Bedenken zerschlagen, zuschlagen und begeistern lassen!
Was bedeutet eigentlich „zerschlagen‟? Welche Ideen verbinden Menschen damit? Zu welchen Geschichten regt sie dieses Wort an?
Zwölf Autoren haben sich dieser Aufgabe gestellt und für die 2019 im VHV-Verlag ...
Was bedeutet eigentlich „zerschlagen‟? Welche Ideen verbinden Menschen damit? Zu welchen Geschichten regt sie dieses Wort an?
Zwölf Autoren haben sich dieser Aufgabe gestellt und für die 2019 im VHV-Verlag erschienene Anthologie mit dem Titel "Zerschlagen" die unterschiedlichsten Texte geschrieben. Neben Kurzgeschichten oder nur wenige Seiten umfassender Kurzprosa finden sich hierbei auch zwei Auszüge aus Romanen.
So unterschiedlich die Texte stilistisch und inhaltlich auch sind, eint sie doch die Auseinandersetzung mit dem Thema der Zerschlagung/des Zerschlagenwerdens/des Zerschlagenseins.
Was damit gemeint sein kann, wird sehr unterschiedlich interpretiert: Trennungen spielen beispielsweise eine Rolle, die Zerteilung einer Kleingärtnersiedlung, ein Autounfall, Fluchten, aber auch – für mich überraschenderweise – diverse Reisen. Findet das Zerschlagen also häufig fern von Zuhause statt? Oder zeigt es sich doch eher in einer vertrauten Umgebung?
Wie unterschiedlich man an diese Fragen herangehen kann, zeigen die zwölf Autoren gekonnt. Jeder Text macht etwas mit dem Leser: er entzückt, er verstört, er lässt Fragezeichen zurück, er macht wütend oder traurig oder beides zugleich. Der eine Text überzeugt besonders durch seine ausgefeilte, zum Inhalt passende Sprache, der andere drückt mit wenigen gezielt gesetzten Worten viele Emotionen aus. Wieder ein anderer verstört durch seinen merkwürdigen, schwer greifbaren Inhalt. Von Begeisterung über Ernüchterung, Ekel, Wut und Faszination bis zu Ratlosigkeit und Amüsement begleiteten mich die verschiedensten Emotionen beim Lesen.
Zudem empfand ich die Auseinandersetzung mit den Texten auch insofern spannend, als dass mich (Nichtliteraturwissenschaftler) der eine an die Epoche der Romantik erinnerte, der andere wiederum eher Züge einer expressionistischen Erzählweise aufwies, der nächste mich stark persönlich berührte und wieder ein anderer den Wunsch aufkommen ließ, mich weiter mit dem angeschnittenen Thema auseinanderzusetzen.
Die Auswahl der einzelnen Texte empfinde ich also als sehr gelungen. Was dieses Buch aber vor allem auszeichnet, ist deren Zusammenspiel: Die Grundidee der Anthologie fand ich zwar schon von vornherein interessant, aber je mehr Texte ich gelesen, je mehr unterschiedliche Assoziationen ich kennengelernt hatte, desto mehr steigerte sich meine Begeisterung dafür. Vor allem in ihrer Kombination entfalten sie eine besondere Wirkung und regen auch dazu an, sich über die vielen Bedeutungsnuancen eines Wortes selbst Gedanken zu machen.
Was dem Buch vielleicht ein bisschen fehlt, ist eine Metaebene: Wer sind die Autoren, woher stammen die Texte, wie kam die Auswahl zustande? Und manchmal vielleicht auch: Was hat den Autor zu diesem Text bewogen? Aus welchem Metier kommt er, dass er sich ausgerechnet diesen Bereich vorgeknöpft hat? Selbstverständlich können Texte auch für sich stehen, aber mich hätte das hin und wieder schon interessiert. So jedenfalls bleiben mir auch nach Beenden des Buches einige Fragen, aber auch die Erkenntnis, dass dieses Buch sich in die Menge der wenigen Bücher mit Wiederlesepotential einreihen darf.
Fazit:
Zwölf inhaltlich und stilistisch höchst unterschiedliche Texte versammeln sich unter einem Motto und ergeben in ihrem Gesamtbild ein wunderschönes Mosaik, das durch die Interpretationsleistung des Lesers seine Farben erhält. Ein Projekt, auf das es sich einzulassen lohnt!