Einblicke in ein langes Autorinnenleben
Luft zum LebenFür mich war der Erzählband "Luft zum Leben" das erste Buch der Schriftstellerin Helga Schubert, ich habe somit keinen Vergleich mit anderen Werken und beurteile hier allein diesen Erzählband.
Im Vorwort ...
Für mich war der Erzählband "Luft zum Leben" das erste Buch der Schriftstellerin Helga Schubert, ich habe somit keinen Vergleich mit anderen Werken und beurteile hier allein diesen Erzählband.
Im Vorwort schreibt die Autorin, dass sie sich wünscht, Menschen in ganz unterschiedlichem Alter und verschiedenen Lebenssituationen würden für sich etwas aus diesem Band mitnehmen können. Ich glaube, das ist tatsächlich so, denn in dem Buch finden sich Erzählschätze aus einem ganzen Leben. Die Autorin hat dafür sowohl schon einmal veröffentlichte als auch bisher unveröffentlichte Texte zusammengetragen und in eine einigermaßen chronologische Reihenfolge gebracht.
Es ist kein Buch zum Schnell-Durchlesen, da würde einem vieles entgehen. Wir erleben mit der Autorin verschiedene Situationen ihres langen Lebens mit: Zeiten, als sie als ganz junge Frau ungeplant mit ihrem Sohn schwanger wurde, ein weiteres Kind, das sie nicht bekommen hat, das Aufwachsen des Sohnes, ihre Sorge um ihn in der Zeit jugendlicher Rebellion, allgemeine Reflexionen über das Leben, eine Krebserkrankung in ihren 30ern und immer wieder verschiedene Situationen des Schriftstellerin-Seins in der DDR.
Insbesondere letzteres war für mich sehr interessant, da das Thema für mich in dieser Form neu war und ich überrascht war, wie viele Freiheiten Helga Schubert in ihrer Position als Schriftstellerin hatte, wie sie regelmäßig zu Literaturveranstaltungen in den Westen reisen konnte oder auch für einen Tagestrip aus Ostberlin in den Westen der Stadt. Bemerkenswert war für mich, wie gut sich die Autorin dem herrschenden politischen System anpassen und mit wenig Schwierigkeiten darin leben konnte, auch wenn sie sich insgeheim mehr Freiheit gewünscht hätte.
Vereinzelte Hinweise auf das, was in der DDR nicht möglich war, gibt es aber natürlich auch: einige der jetzt abgedruckten Texte durften damals nicht oder nur gekürzt erscheinen. Und in einer Geschichte erzählt sie davon, wie sie sich vor einer Kommission für einen ihrer Texte rechtfertigen muss und ihr geraten wird, ihre Beobachtungsgabe und Intelligenz lieber auf andere Themen zu fokussieren, als auf das politische System in der DDR.
Wenn man das Buch sorgfältig und mehrmals liest, fällt einem besonders auf, das die scheinbar für sich stehenden Texte durchaus so einige Bezüge zueinander haben und sich noch einmal eine differenziertere Erzählung ergibt, wenn man sie im Kontext miteinander betrachtet. Das zeigt sich an so einigen Themen, beispielsweise einmal, als es darum geht, dass Schreibende Informationen aus ihrem Umfeld verwenden und in ihre Texte einbauen: so erzählt die Autorin davon, dass sich jemand in einer ihrer Erzählungen mit der eigenen Familiengeschichte erkannt gefühlt hat - aber auch über den Verrat, den sie selbst empfunden hat, als sie sich selbst im Werk einer Schriftstellerkollegin auf unvorteilhafte und vielleicht in der DDR sogar potenziell nachteilige Art und Weise porträtiert und dadurch verraten gefühlt hat.
So ist es insgesamt ein vielseitiges Werk aus mal ganz kurzen, mal längeren Geschichten zu verschiedenen Aspekten des eigenen Lebens von Helga Schubert. Manches hätte ich vielleicht noch klarer einordnen können, wenn es dazu erläuternde Kommentare gegeben hätte oder wenn ich im Vorfeld schon mehr Bücher von der Autorin gelesen hätte. Und ein bisschen schade habe ich gefunden, dass der Zweitberuf der Autorin, die auch Psychologin und als solche therapeutisch tätig war, so gut wie gar nicht in den Erzählungen vorkam - doch auch dafür wird sie wohl ihre Gründe haben.
In Summe ist es ein interessanter Erzählband, den ich allen, die sich für diese Autorin oder auch speziell für das Schriftstellerin-Sein in der ehemaligen DDR interessieren, empfehlen kann.