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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

anrührend und amüsant

Niemand weiß, wie spät es ist
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Noras Vater ist tot. Sein Testament an eine kuriose Bedingung geknüpft: unter notarieller Aufsicht, soll Nora die Urne nach Österreich bringen. Jeweils am Morgen wird das Ziel oder die Richtung bekannt ...

Noras Vater ist tot. Sein Testament an eine kuriose Bedingung geknüpft: unter notarieller Aufsicht, soll Nora die Urne nach Österreich bringen. Jeweils am Morgen wird das Ziel oder die Richtung bekannt gegeben, in die Nora mit ihrer Begleitung laufen soll. Dieser Begleiter, ein junger Jurist ist genauso pedantisch, wie korrekt und zugeknöpft. Ein Grauen für die temperamentvolle, immer etwas chaotische Nora.
Unterwegs erreichen Nora eine Videobotschaft und die täglichen Nachrichten ihres Vaters, endlich spricht er zu ihr, etwas was sie wohl schon lange vermisste. Sie hatten ein gutes, aber auch etwas distanziertes Verhältnis.
Die Reise ist von vielen unvorhersehbaren Ereignissen geprägt. Weder Nora, noch der Jurist Bernhard Petrovits werden nach der Rückkehr ihr altes Leben nahtlos wieder aufnehmen können.
Selten hat mich ein Roman so stark berührt. Ich gestehe, ich konnte manchmal die Tränen nicht wegdrücken, aber gleich danach brachte eine Szene voller Witz und Situationskomik wieder Heiterkeit und Unbeschwertheit in das Buch. Es war eine Achterbahn der Gefühle, auf die ich damit geschickt wurde und nie – wirklich nie – wurde es sentimental oder kitschig. Gerade das hat mich ganz besonders beeindruckt.
Nora und Bernhard, die beiden Hauptpersonen sind natürlich und echt geschildert, haben so viel Lebendigkeit in sich, kein Wunder, dass sie mir so ans Herz gewachsen sind. Trotz der berührenden Thematik wie Tod, Abschied und Trauer ist das ein Buch mit Leichtigkeit und leisem Humor.
Ich habe ein weiteres Lieblingsbuch gefunden.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Der absolute Geschmack

Die Geheimnisse der Küche des Mittleren Westens
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Eva Thorwalds erste Lebenswochen sind von Katastrophen überschattet, auch wenn sie selbst nichts davon ahnt. Ihre Mutter verlässt das Neugeborene und ihren Mann Lars, weil sie sich ein anderes Leben erhoffte. ...

Eva Thorwalds erste Lebenswochen sind von Katastrophen überschattet, auch wenn sie selbst nichts davon ahnt. Ihre Mutter verlässt das Neugeborene und ihren Mann Lars, weil sie sich ein anderes Leben erhoffte. Ihr Vater stirbt nur wenige Wochen später an einem Herzinfarkt. Eva wächst bei Onkel und Tante auf, liebevoll aufgenommen, ahnt sie nicht, dass sie nicht das leibliche Kind der Eltern ist.
Zwar ist Eva die Hauptperson dieses Buches, aber sie ist nicht immer präsent. Nachdem wir in den ersten Kapiteln Eva schlimme Schulzeit und ihre beginnende Leidenschaft für Geschmack, Gerüche und alles was mit Kochen zu tun hat, miterlebt haben, wendet sich die Geschichte anderen Menschen zu.
Vielleicht passt der Vergleich mit einem Baum, Eva bleibt der Stamm, während der Autor kleinere Äste, Zweige und Blätter erkundet. Aber alles ist mit dem Baum, mit Eva, verbunden. Eva bleibt so immer präsent, auch wenn wir sie oft aus anderen Blickwinkeln sehen.
Die Geschichte ist vielschichtig, der Autor ein Erzähler, der ganz in die Rollen seiner Protagonisten schlüpft und darin aufgeht. Man muss sich auf dieses überbordende Erzählen einlassen, nicht nach einer stringenten Handlung suchen, nur dann kann man das Buch mit allen Sinnen genießen.
Ich weiß nicht, ob es mir ganz gelungen ist. Mir hat der Stil, die Sprache und die Idee des Handlungsgerüsts gefallen, trotzdem hatte ich immer das Gefühl: mir fehlt hier etwas, ohne das ich es genau benennen könnte.

Das offene Ende dagegen hat mir gefallen, so bleibt noch Platz für das Weiterspinnen der Geschichte.

Das typische Diogenes Cover ist ein gelungen und passt wunderbar zum Buch.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Maja bringt die Welt in Ordnung

Blonder wird's nicht
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Majas Friseursalon ist ihr Ein und Alles. Zusammen mit ihrem Kollegen Jeremy ist sie für die ganze Nachbarschaft Kummertante und Familienersatz, nur sie selbst bleibt auf der Strecke. So merkt sie gar ...

Majas Friseursalon ist ihr Ein und Alles. Zusammen mit ihrem Kollegen Jeremy ist sie für die ganze Nachbarschaft Kummertante und Familienersatz, nur sie selbst bleibt auf der Strecke. So merkt sie gar nicht, in welch großen Nöten ihr pubertierender Sohn steckt.

Als Tante Ruth ihr noch einen Schützling, die junge Russin Olga als Azubi ans Herz legt, kommt eine Kette wilder Ereignisse in Gang. Olga, die sich selbst für eine begabte, gut aussehende Frau hält, verhunzt ihrem ersten Kunden die Friseur so schrecklich, dass er mit Klage droht. Majas Welt gerät plötzlich mit Orkangewalt aus den Fugen.
Dann kommt allerdings Hilfe aus einer ganz unerwarteten Richtung, nicht nur das Tante Ruth immer wieder mit einer Weisheit aus dem Glückskeks zur Stelle ist, auch Alexander von Maybach, der bitterböse Kunde mit der verhunzten Frisur entwickelt ganz ungeahnte Talente.
Das Buch legt ein furioses Tempo vor, die Ereignisse, genau wie die Kalauer, überschlagen sich. Das ist gekonnt, Ellen Berg weiß was ihre Leserinnen wünschen und gibt es ihnen reichlich. Einige der schlagfertigen Sprüche ihrer „Helden“ muss man sich direkt aufschreiben (Deine Sportarten: Nachtragen und vorwerfen uvm)

Das alles ist Geschmackssache. Für mich war es von allem zu viel!

Aber man kann sich darüber amüsieren, wenn die Handlung Purzelbäume schlägt. Genauso schnell wie das Tempo der Geschichte ist das Buch auch durchgelesen. Wenn man haarsträubende Katastrophen und genauso haarsträubende Auflösungen mag und sich darüber amüsiert und nicht allzu viel Wert auf Logik oder Realität stellt, dann wird man mit dem Buch bestens unterhalten.


Ein routiniert geschriebenen Unterhaltungsroman, der allen Ellen Berg Fans gefallen wird und da alle ihre Bücher Bestseller werden, hat sie wohl auch einen Nerv getroffen. Aber wie gesagt, das ist Geschmackssache. Für mich wäre etwas weniger Dramolett und Nonsens mehr gewesen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Montalban gerät in Versuchung

Das Labyrinth der Spiegel
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Wenn man den 23. Band der Montalbano Krimis liest, bleibt es nicht aus, dass man den Commissario wie einen alten Freund kennt. Man weiß um seine kulinarischen Vorlieben, geht fast täglich mit ihm zur Trattoria ...

Wenn man den 23. Band der Montalbano Krimis liest, bleibt es nicht aus, dass man den Commissario wie einen alten Freund kennt. Man weiß um seine kulinarischen Vorlieben, geht fast täglich mit ihm zur Trattoria von Enzo und anschließend zur Mole, um über das Alter zu sinnieren. Ich amüsiere mich über die altbekannten Namensverballhornungen des Catarella oder die Leidenschaft des Fazio alle Personen bis in die dritte Generationen zu verfolgen und ärgere mich über die immer gleichen Telefonate mit Lydia, aber trotzdem bin ich immer wieder fasziniert, wie Andrea Camilleri aus einigen Puzzlestücken einen logischen spannenden Kriminalfall aufbaut.
Zwei Sprengstoffattentate vor leer stehenden Lagerräumen, ein – zwei anonymen Briefe, einer Nachbarin, die Montalbano schöne Augen macht und einem jungen attraktiven Damenmodeverkäufer, das sind die Eckpunkte die dem Commissario zu schaffen machen. Er fühlt sich wie in einem Spiegellabyrinth gefangen, was ist echt und was ist Schein? Er ist ein wenig müde geworden, kokettiert mit seinem Alter, aber wenn es darauf ankommt, funktioniert sein Scharfsinn, genau wie seine Reflexe.
Schnell wird ihm klar, dass seine Nachbarin Liliana ganz eigene Interessen verfolgt und ihn aus Berechnung umgarnt, aber er macht das Spiel mit und spielt auch gleichzeitig mit dem Feuer, denn den Reizen einer schönen Frau kann Montalbano nur schwer widerstehen.
Camilleri ist ein Könner, er schreibt elegant und vermittelt so wunderbar die Stimmung Siziliens, dass ich sofort hinreisen möchte. Mich verwundert, dass er es auch noch nach so vielen Büchern um Commissario Montalbano schafft, den Leser zu fesseln, auch wenn sich in diesem Band die Spannung erst spät aufbaut. Aber umso überraschender sind die Haken, die geschlagen werden, bis sich aus einigen scheinbar ganz verschiedenen Ereignissen eine logische Auflösung ergibt.
Wenn Krimi Reihen anwachsen, lässt oft die Qualität und die Originalität nach, aber nicht so bei Camilleri. Lediglich die häufigen Wiederholungen seiner kulinarischen Vorlieben und die täglichen Streitereien mit Lidia am Telefon finde ich allmählich störend.

Trotzdem: ich habe bisher alle Bände gelesen und werde auch in Zukunft keinen verpassen.



Veröffentlicht am 15.09.2016

Bemerkenswertes Debüt

Die Zisternenleiche
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Skandaljournalistin Simone Kundra gefunden, sie war offensichtlich einem Skandal auf der Spur. Es ging um Mauscheleien beim Autobahnbau. Aber so einfach ist es nicht, Simone Kundra hatte als Kind viele ...

Skandaljournalistin Simone Kundra gefunden, sie war offensichtlich einem Skandal auf der Spur. Es ging um Mauscheleien beim Autobahnbau. Aber so einfach ist es nicht, Simone Kundra hatte als Kind viele Jahre die Sommerferien im Ort verbracht, war als Jugendliche dort in einen tragischen Unfall mit Todesfolge verwickelt, der ihre Cousinen Lili und Helene Meister als Todfeindinnen zurückließ.
Frau Oberstleutnant Dr. Schamburek übernimmt die Ermittlungen. Die Dame ist genauso furchterregend wie ihre Titel, ihr Kleidungsgeschmack würde einem Kasperltheater alle Ehre machen und ihr Umgangston mit Untergebenen ist legendär. Eine Mistfuchtl eben, wie ihr Assistent Schaller konstatiert.
Das ist ein exzellenter Regionalkrimi, witzig, voll Situationskomik und skurriler Personen, aber er verliert sich nicht im Ulk. Es ein ernster und spannender Kriminalfall, den die Beamten bearbeiten. Gier, Hass und Rachsucht sind universell, hier werden sie aber durch die Enge einer Kleinstadt besonders deutlich. Manche Figuren wirken überzeichnet, einer Frau Oberst Dr. Schamburek möchte ich nicht gern begegnen, aber sie sind trotzdem nicht eindimensional dargestellt. Jeder Charakter hat Tiefe und ist menschlich. Es ist alles sehr realistisch, die Verflechtungen von Politik und Geld, Filz und Verwaltung finden sich schließlich überall und menschliche Tragödien sind nicht auf die Hauptstadt beschränkt.
Die Autorin findet einen prägnanten Ton, sie flicht Dialekt-und Regionalausdrücke ein, wo es passt, überzieht aber nie. Die Spannung bleibt das ganze Buch durch gleichbleibend hoch, auch wenn der Plot immer wieder einen Haken schlägt. Alte Rache oder neue Geschäfte, auch die Nähe zum alten Ostblock sollte man nicht außer Acht lassen, der Leser kann bis zum Schluss rätseln.
Mein Fazit: eine gute Entdeckung, ein Regionalkrimi nicht nur für Ösi-Fans, die sicher sofort hinter dem Ortsnamen Nadram die hübsche Stadt Weitra erkennen.