Ein großartiges Kompendium für alle, die sich für das wohl größte Mysterium des Lebens interessieren.
In der Herbstvorschau des Dumont Verlags lachte mich dieses Buch sofort an. Dies ist nun eine Weile her, denn ich habe „Alles was bleibt“ von Sue Black eine ganze Weile mit mir herumgetragen und alles ...
In der Herbstvorschau des Dumont Verlags lachte mich dieses Buch sofort an. Dies ist nun eine Weile her, denn ich habe „Alles was bleibt“ von Sue Black eine ganze Weile mit mir herumgetragen und alles in allem ungefähr einen Monat lang daran gelesen. Sue Black ist forensische Anthropologin und befasst sich seit ihrer Jugend mit dem Thema „Tod“. Ausgelöst wird das Ganze durch einen Ferienjob in der Metzgerei. Klingt makaber, hat ihr aber den Weg geebnet zu ihrem Job und ihrer Forschungsarbeit. Denn Sue Black ermittelt nicht nur in kniffligen Fällen, bei denen die Identität der Toten nicht so einfach erfasst werden kann, sondern beschäftigt sich neben ihrem Beruf noch mit allen anderen Aspekten des Todes – sie begegnet ihm auf kultureller, spiritueller, biologischer und allen anderen denkbaren Ebenen und hat dieses wunderbare Buch geschrieben. In „Alles was bleibt“ finden sich jedoch nicht nur Einblicke in die verschiedenen Religionen, Brauchtümer und Kulturen und wie diese mit dem Tod und ihren Toten umgehen, sondern auch mit dem „körperlichen“ Tod: Was passiert mit dem Körper, wenn er stirbt? Wie geht der Verwesungsprozess vonstatten? (Keine Sorge, dieser Abschnitt ist relativ kurz – zum Glück!) Was geschieht mit den Leichnamen? Und wie können Leichen der Wissenschaft dienen? Sue Black sieht dem Tod ins Auge, schafft es, ihre Angst vor ihm abzulegen.
Von diesem Buch sind so unfassbar viele Dinge hängen geblieben und haben einen bleibenden Eindruck auf mich hinterlassen, dass es mir wahnsinnig schwer fällt, meine Gedanken zu diesem Buch in Worte zu pressen. Sue Black behandelt in ihrem Lebenswerk alle möglichen Perspektiven und Sichtweisen, außer der einen: Wie kann man dem Tod ein Schnippchen schlagen? Doch da die Autorin den Tod akzeptiert und ihn als gegeben ansieht, würde dieses Kapitel wohl kaum in ihr Buch passen. Sie erzählt in verschiedenen Kapiteln von Todesfällen innerhalb ihrer Familie, wie sie damit umgeht und wie sie es geschafft hat, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Sue Black ist da eher pragmatisch, schafft es, all die Dinge zu organisieren, die nach einem Tod so anfallen: Bestattungsfeier, Habseligkeiten, Erbangelegenheiten… Immer, wenn diese Seite von ihr durchgeschienen ist, fühlte ich einen tiefen Respekt, denn zu diesen Dingen wäre (und war) ich kaum in der Lage.
"Lebenserwartungstabellen sind interessant und nützlich, doch sind sie auch gefährlich, denn sie schaffen Vergleichswerte und erzeugen Erwartungen, die möglicherweise nicht erfüllt werden."
Sue Black bringt dem Leser die vielen Gesichter des Todes näher, sie verrät uns aber auch, wie sie zu ihrem Beruf gefunden hat – und das ist ziemlich spannend! In ihrem Studium schneidet sie Leichen auf (wir lernen auch, wie diese am besten konserviert werden, damit sie geschmeidig bleiben) und stellt sich das Leben der Leichname vor ihrem Tod vor. Sie nimmt uns mit auf eine Entdeckungsreise zu den Ursprüngen der Anatomie und der Bestattung. Sue Black geht aber auch Mythen auf den Grund, wie etwa, dass wir durch die ständige Erneuerung der Zellen nach gut einem Jahrzehnt ein völlig neuer Mensch seien (Spoiler: dem ist nicht so). Mit einer Prise schottischen Humors nimmt sie uns auch in ihren Berufsalltag mit, zu den ungelösten Fällen, in denen die tote Person auch nach Jahren nicht identifiziert werden konnte. Wir lernen, welche Methoden es gibt, Leichen zu identifizieren. Sogar Sexualität und Gender spielen eine Rolle in Sue Blacks Beruf: Denn das (biologische, vom sozialen mal ganz abgesehen!) Geschlecht einer Leiche lässt sich unter Umständen nur sehr schwer bestimmen. Diesen Part über die Leichenidentifizierung fand ich persönlich am spannendsten – denn seid ehrlich: Wusstet ihr, dass man anhand eines Haars feststellen kann, in welchen Regionen sich eine Person aufgehalten hat? Oder dass es Suizid-Tourismus gibt? Oder dass es ein Rezept für Menschenblutmarmelade aus dem Jahr 1679 gibt? Oder, ganz skurril: Dass ein Harvard-Professor eine Einheit für sofortige oder kumulative Risiken erfunden hat, den Mikromort (= kleiner Tod)? So hat eine Motorradfahrt beispielsweise mehr Mikromort (10 km = 1 Mikromort), eine Zugfahrt allerdings weniger (10.000 km =Mikromort). Das finde ich äußerst spannend!
Weiterlesen: https://killmonotony.de/rezension/sue-black-alles-was-bleibt