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Veröffentlicht am 04.09.2025

Zwei Schwestern in Sarajevo

Der Sohn und das Schneeflöckchen
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"Der Sohn und das Schneeflöckchen" ist der Debütroman der deutsch-bosnischen Schauspielerin und Autorin Vernesa Berbo. Als ich diesen großartigen Roman gelesen habe, konnte ich kaum glauben, dass das ihr ...

"Der Sohn und das Schneeflöckchen" ist der Debütroman der deutsch-bosnischen Schauspielerin und Autorin Vernesa Berbo. Als ich diesen großartigen Roman gelesen habe, konnte ich kaum glauben, dass das ihr allererstes Buch sein soll: so spannend geschrieben, so authentische Figuren, denen man sich nahe fühlt und mit denen man mitfiebert, vor einem zutiefst bestürzenden und tragischen Hintergrundsetting, das vom ersten Augenblick an lebendig wird.

Ich habe nun beim Lesen mehrere Tage innerlich mit der Autorin und ihren Figuren im besetzten Sarajevo der 1990er Jahre verbracht und bin zutiefst berührt. Das Thema ist kein neues für mich, ich habe selbst kurz nach dem Krieg diese Gegend mehrmals bereist, mit vielen Menschen darüber gesprochen und spreche die Sprache(n). Und doch schreibt Vernesa Berbo in einer Art darüber, die mich noch einmal auf eine neue Art und Weise zutiefst im Herzen erreicht hat.

Während es in den 1990er Jahren in vielen Ländern Europas unglaublichen Wohlstand, Demokratie, Freiheit und Frieden gab, Deutschland sich wiedervereinigte und die Tschechoslowakei sich friedlich in zwei neue Länder aufspaltete, tobte am Balkan ein erbarmungsloser Bürgerkrieg, von dem Bosnien-Herzegowina und insbesondere Sarajevo besonders schwer betroffen war. Die Stadt liegt in einem Tal, umgeben von Bergen, und war ein Musterbeispiel für das multiethnische und multireligiöse Jugoslawien, in dem Serben, Kroaten, Bosnier, Roma, Juden und weitere Nationalitäten und Religionsangehörige friedlich zusammenlebten, miteinander befreundet waren, zusammen arbeiteten, nebeneinander lebten und sogar einander heirateten. Wer was war, das spielte lange keine Rolle, so dachten viele Menschen... bis es auf einmal anders war.

Sarajevo wurde mehrere Jahre lang belagert, in den Bergen lauerten unzählige Scharfschützen, die auf die Menschen zielten, sobald sie auf der Suche nach Nahrung oder Wasser ihre zerstörten Häuser verließen. Menschen wurden verschleppt, vergewaltigt, umgebracht. Und lange gab es für die Eingekesselten kaum eine Möglichkeit, die Stadt zu verlassen und zu fliehen.

Wir erleben die Zeit vor dem Krieg, die Belagerung aus Sarajevos und die Perspektive dreißig Jahre später durch die Augen zweier Schwestern: die ältere Dijana, immer schon tough gewesen und von ihrem Vater "Sohn" genannt, und ihre geliebte Familie und Heimat verteidigen, wird sich als Freiwillige den Soldaten anschließen, in die Wälder gehen und für Sarajevo kämpfen. Suada hingegen, genannt "Dada", wirkt zarter und zerbrechlicher, wird deshalb "Schneeflöckchen" genannt. Die Schwestern lieben sich inniglich und doch wird der Krieg vieles mit sich bringen, das das Potential in sich trägt, sie voneinander zu entfernen.

Das Buch hat über 400 Seiten, durch die ich nur so geflogen bin. Ich konnte es kaum aus der Hand legen, so gut geschrieben und spannend war die Lektüre und so sehr habe ich mit den Schwestern, den anderen Menschen im belagerten Sarajevo und ihrem Schicksal mitgefiebert. Trotz der tragischen Hintergrundkulisse ist es nicht nur ein trauriges Buch, sondern auch voll Humor, Warmherzigkeit und berührender Momente zwischenmenschlicher Begegnungen. Es ist ein großartiges Buch zu einem äußerst wichtigen Thema, das zu Unrecht viel zu wenig Platz im Bewusstsein vieler Europäerinnen und Europäer hat.

Es geht auch um das sehr wichtige Thema Trauma und innere Abspaltung, die es mit sich bringen kann, Täter/in oder Opfer zu werden, und um die Frage, ob und wie wir uns dabei unseren innersten Kern bewahren können. Damit haben beide Schwestern auf ihre Weise zu kämpfen, diese Stelle zeigt, was Dijana vermittelt wird, als sie sich entscheidet, mit der Waffe, die sie "Jana" nennt, um ihre Heimatstadt zu kämpfen:

"Jana denkt für dich, sie entscheidet für dich, sie tötet, nicht du. Ohne Waffe bist du wieder das friedliche Wesen von früher, unschuldig, gut, das Wesen, das liebt und beschützt. Du verteidigst nicht nur unsere Frontlinie und dein nacktes Leben, sondern auch dieses unschuldige Wesen, du bewahrst es für später, als Reserve, damit du, wenn du überlebst, weiterleben kannst. Pass auf dich auf, töte nicht aus Lust." (S. 219 im E-Book)

Ich kann dieses großartige Buch allen, die sich für das Thema interessieren nur wärmstens empfehlen, denn es hilft, zu verstehen, wie viel Trauma Menschen aus dieser Zeit bis heute mitschleppen, es lehrt Dankbarkeit für das, was uns in Mitteleuropa erspart blieb und Mitgefühl mit den Menschen in der Ukraine und weiteren Kriegsgebieten, die gerade in diesem Moment ähnliche Traumata erfahren müssen. Persönlich wünsche ich mir weitere Bücher von dieser tollen Autorin, die so gut schreiben kann und so viel zu sagen hat.

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Veröffentlicht am 03.09.2025

Zwei Perspektiven zu Deutschlands Osten

Die neue Mauer
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"Die neue Mauer: ein Gespräch über den Osten" ist genau das, was der Titel sagt: ein Gespräch zweier prominenter Männer - auf der einen Seite der in der DDR aufgewachsene Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, ...

"Die neue Mauer: ein Gespräch über den Osten" ist genau das, was der Titel sagt: ein Gespräch zweier prominenter Männer - auf der einen Seite der in der DDR aufgewachsene Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, auf der anderen Seite der ehemalige Ministerpräsident Thüringens und Linke-Politiker Bodo Ramelow - über vielfältige Themen, die mehr oder weniger mit dem ehemaligen Ostdeutschland und den jetzigen neuen Bundesländern im Osten Deutschlands verbunden sind.

Thematisch lose in einige wenige längere Kapitel gegliedert, unterhalten sich die beiden Männer miteinander über diese Themen, über das, was diese Region ihrer Meinung nach geprägt hat und wie diese Prägungen bis heute nachwirken und sich in Gesellschaft und Politik zeigen. So einige im Buch erwähnte Themen setzen einiges an Vorwissen zur Geschichte der DDR und der Deutschen Einheit sowie zu den Entwicklungen danach voraus. So wendet sich das Buch grundsätzlich an politisch und historisch gut gebildete und interessierte Leserinnen und Leser. Besonders ist, wie sich die beiden Männer in manchen ihrer Ansichten unterscheiden, aber doch immer in einem wertschätzenden und offenen Dialog miteinander bleiben - etwas, das in der heutigen Zeit selten geworden ist und umso mehr wert ist, erwähnt und bewahrt zu werden.

Inhaltlich geht es um die DDR-Zeit, um die Aufarbeitung oder Nicht-Aufarbeitung der NS-Zeit in den beiden deutschen Staaten und danach, um den "Freiheitsschock" (so heißt auch ein weiteres Buch eines der Autoren) nach der Wende und viel darum, was aus Sicht der beiden Autoren den Boden für die jetzigen Erfolge der AfD bereitet hat.

Mir persönlich war die Perspektive insgesamt eine doch bei allem Bemühen und der Betonung des ursprünglichen Arbeiterhintergrundes der beiden Männer akademisch und distanziert gebliebene, für mich ist beim Lesen nicht fühlbar geworden, was die Menschen im ehemaligen Ostdeutschland heute wirklich bewegt. Dennoch habe ich insgesamt viel Interessantes, Neues und Lesenswertes aus dem Buch mitgenommen, auch wenn es naturgemäß durch die Art des Buches eine einseitigere Perspektive ist, als wenn es zusätzlich statistische Daten, wissenschaftliche Quellen oder Ergebnisse aus Interviews stärker miteinbezogen hätte.

Insgesamt kann ich das Buch aber allen, die sich für diesen speziellen Blick auf das Thema interessieren, als eine von mehreren Quellen durchaus empfehlen.

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Veröffentlicht am 03.09.2025

Anspruchsvoller Krimi für psychisch stabile Menschen

Noch fünf Tage
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Amanda ist um die 50 Jahre alt und kämpft schon ihr Leben lang mit der Dunkelheit. Aufgewachsen mit einer Mutter, von der sie sich nie geliebt gefühlt hat, trägt sie eine schwere Last mit sich herum. Mit ...

Amanda ist um die 50 Jahre alt und kämpft schon ihr Leben lang mit der Dunkelheit. Aufgewachsen mit einer Mutter, von der sie sich nie geliebt gefühlt hat, trägt sie eine schwere Last mit sich herum. Mit 18 wurde sie nach einem Streit von der Mutter hinausgeworfen und gerade, als sie sich ihr wieder anzunähern begann und selbst schwanger war, nahm sich die Mutter das Leben, wie auch schon die Großmutter vor ihr. Wie soll Amanda das Leben ertragen, mit solchen Vorbildern in Düsternis? Dennoch zieht sie gemeinsam mit ihrem Mann ihren Sohn groß, doch als dieser volljährig ist und sie um die 50, meint sie, die Kraft habe sie nun endgültig verlassen und sie habe ihre Pflicht getan. In fünf Tagen will sie sich das Leben nehmen.

Soweit zur Rahmengeschichte. An dieser Stelle gleich eine Triggerwarnung: das Erleben einer suizidalen Person wird sehr authentisch und in vielen Details beschrieben. Wer also auch nur ein bisschen zur Depressivität oder gar zur Suizidalität neigt, der halte sich von diesem Buch fern, vieles daran kann triggernd wirken und es ist zwar insgesamt ein guter Krimi, aber auch ein äußerst dunkles Buch, was sich an vielen Stellen zeigt.

Wir erleben das Buch teilweise aus Amandas Perspektive, aber in einzelnen kurzen Kapiteln auch aus der anderer Familienmitglieder bis hin zu den Großeltern. Dabei kommt so einiges Überraschendes ans Licht und es gibt einige Twists. Insgesamt ist es ein sehr spannender und unterhaltsamer Krimi, der interessant erzählt ist, sich gut liest und auch zum Nachdenken anregt. Jenen Menschen, die anspruchsvolle Krimis mögen und selbst psychisch gerade sehr stabil sind, kann ich das Buch auf jeden Fall empfehlen.

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Veröffentlicht am 01.09.2025

Von den Mühen und Risiken einer Kinderwunschbehandlung

Unter anderen Umständen
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Hanna wünscht sich schon lange Kinder, doch in der Vergangenheit ist sie immer nur an Männer geraten, die sich diesbezüglich noch nicht festlegen wollten und meinten, alle Zeit der Welt zu haben. Umso ...

Hanna wünscht sich schon lange Kinder, doch in der Vergangenheit ist sie immer nur an Männer geraten, die sich diesbezüglich noch nicht festlegen wollten und meinten, alle Zeit der Welt zu haben. Umso größer ist ihre Freude, als sie mit Mitte 30 mit dem Lehrer Taner zusammenkommt, dem jüngeren Bruder ihrer besten Freundin, und dieser klar sagt, er wolle Kinder und das demnächst. Somit beginnen sie es bald zu versuchen, doch nichts passiert, und nach längerem erfolglosen Probieren landen die beiden in der Kinderwunschklinik, doch auch da stellt sich nicht so leicht ein Erfolg ein.

"Unter anderen Umständen" von Verena Teke ist also eines von mehreren aktuellen Büchern, das detailliert die Sorgen, Nöte und Hoffnungen eines ungewollt kinderlosen Paares in Kinderwunschbehandlung beschreibt. Allein deshalb ist es ein wichtiges Buch. Seit kurzem gibt es mehrere Bücher zu diesem Thema, doch das ist noch nicht lange so: sehr lange war dieses Thema tabuisiert und die heutigen Millenials, von denen viele mit diesem Thema zu kämpfen haben, sind noch mit den Botschaften aufgewachsen, nur ja nicht ungeplant schwanger zu werden, aber niemand hat sie davor gewarnt, wie schwierig dieses Thema sein könnte, wenn man es dann bewusst versucht - eine Realität, mit der in meinem Bekanntenkreis unzählige Menschen in ihren 30ern konfrontiert sind.

Somit ist es ein wichtiges Thema und alle, die sich dem detailliert literarisch annehmen, haben meinen Respekt. Die Kinderwunschbehandlung ist in allen Details glaubwürdig und authentisch dargestellt, offenbar hat die Autorin entweder selbst Erfahrung mit diesem Thema oder sich tief eingearbeitet. Fühlbar wird auch, wie die Behandlungsversuche die Beziehung immer mehr belasten, auch das ist etwas, das ich aus meinem Bekanntenkreis zu dem Thema kenne. Das Buch informiert somit insgesamt gut über dieses Thema und ich würde es insbesondere allen, die sich dafür interessieren, aber noch nicht viel darüber wissen, empfehlen.

Für jene, die selbst gerade in einer Kinderwunschbehandlung stecken, könnte manches in dem Buch triggernd oder auf andere Weise emotional zu viel sein, diesen Menschen empfehle ich es nur unter Vorbehalt. Auch waren mir die porträtierten Charaktere in einigen ihrer Handlungen nicht sehr sympathisch, weil sowohl die Frau als auch der Mann in einigen Einstellungen und Handlungen sehr unreif auf mich wirkten und nicht zu der Übernahme an Verantwortung bereit waren, die ich persönlich mir von werdenden Eltern wünschen würde. Das ist nicht unbedingt eine Schwäche des Buches, denn solche Menschen gibt es ja tatsächlich viele.

Gegliedert ist das Buch in 9 Kapitel, die jeweils gemäß den Monaten einer Schwangerschaft benannt sind: 1. Monat, 2. Monat usw. Das heißt aber nicht, dass es in diesem Buch um eine erfolgreiche Schwangerschaft gehen würde, diese ist nicht das Thema, sondern die vielen Versuche der Kinderwunschbehandlung und ihre Auswirkungen auf die Beziehung.

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Veröffentlicht am 29.08.2025

Witzig, schräg und makaber

Gym
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"Gym", nach den "Geistern von Demmin" und "Eva" nun das dritte Buch von Verena Keßler, liest sich leicht und schnell. In kurzweiligen Szenen erleben wir die namenlose Ich-Erzählerin, die ihren früheren ...

"Gym", nach den "Geistern von Demmin" und "Eva" nun das dritte Buch von Verena Keßler, liest sich leicht und schnell. In kurzweiligen Szenen erleben wir die namenlose Ich-Erzählerin, die ihren früheren prestigeträchtigen Job wohl verloren hat, auf Bewährung ist und nach einer Anstellung sucht und diese im Mega-Gym-Fitnesscenter findet.

Ihren nicht ganz perfekten Körper erklärt sie mit der Lüge, gerade erst entbunden zu haben, doch bald wird sie dem Fitnesshype verfallen und immer mehr trainieren, immer stärker und kräftiger werden und dafür vieles aufs Spiel setzen, bis zum sehr schrägen Ende des Buches, das ich hier natürlich nicht verraten möchte.

Das Buch ist eine sarkastisch-bissige Kritik an den überzogenen Maßstäben, die insbesondere an weibliche Körper von der Gesellschaft angelegt werden, und zeigt in humorvoll-übertriebener Art auf, wozu der daraus resultierende Selbstoptimierungshype und die damit verbundene Konkurrenz führen können: zur Selbstzerstörung und zur Zerstörung sozialer Bindungen. Insofern ist es ein gut geschriebenes, unterhaltsames Buch, das wichtige Themen anspricht.

Mich persönlich hat es aber irgendwo im letzten Drittel verloren, als mir einige Entwicklungen doch bei weitem zu überzogen und für mich nicht mehr lustig waren. Das ist aber wohl persönliche Geschmackssache. Dieses Buch wird sicher nicht allen gefallen, aber für viele doch zumindest eine gute Unterhaltung mit Anregung zum Nachdenken sein.

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