Cover-Bild Andalusien
Band 32 der Reihe "Polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren"
16,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Wiener Gesellschaft f. interkulturelle Philosophie
  • Themenbereich: Philosophie und Religion - Philosophie
  • Genre: keine Angabe / keine Angabe
  • Seitenzahl: 142
  • Ersterscheinung: 15.01.2015
  • ISBN: 9783901989308
Helmut Danner, Rosa Maria Menocal, Mohamed Mesbahi, Antolín Sánchez Cuervo, Mohamed Turki

Andalusien

polylog 32
Sarhan Dhouib (Herausgeber), Hans Schelkshorn (Herausgeber), Michael Shorny (Illustrator)

Sarhan Dhouib & Hans Schelkshorn

Einleitung

Andalusien

Das vorliegende Heft versammelt Beiträge zur komplexen Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der philosophischen Diskurse in Al-Andalus und wirft zugleich einen Blick auf Theologie und Mystik. Sie analysieren darüber hinaus zentrale kultur- und geschichtsphilosophische Aspekte der Rezeption einiger Vertreter der andalusischen Philosophie im arabisch-islamischen und europäischen Kulturraum. Diese Rezeption gewinnt heutzutage an Relevanz, da sie thematisch zum einen eng mit Fragen des Zusammenlebens der Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen verbunden ist; zum anderen rückt sie die interkulturelle Debatte um die Rolle des Islam im Kontext einer Rekonstruktion des kulturellen Gedächtnisses von Europa in den Mittelpunkt. Al-Andalus stellt ein Bindeglied zwischen den arabisch-islamischen und europäischen Kulturen dar, zwischen den beiden Ufern des Mittelmeers.
In seinem Beitrag geht Mohamed Turki auf den Begriff der Convivencia ein. Er zeigt unter welchen Bedingungen ein tolerantes Zusammenleben der Kulturen und religiösen Gemeinschaften in Al-Andalus möglich geworden ist und rekonstruiert den historischen Weg der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des philosophischen Diskurses in Andalusien. Dabei konzentriert er sich auf die Darstellung ausgewählter muslimischen und jüdischen Philosophen wie Ibn Gabriol, Ibn Ibn Badjja, Ibn Tufail, Ibn Rushd und Maimonides, die er am Beispiel der Überlegungen von Ramon Lull zum Begriff der Concordantia nach der Nachwirkung der Convivencia auf das christliche Denken befragt. Der Beitrag hebt die Interaktionen zwischen den monotheistischen Kulturen im Modus von Übersetzungen als interkulturellen Austausch hervor und plädiert für eine Philosophie des Zusammenlebens als Alternativ zu den heutigen kriegerischen Auseinandersetzungen, die unsere Welt erschüttern.
Der Beitrag von María Rosa Menocal über Hasdai ibn Shaprut verschafft einen Überblick über das Leben des jüdischen Wesir und Gelehrten unter der Herrschaft des umayyadischen Kalifen Abd Ar-Rahman III, der von 912 bis 961 in Córdoba herrschte. Menocal beschreibt den historischen und kulturellen Kontext, in dem die kulturelle Entfaltung der jüdischen Gemeinden möglich geworden ist. Sie zeigt außerdem, wie sich die andalusischen Juden in die islamisch-arabische Kultur der Umayyaden assimilierten und zugleich eine gläubige praktizierende religiöse Gemeinschaft mit ihrer eigenen religiösen Sprache blieben. In diesem Kontext steht die Entwicklung von Hasdai ibn Shaprut als Wesir, Arzt, Theologe und Philosoph.
Im dritten Beitrag wendet sich Antolín Sánchez Cuervo dem Werk von Américo Castro, einem der bedeutendsten Kulturhistoriker Spaniens im 20. Jahrhundert, zu. Américo Castro arbeitete nach dem 1. Weltkrieg zunächst im Kreis von Ortega y Gasset über den Renaissancehumanismus in Spanien, insbesondere den Einfluss von Erasmus, um Spanien einen Weg in die Moderne zu ebnen. Im Spanischen Bürgerkrieg musste Américo Castro Spanien verlassen und lehrte Jahrzehnte lang an verschiedenen Universitäten in den USA. Im Exil entdeckte Castro die Welt von Al-Andalus, die keine Parenthese, sondern das eigentliche geschichtliche Fundament Spaniens ist, das folglich auch in der Moderne nicht verdrängt werden dürfe. Die spannungsreiche und zugleich fruchtbare Konvivenz zwischen Juden, Moslems und Christen unterscheidet nach Castro Spanien vom liberalen modernistischen Europa. Die Besinnung auf das interreligiöse Erbe Al-Andalus’, das Américo Castro gegen eine christlich-nationalistische Geschichtsschreibung forcierte, ist nach Sánchez Cuervo heute nicht nur für Spanien, sondern für Europa insgesamt, in dem sich Antisemitismus, Islamophobie und religiöse Integralismen wieder ausbreiten, von eminenter Bedeutung.
Mohamed Mesbahi untersucht in seinem Beitrag wichtige Aspekte der zeitgenössischen arabisch-islamischen Rezeption der andalusischen Gelehrten und Philosophen Ibn Badjja, Ibn Tufail, Ibn Rushd, Ibn Arabi und Ibn Khaldun. Seine Überlegungen werden von der Frage nach der Bedeutung sowie nach der Grenze einer möglichen philosophischen Aktualisierung des »andalusischen Modells« und seiner Vertreter geleitet. Die Aktualität der erwähnten andalusischen und maghrebinischen Autoren wird im arabisch-islamischen Kulturraum kontrovers diskutiert. Mesbahi stellt einige Facetten dieser Diskussion vor und geht der Frage nach, inwiefern Vertreter des andalusischen Modells für die heutige Debatte um die Moderne, die Versöhnung bzw. Trennung von Religion und Philosophie, den Säkularisierungsprozess oder die Rechtfertigung der Philosophie relevant sind.
Prof. Dr. Andreas Speer, Direktor des Thomas-Instituts in Köln, stellt im Interview, das Prof. Dr. Mohamed Turki mit ihm führte, zunächst das Projekt Averroes latinus vor. Andreas Speer sieht in Ibn Rushd vor allem einen Anreger für zahlreiche Debatten in den verschiedenen Bereichen der Philosophie, sei es der Psychologie und Erkenntnislehre, der Physik oder Kosmologie. Insgesamt ist nach Speer die philosophische Durchdringung religiöser Traditionen, wie sie in Al-Andalus von zahlreichen Denkern vollzogen und in der christlichen Scholastik fortgesetzt worden ist, ein kaum zu überschätzendes Erbe, das gerade heute eine wichtige Grundlage für einen Dialog zwischen den monotheistischen Religionen, aber auch zwischen religiösen Gruppen und säkularen Strömungen sein könnte.
Für die konstruktive Zusammenarbeit und die Übersetzung der Aufsätze bedanken wir uns sehr herzlich bei Ina Khiari-Lochund Mona Tomböl. Unser Dank gilt schließlich Daniel Emde für seinen Einsatz bei der Schlusskorrektur.

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