Überwältigend
Da, wo ich dich sehen kannNicht nur ihre beste Freundin, Liv, verliert den Boden unter ihren Füßen, als Emma von ihrem Mann ermordet wird. Auch für ihre neunjährige Tochter und ihre Eltern zerbricht von einem auf den anderen Tag ...
Nicht nur ihre beste Freundin, Liv, verliert den Boden unter ihren Füßen, als Emma von ihrem Mann ermordet wird. Auch für ihre neunjährige Tochter und ihre Eltern zerbricht von einem auf den anderen Tag die Welt.
Das Thema „Femizid“ ist so schwer, so gewaltig, dass es kaum möglich scheint, ihm gerecht zu werden. Doch Jasmin Schreiber wagt es, sie schaut in die Köpfe hinein, mehr noch, sie schaut auch in die Seelen. Dass ihr das bei allen Betroffenen, Tochter, Mutter, Freundin, auf diesem Niveau gelingt, ist ihre Gabe. Und ganz hohe Kunst.
Die Menschen, die hier ums Überleben kämpfen - um nichts Geringeres geht es - sind allesamt lebensklug, freundlich, sensibel. Auch wenn das beste Vorraussetzungen sind, zeigt sich der Weg aus der Schwärze oft aussichtslos.
Jedes Kapitel ist einer Person zugeordnet, der sich die Autorin zur Seite stellt und sie beobachtet. Mit viel Empathie, ungeheurer Feinfühligkeit und ohne Wertung erfasst sie deren Handeln, Denken, Fühlen. Oft finden sich Erinnerungen, die eine ehemalige Leichtigkeit, eine Normalität vermitteln, die um so bitterer wirkt, als dass sie unwiderruflich verloren ist.
Doch ist das wirklich so?
Dass Liv Astrophysikerin ist und die Tochter ihrer Freundin für die Sterne begeistern kann, bringt eine zarte Wende, die Möglichkeit, das Augenmerk - zunächst nur für wenige Momente - auf etwas außerhalb der Trauer zu richten.
Und auch, wie umsichtig alle miteinander umgehen, verständnisvoll, liebevoll, lässt hoffen und ganz inbrünstig wünschen, dass sie gemeinsam einen Heilungsprozess in Gang zu bringen vermögen.
Es werden auch Fakten erwähnt, erschreckende Statistiken, juristische und strafrechtliche Missstände. Am Ende des Buches finden sich Telefonnummern mit verschiedenen Hilfsangeboten.
Dieser Roman will mehr als berühren. Wobei mich selten (oder nie?) ein Roman so berührt hat. Er will informieren, wachrütteln, anklagen. Frauen schützen. Er ist ein Anliegen, verfasst mit Engagement und Herzblut.