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Emil

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Veröffentlicht am 12.10.2023

etwas völlig anderes

Lichtspiel
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Den Autor Daniel Kehlmann kannte ich bisher nicht. Vorweggenommen bin ich aber froh, ihn jetzt kennenlernen zu dürfen.
„Lichtspiel“ ist ein Roman der Filmgeschichte, eingebettet in die Geschichte der ...

Den Autor Daniel Kehlmann kannte ich bisher nicht. Vorweggenommen bin ich aber froh, ihn jetzt kennenlernen zu dürfen.
„Lichtspiel“ ist ein Roman der Filmgeschichte, eingebettet in die Geschichte der Zeit vor der Machtergreifung Hitlers.
Die Nationalsozialisten ringen um die Macht, was zur Folge hat, dass Juden und andersdenkende Menschen brutal verfolgt wurden. Einige Zeitgenossen, darunter auch der damalige berühmte Filmregisseur Georg Wilhelm Pabst erkennen die Zeichen der Zeit und setzen sich in die USA ab. Doch der einstige Ruhm ist nicht zuletzt wegen der Sprachbarrieren verblasst. Kaum jemand erkennt in Pabst noch den weltberühmten Regisseur. Im Kapitel „Am Pool“ beschreibt Kehlmann typische Situationen, wie sie sich bei Gesellschaften der Filmschaffenden abgespielt haben.
Die Sorge um seine noch in Österreich lebende Mutter treibt ihn schließlich wieder in seine alte Heimat zurück. Aber auch hier holt ihn die Macht des Regimes ein. Pabst muss sich unterordnen und sogar mit dem Regime in Person des Propagandaministers zusammenarbeiten. Inzwischen ist der Krieg ausgebrochen und eine Flucht aus Österreich scheint unmöglich. Eine schlimme Zeit, nicht nur für Pabst. Die dunkle Seite der Macht zeigt sich auf sehr beklemmende Art und Weise.
Der Autor vermittelt die Atmosphäre dieser Zeit auf eine beeindruckende Weise.
Lesehighlights waren für mich die Gespräche mit dem Propagandaminister Goebbels und der Schauspielerin Leni Riefenstahl. Beängstigend scharf hat der Autor es verstanden, das Böse dieser Personen und die Regimetreue der Menschen dieser Epoche zu enttarnen.
In den Szenen auf Schloss Dreiturm wird das menschverachtende System besonders deutlich.
Der älteren Generation und Menschen, die sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus beschäftigen, werden hier unverkennbar maßgebliche Personen dieser Ära erkennen. Mir jedenfalls haben sich unwillkürlich Parallelen zu rechten Tendenzen unserer Zeit aufgedrängt.
Die historischen Fakten werden brillant nacherzählt und in eine eigene Geschichte eingebettet, so, dass man durchaus von einem halbdokumentarischen Roman sprechen kann.
Irritiert hat mich anfangs die wechselseitige Sicht unterschiedlicher Personen. Sehr interessant fand ich die Passagen über das Einmaleins der Filmarbeit. Allerdings erschienen mir die detaillierten Schilderungen später etwas zu langatmig.
Insgesamt gesehen hat mich das Buch förmlich gefesselt. Der Schreibstil ist flüssig und die Geschichte hat einen stabilen Spannungsbogen. „Lichtspiel“ ist ein Buch, das ich absolut weiterempfehlen kann. Es vermittelt zeitgeschichtliches Wissen und Erkenntnisse über die Arbeit der Filmschaffenden aus der Zeit nach dem Stummfilm, die mir als Leser bisher nicht bekannt waren.

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Veröffentlicht am 05.09.2023

Entgiftung

Zeiten der Langeweile
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Um es vorweg zu nehmen, „Zeiten der Langeweile“ ist ein eher bedeutungsloses Buch.
Die Protagonistin ist Mila, die sich mutwillig in den Zustand der Langeweile versetzt, indem sie sich aus der Welt der ...

Um es vorweg zu nehmen, „Zeiten der Langeweile“ ist ein eher bedeutungsloses Buch.
Die Protagonistin ist Mila, die sich mutwillig in den Zustand der Langeweile versetzt, indem sie sich aus der Welt der doch recht turbulenten Medien einfach abmeldet. Sie, die bis dato ihr Leben mithilfe irgendwelcher Apps organisierte und Kontakte nur über die sozialen Medien wie Facebook, Twitter und Co aufrechterhielt, ist ab sofort praktisch von der Außenwelt abgeschnitten. Doch die Abnabelung führt zu der Erkenntnis, dass das Internet sie nicht so schnell loslässt. Immer wieder stößt sie auf Spuren ihrer Vergangenheit, die zu löschen die einzige Aufgabe in ihrem Leben zu sein scheint. Eine Erfahrung, die sicher schon viele Leserinnen und Leser gemacht haben.
Das totale Verschwinden aus dem bisherigen digitalen Dasein erfordert selbst auferlegte Regeln und wird allmählich zu einem quälenden Verhalten. Schnell stellt sie fest, dass der Verzicht auf persönliche Begegnungen zur ungewollten totalen Einsamkeit führt.
Letztendlich plätschert die Geschichte aber mehr oder weniger vor sich hin. Spannung erzeugt lediglich die Erwartung der Erkenntnis, dass die Protagonistin ihre kompromisslose Entscheidung revidiert und entsprechend ihres beruflichen Werdegangs zu einer völlig neuen Lebenseinstellung kommt und sinnvollere Aufgaben wahrnimmt. Schließlich handelt es sich bei Mila um eine Frau mit akademischer Bildung von der man durchaus mehr Selbstreflexion erwarten kann.
Der Schreibstil ist flüssig und der Text ist übersichtlich gegliedert. Nur die mir nicht immer geläufigen Anglizismen aus dem IT-Jargon haben den Lesefluss erheblich gestört.
Für Leserinnen und Leser, die einen Hang zur Schadenfreude haben, ist das Buch von Jenifer Becker vielleicht interessant, mich hat es letztendlich nur gelangweilt.

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Veröffentlicht am 01.05.2023

Ein gefühlvoller Roman

Das Café ohne Namen
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Robert Simon hat seine Eltern im Krieg verloren, wuchs im Waisenhaus auf und hat sich später als Gelegenheitsarbeiter auf dem Karmelitermarktes in Wien sein Brot verdient.
Als sich die Gelegenheit bot, ...

Robert Simon hat seine Eltern im Krieg verloren, wuchs im Waisenhaus auf und hat sich später als Gelegenheitsarbeiter auf dem Karmelitermarktes in Wien sein Brot verdient.
Als sich die Gelegenheit bot, hat er sich seinen Traum erfüllt und in den Räumen einer ehemaligen Gastwirtschaft ein Café eröffnet. Nach anfänglichen Schwierigkeiten wird das Café, das aufgrund der angebotenen Speisen und Getränke eigentlich mehr oder weniger einer Gaststätte ähnelt, schnell zu einem Treffpunkt der Wiener Bevölkerung rund um den Karmelitermarkt. Ein Querschnitt der Gesellschaft einer sich wandelnden Stadt ist hier vertreten.
Der Protagonist Robert Simon, der anfangs nur Simon genannt wird, versucht mit viel Einfühlungsvermögen sich den unterschiedlichen Charakteren seiner Gäste anzupassen. Sein ruhender Pol und seine Vertraute ist die Kriegerwitwe Martha Pohl, bei der er zur Untermiete wohnt.
Der Roman erzählt kleine, nicht abgeschlossene Geschichten, aus dem Leben seiner Gäste, von denen viele im Laufe der Zeit seine Freunde geworden sind. All die Geschichten drehen sich um alltägliche Themen des Lebens. Manchmal fiel es mir etwas schwer, die vielen Nebencharaktere den wechselnden Handlungen zuzuordnen.
Detailliert beschreibt Robert Seethaler die besondere Atmosphäre des Cafés. Wunderbar, wie die jahreszeitlichen Veränderungen im Milieu geschildert werden.
Darüber hinaus ist es dem Autor hervorragend gelungen, das Zeitgeschehen der Nachkriegsjahre wiederzugeben.
Der Schreibstil ist flüssig und die einzelnen Kapitel sind übersichtlich gegliedert. Es ist ein Buch, das für die Lektüre in jeder Stimmungslage geeignet ist. Als Leser konnte ich mich so unter die Gäste des Cafés mischen und an den Gesprächen teilnehmen. Es war mir ein Genuss, neben Simon am Fenster zu stehen und zu beobachten, wie der Winter Einzug im Viertel hält, die Straßen und Gehsteige sich mit Schnee füllen und später der Frühling die Kälte des Winters vertreibt und den Menschen ein neues Lebensgefühl beschert.
Ein großes Vergnügen, dieses Buch zu lesen.

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Veröffentlicht am 06.04.2023

Kamingespräche

Melody
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Nach seinem abgeschlossenen Studium findet Tom Elmer eine Anstellung bei Dr. Stotz, einer grauen Eminenz der Schweiz. Bei freier Kost und Logis und guter Bezahlung soll er für den sehr kranken und betagten ...

Nach seinem abgeschlossenen Studium findet Tom Elmer eine Anstellung bei Dr. Stotz, einer grauen Eminenz der Schweiz. Bei freier Kost und Logis und guter Bezahlung soll er für den sehr kranken und betagten alten Herrn den Nachlass so ordnen, dass das Ansehen des Alt-Nationalrates dabei keinen Schaden nimmt. Die Sache stellt sich jedoch schwieriger dar als gedacht. Stundenlage Gespräche am Kamin und viel Alkohol lenken Tom von seiner eigentlichen Aufgabe, dem Ordnen des Nachlasses, ab. Wiederkehrendes Gesprächsthema ist die Beziehung zu Melody, wie es scheint, die große Liebe des honorigen Herrn. Die, so erfährt Tom, ihn vor sehr langer Zeit aus unerfindlichen Gründen plötzlich verlassen hat. Nachforschungen seitens Dr. Stotz blieben wohl erfolglos. Eine mysteriöse Geschichte, die Tom gar nicht so recht glauben kann. Einziges Indiz, dass Melody nicht nur in der Fantasie des Alten tatsächlich existierte, sind Ölgemälde, die Melody als junge Frau darstellen. Hier wird der Leser animiert, an der Aufklärung teilzuhaben.
In seiner unnachahmlichen Art ist es Martin Suter gelungen, die Stimmung dieser zum Teil ermüdenden Kamingespräche zu vermitteln. Als Leser habe ich viel Mitgefühl für Tom´s Rolle als unermüdlicher Zuhörer empfunden. Ihm zu Seite gesellte sich später Laura, die Großnichte des Patriarchen. Die Bekanntschaft mit Laura sorgt dann auch für eine leicht erotische Komponente.
Im Großen und Ganzen ist es aber die Geschichte von Tom Elmer, der die Aufgabe sah, die Wahrheit zu finden, am Ende feststellen muss, dass es letztlich immer um die Frage geht, ob man sich das Leben nach dem einrichten will, was man glaubt, oder ob das was man glaubt sich nach dem richtet, wie man lebt.
Die ungeklärte Geschichte der Melody bekommt zum Schluss immer mehr Bedeutung, als Tom und Laura sich um die Auflösung des Rätsels intensiv bemühen. Allmählich steigt die Spannung.
Ich war auf jeden Fall über den Ausgang der Geschichte mehr als überrascht.
So, wie man Martin Suter kennt, lässt er die Leser und Leserinnen am Leben der kultivierten, gut Situierten teilhaben.
Ein gelungenes Buch, das zu lesen sich auf jeden Fall lohnt.




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