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Veröffentlicht am 09.10.2018

Sind wir nicht alle ein bisschen Hippie?

Hippie
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Sind wir nicht alle ein bisschen Hippie?

„Denn nur ein gelebter Traum hat die Kraft, alle Grenzen zu überwinden.“ Liebe, Frieden, Flowerpower - die Hippie-Ära fasziniert noch Jahrzehnte nach ihrer Blütezeit. ...

Sind wir nicht alle ein bisschen Hippie?

„Denn nur ein gelebter Traum hat die Kraft, alle Grenzen zu überwinden.“ Liebe, Frieden, Flowerpower - die Hippie-Ära fasziniert noch Jahrzehnte nach ihrer Blütezeit. Auch mich, weshalb schnell feststand: Dieses Buch mit seinem ausnehmend schönen, bunten Cover möchte ich besitzen - auch wenn mir sonst Buchdeckel ziemlich egal sind. Aber „Hippie“ hat mich optisch sofort angesprochen und auch inhaltlich nicht enttäuscht. Das Gelesene wirkt authentisch und ist es zum Teil auch. Coelho verarbeitet hier Autobiographisches, aber macht einen Roman daraus, schafft Distanz zu seiner Person, indem er von dem jungen, rebellischen Brasilianer Paulo erzählt, der sich 1970 auf einer Reise zu sich selbst befindet und nebenbei die Welt erkundet.

Doch Coelho schildert nicht nur Paulos Sicht, sondern wechselt die Perspektiven und lässt den Leser auch an Gedanken und Erinnerungen der Holländerin Karla, des irischen Paars Mirthe und Ryan oder des französischen Vater-Tochter-Gespanns Jacques und Marie teilhaben. Sie alle sind zusammen unterwegs im Magic Bus, der besser klingt, als das, was er tatsächlich ist: ein umgebauter Schulbus mit ziemlich unbequemen Sitzen. Aber der Bus bietet einzigartige Möglichkeiten: Für nur 70 Dollar kann man mit ihm von Europa nach Nepal reisen.

Paulo hat eigentlich ein anderes Ziel, bis er Karla in Amsterdam begegnet. Die hat schon auf den Brasilianer gewartet - warum? Weil eine ihr diese Begegnung prophezeit worden war. Hier musste ich ein schmunzeln - denn Coelho wäre nicht Coelho, wenn er und seine Karla einander einfach so kennengelernt hätten. Natürlich war überirdische Fügung dabei, die aus der Wahrsagerin sprach. Aber auch ich selbst erwischte mich dabei, wie ich bei einer Passage das Gefühl hatte, das sei direkt an mich adressiert (das würde dem Autor gewiss gefallen, wenn er jemals davon erführe). Das kann natürlich auch daran liegen, dass einem immer wieder allgemein gültige Sätze begegnen wie „Der schlimmste Mord ist der, der an unserer Lebensfreude begangen wird“ oder „Ihm war endlich klargeworden, dass wir letztlich allem, was uns widerfährt, ohne Angst begegnen müssen, weil alles zum Leben gehört.“

Wie dem auch sei: Ich habe Hippie gerne gelesen, auch wenn ich zugeben muss, dass ich irgendwie noch ein bisschen mehr „Wow!“ erwartet hatte. Aber ich bin auch ins Grübeln gekommen, wie es eigentlich 50 Jahre später mit Frieden, freiem Denken, Spiritualität, der Suche nach neuen Werten und Welten bestellt ist.

Veröffentlicht am 03.10.2018

Opulentes Lesevergnügen, eher Roman als Krimi

Alchimie einer Mordnacht
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Bei „historisch“ geht bei mir irgendwie immer eine Klappe herunter. Warum? Ich glaube, weil ich in Geschichte immer eine Niete war. Geschichten haben mich hingegen immer fasziniert, und genau das macht ...

Bei „historisch“ geht bei mir irgendwie immer eine Klappe herunter. Warum? Ich glaube, weil ich in Geschichte immer eine Niete war. Geschichten haben mich hingegen immer fasziniert, und genau das macht der Ich-Erzähler (oder natürlich vielmehr der Autor) in „Alchimie einer Mordnacht“ ganz fantastisch: eine Geschichte erzählen. Und wenn mich wohlgesetzte Worte und Sätze einer Leseprobe überzeugen, überwinde ich mein „Historisch“-Trauma und gebe Romanen wie diesen gerne eine Chance. Zumal der Autor in einer Nachbemerkung formuliert: „Ich überlasse es dem Leser, die historischen Charaktere von den erfunden zu trennen.“ Auch, dass auf dem Cover zwei alternative Namen des Autors - John Banville alias Benjamin Black - angegeben sind, gefällt mir irgendwie, weil es exzentrisch wirkt. Exzentrisch soll auch Kaiser Rudolf II gewesen sein. Ein besonderer Zeitgenosse ist ohne Zweifel der Protagonist: „»Stern!«, brüllte ich. »Christian Stern!« Ich sollte vielleicht zugeben, dass ich damals eine hohe Meinung von meinem Namen hatte, denn ich sah ihn schon auf den Rücken einer ganzen reihe gelehrter Bände prangen, die ich zweifellos eines Tages verfassen würde.“

Christian Stern hält nicht nur viel von sich und seinen Fähigkeiten (hat aber in der Erzählung auch häufig einen angenehm selbstironischen Abstand zu sich selbst), sondern ist auch unehelicher Sohn des Bischofs von Regensburg. Im Winter 1599 reist er nach Prag, um sich einen Platz unter den Gelehrten des Kaisers sichern. Statt seines Glücks findet der junge Gelehrte dort aber zunächst die Leiche einer jungen Frau, die offenkundig aus gutem Hause stammt. Stern wird verhaftet, erwirbt dann aber die Gunst des Kaisers höchstpersönlich. Rudolf beauftragt den Stern, herauszufinden, wer die junge Frau auf dem Gewissen hat. Der Ermittler wider Willen erfährt bald mehr, als ihm lieb ist, denn Rudolfs Hofstaat ist eine Ränkeschmiede sondergleichen - und Stern steckt plötzlich mittendrin…

Ob Jeppe Schenckel, der bösartige Zwerg, Caterina Sardo, die durchtriebene Geliebte des Kaisers, der auch Stern verfällt, die kaiserlichen Berater Felix Wenzel und Philipp, der gestörte Don Giulio oder der paranoide und unberechenbare Kaiser - die Figuren, die der Autor zeichnet, sind alle auf ihre Weise skurril, verfolgen ihre ganz eigenen Ziele und stehen in krassem Gegensatz zu dem anfangs fast schon arglos wirkenden Stern. Ich konnte mir jede einzelne Figur bestens vorstellen, weil der Autor es vermag, mit seinen lebhaften, ausführlichen Beschreibungen Bilder in die Köpfe seiner Leser zu zaubern. Diese Fabulierkunst hat mich fasziniert, war mir dann und wann aber auch wieder zu viel des Guten, weil so die Handlung immer wieder ins Stocken kam.

Ein bisschen ist der Erzählstil mit einer weiteren Figur zu vergleichbar, nämlich mit dem Nuntius Girolamo Malaspina: „Der Bischof hatte sehr kurze Arme und sehr kurze Beine, und sein Bauch, eine enorme Rundung, war so dick, dass er jeden Moment umzukippen und hilflos auf dem Boden herumzurollen drohte (…). Der Nuntius stand einen Augenblick da, um diese Pracht zu begutachten, dann seufzte er tief und zufrieden und klopfte mit seinen kleinen Pranken froh auf die üppige Oberseite seines Bauches. „Ecco signore“, sagte er. „Jetzt lasst uns schlemmen!“ Der fröhliche Vielfraß ist aber nicht nur üppig, sondern auch scharfsinnig und nicht zu unterschätzen. Auch wenn ich gestehe, dass ich ein bisschen quergelesen habe, hat mir der Roman trotz seiner Opulenz gut gefallen - oder auch gerade deswegen.

Veröffentlicht am 01.10.2018

Leben ist, was man daraus macht

Ich komme mit
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„Leben ist Melodie erkennen im Summen des Kühlschranks.“ (Vita)
„Leben ist beim Treppensteigen zwei Stufen aufs Mal.“ (Lazy)
„Leben ist Lachen beim Kitzeln.“ (Vita)
„Leben ist Sich-umdrehen-Wollen, nachdem ...

„Leben ist Melodie erkennen im Summen des Kühlschranks.“ (Vita)
„Leben ist beim Treppensteigen zwei Stufen aufs Mal.“ (Lazy)
„Leben ist Lachen beim Kitzeln.“ (Vita)
„Leben ist Sich-umdrehen-Wollen, nachdem man an etwas Schönem vorbeigegangen ist.“ (Lazy)
Leben-ist-Sätze, nicht nur dieses philosophische Spiel verbindet zwei sehr unterschiedliche Menschen. Lazar Laval, genannt Lazy, ist Anfang 20, Student, und todkrank. Evita Maier, genannt Vita, ist Anfang 70 und lebensmüde. Seit vielen Jahren wohnen sie im selben Haus, können einander aber nicht besonders leiden. Haben sie zumindest lange gedacht. Für Lazy war Vita stets die komische Alte von oben, für Vita war Lazy der unfrohe Junge aus dem ersten Stock. Dann lernen sie einander eher aus Versehen kennen: Vita liest einen völlig erschöpften Lazy im Treppenhaus auf und nimmt ihn mit in ihre Wohnung. Nach und nach finden beide heraus, dass sie das Zeug zu einer ganz besonderen Freundschaft haben.

„Ich komme mit“ ist ein besonderes Buch mit einer besonderen, fast poetischen Sprache. „Wenn wir gehen, hüpft sie. Wenn wir laufen, springt sie. Wenn wir reden, saust sie“, sagt Lazy über seine große Liebe Elsie, und: „Seit sie bei mir ist, bin ich nicht mehr bei mir, ich bin au­ßer mir.“ Doch dieses Glück ist nicht von Dauer. Lazy erkrankt an Leukämie, und Elsie bleibt nicht bei ihm. Dafür tritt Vita in sein Leben, und Lazy in ihres. Vita ist des Lebens überdrüssig und einsam - ihr Mann ist bereits gestorben und ihr Sohn weit weg. Fast ist sie selbst erstaunt, wie nah sie sich Lazy plötzlich fühlt, dem jungen Mann geht es kaum anders. Sie philosophieren und lachen gemeinsam, nehmen einander an, wie sie sind, ohne Vorurteile. Und doch haben sie beide genug.

„Ich habe genug vom Leben, und das Leben hat genug von Lazy“, stellt Vita fest. Denn bald gibt es kaum noch Hoffnung für Lazy, es geht ihm immer schlechter. „Ich steige aus“, sagt Lazy - und statt es ihm auszureden, sagt Vita: „Ich komme mit.“ Ihre letzte Reise gestaltet sich wie das gesamte Buch: tieftraurig und urkomisch zugleich, bleischwer und federleicht und immer etwas anders als gedacht: „Öh vürrückt“, denkt Vita, „öh vürrückt, was wir da beide machen.“ Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, gelacht und auch etwas geweint. Die Geschehnisse werden abwechselnd aus der Sicht von Vita und Lazy erzählt, wobei ich besonders Vitas Ansichten oftmals sehr treffend oder auch sehr überraschend fand, was aber auch Lazy mehrfach neidlos feststellt. Mein Fazit: ein schönes Buch mit schöner Sprache, das dem Leben gewidmet ist. „Leben ist etwas vorm Sterben“, sagt Lazy. Was man daraus macht, bleibt auch immer jedem selbst überlassen.

Veröffentlicht am 09.09.2018

Sehr, sehr cool

Mexikoring
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„Ich werde zugeteilt, wenn kein anderer Zeit hat, oder wenn meine Chefin denkt: Das, was vorgefallen ist, ist so kaputt, das passt zu Riley.“ Staatsanwältin Chastity Riley nur als kaputt zu bezeichnen, ...

„Ich werde zugeteilt, wenn kein anderer Zeit hat, oder wenn meine Chefin denkt: Das, was vorgefallen ist, ist so kaputt, das passt zu Riley.“ Staatsanwältin Chastity Riley nur als kaputt zu bezeichnen, würde ihr allerdings nicht gerecht werden. Sie ist auch sarkastisch, trinkfest, abgestumpft, pointiert und noch einiges andere mehr. Und vor allem ist sie gerade davon überzeugt, dass der junge Mann, der am Hamburger Mexikoring aus einem ausgebrannten Fiat geschnitten werden musste, umgebracht wurde. Doch wieso musste Nouri Saroukhan, der verstoßene Sohn eines Clans aus Bremen, sterben? Und warum in Hamburg? Gemeinsam mit einem Ermittler-Team der Polizei geht sie der Sache auf den Grund - und taucht tief ein in die Welt der Clans, in der Brutalität, Verbrechen und ganz eigene Gesetze herrschen.

Die Erzählstruktur dieses Krimis ist ziemlich ungewöhnlich, genau wie seine Protagonistin. Die hat ihre ganz eigene Sicht auf die Dinge: „Der Kollege von der Kripo hat auch aufgelegt und sieht mich schon wieder so irritiert an. Ich weiß, es ist etwas viel so früh am Morgen, und es ist früh, aber verdammt, junger Mann, so ist das, wenn man sich zur Unzeit mit alten Frauen trifft, die nicht mehr schlafen können und immer, immer müde sind. Dann sind die eben noch unscharf, dann hatten die im Zweifel noch keinen Kaffee, und dann werden die auch schnell mal sauer.“

Die schnoddrige Art und die überraschenden Beobachtungen der Staatsanwältin haben mir gefallen. Und es erscheint mir auch authentisch, dass Chastity und ihre Polizei-Kollegen, die einfach viel gesehen und erlebt haben, ihre ganz persönlichen Psychogeschichten mit sich herumtragen und man ihnen das auch anmerkt. Neben den Gedanken und Beschreibungen der Staatsanwältin erhält der Leser auch Einblicke in Nouris Leben und Erinnerungen.

Die kurzen Kapitel und die wechselnde Perspektive sorgen für Spannung - ich habe „Mexikoring“ in Rekordgeschwindigkeit durchgelesen und war am Ende überrascht, aber auch traurig, dass es schon vorbei war. Jedoch: Der vorliegende war schon der achte Fall für die lakonische Chastity. Auch wenn ich staune, dass ich bisher noch nichts von dieser Krimireihe mitbekommen hatte, so freut es mich doch auch - denn so gibt es noch sieben Fälle mit dieser sehr, sehr coolen Protagonistin, die ich demnächst lesen kann.
Sätze wie „Mir läuft eine Erinnerung über den Weg. Ich schicke sie in die Wüste“ oder „ihre Gesichter sehen aus, als würden sie Scherben lutschen“ haben es mir angetan - ich bin begeistert und vergebe fünf selbstgezapfte Automatenkaffees vor allem für die besondere Sprache der Autorin.

Veröffentlicht am 07.09.2018

Nicht ganz mein Geschmack

Scarlett (Scarlett 1)
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Ich muss gestehen - irgendwie hat der versprochene Zauber von „Scarlett - Ein Löffelchen Geheimnis und der Duft von Magie“ bei mir nicht so ganz geklappt. Dabei ist das Cover wirklich sehr schön, die Aufmachung ...

Ich muss gestehen - irgendwie hat der versprochene Zauber von „Scarlett - Ein Löffelchen Geheimnis und der Duft von Magie“ bei mir nicht so ganz geklappt. Dabei ist das Cover wirklich sehr schön, die Aufmachung insgesamt liebevoll, und die Geschichte an sich hat durchaus Potenzial. Die zwölfjährige Scarlett ist ein Internetblog-Star, allerdings unfreiwillig. Denn ihre Mutter postet die peinlichsten Begebenheiten aus Scarletts Leben - was der Beinahe-Teenie-Tochter nicht schmeckt. So weit, so witzig? Leider nein, denn die Mutter veröffentlicht sehr private Dinge und teilt mit ihrer stetig wachsenden Leserschaft zum Beispiel auch, wann die Tochter welche Unterwäsche trägt und wann sie ins Bett gemacht hat. Wie schrecklich! Verständlicherweise ist Scarlett darüber nicht nur unglücklich, sondern zieht sich total zurück, weil sie weder ihren Mitschülern noch ihrer Mutter neues Futter für Hänseleien oder weitere Blogeinträge geben möchte. Bis Scarlett ihr Glück in der Küche ihrer Nachbarin Mrs. Simpson findet. Allerdings ist dieses neue Glück nur durch Einbruch möglich (auch aus zunächst hehrem Ziel, denn Scarlett will die Katze füttern), denn die alte Frau wurde ins Krankenhaus eingeliefert. In der fremden Küche entdeckt Scarlett ein handgeschriebenes Kochbuch und auf wundersame Weise sind genau die Zutaten da, damit das Mädchen einfach losbacken und ein Rezept ausprobieren kann. So geht das immer weiter, Scarlett kocht und backt heimlich weiter im fremden Haus und siehe da: Sie findet Freundinnen, gründet einen geheimen Kochklub, traut sich, mit ihrem Schwarm zu sprechen und sogar mit Mutti läuft es besser.
Was ich an dem Buch mag: die kurzen Kapitel, und dass neben Friede-Freude-Eierkuchen auch ernste Themen wie Mobbing, Trennung, Einsamkeit im Altern Trauer und Tod, aber auch Freundschaft, Zusammenhalt und Verzeihen thematisiert werden. Gerade zum Schluss haben mich die Entwicklungen auch berührt. Leider, und nun kommen wir schon zu den Dingen, die ich an dem Buch nicht mag, habe ich die Figuren als ziemlich hölzern empfunden, vor allem mit Scarlett bin ich nicht warm geworden. Fragwürdig fand ich auch, dass eine Zwölfjährige einfach (wenn auch wieder aus hehren Zielen) mithilfe eines Gleichaltrigen ein Internetblog eröffnet und heimlich betreibt. Ich bin eigentlich keine moralinsaure Spaßbremse, aber in einem Kinderbuch stören mich solche indirekten Aufforderungen irgendwie.
Ich habe das Buch an einem Abend durchgelesen und fand es nicht schlecht, bei den Koch- und Backbeschreibungen ist mir mehrmals das Wasser im Mund zusammengelaufen. Die Gesamtkomposition hat mir allerdings nur bedingt geschmeckt - ich vergebe drei Haferplätzchen mit belgischer Schokolade und Salzkaramell.