McEwans präzises Erzählen und seine Geduld mit Details
„Abbitte“ ist ein Roman, der lange nachwirkt, nicht nur wegen seiner tragischen Handlung, sondern auch wegen der präzisen, beinahe chirurgischen Sprache, mit der Ian McEwan seine Figuren seziert.
Im Sommer ...
„Abbitte“ ist ein Roman, der lange nachwirkt, nicht nur wegen seiner tragischen Handlung, sondern auch wegen der präzisen, beinahe chirurgischen Sprache, mit der Ian McEwan seine Figuren seziert.
Im Sommer 1935 beobachtet die 13-jährige Briony eine Szene zwischen ihrer Schwester Cecilia und Robbie, dem Sohn der Hausangestellten. Aus kindlicher Fantasie und einem falschen Sinn für Gewissheit formt sie eine Anklage, die das Leben aller Beteiligten unwiderruflich verändert. Der Roman begleitet Briony, Cecilia und Robbie über Jahrzehnte, vom heißen englischen Sommer über die Härte des Zweiten Weltkriegs bis in die späten 1990er Jahre, wo die Vergangenheit noch immer nicht zur Ruhe gekommen ist.
McEwan gelingt es meisterhaft, das Innenleben seiner Figuren offenzulegen. Man spürt Cecilias stille Entschlossenheit, Robbies Würde trotz aller Demütigung und Brionys Mischung aus Naivität, Ehrgeiz und späterer Reue. Die Wechsel zwischen zarter Beobachtung, beklemmender Spannung und schonungsloser Wahrheit sind beeindruckend.
Allerdings nimmt sich der Autor viel Zeit für Details. Manche Passagen wirken ausgedehnt, fast zu gemächlich, was den Lesefluss zeitweise bremst. Doch gerade in dieser Langsamkeit entfaltet sich eine dichte Atmosphäre, die die Figuren und ihre Welt mit ungeheurer Genauigkeit ausleuchtet.
Am Ende bleibt die Frage, ob wahre Abbitte überhaupt möglich ist – und ob Vergebung eine Entscheidung oder ein Geschenk ist. „Abbitte“ ist für mich ein leiser, aber intensiver Roman über Schuld, Liebe und die Unmöglichkeit, das Geschehene vollständig ungeschehen zu machen.