Wichtige Aufarbeitung der Geschichte
In den letzten Jahren mehren sich erfreulicherweise die Untersuchungen, die sich mit der Aufarbeitung der NS-Zeit auf lokaler Ebene befassen. In dem Zusammenhang gerät auch die Rolle der Kirche und das ...
In den letzten Jahren mehren sich erfreulicherweise die Untersuchungen, die sich mit der Aufarbeitung der NS-Zeit auf lokaler Ebene befassen. In dem Zusammenhang gerät auch die Rolle der Kirche und das Verhalten einzelner Christen in dieser Zeit in den Blickpunkt. Mit seinem Buch „Der letzte Hirte“ hat Albrecht Holthuis dies nun im Hinblick auf die Gemeinde getan, in der er seit Jahrzehnten den Dienst eines Pfarrers versieht, die Evangelische Kirchengemeinde Wesel, insbesondere die Kirche Am Lauerhaas.
Literarisch entscheidet sich Holthuis dabei für eine interessante Mischform aus historischer (und offenbar sorgsam recherchierter) Darstellung der damaligen Ereignisse einerseits und fiktiven Erzählpassagen andererseits. Ein gewiss heikles Unternehmen, denn es ist nicht auszuschließen, dass Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Personen ganz und gar nicht zufällig sind, was auch nicht schamhaft verschwiegen wird. Zudem gewinnt der Leser interessante Einblicke sowohl in die aktuellen kirchlichen Strukturprobleme (Traditionsabbruch, Finanzen, Kirchenschließungen), als auch – wenigstens z. T. – in das konfliktreiche Innenleben eines Pfarrers von heute.
Man muss aufmerksam lesen, was nicht gegen das Buch spricht. Der Gang der Handlung mäandriert zwischen damals und heute, Außen- und Innenwelt, Wesel, Amerika und Israel. Selbst die Liebe kommt – wenigstens andeutungsweise – nicht zu kurz. Hat der Roman eine Botschaft? Sicher keine, die für die Kanzel taugt. Aber vielleicht dennoch eine glaubwürdige. Sie hängt mit dem titelgebenden „Hirten“ zusammen. Ist der Protagonist Bert Winter wirklich ein völlig anderer Pastor („Hirte“) als seine Vorgänger? Ist er nur einer von vielen oder etwa der „letzte“ seiner Zunft? Oder weist er in seiner durchaus gebrochenen Existenz am Ende eher auf einen „anderen“ Hirten? Es sind gewiss noch nicht die schlechtesten Romane, die mit dem einen oder anderen Fragezeichen enden.
Okko Herlyn