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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.07.2018

Mitten hinein in das Geschehen...

Die Welt im Viertel
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Cord Buch hat einen „Sprung“ hinein in die Ereignisse vom Sommer 2017 während des G20-Gipfels in Hamburg gewagt: perfekt gelungen, Punktlandung…
Nach „Mord im Viertel“ war „Die Welt im Viertel“ mein zweiter ...

Cord Buch hat einen „Sprung“ hinein in die Ereignisse vom Sommer 2017 während des G20-Gipfels in Hamburg gewagt: perfekt gelungen, Punktlandung…
Nach „Mord im Viertel“ war „Die Welt im Viertel“ mein zweiter Krimi von Cord Buch, wobei ich denke, man kann die Bücher auch ohne Vorkenntnisse lesen. Für mich war es aber ein Wiedertreffen mit „guten alten Bekannten“: Hauptkommissar Jensen, die Journalistin Nele, ihren Lebensgefährten Tjark, Neles Sohn Cairo und dessen Freunde… und last but not least die Geranie auf Neles Fensterbank…
Der Autor verbindet die tatsächlich belegten Ereignisse in Hamburg mit einem – zum Glück fiktiven – Mord an einer Polizistin und dem Tod eines Freundes von Cairo während einer Demonstration (da dies im Klappentext steht, verrate ich hier kein Geheimnis) zu einem Krimi. Der Schreibstil ist lebendig und gut lesbar, die Ereignisse sind „protokollhaft“ festgehalten.
Nele und Kommissar Jensen gehen mit unterschiedlicher Motivation und fast gegensätzlichen Ansätzen an die Klärung – und nehmen uns Leser dabei mit! Ich musste jedoch immer wieder feststellen: einige meiner „Spuren“ (und Verdächtige) enden in Sackgassen, so dass ich bis zum Ende keine „Vorahnung“ spürte…
Außer dem Krimi beschreibt Cord Buch die Stimmung der damaligen Tage sehr eindrucksvoll und nachvollziehbar, ich hatte teilweise das Gefühl, mich fast im Zentrum des Geschehens, „im Viertel“, zu befinden!
Mir persönlich haben auch die Einschübe zu Beginn der Kapitel (Tage) sehr gut gefallen, z.B. die Situation eines Arbeiters auf einer Abwrackwerft in Chittagong / Bangladesch oder die Existenzängste eines Ehepaares aus Monrovia / Liberia, deren Lebensunterhalt durch den Import von Geflügelteilen aus Deutschland fast lebensbedrohlich gefährdet ist. Ich habe diese Einschübe dahingehend interpretiert: was bringt ein G20-Gipfel diesen Menschen aus Bangladesch, Liberia, Äthiopien usw. für Verbesserungen ihrer Lebensqualität?
Ich habe mich durch dieses Buch sehr gut unterhalten gefühlt, ich fand es spannend, aber es hat mich auch zum Nachdenken angeregt – wer diese Kombination gern liest, sei es wirklich wärmstens empfohlen!

Veröffentlicht am 01.07.2018

Eine Zeitreise nach Berlin während der Weimarer Republik

Heute keine Schüsse
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So macht Geschichte richtig Spaß und ist anregend, interessant uns spannend... Brigitte Krächan ist mit ihrem Buch "Heute keine Schüsse" ein Coup gelungen: durch die sehr gut gelungene Verknüpfung der ...

So macht Geschichte richtig Spaß und ist anregend, interessant uns spannend... Brigitte Krächan ist mit ihrem Buch "Heute keine Schüsse" ein Coup gelungen: durch die sehr gut gelungene Verknüpfung der historischen Ereignisse mit dem (fiktiven) Tagebuch von Walter Schachtschneider bekommen die - teils - bekannten Fakten und Daten der Zeit bis 1933 eine menschliche Komponente. Wir erfahren die Auswirkungen der Politik auf verschiedene Familien, wir erleben ihr Denken und Fühlen ganz "hautnah".
Ich habe durch dieses Buch erstmals richtig "begriffen", wie verschieden die Reaktionen, Hoffnungen und Wünsche, Befürchtungen und Ängste der Menschen nach dem 1. Weltkrieg und der Abdankung des Kaisers: " Seine Majestät der Kaiser und König haben sich entschlossen, dem Throne zu entsagen" und der Ausrufung der Demokratie: " Es lebe das Neue. Es lebe die deutsche Republik" (beide Zitate vom 9.11.1918, S. 72) waren.
Wir erleben z.B. mit, welche einschneidenden Veränderungen die Reparationszahlungen auf die Bevölkerung hatte, wir erfahren, wie es sich anfühlt, wenn ein Brot 4,5 Millionen Mark kostet. " Ein Brot für ein Wäschekorb voll Geld" (S. 175).
Wir sehen selbst, wie und warum die NSDAP (und Hitler) erst langsam und schleichend, später dann rasant und offen in der "Mitte der Gesellschaft" ankommt. Dieser Aspekt hat mich persönlich besonders betroffen gemacht: bisher hatte ich den Wahlerfolg Hitlers 1933 als "Entgleisung" der deutschen Geschichte mit Unverständnis betrachtet, jetzt muss ich feststellen, dass die Weimarer Republik mit ihren ständigen politischen "Querelen" eine Politikverdrossenheit hervorgerufen hat, die einem "starken Mann" den Boden bereiten konnte - eine Warnung an die heutigen Entwicklungen!
Beeindruckt und nachdenklich gemacht hat mich ein Zitat der Autorin auf dem Klappentext: " Ich habe mich oft gefragt, was wir aus der Geschichte gelernt haben und ob es uns gelingen wird, das Gelernte auch anzuwenden." Ja, das frage ich mich nach der Lektüre dieses Buches auch...
Jedem. der sich für die deutsche Geschichte interessiert, wird dieses Buch von mir wärmstens empfohlen und ich will hier eine ganz deutliche Leseempfehlung aussprechen!

Veröffentlicht am 14.06.2018

Vom Tortenwurf zum Mord - ostfriesische Mentalität?

Wem Ehre gebührt
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"Wem Ehre gebührt" ist der 2. Krimi von Rainer Kottke - ich kannte den 1.Band nicht, habe aber sehr schnell und ohne Probleme die Personen kennen (und lieben-) gelernt.
Jo Buskohl ist eigentlich Musiker ...

"Wem Ehre gebührt" ist der 2. Krimi von Rainer Kottke - ich kannte den 1.Band nicht, habe aber sehr schnell und ohne Probleme die Personen kennen (und lieben-) gelernt.
Jo Buskohl ist eigentlich Musiker einer Band, hat sich aber vor kurzem als Detektiv selbstständig gemacht. Sein Hauptauftraggeber
ist das Leeraner Modehaus Göttberg, dessen Inhaber auch gleichzeitig der Vater von Jos Freundin Constanze ist.
Aber nun hat Jo einen Auftrag "an Land gezogen", der nicht mit dem Göttberg in Zusammenhang steht: ein ehrenwerter Leeraner Bürger hat festgestellt, dass verfängliche und pikante Fotos seiner kürzlich verstorbenen Tochter im Intenet kursieren. Sein Verdacht fällt auf seinen Schwiegersohn, der in Frankreich an der Opalküste lebt. Also kombinieren Jo und Constanze einen Wochenendtrip mit Ermittlungsarbeit.
Zeitgleich fliegen im Göttberg anlässlich einer Lesung die Tortenstücke: der frühere Deutschlehrer des Gymnasiums hat einen Roman geschrieben, der auf dem Weg auf die Bestsellerlisten und zur Hollywood-Verfilmung ist. Diese Lesung findet durch den gut gezielten Wurf der Sahneteilchen (immerhin in der Konditorei vom Göttberg gekauft!) ein jähes Ende... Und der Inhaber ist natürlich empört, dass "sein" Detektiv gerade abwesend ist...
So, aber mehr wird von der weiteren Handlung hier nicht verraten...
Mit Hilfe von Constanze und den Mitgliedern seiner Band gelingt es Jo natürlich, die verschiedenen losen Enden zu einem soliden Handlungsstrang zusammenzufassen - bis hin zum überraschenden Ende. Wenn Jo nicht weiter weiß oder ihn die Selbstzweifel packen - auf sein "Team" ist in jedem Fall Verlass, denn Jo ist ein Mensch mit "Ecken und Kanten", kein mit dem "Mainstream" schwimmender Detektiv...
Rainer Kottke schafft es, uns Leser*innen mit Spannung und einer Prise Humor (manchmal ein kleines Augenzwinkern) durch den Sumpf einer Kleinstadt ("Leer ist überall") mit allen Eifersüchteleien, Intrigen, Animositäten, Konkurrenzkämpfen, Neid und Missgunst zu lotsen - bis hin zu dem oben erwähnten Mord. Aber Jo kann ein positives Netzwerk als Bollwerk dagegen setzen...
Dem Autor ist es gelungen, den Spannungsbogen aufrechtzuerhalten und er beschreibt die Personen so lebendig, dass man das Gefühl hat, sie gestern gerade getroffen zu haben...
Ich hoffe sehr auf einen neuen Fall für Jo (den 1. Band werde ich mir sicher besorgen), aber für dieses Buch spreche ich jetzt schon einmal eine klare Leseempfehlung aus - vielleicht warten wir ja demnächst gemeinsam auf ein neues Werk von Rainer Kottke!

Veröffentlicht am 14.06.2018

Ein Mord in Lower Saxony....

Eine Leiche für Perrot
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C'rysta Winter hat mit "Eine Leiche für Perrot" einen Krimi in allerfeinster Agatha-Christie-Tradition geschrieben.
Frau Winter stellt ihre Akteure liebevoll und detailliert vor (man muss sie alle einfach ...

C'rysta Winter hat mit "Eine Leiche für Perrot" einen Krimi in allerfeinster Agatha-Christie-Tradition geschrieben.
Frau Winter stellt ihre Akteure liebevoll und detailliert vor (man muss sie alle einfach mögen!) vor und beschreibt den Mordschauplatz ("ein historisches Hofgelände, eingebettet in Heidekraut- und
Heidschnucken-Idylle") so intensiv, so dass ich das Gefühl hatte,
Teilnehmerin dieses "Spektakels" zu sein.
Achille Perrot, Enkel des großen Hercule will eigentlich seinen Freund, John Harold Jeff, den Späteren, besuchen. Jeff ist der Enkel des legendären Chief Inspector Japp und getreu der Familientradition in den Polizeidienst eingetreten, allerdings durch die "Liebe in das Land der Heideköniginnen verschlagen".
Anders als sein Großvater bezeichnet sich Achille als " Weltbürger", aber er teilt dessen Vorliebe für makellose Kleidung, blütenweiße Taschentücher und ist stolz auf seine "kleinen grauen Zellen". Mir erschien er auch sehr viel bescheidener als sein Großvater... dafür manchmal auch etwas ungehaltener!
Achile und Jeff müssen den Mord an der "hinreißend schönen" Lady Lucy Atterberry klären, die während ihrer Feier zu ihrem 10. Hochzeitstag (Erneuerung des Eheversprechens) im Beisein der Gäste heimtückisch ermordet wird.
Achille und Jeff befragen Gäste, prüfen Motive, suchen die Mordwaffe - und wir als Leser immer an ihrer Seite. Wir leiden mit Jeff, der sich in der sommerlichen Hitze nach einem dunklen englischen Bier sehnt, wir schütteln gemeinsam mit den beiden unsere Köpfe über ungenaue Zeugenaussagen und wundern uns auch über das merkwürdige Verhalten der Angehörigen... Das Geschehen lädt zum Miträtseln ein...
Kurz vor dem Finale - genau wie sein Großvater versammelt Achille alle Verdächtigen um sich, aber diesmal nicht in einem Salon oder Bibliothek - hatte ich keine "heiße Spur" und tappte wie alle (selbstverständlich außer Achille) noch vollkommen im Dunklen... Nein, auf diesen Täter / diese Täterin und diese Mordwaffe wäre ich nie gekommen!


Ich wurde durch das Buch sehr gut unterhalten, witzige Dialoge, überraschende Wendungen und Auftritte, eine feine (englische?) Ironie und durchweg eine etwas altmodische Sprache runden das Lesevergnügen ab. Dieses Buch ist unbedingt weiterzuempfehlen! Der Satz auf dem Buchumschlag "Der erste Fall des Enkels" lassen mich auf eine Fortsetzung hoffen - ich bin auf jeden Fall dabei!