Cover-Bild Umbau
28,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Arch+
  • Themenbereich: Kunst - Architektur
  • Genre: keine Angabe / keine Angabe
  • Seitenzahl: 216
  • Ersterscheinung: 04.07.2024
  • ISBN: 9783931435837

Umbau

Ansätze der Transformation
Legislating Architecture – Leerstandsbekämpfung und Bestandsentwicklung als Instrumente der Sozialpolitik

Dominik Geißler, seit 1. Januar 2023 Oberbürgermeister der Stadt Landau in der Pfalz, hat mit Amtsantritt die Leerstandsbekämpfung zur Chefsache erklärt. Binnen Jahresfrist hat er zum 1. Januar 2024 eine Zweckentfremdungsverbotssatzung durch den Stadtrat gebracht. Diese sieht eine Mitwirkungspflicht aller Immobilieneigentümer*innen bei der Meldung und der Zugänglichmachung von Leerstand vor. Bei Sanierungsbedarf kann eine Sanierung angeordnet werden. Ziel der Satzung ist es, Leerstand als unproduktives und unsoziales Volksvermögen zu aktivieren. Die Erschließung von Wohnraumpotenzialen in Zeiten der Wohnungskrise folgt dem Grundsatz „Eigentum verpflichtet“, der im Grundgesetz verankert ist.

Anh-Linh Ngo:
Herr Geißler, Sie sind seit über einem Jahr Oberbürgermeister der Stadt Landau. In dieser Zeit haben Sie sich intensiv mit der Wohnungskrise als einem bis weit in den Mittelstand hinein alle Bürger*innen umtreibendem sozialem Problem auseinandergesetzt. Innerhalb Ihrer noch relativ kurzen Amtszeit haben Sie Anfang 2024 ein wegweisendes kommunal­politisches Instrument zur Leerstandsbekämpfung in Kraft gesetzt: die Zweckentfremdungsverbotssatzung. Können Sie kurz erläutern, was Sie politisch dazu motiviert hat, bevor wir darüber sprechen, wie die Regelung funktioniert?
Dominik Geißler:
Ich habe schon während des Wahlkampfs gemerkt, dass wohnungspolitisch etwas im Argen liegt. Landau ist eine Kommune mit extrem angespanntem Wohnungsmarkt. Die Versorgung mit Wohnraum ist stark gefährdet. Die Situation wird dadurch verschärft, dass Landau eine Schwarmstadt ist. Menschen aus der Region zwischen Heidelberg und Freiburg wollen gerne hierherziehen. Die hohe Nachfrage führt zu unbezahlbaren Wohnungspreisen. Obwohl wir bei Neubau eine 33-Prozent-Sozialbindungsquote haben, die wir auf 50 Prozent anheben wollen, ist bezahlbarer Wohnraum kaum erhältlich.
Ich bin der Meinung, dass der Mangel an bezahlbaren Wohnungen die große neue soziale Frage in unserem Land ist. Im Marx’schen Sinne haben wir eine Zweiklassengesellschaft: Die eine Klasse ist die, die geerbt hat, während die andere diejenige ist, die nicht geerbt hat, die im Grunde die hohen Lebenshaltungskosten im Schweiße ihres Angesichts erarbeiten muss. Gerade dieser Klasse setzen die Inflation, die steigenden Mieten, die Nebenkosten, Energiekosten und Lebenshaltungskosten besonders zu. Wer arm ist, alleinlebend oder alleinerziehend ist, muss proportional mehr für Wohnkosten ausgeben als der Durchschnitt. Der Anteil der Wohnkosten am verfügbaren Einkommen kann in dieser Schicht auf über 50 Prozent steigen. Für mich ist das auf absehbare Zeit das große sozialpolitische Thema.
Wenn Menschen, die systemrelevante Arbeit leisten und damit die Stadt am Laufen halten – der Müllwerker oder die Kassiererin, die Krankenschwester oder die Pflegekraft, die Polizistin oder der Kellner –, keine bezahlbare Wohnung finden, dann hat die Gesellschaft ein existenzielles Problem.
Da wir weder aus finanziellen noch ökologischen Gründen die Landschaft mit neuen Häusern zupflastern können, ist es eine logische Schlussfolgerung, den vorhandenen Wohnraum auch tatsächlich zu nutzen. Denn trotz des angespannten Wohnungsmarkts gibt es überall leer stehende Wohnungen, auch in Landau. Deswegen wollte ich wissen, wie viele leer stehende Wohnungen wir überhaupt haben. Ich brauchte eine solide Statistik. Und ich wollte ein Instrument haben, um diese leer stehenden Wohnungen wieder auf den Wohnungsmarkt zu bringen.
Melissa Makele:
Ursprünglich hatten Sie den Vorstoß der GRÜNEN für eine Leerstandssteuer unterstützt. Doch am Ende hatten Sie sich für den Weg des Zweckentfremdungsverbots entschieden. Was hat den Ausschlag gegeben?
Dominik Geißler:
Im Prinzip halte ich die Leerstandssteuer für ein sinnvolles Instrument zur Bekämpfung von unproduktivem Leerstand. Deswegen habe ich die Idee vom Rechtsamt prüfen lassen. Vancouver zum Beispiel hat als eine der ersten Kommunen eine solche Steuer eingeführt, einige österreichische Bundesländer wie Tirol und Salzburg haben sie auch. Vancouver hat die Steuer allerdings nur auf nicht genutzte Zweitwohnsitze angewendet. Das ist ähnlich wie in Tirol, wo leer stehende und touristisch genutzte Zweitwohnungen besteuert werden. Für die Einführung einer solchen Steuer benötige ich allerdings eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hatte in einem Gutachten eine Leerstandssteuer als kommunale Aufwandssteuer für möglich gehalten. Eine Hundesteuer ist zum Beispiel eine solche kommunale Aufwandssteuer. Es muss jedoch konkret geprüft werden, ob eine leer stehende Wohnung im Grunde etwas Ähnliches ist wie ein Hund, den man hält. Allerdings hat auch unsere juristische Expertise ergeben – und das war im Endeffekt eines der K.-o.-Kriterien –, dass ich nur natürliche Personen besteuern kann, keine juristischen Personen. Das heißt, wenn jemand zig leer stehende Wohnungen in einer GmbH hält, dann kann ich diese nicht besteuern. Das zweite Argument war, dass eine solche Steuer keine Erdrosselungswirkung haben darf. Das heißt, ich kann sie nicht so hoch ansetzen, dass es wehtut und sie eine wirkliche Lenkungswirkung entfaltet. Das würde jedoch dazu führen, dass reiche Leute ihre Wohnungen einfach leer stehen lassen können, weil die Steuer sie nicht juckt. Die Kommune nimmt dann zwar etwas Geld ein, aber die Wohnung steht weiterhin leer. Mein Ziel ist jedoch, das Leerstandsproblem effektiv zu lösen. Wir haben daher gesagt, dass wir das anders machen müssen.
Melissa Makele:
In anderen rheinland-pfälzischen Kommunen wie Mainz, Trier und Speyer sind bereits zu einem früheren Zeitpunkt Zweckentfremdungsverbotssatzungen in Kraft getreten. Dazu zwei Fragen: Auf welchen gesetzlichen Grundlagen basieren solche Satzungen in Rheinland-Pfalz? Wie unterscheidet sich die Landauer Satzung von den genannten Satzungen?
Dominik Geißler:
Rheinland-Pfalz hat auf Landesebene vor zweieinhalb Jahren ein Zweckentfremdungsverbotsgesetz verabschiedet. Es bildet die Ermächtigungsgrundlage dafür, dass die Kommunen sich Satzungen zur Bekämpfung von Leerstand geben dürfen. Das Gesetz lässt viele Spielräume. Die konkrete Ausgestaltung müssen die Kommunen selbst erarbeiten. Auf der Grundlage haben wir unsere Zweckentfremdungsverbotssatzung entwickelt. Dieses bürokratische Wortungetüm bedeutet im Grunde nichts anderes als ein Leerstandsverbot. Es gibt in Rheinland-Pfalz tatsächlich schon zwei, drei andere Städte, die sich eine solche Satzung gegeben haben. Sie zielen allerdings auf sehr spezifische Probleme. Die Speyerer Satzung zum Beispiel geht vornehmlich gegen Airbnb-Wohnungen vor. Das hat damit zu tun, dass Speyer mit dem Speyerer Dom und anderem Kulturerbe viel Tourismus anzieht, was dazu führt, dass lukrative Kurzzeitvermietungen über Airbnb und andere Plattformen zunehmen, wodurch Wohnungen dem regulären Mietmarkt entzogen werden. In Mainz wiederum gibt es sehr viele Monteurswohnungen – auf dieses Problem ist die dortige Satzung zugeschnitten. Im Unterschied dazu zielt die Landauer Satzung allgemein auf das Leerstandsphänomen. Außerdem exekutieren Speyer und Mainz ihre Satzungen nur halbherzig, wir hingegen wenden unsere nun konsequent an.
Anh-Linh Ngo:
Auch in Berlin wurde bereits 2014 ein Zweckentfremdungsverbotsgesetz gegen „Ferienwohnisierung“ und Leerstand eingeführt, das aber wegen seiner vielen Ausnahmen häufig nicht greift. Wie sichern Sie ab, dass die Landauer Satzung ein effektives Instrument wird? Als erstes brauchen Sie ein vollständiges Leerstandsregister. Wie wird dieses angelegt?
Dominik Geißler:
Die Satzung schreibt seit dem 1. Januar 2024 eine Mitwirkungspflicht bei der Meldung von Leerstand vor. Für die Datenerhebung haben wir bestehende Strukturen eingesetzt: Wir haben dem Grundsteuerbescheid, den alle Eigentümerinnen und Eigentümer von Immobilien ohnehin erhalten, einen knappen Fragebogen mit QR-Code beigelegt. Man muss darin lediglich ankreuzen, ob man Leerstand hat oder nicht. Ja oder Nein? Man muss auch explizit „Nein“ ankreuzen, wenn man keinen Leerstand hat, das ist juristisch wichtig. Wenn man Leerstand hat, muss man noch kurz die Gründe angeben.
Wir haben für diese erste Abfrage eine Frist von vier Wochen gesetzt. Die Stadt Landau ist eine mittelgroße Stadt, wir haben etwa 21.000 Eigentümerinnen und Eigentümer von Immobilien. Davon haben sich innerhalb der ersten Frist etwa 40 Prozent zurückgemeldet. Wir haben daraufhin ein Erinnerungsschreiben verschickt. Wer sich nicht innerhalb einer Frist von weiteren vier Wochen zurückmeldet, bekommt einen gebührenpflichtigen Bescheid, der bei Bedarf mit Zwangsmitteln vollstreckt wird. Die Androhung von Zwangsmitteln hat dazu geführt, dass wir jetzt eine Rückmeldequote von 95 Prozent haben.
Anh-Linh Ngo:
Es wird häufig vorgebracht, dass ein zentrales Leerstandsregister wegen des Schutzes der Persönlichkeits- und Eigentumsrechte kaum durchsetzbar sei. Es herrscht große Unsicherheit, ob ein solcher Eingriff grundgesetzkonform ist. Dabei schreibt das Grundgesetz ja nicht nur den Schutz, sondern in Artikel 14 Absatz 2 auch die Sozialpflichtigkeit des Eigentums fest: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Das Gemeinwohlgebot gibt der Politik eigentlich genügend Spielräume, um soziale Schieflagen zu korrigieren. Diese Debatte wird aber häufig ideologisch geführt, weil man damit die Menschen gut mobilisieren kann. Welche rechtlichen Voraussetzungen wurden in der Landauer Satzung geschaffen, damit sie rechtssicher ist?
Dominik Geißler:
Natürlich wurde mir auch vorgeworfen, ich sei ein Kommunist, der die Leute enteignen will. Das ist natürlich Unsinn. Niemand wird enteignet. Es würde im Vollzug der Satzung nur eine Anordnung erlassen werden, die das Eigentum seiner Zweckbestimmung zuführt, die im Bebauungsplan und in der Baugenehmigung festgelegt ist. Ein Bebauungsplan fußt auf dem Baugesetzbuch und den Bauverordnungen der Länder. Eine Baugenehmigung unterliegt dem Baurecht, wir setzen also nur geltendes Recht durch.
Die Frage, wie rechtssicher die Satzung ist, haben wir natürlich prüfen lassen. Tatsache ist, wenn wir nicht das rheinland-pfälzische Zweckentfremdungsverbotsgesetz hätten, wäre es schwierig. Das Gesetz ist unsere Ermächtigungsgrundlage. Ich gehe dennoch davon aus, dass wir verklagt werden, weil wir Vorreiter sind und die Satzung konsequent anwenden. Es wäre sogar gut, wenn das Gericht die Rechtmäßigkeit feststellen würde. Als Kommunalpolitiker muss ich erst mal darauf vertrauen, dass die Landes- und Bundesgesetze handwerklich so sauber formuliert sind, dass sie vor Gericht Bestand haben, wenn ich sie anwende. Ich bin aber zuversichtlich, dass meine Satzung einer Normenkontrollklage standhält. Ein wichtiger Baustein ist Paragraf 9 unserer Satzung, der besagt: „Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung wird durch diese Satzung eingeschränkt.“ Und: „Die datenschutzrechtlichen Bestimmungen werden für die Ermittlung gemäß Bundesmeldegesetz in der jeweils gültigen Fassung eingeschränkt.“ Ohne diese Einschränkungen könnten wir die Satzung gar nicht exekutieren.
Anh-Linh Ngo:
Was geschieht nach der Datenerhebung?
Dominik Geißler:
Wir haben ein mehrstufiges Verfahren vorgesehen. Wenn die Leute den Leerstand gemeldet haben, prüfen wir die Angaben
und die Gründe und entscheiden, ob wir diesen Leerstand genehmigen oder nicht. Es gibt Voraussetzungen für eine Genehmigung, darauf können wir später noch zu sprechen kommen. Bleiben wir erst mal bei dem Fall, wenn ein Leerstand nicht genehmigt wird: Dann kann ich eine Vermietung anordnen, gegebenenfalls geht die Stadt in die Zwischenvermietung. Und wenn ein Instandsetzungsbedarf existiert, kann ich sogar eine Instandsetzung anordnen, wenn es für den Eigentümer oder die Eigentümerin vertretbar ist. Das sind schon sehr weitreichende Bestimmungen, die – an das Landesgesetz angelehnt – in der Satzung festgelegt sind. Entscheidend ist, dass wir sie jetzt konsequent umsetzen.
Deswegen kommuniziere ich auch in die Bevölkerung: Bitte, macht es freiwillig, dann muss ich auch keinen Zwang anwenden. Tut es, lasst euch beraten, wir werden beraten. Wenn jemand trotz der Mitwirkungspflicht falsche Angaben macht, sieht Paragraf 5 unserer Satzung ein Bußgeld in Höhe von 50.000 Euro pro zweckentfremdeter Wohnung vor. Wenn eine Eigentümerin oder ein Eigentümer zum Beispiel drei Leerstände hat und diese nicht anzeigt, dann sind 150.000 Euro fällig. Das Bußgeld ist hoch, damit wir auch ein Druckmittel haben.
Melissa Makele:
Gesetze durchzusetzen bedarf personeller, finanzieller und struktureller Ressourcen. Häufig wird daher als Argument gegen eine solche kommunale Koordinierung von Leerstandserfassung und -betreuung angeführt, dass der Aufwand dafür zu hoch sei. Wie wollen Sie Ihre Verwaltung für die neue Aufgabe fit machen? Werden zusätzliche Stellen geschaffen?
Dominik Geißler:
Ich habe ein Bauamt, das personell dankenswerterweise sehr gut aufgestellt ist. Wir haben eine große Stadtplanungsabteilung. Stand heute können wir die Aufgaben mit den bestehenden personellen Ressourcen bewältigen und werden keine neuen Stellen im Stellenplan brauchen. Stattdessen arbeiten wir mit Umschichtungen und Arbeitsgruppen. Wir haben zum Beispiel Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für den Außenbereich der Stadt, die sogenannten Stadtdörfer, zuständig sind. Einige von ihnen kümmern sich nur um das Bauen oder um die Bebauungspläne dieser Stadtdörfer. Sie werden jetzt in der ersten Phase bei der Sichtung der gemeldeten Leerstände eingesetzt. Das sind im Moment zwei bis vier Personen, das Team kann bei Bedarf erweitert werden. Zum anderen werden wir Arbeitsgruppen aus verschiedenen Ämtern bilden, um flexibel zu bleiben. In Phase zwei werden wir zum Beispiel eine Arbeitsgruppe aus dem Rechtsamt und dem Hauptamt zusammensetzen, um die Anordnungen zu exekutieren. Wenn wir erst einmal den Leerstand ermittelt und die Bestimmungen ausgeführt haben, ist das auf lange Sicht ja keine Daueraufgabe. Ich gehe vielmehr davon aus, dass man regelmäßig alle zwei Jahre prüft, ob es neue Leerstände gibt. Damit es gelingt, werden wir allerdings in den ersten beiden Jahren ausreichend personelle Ressourcen in die anfängliche Umsetzung stecken müssen.
Anh-Linh Ngo:
Was sind Ihre dringlichsten Ziele nach der Auswertung der Meldungen?
Dominik Geißler:
Wir werden als erstes im Eilverfahren ein weiteres soziales Problem angehen, mit dem die Kommunen in Deutschland seit Jahren zu kämpfen haben: die Unterbringung von Geflüchteten. Wir haben es in Landau bisher geschafft, Geflüchtete dezentral in Wohnungen unterzubringen. Ich möchte keine weiteren Sammelunterkünfte bauen. Denn das sind bewachte Ghettos, die schädlich für die Integration der Flüchtlinge sind. Das Problem ist aber, wenn wir Geflüchtete in Wohnungen unterbringen, die auf dem angespannten Wohnungsmarkt ohnehin umkämpft sind, werden rechtsextreme Parteien wie die AfD diesen vernünftigen Weg für ihre Hetze missbrauchen. Zumal bei uns Kommunalwahlen anstehen.
Ich möchte möglichst schnell den Teil der Leerstände herausfinden, der ohne viel Aufwand sofort bewohnbar zu machen ist. Einen Teil dieser Wohnungen möchte ich für Geflüchtete verwenden. Gegebenenfalls gehen wir als Stadt in die Zwischenvermietung. Bauruinen oder Wohnungen, die echten Instandsetzungsbedarf haben und bei denen es lange dauern würde, bis sie vermietbar sind, gehen wir erst im nächsten Schritt an. Wir konzentrieren uns jetzt taskforcemäßig auf die Wohnungen, die dem Augenschein nach sofort vermietbar oder bewohnbar gemacht werden können. Ich verfolge dabei den Ansatz, schnell bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, indem wir die Wohnungen nicht aufwendig sanieren, sondern vernünftig ertüchtigen lassen. Da reicht es, wenn Küche, Bad, Wasserversorgung und so weiter instandgesetzt werden. Ich habe in Berlin lange in einer 120 Jahre alten Altbauwohnung gewohnt, wo die Heizungsleitungen und Rohre auf Putz und nicht unter Putz verlegt waren. Die Dielen haben geknarrt. Das Bad war 40 Jahre alt und nicht perfekt. Aber dafür habe ich nur 6,90 Euro pro Quadratmeter Miete bezahlt, anstatt 16 Euro oder mehr, wenn luxussaniert worden wäre.
Damit wir den Zustand der Bausubstanz beurteilen können, müssen Mitglieder der Verwaltung ein Betretungsrecht der leer stehenden Wohnung haben. Hier kommt der vorhin erwähnte Paragraf 9 der Satzung ins Spiel, der das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung einschränkt. Das ist normalerweise nur bei Gefahr in Verzug erlaubt. An solche Details müssen Sie denken, damit die Bestimmungen ausgeführt werden können. Wenn also ein Leerstand gemeldet ist, dürfen meine Leute laut Satzung die Räume betreten und beurteilen, ob das Objekt vermietbar ist oder nicht. Das wird in den nächsten Wochen und Monaten passieren. Wir werden die gemeldeten Leerstände sukzessive abarbeiten. Glücklicherweise hat unser Stadtbauamt in den letzten Jahren bereits Erhebungen zu sanierungsbedürftigen Gebäuden und Bauruinen gemacht. Es gibt einen Entwicklungsplan, in dem diese verzeichnet sind.
Anh-Linh Ngo:
Sie haben Stand heute 95 Prozent Rückmeldungen erhalten. Wie viele davon haben Leerstand gemeldet? Über welches Flächenpotenzial sprechen wir hier?
Dominik Geißler:
Wir haben noch nicht alle Leerstandsmeldungen durchgearbeitet. Wir wissen allerdings bereits, dass wir etwa 800 leer stehende Immobilien haben. Sie können sich die Dimension klarmachen, wenn Sie diese Leerstandsquote auf den Berliner Maßstab hochrechnen würden: Das wären weit über hunderttausend leer stehende Wohnungen und Häuser in Berlin. Für eine kleine Kommune wie Landau ist die gemeldete Zahl schon gewaltig. Die Stadt baut gerade 40 Wohnungen und muss dafür 17 Millionen Euro Steuergelder aufwenden. Angesichts knapper werdender Haushaltsmittel ist das viel Geld, und dennoch ist es nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Wenn ich 800 Wohnungen neu bauen müsste, müsste ich in etwa 280 bis 300 Millionen Euro Steuergelder aufwenden. Das ist völlig illusorisch. Wohnungspolitisch hätten die Kommunen mit der Leerstandsbewirtschaftung einen großen Hebel in der Hand, Wohnraum zu erschließen und die Not zu lindern, ohne viel investieren zu müssen.
Es gibt natürlich auch Wohnungen, deren Zustand eine wirtschaftliche Sanierung nicht mehr zulässt. Wir müssen zudem berücksichtigen, dass es schutzwürdige private Interessen gibt. Wenn zum Beispiel jemand eine Einliegerwohnung für eine Pflegekraft vorhält, die sich um die pflegebedürftigen Großeltern kümmern soll, dann gestatten wir das selbstverständlich. Oder wenn eine Einliegerwohnung seit Jahren als Büro für die freiberufliche Tätigkeit genutzt wird, dann sagen wir den Leuten nicht, dass sie sich eine teure Gewerbeeinheit anmieten und ihr Büro räumen müssen. Aber das sind Einzelfälle, die nicht häufig vorkommen und die wir prüfen müssen. Wenn es sich aber ansonsten um eine Wohnung handelt, die auch im Bauantrag so eingetragen ist, ordnen wir eine Vermietung an. Und wenn Instandsetzungsbedarf besteht, ordnen wir an, die Wohnung in einem vertretbaren Maß instand zu setzen und zu vermieten.
Melissa Makele:
Das Leerstehenlassen von Wohnungen gilt als eine Art Zweckentfremdung und kann dementsprechend geahndet werden. Laut dem Berliner Zweckentfremdungsverbotsgesetz dürfen Wohnungen zum Beispiel nicht länger als 3 Monate leer stehen. Wie wird in der Landauer Satzung Zweckentfremdung definiert?
Dominik Geißler:
Eine Zweckentfremdung liegt laut Gesetz vor, wenn mehr als 50 Prozent einer Wohnfläche für gewerbliche oder freiberufliche Zwecke verwendet oder überlassen werden. Oder wenn sie baulich derartig verändert worden ist, dass sie nicht mehr als Wohnung genutzt werden kann. Oder wenn Wohnungen insgesamt mehr als zwölf Wochen bzw. 84 Tage im Jahr als Ferienwohnung vermietet werden, auch das ist verboten. Dieser Punkt erzeugt den meisten Unmut, wie Sie sich vorstellen können. Denn über Kurzzeitvermietung zum Beispiel über Airbnb kann man ein Vielfaches anMiete einnehmen, aber dann steht die Wohnung nicht mehr dem regulären Wohnungsmarkt zur Verfügung. Auch das ist eine klare Zweckentfremdung. Sie liegt auch vor, wenn eine Wohnung länger als sechs Monate ununterbrochen leer steht oder beseitigt, das heißt abgerissen wird. Wir müssen die Angaben vor Ort prüfen. Das ist aufwendig. Deswegen wird der Prozess mit Sicherheit ein Jahr und länger dauern. Darauf stellen wir uns ein.
Melissa Makele:
Es ist wahrscheinlich noch zu früh, da die Auswertung noch nicht vollständig vorliegt, aber zeichnen sich bereits bestimmte Typologien des Leerstands ab? Etwa Segmente, Motive, Eigentümerstrukturen?
Dominik Geißler:
Ich kann noch keine empirisch belastbare Aussage treffen, da wir die Auswertung noch abwarten müssen, aber dem Augenschein nach zeichnen sich verschiedene Typologien ab. Wir haben Wohnungsleerstand und wir haben natürlich auch gewerblichen Leerstand. Leider erreiche ich nach derzeitiger Rechtslage mit unserer Satzung die gewerblichen Leerstände nicht. Die Satzung und die Ermächtigungsgrundlage auf der Landesebene gelten nur für zweckentfremdeten Wohnraum. Um den gewerblichen Leerstand mit seinem großen Potenzial zu erschließen, brauchen wir eine Novelle des Baugesetzbuches. Das wäre extrem wichtig.
Was die Typologien anbelangt, so ist es vielschichtig. Landau befindet sich in einer wunderbaren Weingegend, wir sind die größte weinbautreibende Gemeinde Deutschlands. Wir haben über 100 Winzerbetriebe, riesige Flächen mit Weinbergen und unzählige Winzerhöfe. Es kommt vor, dass ein solcher Winzerhof mit tausenden von Quadratmetern von einer Person bewohnt wird, meist den Witwen. Die Vermietung überfordert sie. In einem solchen Fall bieten wir uns als Beratungsstelle an. Wir vermitteln ihnen eine Hausverwaltung, die sich um die Vermietung kümmert. Wir gehen sogar bis in die Zwischenvermietung.
Es gibt aber auch Extrembeispiele, wo Vermögende viele Wohnungen besitzen. Sie lassen sie leer stehen, weil sie das Geld nicht brauchen und sich nicht mit der Vermietung herumschlagen möchten. Ich habe gegenüber vom Rathaus ein prominentes Beispiel, wo im Erdgeschoss ein Trachtenladen drin ist, der aber nur pro forma existiert. In den oberen Geschossen und Nebengebäuden verantwortet die Eigentümerin etwa 6.000 Quadratmeter Leerstand. Seit über 20 Jahren. Das Problem ist, dass die Hälfte davon als Lagerflächen für Trachten gewidmet ist. Das ist vorgeschoben, denn für den Laden braucht man keine 3.000 Quadratmeter Lagerfläche. Mit der Satzung komme ich nur an die im Baubescheid als wohnraumgewidmete Wohnung heran, deren Vermietung ich im Ernstfall anordnen werde.
Das ist ein Extrembeispiel. Es gibt aber auch einfach Leute, die zum Beispiel eine Wohnung leer stehen lassen, weil sie hoffen, die Enkelin oder der Enkel kommt nach dem Studium zurück und übernimmt das Haus. Dann steht das Haus oder die Wohnung jahrelang leer. In solchen Fällen schlagen wir eine Zwischenvermietung vor. Und wenn die Enkel zurückkommen, können sie wegen Eigenbedarfs kündigen. Mit solchen Dingen muss sich die Verwaltung jetzt auseinandersetzen und zunächst Beratung anbieten, bevor wir Dinge anordnen und Bußgeldbescheide verschicken.
Anh-Linh Ngo:
Die Unternutzung von Räumen spielt eine große Rolle. Im europäischen Maßstab ist laut Eurostat derzeit mehr als ein Drittel des Wohnraums in Europa unterbelegt, auch weil sich die familiäre Situation im Laufe des Lebens verändert, ältere Menschen leben allein in riesigen Wohnungen oder Häusern. Der Wohnwendeökonom Daniel Fuhrhop hat 2023 ein Buch geschrieben: Der unsichtbare Wohnraum – Wohnsuffizienz als Antwort auf Wohnraummangel, Klimakrise und Einsamkeit. Suffizienz bedeutet, dass wir mit dem auskommen sollten, was wir bereits haben. Eine Lösung sieht Fuhrhop nicht nur im leer stehenden, sondern auch im „unsichtbaren“ Wohnraum, etwa ungenutzte Zimmer nach dem Auszug der Kinder. Hier könnte die Wohnsuffizienz nicht nur vorhandenen Wohnraum erschließen, sondern auch sozial wirksam sein, indem Wohnpaare nach dem Modell „Wohnen für Hilfe“ vermittelt werden. Sein Fazit: Durch Umbau von Wohnungen, den Umzug sowie soziale Wohnraumvermittlung können jährlich bis zu 100.000 Wohnungen entstehen – ohne Klimabelastung und mit der Chance auf Nähe und Nachbarschaft. Anstatt viel Geld in Neubau zu investieren, könnten Kommunen viel mehr erreichen, wenn sie Adaptation, Umbau und Erschließung vorhandener Raumressourcen fördern würden.
Dominik Geißler:
Das ist genau unser Ansatz. Aber um die von Ihnen genannten Ziele zu erreichen, brauchen wir endlich eine Novelle des Baugesetzbuches: Ich brauche als Stadt verbesserte Vorkaufsrechte. Ich brauche auch die Möglichkeit, Umnutzungen vorzunehmen. Zurzeit kann ich Gewerbeimmobilien nicht einfach umnutzen. Im Gespräch ist die Einführung eines neuen Paragrafen 246e im Baugesetzbuch, der umfangreiche Abweichungen und sogar Verzicht auf Bebauungspläne ermöglicht. Zu den Instrumenten zählen „die Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes, wenn hierdurch neue Wohnungen geschaffen werden oder vorhandener Wohnraum wieder nutzbar wird, oder die Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung“. Solche Regelungen brauchen wir dringend. Ich brauche eine Vereinfachung des Rechtsrahmens. Erst dann kann ich solche Umwidmungen und Umnutzungen machen und komme auch an die Gewerbeleerstände heran.
Anh-Linh Ngo:
Daran gibt es auch berechtigte Kritik, weil befürchtet wird, dass die Ausnahmen intransparente Entscheidungen nach sich ziehen könnten. Aber letztlich müssen solche Genehmigungen weiterhin vom Gemeinderat beschlossen werden, und wenn die demokratische Kontrolle funktioniert, besteht hier in der Tat ein großes Potenzial, vorhandenen Raum für die Lösung des Wohnraummangels zu aktivieren. Denn neben dem demografischen Wandel ist der Wandel in der Arbeitswelt das große Zukunftsthema. Seit der Pandemie hat sich der Trend verfestigt: Homeoffice nimmt immer mehr zu, Büroflächen verwaisen oder werden reduziert. Während des Baubooms wurden im Bürobau große Überkapazitäten aufgebaut, die jetzt leer stehen, auch weil die Immobilienentwickler die Objekte lieber nicht vermieten als günstiger zu vermieten. Denn für sie zählen vor allem die Buchwerte für ihre Finanzgeschäfte und Kredite, nicht die tatsächlichen Mieteinnahmen. Das hat mit realer Wirtschaft nichts mehr zu tun.
Welche weiteren wohnungspolitischen Instrumente bzw. steuerungspolitischen Anreize können Sie sich vorstellen, um Wohnraumpotenziale im Bestand zu aktivieren?
Dominik Geißler:
Ich sehe vor allem im gewerblichen Leerstand ein großes Potenzial. Wenn dieser, wie Sie erwähnt haben, durch die Homeoffice-Kultur immer größer wird, brauche ich die Möglichkeit, dass ich auch in Gewerbegebieten oder in Kerngebieten Wohnnutzungen zulasse. Aber dafür ist eine Anpassung der Verwaltungsvorschrift TA Lärm des Bundes-Immissionsschutzgesetzes dringend notwendig. Es würde schon helfen, wenn zum Beispiel die Schallemissionen nicht einen Meter vor der Hauswand gemessen werden, sondern in der Wohnung selbst. Zurzeit ist es so, dass ich nicht den Schalldruck messe, der in der Wohnung tatsächlich ankommt, sondern einen Meter vor der Wand. Das führt zu wahnsinnig aufwendigen und teuren Konstruktionen. Das heißt, alle Vorschriften, die eine Umwidmung, Umnutzung oder Mischnutzung verhindern, müssen angepasst und vereinfacht werden. Und das geht nur über eine Novelle des Baugesetzbuches und des Immissionsrechts.
Melissa Makele:
Im Bestand zu entwickeln, bedeutet auch Nachverdichtung. Wie sieht hier Ihr Ansatz aus? Welche Instrumente haben oder benötigen Sie?
Dominik Geißler:
Ich brauche dafür im Baugesetzbuch eine bessere Regelung der Nachverdichtung in der Innenentwicklung, ich muss dichter und höher bauen können. In den letzten Jahrzehnten wurde immer Außenentwicklung der Innenentwicklung vorgezogen. Das heißt, der Außenbereich wurde immer stärker bebaut und versiegelt. Urbanistisch und ökologisch ist das überhaupt nicht sinnvoll. Wir müssen stattdessen im Bestand entwickeln. Im Bestand zu entwickeln ist ökologisch und sozial. Unser Grundprinzip lautet daher: Innenentwicklung statt Außenentwicklung und vertikale Verdichtung anstatt horizontale. Im Sinne der notwendigen Klimaanpassungen können wir nicht jede horizontale Baulücke zupflastern, wir müssen entsiegeln und eher in die Höhe bauen.
Um das zu erreichen, haben wir jetzt ein Flachdachkataster erstellt. Wir lassen derzeit bei Supermärkten mit großen Flachdächern statisch prüfen, ob wir da nicht aufstocken können. Und wenn es geht, gehe ich auf die Eigentümer zu und biete ihnen Unterstützung an, wenn sie auf den gewerblichen Flachdächern Wohnraum schaffen, zum Beispiel für ein dringend benötigtes Studentenwohnheim. Wenn beispielsweise ein Discounter erweitern will und einen neuen Bauantrag stellt, kann ich sagen, du kriegst nur die Erweiterung, wenn du gleichzeitig zwei Stockwerke aufstockst. Ich kann durch Anreize die Entwicklung entscheidend steuern. Diesen Spielraum nutze ich aus.
Melissa Makele:
Wie steht es mit dem Denkmalschutz? Vielfach spielt er beim Umgang mit Bestand eine signifikante Rolle.
Dominik Geißler:
Denkmalgeschützter Bestand und Leerstand sind ein schwieriges Thema. Wir haben ein paar Dutzend wunderbare Gebäude aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die unter Denkmalschutz stehen. Manchen Eigentümerinnen und Eigentümern ist die denkmalgerechte Sanierung zu teuer, sie lassen die Bauten lieber leer stehen. Es gibt Hinweise, dass Leute sogar ein Loch ins Dach bohren, damit es reinregnet und die Bausubstanz schneller verfällt. Ist natürlich schwer zu beweisen, wenn das Ganze schon ziemlich verrottet ist. Es wird dann eine Prüfstatik beauftragt, die ihnen die Notwendigkeit eines sofortigen Abrisses bescheinigt. Die Stadt muss dann für viel Geld Gegengutachten anfertigen lassen, die feststellen, dass das Gebäude instandsetzungsfähig ist. Erstmals habe ich über das Denkmalschutzamt Baugebote durchgesetzt. Wenn ein Eigentümer oder eine Eigentümerin tatsächlich finanziell nicht in der Lage ist, dann rege ich einen Verkauf an, entweder an die Kommune oder an jemanden, der es sanieren kann. Aber leer stehen und absichtlich verfallen lassen, geht nicht. Denkmalschutz ist allerdings ein dickes Brett.
Anh-Linh Ngo:
Eines der dicksten Bretter ist bei der Stadtentwicklung die Bodenpolitik. Wir können die beiden Themen nicht losgelöst voneinander diskutieren. In Deutschland gibt es das berühmte Ulmer Modell, in …sterreich das Wiener Modell, wo die Kommunen kontinuierlich Land aufkaufen und selbst entwickeln. Damit können sie auch die Stadtentwicklung im Sinne einer Sozialpolitik steuern. Gibt es solche Ansätze auch in kleineren Kommunen wie Ihrer?
Dominik Geißler:
Nein, jede Stadt ist anders. Ulm verfolgt seit Jahrzehnten sein eigenes Modell. Die Stadt investiert ihre Finanzmittel in den Ankauf von Grundstücken. Hier in Landau, aber auch in zehntausenden Kommunen in ganz Deutschland, ist es genau das Gegenteil gewesen. Die Städte haben, weil sie finanzklamm waren, alles, was nicht niet- und nagelfest war, verscherbelt. Jetzt stehen wir praktisch nackt da, auch in Landau. Der kommunale Wohnungsbestand ist lächerlich. Es sind bei uns um die dreihundert Wohnungen, das ist ein Witz. Wir haben deswegen auch keine große Wohnungsbaugesellschaft, nur ein Gebäudemanagement als Eigenbetrieb, das für den Unterhalt der Liegenschaften zuständig ist und nebenbei im kleinen Maßstab sozialgeförderten Wohnraum baut. Wir haben zwar einen ausgeglichenen Haushalt, was für Rheinland-Pfalz schon bemerkenswert ist, aber der ist nur knapp ausgeglichen. Im Moment kaufe ich alles an, was anzukaufen geht. Aber das sind keine Riesenflächen, da muss man sich nichts vormachen. Was ich machen kann, ist, mit Anreizen und mit Ordnungsrecht den Bestand, den ich habe, zu entwickeln, um Wohnraum zu schaffen.
Anh-Linh Ngo:
Im Jahre 2016 haben wir mit b+ (bplus.xyz) eine ARCH+ Ausgabe mit dem doppeldeutigen Titel Legislating Architecture herausgebracht: „Gesetze gestalten!“ Mit dem Titel haben wir betont, dass Architektur nicht nur durch Gesetze gestaltet wird, sondern dass diese Regelwerke selbst eine Art von Architektur darstellen und wir sie entsprechend entwerfen und gestalten müssen. Letztendlich haben Sie mit der Zweckentfremdungsverbotssatzung ein Best-Practice-Beispiel für meine damalige These im Editorial geliefert, dass das Recht nicht nur die Grundlage unseres Handelns ist, sondern es in einer freien Gesellschaft einen Horizont darstellt, der erst den politischen Blick konstituiert.
Zum Abschluss würde mich daher noch die politische Perspektive interessieren: Sie gehören der CDU an, Ihre pragmatischen Ansätze klingen aber nicht nach dem wirtschaftsliberalen Kurs, den die CDU derzeit wieder stärken will. Das zeigt einmal mehr, dass man in der Kommunalpolitik, wenn man im Interesse der Menschen konkrete Probleme lösen muss, mit Ideologie nicht weit kommt. Wie schafft man es, in allen demokratischen Parteien ein Bewusstsein dafür herzustellen, dass Entwicklung im Bestand nachhaltig, wirtschaftlich und sozial ist – und die Wohnungsfrage, wie Sie es zu Beginn unseres Gesprächs eingeordnet haben, die sozialpolitische Frage der Zukunft ist?
Dominik Geißler:
Ich bin zwar von der CDU aufgestellt worden und Mitglied der Partei, aber als Oberbürgermeister habe ich den Anspruch, überparteilich an der Sache orientiert zu arbeiten. Den Zusammenhang von Leerstandspolitik, Sozialpolitik und Nachhaltigkeit muss ich nicht nur in meiner Partei erläutern. Ich muss immer wieder im Sinne des Grundgesetzes aufklären, dass Eigentum nicht bedeutet, dass ich damit machen kann, was ich will. Ich sage immer salopp, dass ich der CDU und nicht der KDU angehöre, die Partei also nicht umsonst Christlich Demokratische Union und nicht Konservativ Demokratische Union heißt. Wobei christlich in unserer säkularisierten Gesellschaft nicht mehr automatisch religiös konnotiert ist. Ich mache keine christliche Politik, sondern eine säkulare Politik. Ich mache auch keine kirchliche Politik, sondern ich versuche Grundwerte zu definieren, auf die man sich in der Gesellschaft einigen kann. Das kann der Kantische Imperativ sein oder die Bergpredigt als Kern meines Verständnisses von Christentum. Zwar sind Teile der Union wirtschaftsliberal orientiert, aber im Unterschied zur FDP, die eine reine Klientelpartei ist, ist die CDU als Volkspartei auch eine soziale Partei. Im Unterschied zur SPD oder den LINKEN bin ich jedoch kein Freund von gruppenweiser Vergemeinschaftung. Für mich muss Sozialpolitik das Allgemeinwohl im Blick haben und darf keine Klientelpolitik sein. Das gleiche gilt für die Frage der Nachhaltigkeit, die beim Bauen eine immer wichtigere Rolle spielt. Eine soziale und lebenswerte Stadt muss im Interesse aller demokratischen Parteien sein. Dafür werbe ich entsprechend überparteilich. Das ist ein zäher Überzeugungsprozess. Aber diese Zukunftsdebatte müssen wir jetzt führen und entsprechend handeln. Die Leerstandsbekämpfung ist nur ein erster Schritt in diese Richtung. Es gibt politisch noch sehr viel, was wir tun können.

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