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Veröffentlicht am 15.11.2023

Familiengeschichte mit aktueller Thematik

Du hast mir nie erzählt
2

Ich muss zugeben, dass mich das Cover mit seinem schreienden Pink eher abgeschreckt hätte in einem Buchladen. Das wäre sehr schade gewesen, denn es ist ein sehr gelungenes, bewegendes und nachdenklich ...

Ich muss zugeben, dass mich das Cover mit seinem schreienden Pink eher abgeschreckt hätte in einem Buchladen. Das wäre sehr schade gewesen, denn es ist ein sehr gelungenes, bewegendes und nachdenklich machendes Buch. „Du hast mir nie erzählt“ ist die Geschichte einer Mutter und einer Tochter in verschiedenen Zeiten. Sook-Yin wird in den 60er Jahren von Hongkong nach London geschickt. Knapp 30 Jahre später reist ihre Tochter Lily von London nach Hongkong um mehr über das Leben ihrer verstorbenen Mutter herauszufinden. Die Lesenden begleiten abwechselnd Sook-Yin in ihrem Werdegang und Lily auf ihrer Suche nach der verstorbenen Mutter, an die sie sich nur wenig erinnern kann.

Sook-Yin, von ihrem unmöglichen Bruder weggeschickt, versucht in London Fuß zu fassen und ist häufig Rassismus ausgesetzt. Trotz aller Widrigkeiten, geht sie ihren Weg, ist engagiert, packt an und schafft es immer wieder, Arbeit zu finden und Geld zu verdienen. Am Anfang habe ich lange gebraucht, einzuordnen, warum sie alle für dumm halten (einschließlich ihr selbst) und sie dann aber z.B. so schnell Englisch lernt. Genauso ungerecht ist ihr Rausschmiss aus der Ausbildung, da sie offensichtlich alles kann und nur an der Prüfungssituation und der Sprache scheiterte.

Ihre Tochter Lily hatte in der Vergangenheit mit psychischen Problemen zu kämpfen. Als sie einen Brief aus Hongkong wegen einer Erbschaft erhält, nimmt sie das zum Anlass, mehr über ihre Mutter zu erfahren, über die ihr Vater und ihre ältere Schwester immer geschwiegen haben. Da sie viel asiatischer aussieht als ihre Schwester ist auch sie ihr Leben lang mit Rassismus und Ausgrenzung konfrontiert. An ihrer Figur wird gezeigt, wie lange sich Traumata durch Familiengeheimnisse, Totschweigen und Ausgrenzung - oft bis in die nächste Generation - halten. Auch in Hongkong läuft es zunächst nicht so gut. Sie ist in beiden Kulturen die Außenseiterin, an beiden Orten die ungewollte Fremde.

Wiz Wharton schafft es mit ihrem angenehmen, aber eindringlichen Schreibstil sehr genau, die Gefühle der beiden Frauen und ihren Kampf gegen die äußeren Umstände zu vermitteln. Beim Lesen schwankte ich immer zwischen Mitleid und Respekt für die beiden sowie Kopfschütteln über die unmöglichen Familienmitglieder, die beiden das Leben einfach nur schwer machen. In den Text sind viele Vergleiche und kluge Beobachtungen eingeflossen, die die Lesenden zum Nachdenken animieren. Die Autorin hat ein gutes Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen und deren Beschreibung. Besonders die ambivalente Beziehung der Schwestern untereinander finde ich sehr gelungen dargestellt. Die Darstellungen des Rassismus legen nahe, dass die Autorin aus Erfahrung schreibt. Auch die Schilderungen zur Rückgabe Hongkongs an China sind sehr differenziert dargestellt, sodass ich einen guten Einblick gewonnen habe, wie es zu der Zeit gewesen sein könnte. Zudem erhalten die Lesenden Einblick in die hongkongische Kultur. Vielleicht hätte eine kurze Einleitung zum Chinesischen dem Buch gutgetan: wann und warum benutzt man ah-... z.B. Dadurch hatten viele Figuren mehrere Namen, was mich zunächst etwas verwirrte.

Es ist ein sehr gelungenes Buch mit einer aktuellen Thematik, obwohl es in der Vergangenheit spielt.

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Veröffentlicht am 03.10.2023

Suche nach Freiheit

Die Glücksfrauen - Der Geschmack von Freiheit
2

„Die Glücksfrauen - Der Geschmack von Freiheit“ von Anna Claire ist der Auftakt einer Reihe über drei Freundinnen, die der Krieg trennt und die alle aus unterschiedlichen Gründen aus ihrer Heimat fliehen ...

„Die Glücksfrauen - Der Geschmack von Freiheit“ von Anna Claire ist der Auftakt einer Reihe über drei Freundinnen, die der Krieg trennt und die alle aus unterschiedlichen Gründen aus ihrer Heimat fliehen müssen.

Das Cover ist sehr ansprechend gestaltet und durch die goldenen Blätter auch haptisch interessant. Das Motiv passt zum Inhalt des Buches und vermittelt den Aufbruch in die Freiheit für die Protagonistin Luise.

Die Geschichte verläuft auf zwei Zeitebenen, in der Gegenwart und in den 30er Jahren. Während des Aufstiegs der Nazis in Deutschland beginnen die Freundinnen Luise, Maria und Anni über Auswanderung nachzudenken. Während Luise sich im Widerstand engagiert und Maria als Jüdin gefährdet ist, führt Anni eine Beziehung mit einem Nazi-Soldaten. Es entsteht der Traum von einem gemeinsamen Restaurant in Amerika, für das alle Freundinnen Geld zusammenlegen. Letztendlich verlieren sie sich aus den Augen.

In der Gegenwart wird Luises Enkelin June testamentarisch damit beauftragt, die Freundinnen oder deren Nachkommen zu ermitteln und ihnen ihren Anteil am Restaurant zu übergeben. Sie beginnt, das Leben ihrer Großmutter anhand von Briefen und Tagebucheinträgen nachzuvollziehen. Im Laufe des Buches hat mich immer mehr gewundert und teilweise auch gestört, dass June fast nichts über ihre Großmutter weiß, bei der sie aufgewachsen ist. Insbesondere wusste sie nicht einmal, dass Luise ursprünglich aus Deutschland ist und wie ihr Großvater heißt. Sie fängt – wie die Lesenden des Buches – mit nichts an. Das mag der Spannungsführung im Roman zuträglich sein, aber realistisch ist das nicht.

Obwohl sich die Geschichten von Luise und ihrer Enkelin leicht parallel entwickeln, erschien mir die Vergangenheit interessanter. Sie war insgesamt aufwändiger beschrieben als die Gegenwart, sodass June eher das vereinende Element ist, das die drei Frauen und ihre Geschichten verbindet. Luises Weg wird spannend und glaubwürdig geschildert: ihre Flucht nach Amerika, die Überfahrt mit dem Schiff, die Ängste der Auswandernden, der gnadenlose Einwanderungsprozess.

Der Erzählstil des Buches ist beschreibend, flüssig und eindringlich. Ich konnte mitfühlen und nachempfinden. Es geht um eine Liebesgeschichte, Emanzipation, Tatkraft und die tolle Gemeinschaft der Exilfrauen in Amerika. Am Rande natürlich auch um Nationalsozialismus und den Widerstandskampf. Das Buch zeigt anschaulich, was erzwungene Auswanderung mit einem Menschen machen kann: Luise geht ihren Weg, wird erfinderisch und ist motiviert, während ihr Partner Richard es schwer hat, sich an das neue Leben zu gewöhnen und depressiv wird.

Das Hauptthema des Buches ist die Schuld, die Luise ihren Freundinnen gegenüber empfindet, obwohl nicht ganz klar ist, warum sie sich schuldig fühlt: ist es eher abstrakt, weil sie es geschafft hat, zu entkommen und sich etwas aufzubauen und bis an ihr Lebensende nicht erfahren hat, was aus ihren Freundinnen geworden ist, oder ist es etwas ganz Konkretes? Am Ende bleiben noch Fragen offen, die hoffentlich im Laufe der Reihe noch geklärt werden, wenn die Geschichten der beiden Freundinnen beleuchtet werden.

Mein Fazit zu „Die Glücksfrauen - Der Geschmack von Freiheit“ ist sehr positiv. Es hat mir viel Spaß gemacht, das Buch zu lesen und ich freue mich auf die beiden weiteren Teile der Reihe.

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Veröffentlicht am 08.08.2023

Wissenschaftsthriller mit tödlichem Erreger

Toxin
4

"Toxin" ist ein mikrobiologischer Wissenschafts-Thriller, der sich vor allem um die Folgen der Klimakatastrophe dreht. Durch den fortschreitenden Klimawandel taut der Permafrostboden in Alaska auf, die ...

"Toxin" ist ein mikrobiologischer Wissenschafts-Thriller, der sich vor allem um die Folgen der Klimakatastrophe dreht. Durch den fortschreitenden Klimawandel taut der Permafrostboden in Alaska auf, die Kadaver einer Karibuherde gelangen an die Oberfläche und mit ihnen auch ein konservierter tödlicher Anthrax-Stamm. Jahre später verschwindet ein Forscher, der mit Hilfe dieses Erregers ein Krebsmedikament entwickeln will und in Berlin sterben zwei Obdachlose an Milzbrand.

Nach einer längeren Einleitung, die vor allem die handelnden Personen einführt und die Grundzüge der Klimaproblematik darlegt, nimmt der Thriller schnell an Spannung zu. Die Autorinnen vermischen hierbei immer wieder die fiktive Handlung mit umfangreich recherchierten wissenschaftlichen Fakten und aktuellen Debatten um die Klimakatastrophe und gesellschaftliche Ungleichheiten. Der Erzählstil ist flüssig, spannend und zum Ende hin immer temporeicher. Die wissenschaftlichen Grundlagen werden verständlich erklärt und unterstützen die Handlung. Besonders der Bezug zu aktuellen Themen gemischt mit dem wissenschaftlichen Hintergrund und einer spannenden Geschichte inklusive überraschender Wendungen hat mir an diesem Buch gefallen.

Auch ohne den ersten Teil um die Hauptfiguren Nina Falkenberg und Tom Morell gelesen zu haben, ist dieser Thriller gut verständlich und liefert die fehlenden Informationen aus "Probe 12" wo es nötig ist. Über den Hintergrund der meisten Nebenfiguren erfährt der Leser nicht viel.

Ich habe mich durch die Lektüre von "Toxin" gut unterhalten gefühlt und würde auch weitere Bücher von den Autorinnen lesen.

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