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Veröffentlicht am 23.10.2025

Ein rundum gelungenes Krimi-Debüt!

Spicy Files
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Ach, es ist ja so eine Sache mit Regionalkrimis …

Mich beschleicht bisweilen das Gefühl, dass manche Autorinnen dieses Genres sich mit Engagement und Verve an die Sache machen, ambitioniert einen soliden ...

Ach, es ist ja so eine Sache mit Regionalkrimis …

Mich beschleicht bisweilen das Gefühl, dass manche Autorinnen dieses Genres sich mit Engagement und Verve an die Sache machen, ambitioniert einen soliden Plot und interessante Figuren ausarbeiten, einen handwerklich fundierten Spannungsbogen aufbauen … um dann ihre Story an einem ebenso reizvollen wie beliebigen Ort anzusiedeln, über den sie überdies (mit Verlaub) allenfalls das wissen, was der Reiseführer / die Wörterbuch-App / das Klischee hergibt. Ein Schuss Lokalkolorit, und fertig:

Da spaziert der Ermittler morgens bei strahlendem Sonnenschein zum Bistro, begrüßt die Bedienung mit drei „bisous“, trinkt seinen Café au Lait und isst ein Croissant, sagt „Merci“ und „Au revoir“ – und könnte genauso gut abends im Pub bei Ale und Shepherd’s Pie den Dartspielern zusehen, während sich draußen über dem Meer ein Sturm zusammenbraut. Es könnte St Ives sein oder Saintes-Maries-de-la-Mer. Pittoresk? Auf jeden Fall! Aber leider auch sehr, sehr austauschbar …

Natürlich gilt das nicht für alle Autor
innen von sogenannten Regionalkrimis, das möchte ich hier ausdrücklich betonen. Es gibt sehr viele, die nicht nur eine profunde Ortskenntnis besitzen, sondern auch einen tiefen Einblick in die Mentalität der dort ansässigen Menschen haben, die sich mit der Geschichte des Landes ebenso gut auskennen wie mit seinen politischen Verhältnissen. Zu ihnen zählt ohne jeden Zweifel Dominique Elsaesser.

Mit „Spicy Files“ hat Elsaesser ein Krimi-Debüt vorgelegt, das man nur als in jeglicher Hinsicht gelungen bezeichnen kann: Ein liebenswerter, auf charmante Art etwas verpeilter Protagonist; ein spannender, alles andere als alltäglicher Fall, der sowohl in die Tiefen des Brüsseler Politikbetriebs als auch weit in die Vergangenheit Belgiens führt; ein Handlungsort, der weit mehr ist als die Zentrale der europäischen Bürokratie – und den Elsaesser, das merkt man in jeder Zeile, so gut kennt wie die sprichwörtliche Westentasche.

Und darum geht’s:
Dieser Fall ist kein Fall, sondern buchstäblich ein Un-fall – davon ist jedenfalls Marcels Chef überzeugt. Der Tote ist zu Hause von der Leiter gefallen, ein leider tödlicher Sturz, nun ja, das kommt vor. Doch Marcel, Inspektor bei der belgischen Police Fédérale, mag das nicht so recht glauben. Sein Instinkt sagt ihm unmissverständlich, dass da etwas oberfaul ist. Und so beginnt er kurzerhand, auf eigene Faust – oder wie man in Brüssel sagt: „en stoemelings“ – zu ermitteln. Schon bald stößt er auf handfeste Indizien, die seinen Anfangsverdacht bestätigen. Das vermeintliche Unfallopfer war alles andere als ein Unschuldslamm und hat so manche bedeutsame Persönlichkeit gegen sich aufgebracht. Liegt hier ein mögliches Tatmotiv? Die Angelegenheit zieht immer weitere Kreise, doch Marcel sind offiziell nach wie vor die Hände gebunden. Wie gut, dass ihm sein Freund Jules zur Seite steht … und die hinreißende Historikerin Malaika.

Mein Fazit: „Spicy Files“ ist ein kluger, vielschichtiger Krimi, der regionale, politische und geschichtliche Aspekte miteinander verbindet und dabei so unterhaltsam und leichtfüßig erzählt wird, dass ich förmlich durch die Seiten geflogen bin. Kurzum: ein gelungenes Krimi-Debüt!

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Veröffentlicht am 09.09.2025

Ein literarisches Denkmal

Ruhrgemüse, polnisch
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Es sind große Hoffnungen und genügsame Träume, die Zuzanna und Adam Koszyński Ende des 19. Jahrhunderts aus ihrer Heimat Westpreußen ins ferne Ruhrgebiet treiben. Hier, im Industrie-strotzenden Dortmund, ...

Es sind große Hoffnungen und genügsame Träume, die Zuzanna und Adam Koszyński Ende des 19. Jahrhunderts aus ihrer Heimat Westpreußen ins ferne Ruhrgebiet treiben. Hier, im Industrie-strotzenden Dortmund, wollen sie wie so viele ihrer Landsleute den Schritt in ein neues, ein besseres Leben wagen.

Adam findet rasch Arbeit in der Maschinenfabrik, Zuzanna kümmert sich um das Häuschen und die kleine Tochter Ania, die man flugs in Anja umbenennt – so klingt’s doch gleich deutscher! –, desgleichen wird verräterische Nachname Koszyński alsbald in Kosshofer geändert. Denn: „Mit -ski ist’s schon aus! Ja, mit -ski bist du der dumme, dreckige Pole, der noch in Erdhütten lebt.“ (S. 34)

Es könnte alles in allem ein vielversprechender Neuanfang werden, wenn – ja, wenn Adam nicht einen schweren Arbeitsunfall erlitte und das bescheidene Auskommen der kleinen Familie auf dem Spiel stünde. Wenn den „Ruhrpolen“, so begehrt und benötigt ihre Arbeitskraft auch sein mochte, nicht allenthalben mit Vorurteilen, Herablassung, Ressentiments begegnet würde. Und wenn da nicht diese innere, seelische, inkurable Zerrissenheit wäre, die ein Abschließen mit der einen Identität und ein Ankommen in der Neuen so furchtbar schwierig machte … Doch Adam und Zuzanna lassen sich nicht unterkriegen. Mit einer ebenso bewunderns- wie liebenswerten Mischung aus Beharrlichkeit und Stoizismus trotzen sie den Widrigkeiten und Unbilden, erfreuen sich an der stetig wachsenden Nachkommenschaft und ergreifen beherzt Gelegenheiten beim Schopfe. Sie bahnen sich unbeirrt ihren Weg – und ebnen ihn für ihre Kinder und Enkel.

Mit „Ruhrgemüse, polnisch“ spürt Birgitta M. Schulte den Wurzeln ihrer eigenen Familie nach und nimmt ihre Leserschaft mit in eine Zeit, die im Grunde genommen gar nicht so lange her ist – und doch in einer vollkommen anderen Welt zu spielen scheint. Über einen Zeitraum von knapp vierzig Jahren begleiten wir Zuzanna, Adam und ihre Nachkommen bei ihren alltäglichen Sorgen und Freuden, Herausforderungen und Chancen, die scheinbar so klein und privat, tatsächlich aber kultur- und epochenumspannend sind. Denn diese vier Jahrzehnte von 1893 bis 1931 sind eine Zeit größter Umwälzungen, sodass die Familiengeschichte der Koszyński/Kosshofers gleichzeitig ein Stück Industrie- und Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte widerspiegelt.

„Ruhrgemüse, polnisch“ ist ein besonderer Roman, den ich ganz besonders all jenen ans Herz legen möchte, die (wie ich) polnische Wurzeln haben und in der Erzählung ein kleines – oder auch größeres – bisschen ihre eigene Familie wiederfinden.

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Veröffentlicht am 06.02.2025

Subtiler Thrill

Die blaue Stunde
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Die Bestürzung könnte nicht größer sein: In einer Skulptur der weltberühmten, vor vielen Jahren verstorbenen Künstlerin Vanessa Chapman wird ein menschlicher Knochen entdeckt. Kann es sich um einen Irrtum ...

Die Bestürzung könnte nicht größer sein: In einer Skulptur der weltberühmten, vor vielen Jahren verstorbenen Künstlerin Vanessa Chapman wird ein menschlicher Knochen entdeckt. Kann es sich um einen Irrtum handeln? Um ein Versehen? James Becker, Kurator der Stiftung, die Vanessas Nachlass erworben hat, und erwiesener Chapman-Experte, will der Sache auf den Grund gehen. Seine Recherchen führen ihn auf die abgelegene Gezeiteninsel Eris Island, Vanessas Wohnort und Wirkungsstätte, die nunmehr allein von ihrer Vertrauten Grace Haswell bewohnt wird. Die eigenbrötlerische Frau weigert sich zunächst, James in seiner Forschung zu unterstützen. Doch James lässt sich nicht beirren. Und verstrickt sich mehr und mehr in einer mysteriösen Geschichte aus Liebe und Verrat, Enttäuschung und Eifersucht, Kreativität und Grausamkeit.

Mit „Die blaue Stunde“ (aus dem Englischen von Birgit Schmitz) gelingt es Paula Hawkins wieder einmal vortrefflich, ihre Leser*innen in den Bann zu schlagen. Die Ansiedlung der Handlung im Kunstmilieu einerseits und auf der isolierten Insel andererseits verleiht dem Roman eine besondere Spannung und atmosphärische Tiefe. Vielschichtige Figuren und eine leise, niemals nachlassende Suspense heben diesen Roman über die üblichen Thriller hinaus.

Ein Lesegenuss für alle, die den subtilen Thrill bevorzugen.

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Veröffentlicht am 06.02.2025

Ein Lese-Highlight

Mein Mann
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„Mein Mann hat keine Vornamen, er ist mein Mann, er gehört mir.“

Das ganze Leben der Ich-Erzählerin dreht sich einzig um ihren Mann. Im Vergleich zu ihm ist alles, wirklich alles nebensächlich: Ihr Job. ...

„Mein Mann hat keine Vornamen, er ist mein Mann, er gehört mir.“

Das ganze Leben der Ich-Erzählerin dreht sich einzig um ihren Mann. Im Vergleich zu ihm ist alles, wirklich alles nebensächlich: Ihr Job. Ihre Kinder. Ihr ganzes Leben. Sie ist makellos – für ihn. Die Nägel perfekt manikürt – für ihn. Das Haar glänzend, die Kleidung elegant – für ihn. Seit fünfzehn Jahren sind sie verheiratet, sie liebt ihn abgöttisch, und er sie auch … oder doch nicht? Diese eine Bemerkung hier, jene andere Unaufmerksamkeit da: Sind das nicht alles Anzeichen für sein nachlassendes Interesse, für seine schwindende Liebe? Seine Unaufrichtigkeit? Sie muss es herausfinden. Und dazu ist ihr jedes Mittel recht …

Was für eine Story! Maud Ventura erzählt die Geschichte einer scheinbar perfekten Frau, die bereit ist, alle Grenzen zu überschreiten, um ihren Mann an sich zu binden. Die die Liebe ihres Mannes um jeden Preis erhalten will und sich dabei zunehmend in einem selbst geknüpften Netz aus Analysen, Selbstzweifeln, Perfektionsdrang und Obsession verstrickt.

Dass der Roman nicht zur deprimierenden Nabelschau einer zutiefst verunsicherten Frau gerinnt (wie man vermuten könnte), ist Maud Venturas grandiosem Erzähltalent zu verdanken. Mit feiner Bosheit und leisem Grauen lässt sie ihre Leser*innen am vermeintlich unaufgeregten Alltag ihrer Protagonistin teilhaben, schiebt sie unaufhaltsam in den Gedanken- und Gefühlssog der Erzählerin, der sich von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde zuspitzt – bis zum fulminanten Plot-Twist am Ende des Romans, der alles Gelesene in ein gänzlich anderes Licht rückt.

Für mich ein absolutes Lesehighlight!

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Veröffentlicht am 06.02.2025

Eine gelungene Hommage an die Queen of Crime und ihre entzückendste Ermittlerin

Miss Marple
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Agatha Christies Miss Marple – hat man von der ebenso reizenden wie scharfsinnigen alten Dame nicht schon alles gelesen? Mitnichten! Die zwölf Kriminalgeschichten dieser wunderbaren „Miss Marple“-Anthologie ...

Agatha Christies Miss Marple – hat man von der ebenso reizenden wie scharfsinnigen alten Dame nicht schon alles gelesen? Mitnichten! Die zwölf Kriminalgeschichten dieser wunderbaren „Miss Marple“-Anthologie sind, wie der Untertitel verkündet, tatsächlich neu. Denn sie stammen nicht von Agatha Christie selbst, sondern von zwölf Bestsellerautorinnen – darunter Ruth Ware, Lucy Foley und Val McDermit –, die die reizende Hobbydetektivin fünfzig Jahre nach ihrem letzten Fall wieder aufleben lassen. Zugegeben, an einigen (allerdings sehr wenigen) Stellen hört man heraus, dass sie nicht aus der Feder der unangefochtenen Queen of Crime selbst stammen. Doch bei mir überwog bei Weitem die Verblüffung und Begeisterung darüber, wie gut die meisten von ihnen Agatha Christies unverwechselbaren Erzählton treffen. Eine gelungene Hommage!

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