede, die Ältere, steht mit beiden Beinen im Leben, arbeitet als Krankenschwester, ist klug, empathisch, findet sich selbst jedoch alles andere als hübsch. Ayoola hingegen ist eine wunderschöne Frau, weiß und hört das auch gerne, wickelt jeden um ihren Finger, hat eine narzisstische Ader ... und bringt ihre Liebhaber um.
Während Ayoola jedes Mal beteuert, dass der Mann an allem schuld war, übernimmt Korede das Reinigen des Tatortes und lässt die Leichen verschwinden. Bis sich Ayoola in den Arzt Tade verguckt, den Korede heimlich anhimmelt.

"Tade verstummt, und mir gefriert das Blut in den Adern. Ayoola befreit sich aus meinem Griff, aber das macht keinen Unterschied mehr, es ist ohnehin zu spät. Sobald sein Blick auf Ayooda fällt, weiten sich seine Augen. Er rückt seinen Arztkittel zurecht."
(S. 61)



Man liest aus der Sicht von Korede und man spürt schnell diesen Konkurrenzkampf in dem sie sich mit ihrer Schwester befindet. Sie bewundert ihre jüngere und hübsche Schwester, fühlt sich für sie verantwortlich, beschützt sie und will nicht, dass ihr etwas Schlimmes passiert. Gleichzeitig spürt man aber auch Neid und Missgust, die sie ihr gegenüber empfindet, denn selbst in der Familie bekommt Ayoola immer das was sie will - Zuspruch, Anerkennung und Liebe, während Korede auch hier das Nachsehen hat.
Das Einzige was die beiden zu verbinden scheint sind die Aufräumarbeiten, nachdem Ayoola wieder einmal getötet hat. Während Ayoola nach den Morden wieder vergnügt durchs Leben tanzt und keinen Gedanken mehr daran verschwendet, versucht Korede alles, um nicht verdächtig zu erscheinen und der Druck in ihrem Inneren steigt. Der Einzige mit dem sie darüber redet, dem sie ihr Herz ausschüttet, ist ein Patient im Koma.

"Vor wenigen Tagen erst haben wir einen Mann an das Meer übergeben, aber hier ist sie nun und tanzt.
Ich lehne mich gegen den Türrahmen und beobachte sie, versuche und scheitere daran, zu verstehen, wie es in ihrem Kopf aussieht."
(S. 41)



Im Verlauf erfährt man nicht nur wie es im Inneren von Korede aussieht, sondern wirft auch einen Blick in die Familienverhältnisse und in das Arbeitsleben von Korede. Dabei schwingt immer ein verbitterter und auch verzweifelter Ton mit, was durchaus passend und authentisch ist. Doch obwohl sie ihre Schwester im Stillen verflucht, hält sie immer zu ihr, hilft ihr und glaubt ihr. Immerhin ist sie ihre ältere Schwester und das machen eben ältere Geschwister und außerdem - wer würde ihr schon glauben?


Der Schreibstil ist schnörkellos und direkt und die Kapitel kurz und knapp. Dadurch fliegt man innerhalb weniger Stunden durch das Buch und obwohl ich es in kürzester Zeit verschlang, ließ es mich doch enttäuscht zurück.

Es beginnt schon bei den Protagonisten. Sympathieträger findet man hier nicht, wobei das für mich nicht unbedingt ein notwendiges Kriterium ist um eine Story gut zu finden, sofern es zur Story passt. Das tut es definitiv, doch was mich störte waren die blassen Figuren.
Obwohl man aus Koredes Sicht las, sie mir quasi ihr Inneres offenbarte und mir gleichzeitig auch Ayoola näher brachte, blieben sie beide blass und irgendwie nichtssagend. Mir waren die beiden bis zum Ende hin also in gewisser Weise völlig schnurz.

Das wäre das Eine, das Andere ist, dass man überall liest, dass es ein feministisches Buch ist, welches die patriarchalen Zwänge Nigerias sichtbar macht. Ich habe weder das eine, noch das andere darin entdeckt. Im Grunde könnte die Geschichte überall spielen, denn Lagos, eine Großstadt in Nigeria, wird nur am Rande erwähnt und die patriarchalen Zwänge werden auch nur kurz angerissen ohne näher auf diese einzugehen.
Zum Beispiel durch Koredes Einblick in die Erinnerungen an ihren Vater. Das ist natürlich harter Stoff, jedoch so distanziert transportiert und so schnell abgehandelt, sodass es mir nicht so sehr ans Herz ging wie es wohl sollte. Also auch hier wieder dieses Egal-Gefühl.
Und wo der Feminismus steckt? Tja, keine Ahnung. Nur weil Ayoola schön ist und Männer ihr hinterherhecheln? Sie wurde nicht durch das Patriarchat zu dem gemacht was sie ist, sondern weil sie eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hat, welche von Mutter und Schwester nicht erkannt und somit unwissentlich gefördert wurde. Sie ist was sie ist - eine Serienmörderin. Aus und Ende.

"Als Ayoola an diesem Abend zurückkehrt, fasst sie die Rosen an, fotografiert sie und will das Bild gerade online stellen, als ich sie, schon wieder, daran erinnere, dass sie einen Freund hat, der seit einem Monat vermisst wird und um den sie trauern sollte.
Sie macht einen Schmollmund. >>Wie lange muss ich denn noch langweiliges, trauriges Zeug posten?<<"
(S. 85)



Das Ende wird nicht jedem gefallen, doch während mich die gesamte Story und auch die Figuren nicht beeindrucken konnten, fand ich das Ende gut und vor allem, vom psychologischen Standpunkt aus betrachtet, durchaus authentisch.
Um das näher zu erklären, müsste ich spoilern, daher möchte ich nur zwei Wörter in den Raum werfen und zwar: Manipulation und Co-Abhängigkeit.


Fazit:
Ich habe mir nach all den vielen Rezensionen mit all den Lobhudeleien mehr erwartet und wurde leider dementsprechend enttäuscht.
Der viel gepriesene Witz war meiner Meinung nach nicht vorhanden, ebenso nicht der erhoffte feministische Kampf gegen das patriarchale Regime Nigerias. Es ist einfach nur ein Roman zweier Schwestern, in der die eine ihre Liebhaber killt und narzisstische Tendenzen aufweist, während die andere zwischen Liebe und Rivalität hin- und hergerissen ist. Leider ohne Tiefe, denn dafür wird alles zu oberflächlich und schnell  abgehandelt.
Schade, denn Potenzial für etwas Großes war durchaus vorhanden.


© Pink Anemone (mit Bildern aus dem Buch, Leseprobe, Autoren-Info)

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Veröffentlicht am 12.05.2021

Ein spannendes und atmosphärisches Read & Jump-Spielbuch für zwischendurch. Vor allem für Anfänger geeignet.

Choose Cthulhu 1 - Cthulhus Ruf
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Im Winter 1926 erreicht dich die Nachricht über den mysteriösen Tod deines Großonkels George Gammell Angell, einem Professor für Sprachen an der Brown University. In welche Art von unheimlichen Studien ...

Im Winter 1926 erreicht dich die Nachricht über den mysteriösen Tod deines Großonkels George Gammell Angell, einem Professor für Sprachen an der Brown University. In welche Art von unheimlichen Studien war er verwickelt? Was hat es mit dieser schrecklichen Tonskulptur - zur Hälfte Drache, zur Hälfte Oktopus - auf sich, die sich unter seinen Hinterlassenschaften befindet?
Wirst du den Mut aufbringen, dich der Herausforderung zu stellen, um gegen einen alten Kult zu kämpfen, der alptraumhafte Kreaturen aus Zeit und Raum verehrt? ...
(Klappentext)

☬☬☬☬☬

"Die Dinge, die du bisher im Verlauf deines Abenteuers gesehen hast, haben dich zu der Annahme gebracht, dass es hinter der natürlichen Welt, hinter dem Profanen, noch eine Wirklichkeit gibt, zu der nur wenige Zugang haben. Und diejenigen, die dorthin geglangen, werden wahnsinnig, weil sie die Mysterien, die jenseits liegen, nicht begreifen können."
(S. 36)



Man befindet sich im Jahr 1926 und schlüpft in die Rolle eines Anthropologie-Studenten.
Eigentlich will man die Ferien und somit die Studienpause genießen, doch schlechte Nachrichten erwarten uns. Unser geliebter Großonkel ist verstorben. Zugegeben, mit 92 Jahren hatte er schon ein stattliches Alter und doch kommt sein Tod unerwartet, war er doch, trotz seines Alters, ein rüstiger Mann.
Angeblich ist er auf seinem Nachhauseweg gestürzt und die schweren Verletzungen führten zu seinem Tod. Das Gefühl sagt uns aber etwas anderes und zwar, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Dieses Gefühl verstärkt sich, als wir seine Hinterlassenschaften durchgehen.
Unser Onkel scheint etwas Mysteriösem auf der Spur gewesen zu sein - überall taucht das Wort "Cthulhu" auf und es ist die Rede von irgendeinem Kult. Wir beschließen natürlich dem nachzugehen.
Das Abenteuer beginnt und der Wahnsinn ist nah.

"Kein Licht leuchtet, nicht einmal vom Himmel (der Mond ist nicht zu sehen, und die Sterne sind wolkenverhangen), und die gesamte Landschaft sieht aus wie ein riesiges, schwarzes Leichentuch."
(S. 70)



Ich wurde von meinem Spielbuch-Dealer und -Berater vom Mantikore-Verlag gewarnt, dass dieses Spielbuch eher für Anfänger gedacht ist und ich mich womöglich langweilen werde. Doch ich möchte auch für absolute Anfänger Spielbücher vorstellen, die eventuell in kleinen Schritten in die interaktive Buchwelt eintauchen möchten.
Außerdem bin ich absoluter H.P. Lovecraft-Cthulhu-Fan ("Anhänger" könnte hier eventuell missverstanden werden), ergo musste das Buch in mein Regal.


Dieses Buch ist definitiv für Anfänger geeignet, aber nicht nur.
Man benötigt hier weder Würfel, noch andere Utensilien, wie z.B. Stift und/oder Notizbuch. Es ist nämlich ein simples Read & Jump-Spielbuch. Das bedeutet, dass einem, je nachdem welche Entscheidung man trifft, im Buch gesagt wird, an welcher Stelle man weiterzulesen hat.
Daher ist es von den getroffenen Entscheidungen abhängig, wie sich die Story entwickelt. So eben auch in diesem Spielbuch, welches einem in die okkulte Welt von H.P. Lovecraft entführt und wir dem Cthulhu-Kult auf den Fersen sind ... oder auch nicht.

Man kommt hier bei den Ermittlungen ganz schön rum und erlebt so Einiges.
Je nachdem wie man sich entscheidet begibt man sich zum Beispiel nach New Orleans, um einen Voodookult aufzuhalten, beobachtet einen jungen Mann im Schlaf, der von Alpträumen geplagt wird und währenddessen ein Gemälde zum Leben erwacht. Man kann sich auch nach Grönland begeben, um einen Inuto-Stamm zu besuchen, der, Gerüchten zufolge, einem dunklen und obskuren Kult huldigt oder man segelt in die andere Richtung und erfährt eventuell was aus der "TERROR" geworden ist. Und wem der Name "Captain Englehorn" etwas sagt, kann sich vielleicht vorstellen auf welcher Insel man noch landen kann.
Man kann natürlich auch sterben oder, im typischen Lovecraft-Style, dem Wahnsinn verfallen. Dann endet das Abenteuer vorzeitig in der Gummizelle einer Nervenheilanstalt.

"Die Wasserfarbe auf dem Gemälde scheint sich zu bewegen! Es ist, als wären die gemalten Figuren zum Leben erwacht und würden aus dem Rahmen auf den Boden tropfen.
Siehst du das wirklich, oder bildest du es dir ein? Was verursacht dieses Phänomen? Liegt es an Wilcox' Traum oder an der Halskette? War Whiskey in deinem Kaffee, der dir zu Kopf steigt?"
(S. 57)



Ich habe für Euch natürlich alle möglichen Wege durchgespielt. Bin dafür 3x gestorben, habe 1x die Welt ins Chaos gestürzt, bin 1x zum Anfang katapultiert worden und satte 5x (!!) bin ich dem Wahnsinn verfallen. Meine Güte, was tut man nicht alles für seine Leserschaft.
Obwohl ich mittlerweile schon ein kleiner Profi bin was Spielbücher angeht und mich nach der "Warnung" schon darauf eingestellt hatte mich zu langweilen, war das Gegenteil der Fall. Ich habe mich köstlich amüsiert.


Das lag nicht nur am einfachen und knackigen Schreibstil des Autors und der düsteren Atmosphäre, die mich während des Lesens umgab. Vielmehr machte es Spaß die verschiedenen Wege einzuschlagen und spannend zu verfolgen wohin es mich wohl diesmal verschlägt.
Man kann nicht nur dem Cthulhu-Kult entdecken, sondern so manch anderes und diese kleinen Schmankerln fühlen sich dann an wie kleine Eastereggs, wenn man die ein oder anderen Bücher/Filme kennt.

"Es hat kein gutes Ende genommen, lieber Freund.
Wenn du dies hier liest, so bedeutet das, dass alle Schrecken und Geheimnisse, auf die du im Verlauf deines Abenteuers gestoßen bist, zu viel für dich waren. Dein kleinlicher, westlicher, rationaler, menschlicher Verstand konnte es nicht ertragen, solchen Anblicken ausgesetzt zu sein, und du bist wahnsinnig geworden."
(S. 83)



Man springt jedoch nicht immer wie wild durch das Buch, denn die verschiedenen Storyverläufe mit ihren Sektionsnummern sind dann doch nacheinander angeordnet, ergo liest man hier dann doch Seite für Seite.
Die Intention dahinter ist wohl, dass dadurch weniger die Möglichkeit besteht einen anderen Storyverlauf zu spoilern, was bei so einem dünnen Büchlein ja schnell der Fall sein kann.
Auch hat man das Gefühl, dass Sektionsnummern fehlen, diese wurden jedoch durch ganzseitige Illustrationen ersetzt. Diese stammen aus der Feder des Zeichners Eliezer Mayor. Diese sind stimmungsvoll und sorgen zwischendurch für Abwechslung und zusätzliche Atmosphäre.

Ich habe mir jedoch auch ein paar Rätsel erwartet, die hier leider überhaupt nicht vorkommen. Diese hätten dem Ganzen noch den gewissen Kick verliehen. Immerhin müssen die Protagonisten von H.P. Lovecraft auch immer irgendetwas dechiffrieren oder zusammensetzen.
Zudem gibt es nur einen richtigen Weg, ergo ein Ende, zumindest wenn man nicht sterben oder wahnsinnig werden will. Auch hier hätte ich mir zumindest einen zweiten "richtigen" Weg als Möglichkeit erwartet.


Im Anschluß gibt es noch ein Bestiarium und als besonderes Schmankerl die Kurzgeschichte "Cthulhus Ruf" von H.P. Lovecraft zu lesen.
Die Übersetzung ist modernisiert und vereinfacht und daher für diejenigen geeignet, welche normalerweise keine Klassiker lesen. Ich persönlich bevorzuge dann doch die Bücher aus dem Festa-Verlag.

"Die größte Gnade auf der Welt ist die Unfähigkeit des menschlichen Verstandes all seine Inhalte in Beziehung zu setzen. Wir leben auf einer ruhigen Insel der Unwissenheit inmitten eines finsteren Meeres der Unendlichkeit ..."
(S. 83)



Fazit:
Es ist ein simples aber dennoch spannendes und atmosphärisches Read & Jump-Spielbuch für zwischendurch. Ich selbst habe es mit allen möglichen Wegen innerhalb weniger Stunden durchgespielt und wurde, trotz der oben genannten Mankos, gut unterhalten.
Man darf sich von so einem dünnen Buch eben nicht zu viel erwarten, vor allem keine Rätsel ... leider.
Für Anfänger, Read & Jump-Spielbuch-LiebhaberInnen, Lovecraft-Fans und vor allem, wenn man so manche Filme/Bücher kennt, ist es jedoch ein amüsanter Zeitvertreib, inklusive toller Illustrationen und kleiner Eastereggs.


© Pink Anemone (mit vielen Bildern aus dem Buch, Book-Soundtrack "Cthulus-Ambience" und Infos zu Autor und Illustrator)

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Veröffentlicht am 14.04.2021

Ein berührendes, spannendes und magisches Leseerlebnis mit einem Hauch Phantastik. Absolutes Highlight!

Kleine Wunder um Mitternacht
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Es ist kurz vor Mitternacht, als drei junge Einbrecher in einen verlassenen Gemischtwarenladen eindringen, um nach ihrem Raubzug unterzutauchen. Doch Atsuya, Shota und Kohei wird keine ruhige Stunde bis ...

Es ist kurz vor Mitternacht, als drei junge Einbrecher in einen verlassenen Gemischtwarenladen eindringen, um nach ihrem Raubzug unterzutauchen. Doch Atsuya, Shota und Kohei wird keine ruhige Stunde bis zum Morgengrauen gewährt: Ein Brief wird von außen durch einen Schlitz in den Laden geworfen, obwohl in der Dunkelheit vor der Tür kein Mensch zu sehen ist. Als ihn die erstaunten Kleinkriminellen öffnen, beginnt eine unglaubliche Geschichte, die eine Nacht lang das Leben unzähliger Menschen verändern wird – und eigentlich begann sie vor über dreißig Jahren, als ein weiser alter Mann mit seinen Worten kleine Wunder vollbringen konnte... (Klappentext)

❃❃❃❃❃


"Am 13. September, von einer Minute nach Mitternacht bis Tagesanbruch, wird Namiya Gemischtwaren für eine einzige Nacht wiedereröffnen. Wir bitten jeden, der jemals um Rat gebeten und ihn erhalten hat, um seine ungeschminkte Meinung. Wie hat sich dieser Rat auf Ihr Leben ausgewirkt? Fanden Sie ihn hilfreich oder nutzlos? Bitte werfen Sie Ihre Briefe in den Schlitz im Rollladen, wie in alten Zeiten. Wir freuen uns darauf, von Ihnen zu hören.
(S. 301)



Ein altes verlassenes Haus am Ende der Straße, ein angrenzender Gemischwarenladen, ebenso verlassen und verschlossen durch einen Rollladen. Das scheint das ideale Versteck für die drei Kleinkriminellen Atsuya, Shota und Kobei zu sein. Nach einem Raub flüchten sie mitten in der Nacht in diesen Laden, um abzuwarten bis es Tag wird.
Plötzlich wird ein Brief durch den Briefschlitz des Rollladens in den Laden geworfen und kein Mensch weit und breit ist zu sehen. Nachdem der Schreck der drei Männer abgeklungen ist, erwacht die Neugierde und sie beschließen den Brief zu lesen. In diesem schüttet eine Frau, die sich nur 'Mondhase' nennt, ihr Herz aus und bittet um eine Lösung ihres Problems. Dieser Brief ist an den einstigen Besitzer Yuji Namiya gerichtet, der wohl Antworten auf die schwierigsten Fragen und Probleme hatte. Damals fungierte der Laden wohl auch als Kummerkasten. Allerdings müsste Namiya inzwischen über 100 Jahre alt sein, dieser Laden ist seit Ewigkeiten verlassen, also wer schreibt jetzt noch Briefe an ihn?
Während Atsuya das alles als Irrtum abtut, beschließen die anderen beiden einfach zurückzuschreiben. Immerhin muss man doch irgendwie die Zeit totschlagen und 'Mondhase' tut ihnen leid. Doch kaum haben sie die Antwort in den Milchkasten geworfen, erhalten sie den Antwortbrief von 'Mondhase', wieder durch den Briefschlitz geworfen und wieder kein Mensch weit und breit zu sehen.
Dies ist jedoch nicht das Mysteriöseste, denn auch die Zeit steht in dem Laden still und die Briefe von 'Mondhase' scheinen aus der Vergangenheit zu stammen. Die Männer beschließen trotzdem in dem Laden zu bleiben und es entbrennt eine Korrespondenz zwischen den Zeiten, die nicht nur Einfluß auf die drei Einbrecher hat, sondern auf viele anderen auch - in der Gegenwart und in der Vergangenheit.


"Der Briefschlitz und der Milchkasten sind mit der Vergangenheit verbunden. Wenn jemand von früher einen Brief in den Laden in dieser vergangenen Welt wirft, landet er hier in der Gegenwart. Und genauso fällt ein Brief, den wir in den Milchkasten legen, in den Milchkasten der Vergangenheit."
(S. 41)



Wie auch die drei Einbrecher wird man selbst in diese Geschichte hineingesogen, in der der Schleier zwischen Vergangenheit und Gegenwart dünn ist und die Zeit gleichzeitig still steht.

Im Verlauf liest man aus verschiedenen Perspektiven und beobachtet das Leben unterschiedlicher Figuren, welche mit Schicksalsschlägen, schweren Entscheidungen und unerfüllten Träumen zu kämpfen haben.
Wie z.B. die schon erwähnte 'Mondhase' - eine junge und vielversprechende Sportlerin, welche hin- und hergerissen ist. Sie trainiert für die Olympischen Spiele, doch ihre große Liebe erkrankt an Krebs und hat nicht mehr lange zu leben. Ihr Freund, ebenfalls Sportler, möchte jedoch, dass sie weitertrainiert, um so für sie beiden den Lebenstraum von Olympia zu erfüllen. Sie aber möchte viel lieber die Zeit, die sie noch zusammen haben, bei ihm verbringen.

Oder Katsuro, der sein Elternhaus verlassen hat um BWL zu studieren. Sein Traum sieht jedoch ganz anders aus - er will Musiker werden und dafür würde er alles aufgeben. Doch dieser Traum gerät ins Wanken, als er für eine Beerdigung nach Hause kommt.


"Andererseits war sie vielleicht doch nicht irre und alles real, auf eine märchenhafte Art und Weise. Möglicherweise fand er eine Lösung für sein Problem. Etwas, das ihm half, sein Leben in die richtige Richtung zu lenken. Auf alles vorbereitet, sowohl auf Enttäuschung, als auch auf Überraschung, erklomm Katsuro jetzt den Hügel, bis er vor der verwitterten Fassade des Ladens stand."
(S. 113)



Dies sind nur zwei schicksalhafte Leben von vielen und natürlich erfährt man auch die Geschichte des Ladeninhabers Yuji namiya - wie alles begann, wie es sich entwickelte, endete und zu dem führte was nun geschieht.

Dabei reist man mit den Figuren in die Vergangenheit und es werden, unter anderem, die Olympischen Spiele 1980 und deren Boykott und auch die Beatlemania thematisiert, inklusive des ein oder anderen Musikhits.


"Ich behandle jeden Brief als Hilfeschrei. Diese Menschen sind nicht anders als wir. Sie haben ein Loch in ihrem Herzen, und etwas Lebensnotwendiges sickert heraus."
(S. 143)



Der Schreibstil ist klar, flüssig und lässt einen in eine fantastische Geschichte eintauchen, welche vom Zusammenspiel von Schicksal, zufälligen Entscheidungen und natürlich einem magischen Wunder bestimmt wird. Eine Geschichte, die voller schöner und tragischer Momente steckt, einen zum Schmunzeln und zum Weinen bringt (ja, selbst mich, die nicht wirklich nah am Wasser gebaut ist) und auch zum Nachdenken anregt.

Umhüllt von dichter Atmosphäre verfolgt man gespannt die verschiedenen Schicksale dieser völlig unterschiedlicher Menschen, deren Leben auf so unglaubliche Art und Weise im Verlauf zusammengeführt und verknüpft werden.
Hierbei kann man sich auf so einige fantastische Twists gefasst machen, die am Ende zu einem großen Ganzen führen. Das hat der Autor wirklich auf so geniale und stimmige Weise geschafft, dass ich selbst nach dem Beenden noch völlig begeistert und mit einem zufriedenen Lächeln hier sitze.
Es ist eine Story mit einem Butterfly Effekt vom Feinsten und mit einem Hauch Phantastik!


"Der Laden sah noch genauso aus wie damals, als sie ihre Briefe eingeworfen hatte. Das Schild war praktisch nicht mehr zu entziffern, und Rost überzog die Ränder des Rollladens, aber das Gebäude verströmte die tröstliche Wärme, die ein alter Mann seiner Enkelin entgegenbrachte."
(S. 388)



Die Aufmachung des Buches darf nicht unerwähnt bleiben, denn schon das Cover alleine ist ein Blickfang - silbrig glänzende Pastelltöne machen es einfach zu einem Hingucker. Die Hardcover-Ausgabe ist qualitativ hochwertig und enthält auch noch ein Lesebändchen.

Fazit:
Ich habe schon lange kein Buch mehr gelesen, welches mich fasziniert und gespannt die Seiten umblättern ließ. Welches mich so berührt und gefesselt hat, mich so in die Geschichte hinein sog und mich dadurch so intensiv am Schicksal der Protagonisten teilhaben ließ.
Die Twists und die ans Herz gehende Story, die voller Wunder und auch Phantastik steckt, hat mich schlichtweg aus den Pantoffeln gekippt.
Am liebsten möchte ich in das Buch hineinkriechen und mich für immer im Namiya Gemischtwarenladen verstecken, alles nochmals erleben, mit all den Tränen und dem magischen Zusammenspiel zwischen Gegenwart und Vergangenheit.
Was für ein Lesehighlight!

© Pink Anemone (auf dem Blog mit Bildern, Book-Soundtrack, Rezept zum Buch, Leseprobe und Autoreninfo)

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Veröffentlicht am 31.03.2021

Ein Epos an atmosphärischer Detailverliebtheit und zwischenmenschlichen Beziehungen, der einen in eine Kleinstadt um 1830 entführt.

Middlemarch
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Die Grenzen des Dorfes sind die Grenzen unserer Welt. Das akzeptieren vielleicht die restlichen Bewohner von Middlemarch, aber nicht Dorothea und Tertius. Wieso sollte einer jungen Frau der Zugang zu Wissen ...

Die Grenzen des Dorfes sind die Grenzen unserer Welt. Das akzeptieren vielleicht die restlichen Bewohner von Middlemarch, aber nicht Dorothea und Tertius. Wieso sollte einer jungen Frau der Zugang zu Wissen und Geist verschlossen bleiben, wenn die alten Männer damit nur Schindluder treiben? Und warum sollte ein junger Arzt nicht neue Methoden anwenden dürfen, wenn man dadurch Menschenleben retten kann? Neugier ist Pflicht für Dorothea und Tertius. Und um ihre Pflicht zu erfüllen, setzen sie vieles aufs Spiel... (Klappentext)

❃❃❃❃❃


"Nichts auf der Welt ist so unaufdringlich wie der Prozess dieses allmählichen Wandels! Am Anfang atmeten sie ihn ohne Wissen ein; du und ich, wir haben sie vielleicht etwas mit unserem Atem angesteckt, wenn wir unsere falschen Zustimmungen äußerten oder unsere dümmlichen Schlußfolgerungen zogen; oder vielleicht kam es mit den Schwingungen aus dem blick einer Frau."
(S. 201)



Man begleitet hier drei Paare, die in einer Kleinstadt namens 'Middlemarch' ihrem Schicksal begegnen.

Dorothea Brooke, die eine Ehe mit dem viel älteren und konservativen Gelehrten Mr. Casabaun eingeht.
Ihre Beweggründe waren jedoch weniger romantischer Natur, sondern um ihn bei seiner Arbeit zu unterstützen und dadurch nebenbei alles Wissen aufzusaugen. Mr. Casabaun jedoch wollte im Grunde nur eine bessere Sekretärin und Vorleserin, die ihn und seine Arbeit anhimmelt.
Anfangs scheint diese Ehe zu funktionieren. Dorothea unterwirft sich ihm, macht alles für ihn um ihn glücklich zu machen, denn wenn er glücklich ist, ist auch sie glücklich. Bis sein Mündel und Vetter Will Ladislaw die Bühne betritt und Dorothea es wagt ihren Ehemann das erste Mal zu kritisieren.
Selbst nach seinem frühen Tod möchte Mr. Casabaun das Leben Dorotheas kontrollieren und scheint es auch zu schaffen.

Dann lernt man den jungen Arzt Tertius Lydgate kennen, der neu in der Kleinstadt ist und große Pläne hat. Er möchte die neuesten erlernten medizinischen Methoden nach Middlemarch bringen und seine Forschungen vorantreiben. Er ist dafür bereit ohne Bezahlung im Krankenhaus zu arbeiten und möchte sein Leben einzig seiner Forschung widmen.
Bis Rosamond in sein Leben tritt. Sie kommt aus gutem Hause, ist wunderschön und entspricht ganz seinem konservativen Frauenbild. Doch Rosamund ist nur das Beste vom Besten gewohnt, verwöhnt, eingebildet und sieht in ihm vor allem die Möglichkeit in der Gesellschaft aufzusteigen, damit alle anderen vor Neid platzen.
Die rasche Ehe beruht eher auf einem Missverständnis, in das Tertius hineinstolpert, doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb diese Ehe zum Scheitern verurteilt ist. Während er nicht vorhandenes Geld verprasst, um alle Wünsche Rosamondes zu erfüllen, hat er nämlich nicht nur mit dem Widerstand der alteingesessenen Ärzte zu kämpfen.

Dann hätten wir da noch Mary Garth, eine kluge und empathische junge Frau aus bürgerlichem Haus, die mit beiden Beinen fest im Leben steht, sich nicht so leicht blenden oder um den Finger wickeln lässt und konkrete Vorstellungen hat, wie ihr Ehemann zu sein hat.
Ihr Kind- und Jugendfreund Fred Vincy ist das Gegenteil - aus der Oberschicht, ein kleiner Hansdampf, der noch nicht so recht weiß wo er steht und was er will. Er ist unsterblich in Mary verliebt, doch bevor sie ihn heiratet, muss er sich erst bewähren und sein Leben grundlegend ändern.


"Dies war es, was Dorothea so kindlich machte und, einigen Urteilen zu folgen, so dumm bei all der Klugheit, die man ihr nachsagte; wie zum Beispiel gerade jetzt, wo sie sich - bildlich gesprochen - Mr. Casabaun zu Füßen warf und seine unmodischen Schnürsenkel küsste, als wäre er ein protestantischer Papst."
(S. 78)



Schon alleine die Geschichten dieser drei Paare könnte Bücher füllen, doch die Autorin Mary Ann Evans beschränkt sich nicht nur auf diese sechs Protagonisten.
Es ist auch kein, wie viele nun eventuell vermuten, Liebesroman, denn die Liebe und Romantik spielen hier eher eine untergeordnete Rolle. Viel mehr ist es eine soziologische Gesellschaftsstudie in einer Zeit des Umbruchs.
Der Beginn von etwas Neuem, welches das Alte langsam verdrängt, eine neue Generation wächst heran und ist dabei mit alten Traditionen und veraltetem Wissen zu brechen. Es ist eine Geschichte der gesellschaftlichen Emanzipation.

Mit Feminismus hat das Buch also nur wenig zu tun, auch wenn das oft und gerne als Marketingaufhänger benutzt wird.
Dies wird vor allem klar, wenn die Autorin auf die damaligen politischen Ereignisse eingeht, wie zum Beispiel die Reformation (Reform Act 1832) oder in Bezug auf die damalige Ökonomie und beginnende Industrialisierung.


"Im Kreisbezirk, zu dem Middlemarch gehörte, war die Eisenbahn ein ebenso aufregendes Thema wie das Reformgesetz oder die drohenden Schrecken der Cholera, und vor allem die Frauen und die Gutsbesitzer hatten darüber die ausgeprägtesten Ansichten."
(S. 733)



Doch auch vom psychologischen Standpunkt aus betrachtet enthält dieses Buch ganz großes Kino, stehen doch vor allem zwischenmenschliche Beziehungen im Vordergrund und das Schicksal ist hier ein ganz großes Thema.
Wie reagieren die einzelnen Figuren auf Schicksalsschläge, wie werden sie damit fertig zu scheitern und wie gehen sie daraus hervor? Im Verlauf entwickeln sich die Figuren, ob nun positiv oder negativ, ergo auch hier geht es um die Entwicklung.

Wer nun denkt, dies wird auf trockene Art und Weise an die Leserschaft gebracht, der irrt gewaltig.
Man taucht in eine typische Kleinstadtwelt ein, eine Welt voller Klatsch und Tratsch, Missgunst und Neid und politischen und familiären Intrigen, inklusive Erbschleicherei. Es kommt zu spannenden, tragischen und traurigen Momenten, sowie überraschenden Wendungen.

Die Figuren sind vielschichtig gezeichnet, selbst Nebenfiguren enthalten Tiefe und die ein oder andere sorgt auch für ein Schmunzeln.
Auf den ersten Blick waren mir die meisten Figuren, allen voran Dorothea, eher unsympathisch, doch hier ist keine Figur nur schwarz oder weiß gezeichnet und dadurch kommt die Entwicklung im Verlauf der Geschichte jedes einzelnen umso mehr zur Geltung.
Jede Figur, und mag sie noch so unwichtig erscheinen, ist ein wichtiger Bestandteil in dieser Geschichte. Im Verlauf greifen alle Zahnrädchen ineinander und ergeben ein großes Ganzes. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass eine nur sporadisch auftretende Figur auf jeden einzelnen Protagonisten im Städtchen Middlemarch Einfluss hat, um einige schließlich in den Abgrund zu reißen.


"Doch jeder, der genau die geheimnisvollen Wege beobachtet, die die menschlichen Schicksale zusammenführen, sieht, wie sich ganz langsam die Einflüsse des einen Lebens auf ein anderes ankündigen, was die Gleichgültigkeit oder den kalten Blick, mit dem wir einen noch fremden Nachbarn anstarren, fast als eine wohlberechnete Ironie ausweist. Das Schicksal steht voll Sarkasmus daneben und hält die Fäden unserer 'dramatis personae' fest in der Hand."
(S. 136)



Wenn man zeitgenössische Romane gewohnt ist, ist der Schreibstil der Autorin anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, was jedoch bei allen Klassikern aus dieser Epoche der Fall ist.
Ich musste mich, wie immer, erst an die langen Schachtelsätze gewöhnen, doch nach nur paar wenigen Seiten war ich in der Geschichte gefangen.
Die Autorin macht es einem aber auch leicht, da sie zwischendurch auch trockenen Humor und Sarkasmus einstreut.
Zwischendurch wendet sie sich dabei an den/die LeserIn selbst und jedes Kapitel wird durch ein Motto eingeleitet. Viele davon stammen aus ihrer eigenen Feder.
Doch auch der Übersetzer Rainer Zerbst hat hier hervorragende Arbeit geleistet.


"Bei Frauen erwartete man keine festen Überzeugungen; überhaupt bestand die beste Garantie für Gesellschaft und Familienleben darin, dass man überhaupt nicht nach seinen Überzeugungen handelte. Vernünftige Leute taten, was ihre Nachbarn taten, sodass man Verrückte, falls irgendwelche auf freiem Fuß waren, erkennen würde und ihnen aus dem Weg gehen konnte."
(S. 24)



Ich äußere mich nur selten über die Aufmachung eines Buches, doch hier muss es einfach sein, denn der dtv-Verlag hat hier großartige Arbeit geleistet. Wunderschöne Umschlaggestaltung und das qualitativ hochwertige Hardcover mit Lesebändchen sind ein wahrer Augenschmaus.
So macht es gleich nochmal so viel Spaß in diesem Buch zu lesen, möge es noch so schwer sein. Zudem ist es dadurch ein toller Hingucker im Bücherregal. Vor allem bei Klassikern greife ich daher gerne zu solchen HC-Ausgaben, da diese in meinen Regalen bleiben dürfen.
Da der dtv-Verlag vor allem in Bezug auf Literaturklassiker mein absoluter Favorit ist, hätte ich nichts dagegen, wenn mehr Klassiker in dieser wunderschönen Aufmachung erscheinen würden.

Wie jeder Literaturklassiker aus dem dtv-Verlag, enthält auch diese Ausgabe ein interessantes Vorwort, diesmal von Elisabeth Bronfen, und ein ebenso interessantes wie auch informatives Nachwort des Übersetzers Rainer Zerbst. Da das Vorwort jedoch gewaltig spoilert, sollten diejenigen, die "Middlemarch" noch nicht kennen, dieses erst am Ende lesen.
Zum besseren Verständnis sind natürlich auch reichlich Fußnoten mit Anmerkungen vorhanden.

Auch dies alles Gründe, weshalb ich bevorzugt Klassiker aus dem dtv-Verlag wähle und weil hier wirklich gute ÜbersetzerInnen am Werk sind. Bei Letzterem bin ich nämlich wirklich etwas pingelig.

Fazit:
Einen Monat hab ich an diesem Wälzer von 1152 Seiten gelesen. Obwohl dieser durchaus ein paar Längen enthält, die politischen Ereignisse waren mir manchmal doch etwas zu trocken, reiste ich immer wieder gerne in das Städtchen Middlemarch und verfolgte gespannt Klatsch und Tratsch, Intrigen und vor allem die unterschiedlichen Entwicklungen der Figuren.
Wie gerne würde ich all das Gelesene wieder vergessen, um alles wieder neu lesen und entdecken zu dürfen.

© Pink Anemone (mit vielen Bildern aus dem Buch, Leseprobe und Autoren-Info)

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