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Veröffentlicht am 19.11.2019

Weitschweifiger Ermittkerkrimi

Verborgen im Gletscher
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Als ich den neuen Roman „Verborgen im Gletscher“ des isländischen Schriftstellers Arnaldur Indriðason in den Händen hielt, habe ich mich auf einen gemütlichen und ausschweifend erzählten Ermittlerkrimi ...

Als ich den neuen Roman „Verborgen im Gletscher“ des isländischen Schriftstellers Arnaldur Indriðason in den Händen hielt, habe ich mich auf einen gemütlichen und ausschweifend erzählten Ermittlerkrimi gefreut, der mit einem neuen Ermittler aufwartet und wie bereits die gefeierten und von mir sehr geschätzten Erlendur-Romane des Autors viel Lokalkolirit enthält. Leider hat es Indriðason nach meinem Geschmack mit Weitschweifigkeit und Beschaulichkeit ein wenig übertrieben, so dass der Roman einige Längen aufweist, auch wenn der Plot sehr spannend ist und mit Konráð als pensioniertem Kriminologen einen sehr interessanten Charakter bietet.

Der Fall, den Konráð nach Jahren erneut aufrollt und der damals wegen mangelnder Beweise Nichtzulassung Abschluss gebracht werden konnte, beginnt mit einem Leichenfund eines seit Jahrzehnten Vermissten Geschäftsmannes im Gletscher. Konráð, schon damals von der Schuld eines Kollegen des Toten überzeugt, befragt viele Zeugen und der Fall erscheint in neuem Licht.
Konráð ist ein ein-Mann-Team, verlässt sich bei den Befragungen auf seine Menschenkenntnis und ist mit seinen Folgerungen auf sich gestellt.

Der Krimi entwickelt sich eher gemütlich und langsam, so wie man davon Autor gewohnt ist. Doch störte es mich ein wenig, dass man einfach zu viele Befragungen des Pensionärs begleitet, auch solche, die in keiner Weise zielführend erscheinen und wohl der Gemütlichkeit des Charakters geschuldet sind. Er ist bedächtig, grast alle Gegebenheiten ab und wechselt bei seinen Ermittlungen nicht schnell den Blickwinkel. Das wirkt sehr realistisch, bremst die Geschichte aber andererseits in meinen Augen zu sehr aus, und Leser temporeicher Krimis werden sich schnell langweilen. Es steht und fällt alles damit, ob man sich auf die Geschwindigkeit von Konráð einlässt und in seinem Tempo vorwärts geht oder nicht.
Mir ist das nicht gut gelungen, und obwohl ich viele Passagen des Romans sehr mochte vergebe ich gute drei Sterne für einen etwas zu weit ausholenden, behäbigem allerdings auch äußerst komplexen und bis zum Ende schwer durchschaubaren Ermittlerkrimi.

Ich möchte Konráð dennoch gerne eine weitere Chance geben und freue mich auf den nächsten Band.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Spannung
  • Geschichte
  • Stimmung
  • Figuren
Veröffentlicht am 27.05.2019

Lotosweg

Die Lotosblüte
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Der koreanische Autor Hwang Sok-Yong entführt den Leser in seinem Werk „Die Lotosblüte“ ins 19. Jahrhundert in die konfliktreiche Zeit des Taiping-Aufstandes, der politischen Verwicklungen zwischen China, ...

Der koreanische Autor Hwang Sok-Yong entführt den Leser in seinem Werk „Die Lotosblüte“ ins 19. Jahrhundert in die konfliktreiche Zeit des Taiping-Aufstandes, der politischen Verwicklungen zwischen China, den Briten, Amerikanern und den Japanern.
Vor diesem Hintergrund rollt der Autor die Geschichte der Koreanerin Chong Shim auf, die mit 15 Jahren von ihrer Stiefmutter an einen Mädchenhändler verkauft wird. Sie kommt zu einem 80jährigen Chinesen nach Nanking, dem sie als Zweitfrau Lebenskraft spenden soll und wo sie den Namen Lotosblüte erhält. Später im Bordell ausgebildet, geraubt und wieder verkauft ist ihr „Lotosweg“ mit Stationen in Taiwan, Singapur, Nagasaki, den Ryukyu-Inseln und Satsuma von Namenswechseln begleitet.
Nach ihrem ersten Wandel auf ihrer Reise nach China, auf der sie einer koreanischen Legende gemäß dem Meeresgott begegnet und als andere Person aus dem Meer auftaucht, passt sich Chong Shim Chamäleon-artig den veränderten Gegebenheiten an, wechselt mit jeder Station den Namen und schafft es, besser davon zu kommen als andere Frauen in ihrer Situation.
Das Schicksal der Lotosblüte und ihrer Leidensgenossinnen stellt die Situation der zwangsprostituierten Frauen in Asien dar, die mit ihrer Hoffnung, durch einen reichen und zuvorkommenden Freier durch Heirat zu entkommen eigentlich letztlich helfen, dieses System zu erhalten. Chong Shim ist eine Dienende, und bleibt es auch nach ihrer Heirat.

Historisch beginnt die Handlung in der Zeit kurz vor dem ersten Opiumkrieg, allerdings bekommt man als Leser das Beiwerk nicht geliefert, sondern muss es sich genau wie die Reiseroute der Lotosblüte erarbeiten. Das ist mühsam, weil zum Beispiel Orte in alte chinesische Ortsnamen übertragen wurden und schwer auffindbar sind. Im Gegensatz dazu steht die wahrscheinlich durch die Übersetzung bedingte sehr einfache und moderne Sprache, die dem Buch in meinen Augen viel Authentizität nimmt.
Sehr detailliert und kalt beschreibt der Autor Landschaften, aber auch gewaltvolle Sexszenen, die dann im krassen Gegensatz zum angeblichen Lustempfinden der prostituierten Frauen in Zwangslage stehen - für mich ist das zum einen zu viel und zum anderen so absolut nicht nachvollziehbar und glaubhaft.

Ich weiß nicht, ob ich der asiatischen (Sprach)Kultur für diese Geschichte zu fern bin. Und ohne Recherche zu historischem Hintergrund wären sehr viele Informationen nur an mir vorbei geflogen, weil nur angedeutet. Ich denke, dass der Roman für Leser, die besser mit asiatischer Kultur und Geschichte vertraut sind als ich, gewinnbringend ist. Ich habe mich gestoßen an den nicht greifbaren Figuren, an Orten und Geschichtsdaten, mit denen ich erst beim Nachschlagen etwas anfangen kann und an der in meinen Augen nicht wirklich gelungenen Übersetzung aus dem Koreanischen.
Es ist durchaus interessant von Trostfrauen, Konkubinen und Mädchenhandel in Asien im 19.Jahrhundert zu lesen, aber für den nicht-asiatischen Buchmarkt wäre eine kurze Zeit- und Ortstafel sehr hilfreich gewesen.

Veröffentlicht am 19.05.2019

Trauriges Mahnmal

Die Frauen von Själö
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Der Roman „Die Frauen von Själö“ der Autorin Johanna Holmström erzählt die Geschichte zweier Frauen, die zu unterschiedlichen Zeiten Insassinnen einer Nervenheilanstalt, gelegen auf einer Insel im finnischen ...

Der Roman „Die Frauen von Själö“ der Autorin Johanna Holmström erzählt die Geschichte zweier Frauen, die zu unterschiedlichen Zeiten Insassinnen einer Nervenheilanstalt, gelegen auf einer Insel im finnischen Schörengarten, sind. Beispielhaft stehen diese beiden Einzelschicksale im Mittelpunkt der Erzählung für das Schicksal von psychisch kranken Frauen zu früheren Zeiten, den Behandlung eher an Gefängnisaufenthalte als an Heilung erinnerte.

Die Handlung setzt 1891 mit Kristina ein, die nach der Geburt eines unehelichen Kindes im gesellschaftlichen Abseits stehend zwar einen Partner findet, doch ihr Alltag ist bestimmt von Einsamkeit und zunehmender Erschöpfung. Sie ertränkt ihre eigenen Kinder im Fluss und landet schließlich in der Nervenheilanstalt Själö. Dies ist für sie wie für die meisten anderen Patientinnen auch Endstation, die sie nie wieder verlassen werden. Gesellschaftlich geächtet und nicht gebraucht, ohne Therapie, vegetieren die eingesperrten Frauen in diesem Gefängnis dahin.

Die 17jährige Elli wird in den 1930er Jahren mit Depressionen nach einem Ausbruchsversuch mit ihrer großen Liebe in die Nervenheilanstalt eingewiesen. Sigrid, eine neue Pflegerin, die ihren Dienst kurz vor Ellis Einweisung antrat, versucht sich den Patientinnen mit Verständnis und Empathie zu nähern anstatt zu bestrafen und stößt dabei an Grenzen des eingefahrenen unmenschlichen Systems und harter überholter Denkstrukturen.

Schonungslos und eindringlich schreibt die Autorin davon, wie die psychisch kranken Frauen in der Anstalt weggesperrt, bestraft und gegängelt statt behandelt wurden und ohne Hoffnung verkümmerten. Erschreckend liest es sich, wie Menschen, die den gesellschaftlichen Anforderungen nicht genügen konnten, einfach aus dem Blickwinkel der Menschen verschwanden und in Nervenheilanstalten wie in der Klinik Själö verwahrt wurden, ohne Chance auf Rückweg ins normale Leben.

Schon der historische Beginn mit der Beschreibung eines verabscheuungswürdigen Behandlungsverfahrens der Hysterie des französischen Hofarztes Pierre Pommes aus dem 18.Jahrhundert durch Kältebad, bei dem die stolz verkündete Heilung auch den Tod der Patientin zur Folge hatte, weist auf gute Recherche der Autorin hin.
Doch werden die Erwartungen der Leser an eine psychiatrische Schauergeschichte nicht erfüllt, Johanna Holmström wählt leise Töne, um von der verheerenden Frauenschicksalen zu berichten, von Landschaftsbeschreibungen getragen vermittelt sie aber trotz der Ruhe ein Gefühl der Gewalt.

Die mit viel Empathie gezeichneten Frauenfiguren tragen die Geschichte, Männer sind die abwesenden Strippenzieher im Hintergrund, was den Roman in meinen Augen den damaligen Einfluß des Patriarchats auf Frauen umso deutlicher herausstreicht.

Ein lesenswertes Buch, das auf Tatsachen beruht, sehr eindringlich geschrieben, wenn auch manchmal ein bisschen langatmig und mit einem mir zu versöhnlichen Ende.

Veröffentlicht am 19.05.2019

Leise und berührend

Alte Sorten
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Sally rebelliert, gegen alles und Jeden. Sie ist wütend auf ihre Eltern, auf die Psychiater der Klinik, die ihr sagen, was sie tun muss um ihr Leben zu leben und wie sie mit ihren Essstörungen umgehen ...

Sally rebelliert, gegen alles und Jeden. Sie ist wütend auf ihre Eltern, auf die Psychiater der Klinik, die ihr sagen, was sie tun muss um ihr Leben zu leben und wie sie mit ihren Essstörungen umgehen muss. Sie ist aus der Klinik geflohen und trifft auf Liss, eine knapp 50jährige Frau, die allein auf einem großen Bauernhof am Weinberg lebt. Liss nimmt Sally auf, und mit ihrem Pragmatismus beruhigt sie Sally, sie nimmt sie wie sie ist, sie legt ihr keine Verpflichtungen oder Empfehlungen nahe.

Beide beginnen vorsichtig, Vertrauen zueinander zu fassen und nähern sich aneinander an. Sally beginnt wieder zu essen, ohne dass es verlangt wird, sie findet großes Vergnügen an einfachen Kartoffeln oder an den Birnen alter Sorten, die Liss in ihrem Obstgarten anbaut.
Liss findet in Sally’s rebellischer Art sich selbst wieder, als junges Mädchen musste sie gegen ihren Vater und die von ihm auferlegten Zwänge ankommen. Davon getrieben flüchtet sie in eine Ehe und bekommt neue Fesseln angelegt, die sie bis zur Unerträglichkeit erdrücken.

Ewald Arenz versteht es auf einzigartige Weise, den Leser in die Geschichte zu holen. Schon auf den ersten Seiten spürt man die Wärme der Sonne des Spätsommertages, riecht die Erde, sieht das Flirren und die Insekten in der Luft. Sprachlich zaubert er Bilder, die die Einfachheit des Lebens auf dem Bauernhof mit viel Arbeit, aber auch dem großen Vergnügen und der Zufriedenheit nach körperlicher Arbeit lebendig werden lassen. Damit schafft er große Nähe zu den Figuren und zur Geschichte. Mit viel Warmherzigkeit und Liebe hat Ewald Arenz die beiden versehrten Frauen gestaltet, er vergibt ihnen ihre Schwächen, lässt sie aufstehen und kämpfen, auch wenn sich beide dabei stützend aneinander lehnen müssen.

„Alte Sorten“ ist ein leise erzähltes, kraftvolles und warmherziges Buch über einen Neuanfang, das ich sehr gerne gelesen habe.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Geschichte
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 18.05.2019

Warmherziges Ferienbuch

Bell und Harry
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Lapidar, very British und wunderbar leichtfüßig erzählt Jane Gardam in ihrem Buch „Bell und Harry“ die Sommergeschichten einer Freundschaft, grandios übersetzt von Isabel Bogdan, die den Ton der Autorin ...

Lapidar, very British und wunderbar leichtfüßig erzählt Jane Gardam in ihrem Buch „Bell und Harry“ die Sommergeschichten einer Freundschaft, grandios übersetzt von Isabel Bogdan, die den Ton der Autorin sehr gut trifft.

Die Londoner Familie Bateman sucht auf dem Land Ruhe und Enstpannung. Sie mieten das Farmerhaus „Light Trees“ von der Familie Teesdale im Westmorland, einer alten Bergbauregion in Yorkshire. Hoch auf den Hügeln nahe am Tal Mallerstang finden die jüngsten beider Familien, Bell Teesdale und Harry Bateman zueinander, und was die Erwachsenen der Familien im ersten Sommer in den 1960er Jahren nicht zustande brachten schaffen die beiden: Verständnis füreinander bei völlig unterschiedlicher städtischer und bäuerlicher Lebensweise und Denken zu schaffen. Eine tiefe Freundschaft zwischen Bell und Harry entsteht, die jahrelang hält, bis ins Erwachsenenalter, Sommer für Sommer durch neue Abenteuer geschürt.

Leicht, witzig und manchmal hintersinnig lesen sich die Geschichten der Sommerabenteuer der beiden Jungen, die episodenhaft aneinander gereiht das Buch ergeben. Ruhig und sehr menschlich, mit großer Wärme spult Jane Gardam die Abenteuer der beiden Jungen auf. Schlimmes passiert nebenbei, aber die Welt im „Hohlen Land“ ist in Ordnung, so dass das Buch ein wahres Wohlfühlbuch ist.

Ein bisschen gelangweilt habe ich mich allerdings nach einer Weile, denn das Buch, als leuchtendes Ferienbuch angepriesen, liest sich ein bisschen wie Bullerbü für Erwachsene. Scherzhaft sind alle Abenteuer, keine wirklichen Konflikte trüben die heile Welt, und am Ende wird alles gut, trotz großer Krisen. Das ist sicher Jammern auf hohem Niveau, denn die Weisheit und große Empathie, mit der die oftmals schrulligen Figuren beim Leser ankommen, der äußerst gekonnte Sprachwitz und das leichtfüßige Handeln der Figuren sind nun mal Konzept und überzeugen, dass die Autorin ihre Charaktere liebt.

Sprachlich einfach nur großartig, voller Wärme und Witz kann ich dieses Buch für Leser von leichtfüßigen hintersinnigen Wohlfühlgeschichten sehr empfehlen.