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Veröffentlicht am 03.11.2025

»Wenn ein Mensch einem unter den Händen starb, fühlte es sich an, als hätte man bei einer entscheidenden Prüfung versagt«

No Way Home
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»Wenn ein Mensch einem unter den Händen starb, fühlte es sich an, als hätte man bei einer entscheidenden Prüfung versagt«

Als Terry mitten auf der Arbeit einen Anruf unbekannter Nummer bekommt, ahnt er ...

»Wenn ein Mensch einem unter den Händen starb, fühlte es sich an, als hätte man bei einer entscheidenden Prüfung versagt«

Als Terry mitten auf der Arbeit einen Anruf unbekannter Nummer bekommt, ahnt er Böses, denn ihm wird angezeigt, dass der Anruf aus dem Bundesstaat seiner Mutter kommt. Seine Befürchtungen erweisen sich als bestätigt und er fährt sofort zu ihr, immerhin hat sie ihm ihr Haus vermacht. In einem Café auf dem Weg dorthin trifft er das erste Mal auf Bethany und abends in einer Bar zum zweiten Mal. Es kommt, wie es kommen muss – sie verbringen die Nacht zusammen. Bevor Terry zurückfahren muss, fragt sie ihn, ob sie auf sein Haus und den Hund seiner Mutter aufpassen kann, da sie nach der Trennung von ihrem Ex-Freund noch keine richtige neue Bleibe hat. Er verneint. Und doch widersetzt sie sich seiner Entscheidung, was er durch einen erneuten Anruf der Nachbarin erfährt.
Wäre da nicht noch ihr Ex Jesse, der von der sich anbahnenden neuen Beziehung Wind bekommt…

Auch wenn sich die Handlung zu Beginn, trotz des direkten Einstiegs ins Geschehen, eher langsam anzubahnen scheint, nimmt dieser schnell Fahrt auf und führt uns Leserinnen tief in dieses komplizierte Beziehungsgeflecht der Protagonistinnen Terry, Bethany und Jesse. Die zwischen ihnen wechselnden Perspektiven sorgen erschreckenderweise sogar dafür, dass Jesse, der seine Ex-Freundin nicht nur manipuliert, stalkt und belästigt, teilweise sympathisch daherkommt, bevor man als Leser*in wieder zum Hass auf ihn tendiert.

Nachdem mich Boyles letzter Band mit Stories nicht so begeistern konnte, bewies dieser Roman schon nach wenigen Sätzen wieder einmal, was für ein ausgezeichneter und ins Detail verliebter Autor er ist! Die dabei behandelten Themen sind keine leichten, doch ist er durchaus spannend geschrieben, dass man gar nicht anders kann, als einfach immer weiter zu lesen.
Wer ihn liest, durchlebt eine Achterbahnfahrt der Gefühle, die einen mehr mitreißt als ich es erwartet hätte und dazu geführt hat, dass er mein bisheriger Favorit von T.C. Boyle ist!

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Veröffentlicht am 03.11.2025

»Manchmal kriege ich Angst vor mir selbst: Wenn ich ständig Masken trage, wird sich dann die echte »Ich« nicht irgendwann in Luft auflösen?«

Badjens. Roman
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»Manchmal kriege ich Angst vor mir selbst: Wenn ich ständig Masken trage, wird sich dann die echte »Ich« nicht irgendwann in Luft auflösen?«

Schon als bekannt wurde, dass es ein Mädchen wird, wollte ihr ...

»Manchmal kriege ich Angst vor mir selbst: Wenn ich ständig Masken trage, wird sich dann die echte »Ich« nicht irgendwann in Luft auflösen?«

Schon als bekannt wurde, dass es ein Mädchen wird, wollte ihr Großvater sie abgetrieben wissen. Diese schon vor ihrer Geburt begonnene Abneigung zieht sich durch Zahras – von ihrer Mutter Badjens genannt – ganzes Leben. Alles was zählt sind Regeln und Gesetze des Staates und der Religion und selbstverständlich ihr jüngerer, lang ersehnter Bruder Mehdi. Ihr eigenes Leben besteht aus Anpassung und aus einer gezwungenen Unterwerfung aufgrund dieses patriarchalen Systems der Unterdrückung von Frauen. Doch sie weiß, dass das nicht alles sein kann und spätestens nachdem sie ihr Kopftuch tragen muss und von ihrem einst so liebevollen Cousin missbraucht wird, kehrt sie ihre innere Rebellion nach außen. Sie teilt Eindrücke auf Social Media, schließt dort Bekanntschaften und redet mit anderen jungen Frauen, denen es ähnlich geht. Ihre größte Stütze ist ihre Mutter, die ihr die benötigte Zuneigung schenkt, wertschätzt und sie unterstützt.

Schon vor dem Lesen dieses Romans war ich sehr gespannt und hatte hohe Erwartungen, die sogar übertroffen wurden. Delphine Minoui erzählt keine fiktive Geschichte, sondern eine, in denen sich das Schicksal unzähliger iranischer Frauen widerspiegelt und gibt ihnen eine Stimme, die sonst so oft stumm bleibt.
Frauen, die unerwünscht sind und ausschließlich für die Männer da sind und sich herabwürdigenden Gesetzen, die ebenfalls ausschließlich von Männern verabschiedet wurden, unterwerfen müssen.
Und doch zeigt sich Widerstand gegen eben dieses scheinbar unerschütterliche System, was spätestens die Bewegung „Frauen, Leben, Freiheit“, nach dem Mord an Jina Mahsa Amini, gezeigt und internationale Wellen geschlagen hat. Eben davon handelt auch dieser Roman auf eindrückliche Weise.

Aufgrund seiner bedeutsamen Aktualität sowie der tollen Sprache ist „Badjens“ einer der besten Romane, die ich dieses Jahr gelesen habe und ein Buch, das man gelesen haben MUSS!

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Veröffentlicht am 03.11.2025

»Menschen lernen aus der Geschichte, die Menschheit tut das nicht.«

Zwei Tage im Sommer
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»Menschen lernen aus der Geschichte, die Menschheit tut das nicht.«

Nachdem amtliche Warnungen an ihm abgeprallt sind, konnte Simone ihren Mann Thorsten doch endlich noch überreden, zusammen mit ihrer ...

»Menschen lernen aus der Geschichte, die Menschheit tut das nicht.«

Nachdem amtliche Warnungen an ihm abgeprallt sind, konnte Simone ihren Mann Thorsten doch endlich noch überreden, zusammen mit ihrer siebenjährigen Tochter Nicola ihren Urlaub am Neusiedler See abzubrechen. Schließlich spitzt sich die Lage zwischen Ungarn und Österreich dramatisch zu und eine Eskalation scheint bevorzustehen. Doch als sie nach Deutschland zurückfahren wollen, werden sie von dem nun aufgebauten Grenzposten abgewiesen – es ist zu spät.
Der junge ungarische Soldat Balázs Varga, Bruder des gefeierten Nationalhelden László, will nicht in dessen Fußstapfen treten und muss dennoch an die Front, wo er auf die deutsche Familie stößt und sie zu retten versucht.
Zuletzt begegnen wir Svenja, die unverhofft eben jene Nicola – das junge Mädchen –, 25 Jahre später interviewen soll und das doch eine ganz andere Wendung nimmt.

Wenn man am Anfang hinsichtlich der drei Perspektiven noch etwas verwirrt ist, legt sich das mit dem Verlauf des Buches und es wird klar, dass es zwar unterschiedliche Sichtweisen sind, aber schlussendlich eine zusammenhängende, wirklich großartig konstruierte dystopische Geschichte, die – leider – beklemmend nah an der Realität angesetzt, deswegen aber umso wichtiger zum Lesen ist.
Schon von Beginn an wird man bei der Lektüre von einer bedrückenden Atmosphäre überschattet, die vom Autor bildlich hervorgerufen wird und seine Wirkung erzielt. Trotz allem blickt in diesen dunklen Zeiten immer wieder die ach so ersehnte Menschlichkeit hervor und es wird deutlich, dass es ein großes Anliegen des Autors war, diesen Roman zu schreiben.
Während des Lesens bin ich sehr oft über Zitate gestolpert, die ich mir merken musste, weil sie unsere heutige Gesellschaft und das Miteinander treffend beschreiben.
Zudem war ich wirklich überrascht, was für ein guter Autor Lukas Pellmann ist und wie er es schafft schwierige Themen einerseits feinfühlig, andererseits aber auch mit einem gewissen Weckruf zu bearbeiten und diese den Leser*innen detailgetreu nahezubringen.

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Veröffentlicht am 27.10.2025

Zeitlos schöne Novellen

Die Früchte des Meeres
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»Ganz besonders entzückte es sie, sich jederzeit inmitten der Felsen umdrehen und das Meer in seiner stillen Größe betrachten zu können, das sich überall dort auffächerte, wo seine blaue Linie zwischen ...

»Ganz besonders entzückte es sie, sich jederzeit inmitten der Felsen umdrehen und das Meer in seiner stillen Größe betrachten zu können, das sich überall dort auffächerte, wo seine blaue Linie zwischen den Felsblöcken auftauchte.«

Die erste der beiden Novelle „Die Muscheln des Monsieur Chabre“ erzählt von eben jenem älteren Mann namens Monsieur Chabre, einem ehemaligen Getreidehändler, der sehr unter der Kinderlosigkeit mit seiner jungen Frau Estelle leidet. Als ihm von einem Arzt empfohlen wird, viele Muscheln zu essen und ans Meer zu fahren, machen sie sich auf den Weg. Dort begegnen sie dem jungen Hector, von dem beide – jedoch auf unterschiedliche Weise – sehr angetan sind. Estelle und Hector verbringen viel Zeit miteinander und Monsieur Chabre ist dankbar dafür, wenn auch etwas eifersüchtig. Doch neun Monate später scheint die Muschel-Kur geglückt zu sein, zumindest für den Monsieur.

„Das Fest in Coqueville“, die zweite Novelle, spielt sich an dem nicht mal zweihundert Einwohnerinnen umfassenden titelgebenden Ort Coqueville ab, der sich – ähnlich wie bei Shakespeares „Romeo und Julia“ – in zwei verfeindeten Familien und deren Anhänger gespalten hat. Nebenbei finden sich trotz der Kürze des Texts Liebesdramen sowie eine erfüllende Liebesgeschichte und atmosphärische Beschreibungen des Meeres. Als plötzlich ein englischer Frachter direkt vor der Küste untergeht und die Bewohnerinnen in den Genuss unzähliger Fässer verschiedenen Alkohols gelangen, löst sich dieser uralte Zwist langsam auf.

Die beiden Novellen waren meine ersten Texte von Émile Zola und beide, ergänzt durch das Nachwort von Kristina Maidt-Zinke, haben mir sehr gefallen, wobei mich die erste persönlich etwas mehr begeistern konnte. Eine gewisse Leichtigkeit, voller Humor, aber auch Raffinesse und der richtigen Sinn für Details, machen diese Erzählungen zu einer besonderen Lektüre und sorgen – neben der grandiosen Übersetzung von Anne-Kathrin Häfner sowie der schönen Gestaltung des Buchs – dafür, dass sie zeitlos bleiben und auch in unserer heutigen Zeit zu unterhalten wissen.

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Veröffentlicht am 27.10.2025

„Sie vereint in sich alles, woran wir glauben, wofür wir leben und sterben.“

Maro
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»Eine am Abend neben ihr explodierte Handgranate hat ihr keine Möglichkeit mehr gegeben, sich vor ihrer Heimat und ihren Eltern zu verabschieden.«

Maro Makaschwili kennt in Georgien jeder, aber ich hatte ...

»Eine am Abend neben ihr explodierte Handgranate hat ihr keine Möglichkeit mehr gegeben, sich vor ihrer Heimat und ihren Eltern zu verabschieden.«

Maro Makaschwili kennt in Georgien jeder, aber ich hatte noch nie von ihr gehört, weswegen ich mich sehr auf dieses Buch gefreut habe, um etwas über sie und ihren Kampf für ein unabhängiges, demokratisches Georgien zu erfahren.
Eingebettet in eine Rahmenhandlung, die 2022 spielt und in der sich die Protagonistin Nina, zusammen mit zwei Freundinnen, während einer Geburtstagsfeier mit dem Tagebuch der jungen Maro beschäftigt, bekommen wir einen Einblick in deren Leben. Ein Leben, das in seinen von ihr festgehaltenen Facetten z.B. über Alltäglichkeiten und Schwärmereien der Liebe, so menschlich wirkt, dass es scheinbar nicht zu einer Nationalheldin gehören könnte. Aber der Schein trügt, denn Maros Leben ist dem Ziel der georgischen Unabhängigkeit gegenüber dem Aggressor der Roten Armee ausgerichtet, sodass sie sogar ihr junges Leben gab, um in den Krieg zu ziehen. Mit nur 19 Jahren starb sie an der Explosion einer Handgranate, doch das Andenken an sie bleibt für immer in Erinnerung.

Dabei ist das Buch kein Roman, sondern ursprünglich ein Libretto, welches nun in deutscher Übersetzung von Iunona Guruli erschienen ist. Ergänzt wird der Text durch passende Illustrationen von Tatia Nadareischwili.
Insgesamt liest man das knapp sechzig Seiten umfassende Buch in einer guten halben Stunde und begibt sich währenddessen auf eine Zeitreise einerseits ins Georgien der Jetztzeit sowie andererseits ins historische Georgien, auf dessen Weg hin zu seiner Unabhängigkeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Auch für das heutige Land ist diese Geschichte noch immer von großer Bedeutung und leider auch aktueller relevant, ebenfalls für die von Russland unterjochte Ukraine.
Die Autorin Salome Benidze bringt dies alles im Nachwort präzise auf den Punkt: „Sie vereint in sich alles, woran wir glauben, wofür wir leben und sterben.“

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