Cover-Bild »Es sollte doch alles besser werden«
Band 34 der Reihe "Schriften des Instituts für Diakonie- und Sozialgeschichte an der Kirchlichen Hochschule Bethel"
24,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Verlag für Regionalgeschichte ein Imprint von Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG
  • Themenbereich: Geschichte und Archäologie - Geschichte
  • Genre: keine Angabe / keine Angabe
  • Seitenzahl: 464
  • Ersterscheinung: 15.04.2021
  • ISBN: 9783739512648
Karsten Wilke, Hans-Walter Schmuhl, Sylvia Wagner, Ulrike Winkler

»Es sollte doch alles besser werden«

Die Behindertenhilfe der Rummelsberger Diakonie 1945 bis 1995
Das Buch über die Rummelsberger Diakonie verbindet bayerische Regionalgeschichte mit der Geschichte der Diakonie, der Geschichte von Menschen mit Behinderungen und Medizingeschichte. Die Rummelsberger Diakonie und die Innere Mission insgesamt erscheinen darin als Schrittmacher und als abhängige Träger staatlicher Sozialpolitik. Der Buchtitel »Es sollte doch alles besser werden« beschreibt die Spannung zwischen dem Wollen derjenigen, die angetreten sind, Menschen mit Beeinträchtigung das Leben zu erleichtern, und den Verfehlungen, die aus Überforderung, Unkenntnis, mangelnder Empathie zu Schuld gegenüber Menschen geführt haben.

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.04.2022

Inhaltliche Kritik

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Geschehnisse und Entwicklungen aus der Vergangenheit aufzuarbeiten um Fortschritte, neue Aspekte und Weiterentwicklungsmöglichkeiten daraus abzuleiten, ist ein durchaus wichtiges Unterfangen. Das Autorenteam ...

Geschehnisse und Entwicklungen aus der Vergangenheit aufzuarbeiten um Fortschritte, neue Aspekte und Weiterentwicklungsmöglichkeiten daraus abzuleiten, ist ein durchaus wichtiges Unterfangen. Das Autorenteam um den Historiker Prof. H.-W. Schmuhl widmet sich dem Versuch, historisch die Geschehnisse und Strukturen von Einrichtungen mit geistig behinderten Menschen in der Zeit von 1945-1995 aufzuarbeiten, in dem Fall mit Blick auf den Auhof bei Hilpoltstein, einer Einrichtung der Rummelsberger Anstalten. Dieser Zeitraum sind immerhin fünfzig Jahre, in denen sich gesellschaftlich enorm viel wandelte, was auch ein bücherschreibender Historiker unbedingt im Blick haben sollte.
Im Auhof wurde Anfang der 70-er Jahre eine Fachschule für Heilerziehungspflege gegründet, an der ich selbst auch von 1974-1977 die dreijährige berufsbegleitende Ausbildung machte.
Ein Schwerpunkt von Prof. Schmuhl scheint zu sein, zwei bestimmte Theorien (siehe weiter unten) auf den Auhof insgesamt zu übertragen und eher Negatives zusammenzutragen. Das bestätigt sich immer wieder in den entsprechenden Kapiteln.
Das sehen Zeitzeugen von damals allerdings ganz anders: Nach Erscheinen des Buches musste sich das Autorenteam von einer größeren Gruppe von damals (70-er Jahre) Mitarbeitenden, die sich daraufhin zusammenschlossen, einige Kritik gefallen lassen, die im Wesentlichen in folgende Punkte mündete:
Der Titel:
Erst einmal ist der Titel negativ und sehr suggestiv, denn er sagt bereits aus, dass eben nichts besser geworden wäre. Aber gerade diese Jahre seit Gründung der Fachschule waren ein großer Aufbruch, viele junge Menschen kamen zur Ausbildungsstätte Auhof, auch ohne konfessionelle Bindung, auch konnten Zivildienstleistende die Teilausbildung von einem Jahr machen – ein für damalige Verhältnisse sehr offener und fortschrittlicher Ansatz. Im Übrigen ist der Titel ohnehin irreführend und stammt als einziges Zitat aus einem Interview – und wurde ungeprüft als Buchtitel übernommen!
Medikamentenverordnungen:
Ein Kapitel beschäftigt sich mit Medikamen-tenverordnungen des damaligen leitenden Arztes. Dieser duldete allerdings keine Nachfragen oder gar Kritik. Anhand eines exemplarischen Falles werden der Skandal und der Übergriff seitens einer Autorität deutlich. Daraufhin ging dies auch durch die regionale Presse und ist sicher ein Hinweis, wie wichtig dieser Punkt ist zur Aufarbeitung für die Rummelsberger Anstalten.
Lieblingstheorien des Autors:
Leider weist das Buch auch Schwächen, Ungenauigkeiten und teils schwerwiegende Fehler auf. So scheint es ein Auftrag von Hr. Schmuhl zu sein, seine Vorlieben für die Thesen der ‚totalen Institution‘ auch auf den Auhof zu übertragen und dort fündig zu werden. Der Begriff stammt von Goffman, der in den 50-ern in kanadischen Einrichtungen mit extrem hohen Gewaltvorkommnissen Erfahrungen sammelte und auswertete. Schmuhl arbeitet nur mit den Begriffen von Goffman ohne andere Modelle der Einrichtungsanalyse auch nur zu erwähnen. Und Goffman ist für Einrichtungen der Behindertenhilfe völlig ungeeignet.
Noch eine favorisierte Theorie:
strukturelle Gewalt. Es entsteht der Eindruck, dass der Autor darauf aus ist, „Gewalt“ aufzuspüren, um seine (auch nur übernommene) These vom Auhof als totaler Institution zu begründen. Jeder kleinste und oft aus dem Zusammenhang gerissene Hinweis auf Gewalt ordnet er entsprechend seinem offenkundig vorgefassten Konzept ein und berücksichtigt dabei zu wenig oder garnicht die verschiedenen Phasen in der Entwicklung des Auhofs und seines zeitgemäßen Konzeptes.
Strukturelle Gewalt war/ist ein grundlegendes Problem in vielen Einrichtungen solcher Art. Nur wird hier nach einem Muster vorgegangen, das dem Auhof -und dessen Mitarbeiter:innen in jener Zeit generell übergestülpt wird. Dazu dienten (ungefragt) interne Gruppenbücher einer bestimmten Gruppe (einer einzigen im ganzen Auhof) mit hohem Anteil schwerst geistiger Behinderung und schweren autistischen Persönlichkeitsstörungen und aus dieser schwierigen Arbeit entstandene Gewaltvorkommnisse. In seinen Ausführungen verallgemeinert er unzulässig die Probleme einer einzelnen Wohngruppe. Die Quellenlage dazu ist äußerst dünn: Die Aufzeichnungen einer einzigen Wohngruppe werden für 16 weitere Gruppen verallgemeinert, was keinesfalls guter wissenschaftlicher Arbeit entspricht!
Auch eine bestimmte Fotoauswahl ist sehr fragwürdig und teils persönlichkeitsverletzend.
Bei mehrfach nicht nachzuvollziehenden Schlussfolgerungen, die zu einer ungerechtfertigten Schuldzuweisung an die Behinderteneinrichtung führen, muss die Frage gestellt werden, ob der Autor als Historiker oder Soziologe über die fachliche Kompetenz verfügt, über Bedingungen der Entwicklung schwerer, multipler Störungen bei Kindern zu urteilen. Es findet sich keinerlei pädagogische Kompetenz bei den Autoren, die Berichte und Aufzeichnungen werden nicht fachlich kompetent bewertet.
Die Verfasser:innen der Berichte kommen nicht zu Wort und können die damalige Situation nicht erläutern.
Nicht thematisiert wird, was nicht ins anscheinend vorgefasste Konzept passt, nämlich dass Maßnahmen entwickelt, erprobt und durchgeführt wurden, um die Kinder und Jugendlichen menschenwürdig zu betreuen und zu behandeln und ihnen trotz ihrer (oft schweren) Behinderung ein erfülltes und soweit möglich selbständiges Leben zu ermöglichen. Völlig ignoriert wird, dass der Auhof in den 70-er Jahren im Gesamtbild eine für diese Zeit moderne und sogar vorbildliche Einrichtung war.
Mehrere Kapitel sind aber voll von negativen Vorurteilen gegen die Arbeit des Auhofs mit behinderten Kindern und Jugendlichen und teils in sich widersprüchlich. Die pauschale, über mehr als 50 Jahre gültige Zuschreibung, dass es sich beim Auhof um eine „totale Institution“ im Sinne von Goffman handle, ist unzutreffend und gegen eine ganze Generation von damals Mitarbeitenden gerichtet.
Die erwähnte Mitarbeitenden-Gruppe setzte sich übrigens nach einer öffentlichen Stellungnahme mit dem Autorenteam in einer Diskussion zusammen, in der detailliert auf diese Fehler hingewiesen wurde – die zumindest in einer eventuellen Neuauflage unbedingt berücksichtigt, ausgebessert oder auch teils gestrichen werden müssten.
Fazit:
Das Buch eignet sich nicht als Quelle für wissenschaftliche Arbeiten. Wer dieses Buch u.U. als Quellenangabe für eigene Arbeiten zum Thema nutzt, bekommt ein falsches oder zumindest unzulängliches Bild.
Rainer Wenzel, Nürnberg, Heilerziehungspfleger (Ausbildung an besagtem Auhof)

Die Schilderungen und Analysen im Kapitel „Alltag und Gewalt in der Behindertenhilfe“ stimmen mit der historischen Realität im Auhof der 70-er Jahre nicht überein. Weder Lebensform und Lebenssituation der Bewohner noch die Zusammensetzung und Motivation der Mitarbeiter/-innen noch die Einrichtungsstruktur werden zutreffend dargestellt. Der Autor Prof. Schmuhl beschreibt den Auhof und parallel dazu die gewalttätige „totale Institution“ nach Goffman, ohne andere Modelle der Einrichtungsanalyse auch nur zu erwähnen. Und Goffman ist für Einrichtungen der Behindertenhilfe völlig ungeeignet.
Für die unbefangenen Leser:innen entsteht so der falsche Eindruck, die Merkmale der totalen Institution träfen für den Auhof auch nach 1973 zu. Der Autor verneint das zwar an anderer Stelle, aber leider wird das Missverständnis im Buch nicht aufgelöst. So eignet es sich nicht als zitierfähige Grundlage weiterer wissenschaftlicher Arbeiten.
Hans Ordnung, Hilpoltstein (Diplom-Pädagoge)