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Veröffentlicht am 11.08.2024

Ein poetisches Mosaik aus Erinnerungsfetzen

Als wir Schwäne waren
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Das Wort „Erinnerungsfetzen“ habe ich für meine Überschrift durchaus bewusst gewählt. Besteht der Text „Als wir Schwäne waren“ doch durchaus aus mitunter recht brutalen Gewaltszenen, die sich im Bochum ...

Das Wort „Erinnerungsfetzen“ habe ich für meine Überschrift durchaus bewusst gewählt. Besteht der Text „Als wir Schwäne waren“ doch durchaus aus mitunter recht brutalen Gewaltszenen, die sich im Bochum der 1980er und 1990er zwischen Jugendlichen abspielten. So berichtet Behzad Karm Khani in seinem zweiten Roman aus der Sicht eines Jungen, dessen Eltern mit ihm aufgrund der Islamischen Revolution aus dem Iran 1979 geflohen sind und nun versuchen im Ruhrgebiet wieder fuß zu fassen und vielleicht eine neue Heimat zu finden.

Nicht immer chronologisch ordnet Khani sein Mosaik aus Rückblicken an, die das Leben im neuen Land beschreiben und die soziologischen Zusammenhänge verschiedener Milieus erforschen. Sprachlich arbeitet Khani auf sehr hohem Niveau und verpackt seine Gedanken bzw. die Gedanken des Ich-Erzählers in poetische Aphorismen, Gleichnisse und Metaphern. Bei der Schilderung von Gewalt, die in seinem Viertel vorherrscht, bleibt er hingegen recht sachlich, was dem Text sehr gut steht. Ich muss allerdings zugeben, dass für mich einige poetische Bilder nicht durchdringbar waren und ich ab und an einfach nicht in der Tiefe verstanden habe, was der Autor mir mit der ein oder anderen Formulierung sagen möchte. Hier könnten die persischen Einflüsse zum tragen kommen, denn wie wir aus dem Text erfahren, gibt es im Persischen „zehn, fünfzehn verschiedene Begriffe für Stolz“. Dafür hat sich der Autor in diesem deutschsprachigen Roman recht kurz gehalten, packt er doch die Geschichte der Familie ab dem Ankommen in Deutschland auf nur knapp 190 recht locker bedruckten Seiten zusammen. Dies geschieht vor allem durch das bruchstückhafte Herausgreifen einzelner Anekdoten und Geschehnisse.

Dadurch lernen wir auch ein breites Personal an Nachbarn, Freunden und Bandenmitgliedern kennen, die – ebenso wie die Eltern des Erzählers – durchweg vielschichtig angelegt sind und die Zerrissenheit zwischen dem Weggang aus der alten Heimat und dem Ankommen in einem neuen System zeigen. Das finden einer eigenen Identität für die Kinder von Migranten steht im Mittelpunkt des Buches. Während dabei die meisten Figuren aus verschiedenen Kulturen facettenreich rüberkommen muss ich allerdings darauf hinweisen, dass mir die Darstellung der Roma, die eines Tages im Viertel auftauchen, recht einseitig negativ erschienen ist.

Insgesamt kann ich den Roman aufgrund seiner eindringlichen Sprache als auch des unverblümten Inhalts empfehlen, wenngleich ich keinen Vergleich zum Debütroman des Autors anstellen kann, da dieser bei mir noch auf eine Lektüre wartend im Regal steht.

3,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 20.07.2024

Nichts ist so wie es scheint

Kleine Monster
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Wer Jessica Linds Debütroman „Mama“ kennt, weiß, dass in ihren Romanen nichts ist, wie es zunächst anmutet. In „Kleine Monster“ erleben wir eine Mutter (Pia), die erfahren muss, dass ihr Sohn in der Grundschule ...

Wer Jessica Linds Debütroman „Mama“ kennt, weiß, dass in ihren Romanen nichts ist, wie es zunächst anmutet. In „Kleine Monster“ erleben wir eine Mutter (Pia), die erfahren muss, dass ihr Sohn in der Grundschule einen – für die Lesenden - nicht näher bezeichneten sexuellen Übergriff gegenüber einer Mitschülerin unternommen hat. Das allein scheint für viele schon unvorstellbar und noch viel schwerer vorstellbar zu durchleben. Doch dabei bleibt es nicht, denn durch Rückblicke erfahren wir mehr über die Kindheit von Pia und bekommen ein erschreckendes Bild geliefert.

Mehr soll inhaltlich gar nicht verraten werden, da der Roman gerade durch die allmähliche Aufdeckung immer mehr Details und das Erkennen von Zusammenhängen gewinnt. Lind flechtet ungemein geschickt die Vergangenheit Pias mit der Gegenwart in ihrer kleinen Familie zusammen. Dabei entsteht ein Eindruck davon, wie stark uns selbst die eigene Kindheit prägt und in der Erziehung der eigenen Kinder einfließt.

Selten habe ich mit gleichsam so viel Interesse aber auch Furcht die Seiten eines Buches umgeblättert, da man nie vorausahnen konnte, welchen psycho(pathlogischen Abgrund die Autorin als Nächstes aus dem Hut zaubert. Das passiert bei ihr allerdings immer im Rahmen des Authentischen. Ein ganz leiser Psychothriller ist dieser Roman, der durch seine klare Sprache mehr als besticht. Mich hat er vollkommen in seinen Bann gezogen und ich konnte und wollte das Buch kaum aus der Hand legen.

Auf nur 250 Seiten fächert Jessica Lind hier gleich zwei Familiendynamiken auf. Die von Pia, ihrem Mann Jakob und ihrem Sohn Luca sowie der Ursprungsfamilie von Pia und wie diese sich von ihre Schwiegerfamilie (Jakobs Eltern und Schwester) unterscheidet. Großen Respekt habe ich davor, wie die Autorin in ihrem Roman verdichtet auf einzelnen Szenen dieses Familiengewebe beschreibt und gleichzeitig in die Psyche der Ich-Erzählerin Pia eintaucht.

Dafür gibt es von mir ein uneingeschränkte Leseempfehlung! Man braucht übrigens auch keine Trigger-Warnung bezüglich des eingangs erwähnten Vorkommnisses zwischen Luca und der Mitschülerin, da Lind sehr gekonnt um das Ereignis herum schreibt und keinerlei voyeuristischen Tendenzen nachgeht. Das hat mir zusätzlich sehr gut gefallen.

5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 28.06.2024

Historisch wichtige Perspektive

Nach uns der Sturm
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Die malaysische Schriftstellerin Vanessa Chan wirft in ihrem Debütroman einen Blick in die aufwühlende Vergangenheit ihres Heimatlandes. Dieses war zunächst von der britischen Kolonialmacht und später ...

Die malaysische Schriftstellerin Vanessa Chan wirft in ihrem Debütroman einen Blick in die aufwühlende Vergangenheit ihres Heimatlandes. Dieses war zunächst von der britischen Kolonialmacht und später ab 1941 bis 1945 von Japan besetzt. Chan erzählt die schockierende Geschichte einer Frau, malayischem (da Malaysia früher Malaya hieß) und britischem Ursprungs, die noch in den 30ern die britischen Kolonialisten aus dem Land haben wollte und deshalb für die Japaner spionierte, nur um dann ab 1941 die volle Härte der japanischen Besatzungsmacht zu spüren. Cecilys Familie erleidet schwere Schicksalsschläge unter den Japanern, sodass die Mutter von drei Kindern unter ihrer Schuld zu zerbrechen droht.

Die Besatzung vieler Gebiete in Südostasien durch die Japaner während des Zweiten Weltkriegs ist ein Thema, welches bisher kaum Eingang in das Allgemeinwissen von im Westen sozialisierten gefunden hat. Mit großer Brutalität unterwarf das japanische Militär die Gebiete unter dem vorgeblichen Ziel „Asien den Asiaten“, dass dabei mitunter mehr Menschen der besetzten Länder in kürzester Zeit umkamen als unter der Kolonialmacht unterstreicht Chan in ihrem Roman.

Mir hat „Nach uns der Sturm“ (im englischen Original „The Storm We Made“, was mir inhaltlich passender erscheint) über weite Strecken wirklich sehr gut gefallen. Chan konstruiert den Roman so, dass wir zwischen einem Vergangenheitsstrang, der 1935 einsetzt und in dem Cecily beginnt für den Japaner Fuijwara zu spionieren sowie in eine gefährliche Abhängigkeit zu ihm rutscht, und mehreren Gegenwartssträngen in 1945 mit Wechseln zwischen den Perspektiven von Cecily sowie ihren drei Kindern Jujube, Abel und Jasmin. Alle Erzählstränge zusammen ergeben ein aufschlussreiches Bild von den damaligen Verhältnissen zunächst unter den Briten und später unter den Japanern, sodass sich einige Wissenslücken im Laufe der Lektüre füllen. Denn die große Schwester Jujube zeigt einen blinden Fleck im Interesse der Weltgemeinschaft während und nach dem Zweiten Weltkrieg auf, wenn sie auf Seite 66 über die Frontmeldungen aus Europa nachdenkt und dann auf ihr Heimatland blickt:

„Vielleicht haben sie uns vergessen, dachte Jujube, diese westlichen Fronten, Städte mit Namen, die einem schwer von der Zunge gingen, Orte, die sie im Atlas fand, sich aber nicht vorstellen konnte. Vielleicht waren Menschen wie sie, Jasmin und Abel nicht wichtig – hier in einem kleinen tropischen Winkel im Osten, wo sie von Menschen brutal behandelt wurden, die fast genauso aussahen wie sie selbst.“

Die Einwohner (damals noch) Malayas werden in Arbeitslager verschleppt und zu „Trostfrauen“ für die japanischen Soldaten gemacht. Und das alles unter dem Befehl von Fujiwara, der als General mittlerweile der Befehlshaber über Malaya ist. Als Cecilys Sohn verschwindet und die jüngste Tochter Jasmin versteckt werden muss leidet ihre psychische Gesundheit mehr und mehr unter ihrer Schuld. Das ist gut gemacht und hat mich durchgängig mit dem Schicksal der Familie mitfiebern lassen. Chan schreibt dabei eher einfach und legt mehr Wert auf die Darstellung des Leids der malayischen Bevölkerung. Gerade Abels Zeit im Arbeitslager ging mir dabei besonders an die Nieren.

Leider lässt meines Erachtens gerade gegen Ende die Qualität des Romans nach, wenn die Autorin zu stark etwas herankonstruiert und damit die Wahrscheinlichkeitstheorie auch entsprechend strapaziert. Alles wird hoch dramatisch inszeniert, obwohl es dem Roman zuvor nicht an realer Dramatik gefehlt hätte. Die Figuren, welche zunächst für sich genommen interessante Entwicklungen durchliefen, neigen nun zu übertriebenem bis wenig nachvollziehbarem Verhalten. Die Autorin ändert im letzten Teil des Buches auch die Erzählgeschwindigkeit, was mir abschließend nicht sonderlich gut gefiel. Da sich alles um die letzten Tage im August verdichtet, nach den Atombombenabwürfen in Hiroshima und Nagasaki ab dem 09. August, der Radioansprache Kaiser Hirohitos am 15. August mit der Bekanntgabe der bedingungslosen Kapitulation Japans und noch vor der Unterzeichnung der offiziellen Kapitulation Japans am 02. September 1945 wird es schwer den historischen Abläufen zu folgen, da in Malaya scheinbar weiterhin japanische Soldaten das Sagen hatten. Zur Verwirrung trägt auch eine Stelle im Buch, die am 30. August 1945 spielt, bei, wo es heißt: „...im Radio kamen Nachrichten über Kapitulationen, über enorme Verluste in den von den Nazis besetzten Regionen, über lokale Aufstände in japanischen Gebieten.“ Welche von Nazis besetzte Gebiete gab es noch Ende August 1945?!

So fällt mir die abschließende Bewertung dieses Romans sehr schwer. Über weite Strecken war er sehr informativ mit hoher historischer Signifikanz. Es ist wichtig, dass dieser Roman veröffentlicht wird und somit den Fokus auch auf andere Regionen der Welt und deren Schicksal während des Zweiten Weltkrieges richtet. Die Entwicklung der Figuren und ihr Innenleben ließ abschließend aber leider zu wünschen übrig und die „überzufällige“ Konstruktion zum Schluss haben mich gestört. Aufgrund der mithilfe des Romans eingenommenen historischen Perspektive durch die Augen einer malayischen Familie und der damit einhergehenden Denkanstöße entscheide ich mich im Zweifel für ein Aufrunden.

3,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 24.06.2024

Beeindruckende Sprache

Wie Inseln im Licht
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Nach der Lektüre von „Inseln im Licht“ bleibt vor allem Franziska Gänslers Zauberei mit der Sprache im Gedächtnis hängen. Natürlich neben der ungewöhnlichen Geschichte einer mittlerweile erwachsenen Frau, ...

Nach der Lektüre von „Inseln im Licht“ bleibt vor allem Franziska Gänslers Zauberei mit der Sprache im Gedächtnis hängen. Natürlich neben der ungewöhnlichen Geschichte einer mittlerweile erwachsenen Frau, die eine symbiotische Beziehung zu ihrer Mutter unterhielt und das alles nicht ohne Grund. Zoeys Mutter ist nach Jahren der Pflege mit Ende Vierzig verstorben. Was hinter der ungewöhnlichen Familiengeschichte steckt, erfährt man nach und nach im Laufe des sehr kurzen, nur etwas mehr als 200 Seiten langen Romans.

Der Plot, üder den man nicht zu viel verraten sollte, ist fast krimihaft, da Zoey nach dem Tod der Mutter an die französische Atlantikküste reist, um dort deren Asche zu verstreuen. Der Ort ist nicht per Zufall gewählt, lebte sie doch bis zu ihrem siebten Lebensjahr mit der jüngeren Schwester und der Mutter hier auf einem Campingplatz. Nach und nach „ermittelt“ Zoey zum damaligen Verschwinden ihrer fünfjährigen Schwester und es treten Familiengeheimnisse ans Licht, die auch die Dynamiken zwischen Zoey und ihrer Mutter offenbaren.

Das macht Gänsler durch eine beeindruckende, punktgenaue Sprache. Hier ist kein Wort zu viel. Abschließend hätte ich mir aber durchaus den ein oder anderen Satz mehr gewünscht, um manche Ereignisse, die als gegeben hingenommen werden, näher zu beleuchten. Mit vielleicht insgesamt 250 Seiten wäre dies sicherlich ein Highlight für mich geworden.

Nichtsdestotrotz handelt es sich hier um einen mitreißenden Roman, der sich in eine ganz andere Richtung entwickelt, als man das bei der Prämisse „Tochter will Asche der Mutter verstreuen und deckt Familiengeheimnisse auf“ erwartet hätte. Hat mir sehr gut gefallen!

4/5 Sterne

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Veröffentlicht am 09.06.2024

Vielschichtiges und Jahrzehnte umspannendes Bild einer persischen Oberschichtsfamilie

Die Perserinnen
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Sanam Mahloudji nimmt eine interessante Perspektive ein, wenn sie über einen Zeitraum von fast 80 Jahren hinweg die weibliche Seite einer iranischen Familiengeschichte erzählt. Denn sie nähert sich in ...

Sanam Mahloudji nimmt eine interessante Perspektive ein, wenn sie über einen Zeitraum von fast 80 Jahren hinweg die weibliche Seite einer iranischen Familiengeschichte erzählt. Denn sie nähert sich in ihrem Debütroman „Die Perserinnen“ den Frauen einer Familie, die vor der Islamischen Revolution 1979 zur Oberschicht des Iran gehörte. Elisabeth ist schätzungsweise in den 1930ern als Enkelin des „Großen Kriegers“ geboren. Ein Mann, der laut Familiengeschichte sein Leben im Kampf für einen demokratischen Iran ließ. Das Familienvermögen und -prestige basiert auf diesem Vorfahr. Während Elisabeth in ihrer Kindheit und Jugend wie eine Prinzessin von der Bevölkerung Teherans behandelt wurde, gab sie später dieses Bewusstsein für Stellung an ihre Kinder weiter. Zwei davon sind Sima und Shirin, welche - ebenso wie ihr Bruder Nadar - im Zuge der Islamischen Revolution über Südfrankreich in die USA „flüchteten“. Deren Kinder Bita und Mo wuchsen dann in den USA auf, während Shirins älteste Tochter Niaz bei Elisabeth im Iran zurückblieb und dort aufwuchs.

Die Gegenwartshandlung des Romans setzt im Weihnachtsurlaub des US-amerikanischen Teils der persischen Familie in Aspen in 2004/2005 ein. Wir erleben mit, in welch einem Überfluss diese Familie lebt. Und das macht für mich schon einmal einen kreativen Ansatz das Romans aus, werden doch sonst häufig Geschichten von stark benachteiligten und unterdrückten Familien aus dem Iran in der Literatur beschrieben. Auf den ersten Blick scheint diese reiche Familie in einer vollkommen sorgenfreien Sphäre zu leben. So auch Shirin, die mit um die 50 Jahren aufgetakelt in einer Bar verhaftet wird, weil sie angeblich ihre eigenen Prostitution anbahnte. Dabei liegt es eher daran, dass Shirin eine hoch theatralische Persönlichkeit hat und überall, wo sie hinkommt eine Szene machen muss. Sie möchte ununterbrochen im Mittelpunkt stehen und gerät dadurch auch sehr schnell zur anstrengendsten, aber nicht uninteressantesten Person dieses prosaischen Figurenreigens. Allerdings leitet die Autorin das Gehabe von Shirin sehr gut her, weshalb sie zu so einer „unsympathischen Figur“ wird, die man unterm Strich eigentlich doch gern begleitet. Wir folgen in wechselnden Kapiteln immer den einzelnen Frauen der Familie zu unterschiedlichen Zeiten von den 1940ern bis zum gegenwärtigen Plotverlauf, der sich um Shirins Anzeige in 2005 dreht. Dabei spricht eine Figur auch aus einer Zwischenwelt kurz vor dem Jenseits, denn wie wir gleich zu Beginn erfahren, ist Sima - Bitas Mutter - bereits im April 2004 verstorben.

Durch diese multiperspektivische Herangehensweise bekommen die Lesenden ein facettenreiches Bild zur Familiengeschichte aber auch zu den einzelnen Lebensläufen der Frauen. Durch die Figuren Elisabeth und Niaz, die die letzten 25 Jahre im Iran verblieben sind, bekommt man neben den Eindrücken einer reichen, persischen Familie in den kapitalistischen USA auch einen sehr guten Einblick in das Leben von Zurückgebliebenen, die unter den Ayatollahs nicht mehr ihrem Leben in Saus und Braus nachgehen können.

Obwohl ich schon einige informative Texte über die Geschichte und die Menschen des Irans gelesen habe, hat mir „Die Perserinnen“ doch immer wieder noch unbekannt Informationen vermittelt und neue Blickwinkel ermöglicht. Die Figuren werden in ihren Handlungen und Einstellungen sehr gut hergeleitet und man bekommt ein umfangreiches Bild ihrer Sozialisation und ihrer Lebensumstände. Auch zur iranischen Historie wurden politische Zusammenhänge leicht verständlich dargestellt, was das Buch zu eines äußerst lesenswerten Roman macht.

Immer tiefer dringt man in die einzelnen Schicksale und Köpfe der Figuren, was einen starken Sog entwickelt. Allein zum Ende hin wird mir der Roman zu verkopft und zu erklärend. Bis zum Ende wurde mir außerdem nicht klar, warum die „Elisabeth“-Kapitel die einzigen sind, die aus der personalen Perspektive heraus erzählt sind. Alle anderen Frauen berichten aus der Ich-Perspektive, selbst die verstorbene Sima.

Für mich stellt „Die Perserinnen“ ein starkes Debüt dar, welches eine klare Leseempfehlung von mir erhält. Ich freue mich darauf, von der Autorin noch mehr zu lesen.

4,5/5 Sterne

PS: Ein Kuriosum, welches ich so noch nie gesehen habe: Das Buch wurde in englischer Sprache verfasst, da die Autorin schon als Kind aus dem Iran in die USA auswanderte. Die deutsche Übersetzung des Romans ist allerdings die allererste Veröffentlichung des Textes. Der englischsprachige Orignaltext wird erst in 2025 (!) erscheinen, ebenso wie die Veröffentlichungen in anderen Ländern. Siehe sanammahloudji.com:

„Her debut novel THE PERSIANS will be released in February & March 2025 with Fourth Estate (UK) and Scribner (US). It will also come out in translation in Germany (Piper), the Netherlands (Ambo Anthos), Hungary (Europa), Croatia (Fraktura) and Romania (Polirom). The German edition will be released first on May 31, 2024!“

PPS: Falls jemand vom Verlag meine Rezi lesen sollte: Für eine (hoffentlich gedruckte) zweite Auflage: Auf S. 319 heißt es, dass Sima am „1. April 1994“ gestorben sei. Das ist ein Fehler, sie ist in 2004 gestorben. Das könnte beim Lesen so einige irritieren. ;)

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